Beschlusslage
Beschlusslage der Partei DIE LINKE zum Thema Grundsicherung und soziale Garantien
Die Positionen und Beschlüsse unserer Partei zum Thema Grundsicherung und soziale Garantien lassen sich zurückführen auf die Vision für eine gerechte Gesellschaft, wie sie im Erfurter Programm formuliert ist. Dort heißt es:
»Individuelle Freiheit und Entfaltung der Persönlichkeit für jede und jeden durch sozial gleiche Teilhabe an den Bedingungen eines selbstbestimmten Lebens und Solidarität – das gilt uns als erste Leitidee einer solidarischen Gesellschaft« (S. 5).
Individuelle Freiheit, Selbstbestimmung und Solidarität sind nicht voraussetzungslos, sondern bedürfen zu ihrer Realisierung ein hohes Maß an sozialen Rechten und sozialer Sicherheit. Beide sind gesellschaftliche Grundvoraussetzungen für individuelle Emanzipation und Autonomie. Sie spiegeln sich auch in unseren sozialpolitischen Positionen und Beschlüssen wider. Darin fordern wir zusammengefasst soziale Garantien für ein Leben in sozialer Sicherheit ohne Armut und Ausgrenzung.
Das bedeutet für uns konkret, dass niemand im Monat weniger als 1.200 Euro zur Verfügung haben soll. Das ist unsere Grenze für ein gerechtes Mindesteinkommen für alle, die es brauchen. Egal in welcher Lebenssituation – ob in Rente, Kurzarbeit, Erwerbslosigkeit oder im Studium – kein volljähriger Mensch soll weniger haben. So lautet die Aussage in unserem Programm zur Bundestagswahl 2021. Die »Bausteine« für ihre Umsetzung liefern die sozialpolitischen Beschlüsse und Forderungen, die bereits im Erfurter Programm verankert sind und ebenfalls Eingang in das Bundestagswahlprogramm 2021 fanden:
- Eine sanktionsfreie Mindestsicherung, die bedarfsdeckend ist, vor Armut schützt und soziale Teilhabe ermöglicht.
- Eine solidarische Mindestrente für alle Personen im Rentenalter ohne ausreichendes Einkommen und Vermögen.
- Eine Kindergrundsicherung, die Kinder und Jugendliche vor Armut schützt und ihnen die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht.
Mit diesen drei Instrumenten sichern wir das sozio-kulturelle Existenzminimum und ermöglichen soziale Teilhabe. Das sind für uns soziale Grundrechte, auf die jeder Mensch einen Anspruch hat. Sie übersetzen sich praktisch in ein garantiertes Mindesteinkommen in jeder Lebenssituation, in der es gebraucht wird. Das ist unsere soziale Garantie für ein Leben ohne Armut und Ausgrenzung. Weitere soziale Grundrechte für uns sind das Recht auf Arbeit, auf Bildung, auf Wohnen und auf gesundheitliche Versorgung.
Die Höhe des garantierten Mindesteinkommens orientiert sich an der Armutsgrenze der Europäischen Gemeinschaftsstatistik über Einkommen und Lebensbedingungen (EU-SILC). Sie beträgt derzeit 1.200 Euro und soll jährlich überprüft und angepasst werden.1
Die Umsetzung dieser sozialen Garantie – und der damit verbundenen sozialen Grundrechte – ist eine gesellschaftliche Aufgabe. Wir wollen dafür einen aktiven und demokratischen Sozialstaat. Die sozialen Garantien sind dabei nur eine Dimension der sozialen Sicherheit, die er zu gewährleisten hat.
Darüber hinaus hat er zwei weitere Dimensionen sozialer Sicherheit zu garantieren:
- Öffentliche Infrastrukturen und soziale Dienstleistungen (Bildung, Kultur, Mobilität, Gesundheit, Pflege, Wohnen etc.).
- Gute und planbare Erwerbsarbeit, die sicher ist und zum Leben passt im Rahmen eins »neuen Normalarbeitsverhältnisses«.
Der Dreiklang aus sozialen Rechten und Garantien, sozialen Dienstleistungen und guter Erwerbsarbeit ist das »Herz« unserer Konzeption eines demokratischen Sozialstaats, beschlossen vom Parteivorstand am 11.01.2020 (Beschluss 2020/002). Unsere Idee des Sozialstaats stellt die Bedürfnisse und den Bedarf der Menschen in den Mittelpunkt und ermöglicht Emanzipation und Selbstbestimmung für alle.
Die umfassende Klammer dafür ist die organisierte Solidarität in den sozialen Sicherungssystemen. Sie müssen solidarisch ausgestaltet und um steuerfinanzierte Leistungen ergänzt werden, die ohne Voraussetzungen die individuelle Existenz und soziale Teilhabe sichern. Damit wird Mindesteinkommen für all jene garantiert, die trotz der solidarischen Ausgestaltung der Sozialversicherungen keine bzw. keine ausreichenden Anwartschaften erreichen und deshalb weniger als 1.200 Euro monatlich zur Verfügung haben. Die steuerfinanzierten Leistungen wirken insofern als »soziale
Garantie« und ergeben sich aus den sozialen Rechten des Individuums. Die dafür in Frage kommenden und oben bereits zum Teil genannten Instrumente (»Bausteine«) werden nachfolgend detailliert beschrieben.
