Leitfaden zum Umgang mit Fällen von Sexismus, sexistischen und queerfeindlichen Grenzverletzungen und sexistischer Gewalt
Der vergangene Bundesparteitag hat mit dem P13 beschlossen, dass eine feministische Kommission (unter größtmöglicher Einbindung der Basis) eine Beschlussvorlage für den Bundesparteitag 2023 erarbeiten soll, da nur ein Dokument mit großer Zustimmung ausreichend Wirkung erzielen kann. Vor diesem Hintergrund soll der vorliegende Leitfaden eine Antwort auf die dringliche Notwendigkeit eines verbindlichen Verfahrens geben und gilt zunächst bis zum nächsten Parteitag. Dabei nimmt er die Entscheidungen und Grundgedanken des P13, die bisherigen Empfehlungen der Expertinnenkommission sowie bestehende Verfahren in den Landesverbänden mit auf. Die Erfahrungen mit diesem Leitfaden sollen in die Beschlussvorlage zum nächsten Parteitag einfließen.
Anwendungsbereich
Fälle von Sexismus, sexistischen und queerfeindlichen Grenzverletzungen und sexistischer Gewalt.
Der Leitfaden findet Anwendung, wenn beide Parteien des Vorwurfs Mitglieder oder ehemalige Mitglieder der Linken sind oder wenn eine Partei des Vorwurfs Mitglied der Linken ist.
Beschwerden über andere Formen der Diskriminierung (Rassismus, Altersdiskriminierung, Ableismus etc.) werden an die zuständige Landesgeschäftsstelle oder an die Bundesgeschäftsstelle übermittelt.
Zuständigkeiten
Vertrauensgruppen: Diese soll es mindestens in jedem Landesverband und auf Bundesebene geben.
Die Mitglieder sollen weder in Landes- noch Bundesvorständen sein. Bei Fällen, in denen es eine persönliche Verbindung gibt, dürfen die jeweiligen Mitglieder der Vertrauensgruppe nicht an der Bearbeitung des Falls beteiligt werden. Empfohlen wird eine mindestens dreiköpfige Gruppe, die durch den zuständigen Vorstand berufen wird. Die Mitglieder der Vertrauensgruppen sind Anlaufstellen in erster Linie für Betroffene von sexistischen Belästigungen und Übergriffen im Zusammenhang mit der Partei, zuständig für die Begleitung eines parteiinternen, fallspezifischen Aufarbeitungsprozesses und für die anonymisierte Dokumentation ihrer Arbeit.
Für die Wahrnehmung dieser Aufgabe ist mindestens eine spezielle Schulung / Bildungsveranstaltung dazu zu besuchen, welche durch die Partei finanziert wird. Den Mitgliedern der Vertrauensgruppen wird die Vernetzung mit anderen Vertrauenspersonen der Partei angeboten und empfohlen.
Alle Mitglieder der Vertrauensgruppe sind zur Verschwiegenheit und zur besonders peniblen Einhaltung des Datenschutzes verpflichtet.
Beratungsstellen: Die Vertrauensgruppen verschaffen sich eine Übersicht über geeignete Beratungsstellen für die psychologische und rechtliche Beratung und Begleitung betroffener Personen und arbeiten mit diesen zusammen.
Externe Expert*innen: Auf Bundesebene gibt es eine feste Zusammenarbeit mit externen Expert*innen, bei Bedarf soll dieser Pool weiter ausgebaut werden. Den Landesverbänden werden solche Kooperationen vor Ort ebenso empfohlen. Die externen Expert*innen sind zusätzliche Anlaufstellen bei sexistischen Belästigungen und Übergriffen im Zusammenhang mit der Partei und geben fallspezifische wie strukturelle Handlungsempfehlungen.
Kontaktstelle: Personen, die für die externen Expert*innen als Ansprechpartner*innen fungieren und die Vermittlung der Handlungsempfehlungen übernehmen. Fallspezifische an die Zielperson bzw. an die jeweils zuständige Vertrauensgruppe und strukturelle darüber hinaus an die feministische Kommission. Diese Personen sind zur Verschwiegenheit und zur besonders peniblen Einhaltung des Datenschutzes verpflichtet.
Ablauf
1. Schritt: Meldung und Erstgespräch
Möglichkeit A: Betroffene können sich an die Vertrauensgruppe ihres Landesverbandes oder an die der Bundesebene wenden. Für ein intensiveres Erstgespräch (fokussiert auf aktives Zuhören, emotionaler Zuspruch, Informationen über den Kontext, Bedarf nach unmittelbarem Schutz…) können die Vertrauensgrupp–n - auch die externen Expert*innen/Beratungsstellen hinzubitten. Die betroffene Person entscheidet, ob am Ende dieses Gesprächs oder nach einer von der betroffenen Person definierten Bedenkzeit, ob die Informationen in der gesamten Vertrauensgruppe weiterbearbeitet werden. Falls nicht schon geschehen, wird auf externe Beratungsstellen zur psychologischen und/oder rechtlichen Beratung verwiesen. Die Informationen werden in jedem Fall in anonymisierter Form in die Dokumentation der Vertrauensgruppe aufgenommen.
Möglichkeit B: Betroffene können sich an die Expert*innen/Beratungsstellen wenden, mit denen die jeweiligen Landesverbände oder die Bundesebene zusammenarbeitet. Diese führen das Erstgespräch. Die betroffene Person entscheidet am Ende dieses Gesprächs oder nach einer von der betroffenen Person definierten Bedenkzeit, ob und in welchem Umfang die Informationen an die Vertrauensgruppe des Landesverbandes oder der Bundesebene weitergegeben und bearbeitet werden bzw. ob eine Handlungsempfehlung ausgesprochen wird. Wird dies gewünscht, wird der Fall an die zuständige Vertrauensgruppe zusammen mit entsprechenden Handlungsempfehlungen weitergeleitet (ggf. über die Kontaktstelle).
