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Detail

Wir trauern um einen hervorragenden Wissenschaftler und großartigen Menschen

Heute wird unser Genosse Harald Neubert beigesetzt, der bis zu seinem Tod mit anregenden Diskussionsbeiträgen, wissenschaftlichen Ausarbeitungen und aktiver Arbeit in der Grundsatzkommission der Partei, in der AG Friedens- und Internationale Politik, im Ältestenrat und im Marxistischen Forum begleitet hat.

Durch seine politische Haltung, seine intensive wissenschaftliche Arbeit und seinen Optimismus ist Harald Neubert ein Vorbild für alle, die solidarisch für eine bessere Gesellschaft streiten. Er hat sich kritisch mit der Vergangenheit des Sozialismus auseinandergesetzt, um den Blick für eine sozialistische Zukunft zu öffnen. Harald Neubert war Mitglied der PDS und der LINKEN und hat die Entwicklung der Partei mit anregenden Diskussionsbeiträgen, wissenschaftlichen Ausarbeitungen und aktiver Arbeit in der Grundsatzkommission der PDS, in der AG Friedens- und Internationale Politik, im Ältestenrat und im Marxistischen Forum begleitet.
 
Prof. Dr.sc.phil. Harald Neubert wurde 1932 geboren. Die Nachkriegsjahre verstanden viele junge Leute als Aufbruch in eine neue, bessere Zeit. Harald, von Beruf Tischler, besuchte von 1949 bis 1952 die Arbeiter-und-Bauern-Fakultät in Halle an der Saale. Nach bestandener Reifeprüfung 1952 folgte ein Studium der Geschichte in Leningrad. Von 1958 bis 1963 war er wissenschaftlicher Assistent im Institut für Allgemeine Geschichte der Humboldt-Universität zu Berlin. 1964 promovierte er und wurde anschließend Mitarbeiter für Internationale Politik bei Hermann Axen. 1970 ging Harald Neubert an das Institut für Gesellschaftswissenschaften. Von 1974 bis 1989 war er Direktor des Instituts für Internationale Arbeiterbewegung der Akademie für Gesellschaftswissenschaften. Prof. Dr. Harald Neubert nahm 1987 aktiv an den Gesprächen mit der SPD teil, die zu dem gemeinsamen SED-SPD-Papier "Der Streit der Ideologien und die gemeinsame Sicherheit." führten.
 
Wir haben Harald Neubert als einen klugen, marxistisch sehr gebildeten, geistig aktiven und anregenden Genossen kennen und schätzen gelernt. Als angesehener Experte für die Geschichte der kommunistischen Bewegung nahm er an zahlreichen nationalen und internationalen Konferenzen teil. Wie weiter nach dem Zusammenbruch des "realen Sozialismus" – diese Frage bewegte Harald Neubert zutiefst. Was hat der reale Sozialismus im Weltmaßstab bewirkt und welches sind die wesentlichen Ursachen für sein Scheitern? Aber vor allem: Wie lässt sich heute ein einheitliches internationales Zusammenwirken aller Kräfte erreichen, die eine sozialistische Gesellschaftsalternative anstreben und welche Wege gibt es, wie man dazu gelangen kann? Ohne kritische Bilanz der bisherigen positiven wie negativen Erfahrungen – das war seine feste Überzeugung – ist die Formierung einer neuen internationalen Aktionseinheit der Linken wenig erfolgversprechend. Harald Neubert lieferte eine solche kritische Bilanz und untersuchte in zahlreichen Publikationen die Widersprüche zwischen den Idealen und der Realität, zwischen Ansprüchen und politischer Praxis, zwischen Erfordernissen und Versäumnissen der kommunistischen Bewegung. In einem Prozess kritischen und selbstkritischen Nachdenkens und schmerzlichen Umdenkens wurden wichtige Schlussfolgerungen für den Neubeginn einer sozialistischen Bewegung im 21. Jahrhundert gezogen.
 
Harald Neubert zeichnete aus, dass er sich stets um eine ausgewogene, sachliche, den historischen Ereignissen gemäße und kritische Analyse bemühte. Für ihn war die Oktoberrevolution ein "bahnbrechendes welthistorisches Ereignis" und unbezweifelbar konnte die KPdSU auf wesentliche Verdienste bei der Bildung der kommunistischen Bewegung verweisen. Dennoch scheiterte der sozialistische Versuch infolge mangelnder Demokratie, machtpolitischer Willkür, geistiger Enge und Dogmatismus, durch die Verletzung von Menschenrechten und begangener Verbrechen. Korrekturen und Reformen sowie realistische Strategien zur Weiterentwicklung des Sozialismus blieben in der UdSSR und den anderen europäischen sozialistischen Ländern aus, so dass in ihnen die sozialistischen Ordnungen letztlich zusammenbrachen. Die KPdSU hatte den anderen Parteien "das enge Korsett einer zentralistisch-hierarchischen Struktur und eines verbindlichen ideologischen Monismus aufgezwungen". In Schlussfolgerung daraus plädierte Neubert anknüpfend an Palmiro Togliattis Konzept von der Einheit in Vielfalt und Differenziertheit für ein "plurales Internationalismus-Verständnis".
 
In diesem Sinne begrüßte Harald Neubert die Gründung der Partei der Europäischen Linken als eine Alternative zur neoliberalen Politik und Entwicklungsrichtung in europäischen Ländern und verband damit die Hoffnung, dass die zersplitterten linken Kräfte fähig sein werden, sich als Gegenkraft zu etablieren, Mehrheiten zu gewinnen und gemeinsam zielgerichtet zu agieren. Dabei war ihm zugleich klar, "dass die europäischen Linkskräfte noch weit davon entfernt sind, diese unmittelbaren Erfordernisse zu realisierten".
 
Die ungewöhnlich große Anzahl von Publikationen und Aktivitäten nach der Wende zeugten von unglaublichem Arbeitswillen, Fleiß und Disziplin. Die Analysen und Ausarbeitungen von Harald Neubert sind eine wichtige Fundgrube für die zukünftigen Diskussionen um die Programmatik linker Parteien im 21. Jahrhundert. Harald Neubert war ein aufgeschlossener, kritischer und gradliniger Zeitgenosse. Wir vermissen ihn sehr.