Sanktionsfreie Mindestsicherung
Die sanktionsfreie Mindestsicherung ersetzt für erwachsene Berechtigte die bisherigen Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende (Arbeitslosengeld II bzw. »Hartz IV«) nach dem SGB II, die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) und die Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Die Leistungshöhe orientiert sich an der Armutsgrenze der Europäischen Gemeinschaftsstatistik über Einkommen und Lebensbedingungen (EU-SILC). Die Höhe der Leistungen wird jährlich überprüft und an diese Armutsgrenze angepasst. Sie beträgt derzeit 1.200 Euro. Die Mindest-sicherung wird pauschal für Lebenshaltungs- und Wohnkosten geleistet. Eine Überprüfung der Wohnsituation entfällt. Für lokal hohe Wohnkosten, zum Beispiel in Ballungszentren, wird für Wohnungen in angemessener Größe und Ausstattung ergänzend ein Ballungsraumzuschuss gewährt, dieser wird in entsprechender Höhe geleistet. Der Anspruch leitet sich aus der tatsächlich zu zahlenden Bruttowarmmiete bzw. vergleichbarer Kosten bei selbstgenutztem Wohneigentum ab und wird ergänzend zur sanktionsfreien Mindestsicherung geleistet. Ein Anspruch auf die sanktionsfreie Mindestsicherung besteht bei Bedürftigkeit, das heißt, wenn ein Nettoeinkommen zuzüglich anrechnungsfreier Freibeträge unterhalb der festgelegten Leistungshöhe bezogen wird. Die Leistungen der sanktionsfreien Mindestsicherung sind individualisiert. Partner*inneneinkommen werden nicht angerechnet.
Solidarische Mindestrente
Die solidarische Mindestrente wird als Zuschlag für alle dauerhaft in Deutschland lebenden Menschen ab 65 Jahren (bei voller Erwerbsminderung bereits vorher) geleistet. Sie stellt sicher, dass niemand im Alter weniger als 1.200 Euro netto im Monat zur Verfügung hat. Wer weniger Einkünfte hat und nicht über ein großes Vermögen verfügt, dessen Rente wird mit einem Zuschlag auf 1.200 Euro netto im Monat angehoben. Selbst genutztes Wohneigentum wird nicht als Vermögen berücksichtigt. Bestehende Wohngeldansprüche bleiben unberührt (s.o.).
Kindergrundsicherung
Die Kindergrundsicherung schützt Kinder und Jugendliche vor Armut. Bei der Ausgestaltung orientieren wir uns am Modell des Bündnisses Kindergrundsicherung. Die Höhe fällt abgestuft aus. Beginnend bei 630 Euro für die ärmsten Kinder wird sie je nach Einkommenssituation bis auf 328 Euro abgeschmolzen. Das entspricht dem erhöhten Kindergeld, das wir für alle Kinder als Sofortmaßnahme fordern. Es wird einkommens-unabhängig an alle Familien monatlich gezahlt. Junge Volljährige erhalten die Kindergrundsicherung bis zum ersten Schulabschluss inkl. Abitur. Für Zeiten von Ausbildung und Studium wird – wie heute – weiterhin das Kindergeld gewährt; ergänzend greifen die spezielleren Leistungen wie das BAföG oder Berufsausbildungsbeihilfe inklusive Mindestausbildungsvergütung.
Mindestausbildungsvergütung
Auszubildende brauchen eine Ausbildungsvergütung, die zum Leben unabhängig von den Eltern reicht. Wir fordern eine Mindestausbildungsvergütung, die sich aus 80 Prozent der durchschnittlichen tariflichen Ausbildungsvergütung aller Branchen des jeweiligen Ausbildungsjahres ergibt. Wir unterstützen die Gewerkschaften und Gewerkschaftsjugenden bei ihrem Kampf für bessere tarifvertragliche Lösungen. Die Ausbildung in den Berufen, die nicht dual geregelt ist, zum Beispiel in allen Sozial-, Gesundheits- und Erziehungsberufen, muss besser finanziert werden. Schulgeld soll grundsätzlich entfallen und ein am Tarif orientiertes Ausbildungsgeld gezahlt werden. Wir wollen eine solidarische Umlagefinanzierung, die alle Betriebe in die Pflicht nimmt, damit ausreichend duale und qualitativ hochwertige Ausbildungsplätze geschaffen werden.
BAföG
Das BAföG muss an die Lebenswirklichkeit angepasst werden und die Ausbildung umfassend finanzieren. Nur noch 11 Prozent der Studierenden erhalten überhaupt BAföG, nur 8 Prozent den Höchstsatz. Wir setzen uns für ein rückzahlungsfreies, elternunabhängiges und bedarfsgerechtes BAföG ein, das alle erreicht, die es brauchen. Bildungsentscheidungen sollen frei von Finanzsorgen oder Vorlieben der Eltern getroffen werden können. Der BAföG-Fördersatz muss regelmäßig und automatisch an die tatsächlichen und steigenden Lebenshaltungs- und Wohnkosten angepasst werden. Wir wollen die Altersgrenzen beim BAföG abschaffen und die Bezugsdauer an die reale durchschnittliche Studiendauer anpassen. Ebenso muss die Kopplung des BAföG an Leistungsüberprüfungen abgeschafft werden. Förderlücken müssen geschlossen werden. Menschen mit Duldung, Aufenthaltsgestattung und mit humanitären Aufenthaltstiteln müssen mit Aufnahme des Studiums oder der Ausbildung Zugang zur Ausbildungsförderung haben.