2. Schritt: Abstimmung eines parteiinternen Aufarbeitungsprozesses
Die eingebundene Vertrauensgruppe berät und entwirft gemeinsam ein auf den konkreten Fall abgestimmtes Verfahren. Der Verfahrensvorschlag wird in jedem Fall mit der betroffenen Person abgestimmt, ggf. mit externer Unterstützung. Alle Schritte sollten der Situation angemessen sein, im Zweifelsfall liegt dies im Ermessen der Vertrauensgruppe. Vor In-Kraft-Setzen muss die betroffene Person zustimmen.
Dies umfasst u.a.:
ein Gespräch mit der beschuldigten Person, das darauf abzielt, dass sie versteht, welches Verhalten welche Betroffenheit ausgelöst hat. Bei Bedarf – Wunsch der betroffenen Person wie der Vertrauenspersonen – können hier die externen Expert*innen oder Beratungsstellen hinzugezogen werden. In Abhängigkeit davon werden ihr nach Ermessen der Vertrauensgruppe ggf. weitere Maßnahmen oder Beratungsgespräche zur Sensibilisierung angeraten.
Die Handlungsempfehlungen der Expert*innen.
Arbeit mit der betroffenen Struktur (Kreisverband, BAG, Gremium...). Das können verschiedene Formate sein, z.B. Reflexionsrunden, Sensibilisierungsworkshops, Mediationen...
Maßnahmen bei Verstößen gegen den Schutz der Privatsphäre
Konkrete Schutzmechanismen mit einer klaren Terminierung (etwa, bis die beschuldigte Person bestimmte Sensibilisierungsmaßnahmen durchlaufen hat).
Ggf.: Einbindung von oder Übergabe an Vertrauensgruppen anderer Gliederungen oder Ebenen.
Je nach Schwere des Vorfalles: Weitergabe an Schiedskommissionen (unter Einbindung der zuständigen Vertrauensgruppe), Einleitung eines Ausschlussverfahrens, Weitergabe an zuständigen Vorstand
Je nach Schwere des Vorfalls: Einleitung eines Strafverfahrens
Bei Arbeitsverhältnissen: Information an die (politische) Geschäftsführung, je nach Schwere des Vorfalles: schriftliche Abmahnung oder Kündigung
3. Schritt: Umsetzung des Verfahrens
Die Vertrauensgruppe kontrolliert und evaluiert die Umsetzung des abgestimmten Verfahrens (z.B. die Arbeit mit der beschuldigten Person, der betroffenen Struktur, dem Fortgang der Schiedsverfahren), d.h. etwa: werden die im Vorfeld vereinbarten Schritte – sorgfältig und sensibel – unternommen? Ist der Zeitrahmen angemessen? Etc. Dazu gehört auch die Klärung, ob die Betroffenen mit der Intervention zufrieden sind.
Wenn niedrigschwellige Maßnahmen durch die beschuldigte Person abgelehnt werden oder sie sich im Laufe des Prozesses als nicht kooperationswillig zeigt, dann kann dies zur Anwendung von höherschwelligen Maßnahmen führen.
Jede Veränderung im Verfahren oder Einschaltung weiterer Stellen (andere Gliederungen, Ebenen, Gremien) müssen mit der betroffenen Person im Vorfeld abgestimmt werden.
Die Vertrauensgruppen (auf Bundes- und Landesebene) dokumentieren ihre Arbeit in anonymisierter Weise und berichten den Vorständen auf ihrer Ebene, sowie der Feministischen Kommission mindestens alle drei Monate.
Die Vertrauensgruppen wirken darauf hin, dass Vorwürfe vertraulich und nichtöffentlich geäußert werden und stellen eine angemessene Kommunikation in die betroffenen Gliederungen sicher.
Zuständigkeit der Vertrauensgruppe
Mitglieder der Vertrauensgruppen sind Anlaufstellen in erster Linie für Betroffene von sexistischen Belästigungen und Übergriffen im Zusammenhang mit der Partei, zuständig für die Begleitung eines parteiinternen, fallspezifischen Aufarbeitungsprozesses und für die anonymisierte Dokumentation ihrer Arbeit. [...] Der Leitfaden findet Anwendung, wenn beide Parteien des Vorwurfs Mitglieder oder ehemalige Mitglieder der Linken sind oder wenn eine Partei des Vorwurfs Mitglied der Linken ist.
Beschwerden über andere Formen der Diskriminierung (Rassismus, Altersdiskriminierung, Ableismus etc.) werden an die zuständige Landesgeschäftsstelle oder an die Bundesgeschäftsstelle übermittelt. “
Zuständigkeit der Expertinnenkommission
Die Expertinnenkommission ist gemäß dem Vertrag mit der Bundespartei nicht für die innerparteiliche Aufarbeitung zuständig, sondern für die externe Begleitung der betroffenen Person. Sie erarbeitet hieraus eine auf den konkreten Fall bezogene Handlungsempfehlung für die Partei. Die Empfehlung an die Partei soll konkrete Maßnahmen enthalten und eine angemessene Reaktion auf den Übergriff sein und zukünftige Verhaltensänderungen bewirken. Ggf. soll sie auch auf strukturelle Probleme innerhalb der Partei hinweisen.