Debatte für ein ostdeutsches Zukunftsprojekt fortgesetzt
Mitteilung über eine Beratung des Ältestenrates der Partei DIE LINKE
Am 4. April 2019 beschäftigte sich der Ältestenrat mit der Auswertung des Bonner Parteitages und seinen Beschlüssen über ein Wahlprogramm der Partei DIE LINKE zur Europawahl 2019 und der Bestätigung der Kandidatinnen und Kandidaten für das Europäische Parlament.
Er setzte die Debatte für ein ostdeutsches Zukunftsprojekt fort, welches er bereits auf dem Leipziger Parteitag als dringend notwendig bezeichnet hatte.
Die politischen Parteien in den Ländern der EU, die sich für einen Platz im Europäischen Parlament beworben haben, so auch in der Bundesrepublik Deutschland, haben den Wahlkampf mit programmatischen Aussagen und Benennung ihrer Kandidaten begonnen.
Als berechtigt erweisen sich Befürchtungen, dass die wachsende Stärke von Rechtskräften bis zur Regierungsübernahme in Ländern der EU, sich mit der Wahl auf die EU-Ebene übertragen. Allgemeine Forderungen nach einer anderen EU reichen für die entstandene Richtungswahl 2019 nicht aus.
Die begonnenen Bemühungen um eine Klassenanalyse für die Gestaltung einer Klassenpolitik im Wahlkampf bleibt eine Herausforderung für die europäische Linke, was für die BRD besonders gilt.
Die Parteien der Großen Koalition haben Programme und Kandidatenlisten für die Wahl beschlossen und einen Wahlkampf mit beachtlichen Gegensätzen begonnen.
Stärker noch als DIE LINKE in Bonn, richtet die SPD bisher ihren Wahlkampf gegen CDU und CSU. Ohne dieses Element für den Wahlkampf zu überschätzen, sollte es gebührende Beachtung finden.
Die politische Stimmung in der bundesdeutschen Gesellschaft ist in einer Bewegung, die den Rechtsruck weiter verstärkt.
Natürlich sind aktuelle Umfragen noch keine verbindlichen Aussagen über ein endgültiges Wahlergebnis; Tendenzen in der Stimmung der Wähler bringen sie jedoch schon zum Ausdruck. Bezogen auf Deutschland behalten CDU/CSU mit 34 Sitzen die alte Stärke. Die SPD könnte mit 18 Sitzen, 9 Sitze verlieren. Den Grünen wird ein Wachstum um 7 Plätze mit 20 Sitzen vorhergesagt. Die FDP mit 7 gewinnt 3 Plätze mehr und für die AfD läuft die Aussage auf 10 Plätze. Für DIE LINKE wird eine relative Stabilität angesagt, die einenPlatzverlust bringen könnte.
Da das Ziel eines Wahlkampfes auf den Gewinn von Mandaten gerichtet ist, gilt es die eigene Wahlstrategie auf die politischen Gegner auszurichten und gleichzeitig mit seinem eigenen Profil und klassenpolitischen Aussagen politische Zustimmung für einen Zuwachs an Wählerstimmen zu gewinnen.
Die reale Europäische Union von heute ist ihrem Wesen nach von sozialer Gerechtigkeit, Gewährleistung demokratischer Verhältnisse und Solidarität, sowie von der Bereitschaft zur Abrüstung noch immer von den aktuellen Herausforderungen entfernt. Eine andere Europäische Union fordern heißt, sich ihren Schwächen und ihren Rückständen entgegenzustellen und für wirkliche Solidarität und soziale Gerechtigkeit, Frieden und Abrüstung einzutreten. Dem stehen CDU und CSU mit ihrer Politik und ihren programmatischen Aussagen weitgehend entgegen.
Die SPD versucht sich aus den politischen Rückständen der Großen Koalition, im Wahlkampf zu lösen.
Mit aller Entschlossenheit gilt für DIE LINKE, sich der Rechtsentwicklung in der EU, die auch die BRD mit wachsendem Zuspruch erreicht, entgegenzustellen.
Welche Debatten und Anträge für die Beschlussfassung über das Wahlprogramm auch immer erfolgten, nur gemeinsam und mit breiten Bündnissen ist ein überzeugender Wahlkampf für die Liste der Partei DIE LINKE zu führen. Die nach dem Parteitag entstandenen innerparteilichen Fragen sollten innerparteilich bleiben und was zu beachten wäre, sollte in den entsprechenden Leitungsorganen ob Partei oder Fraktion als "innere Angelegenheit" zur Klärung gebracht werden. Wie in jüngster Zeit sicht- und spürbar, werden die Medien bedient und genutzt, um die Kette politischer und personeller Beschädigungen nicht abreißen zu lassen.
Wie schon in Bonn mit seinen Berichten bekundet, wird sich der Ältestenrat mit seinen Möglichkeiten engagieren. Deshalb unser Rat, Sonderwünsche, die nicht Teil des Wahlprogramms und der Wahlstrategie der LINKEN sind, sollten im Wahlkampf unterbleiben.
Bei aller Bedeutung der Stärke unserer Gruppe im Europäischen Parlament, ist die Stärke unserer Fraktionen in den Landtagen und Stadtparlamenten keinesfalls weniger bedeutsam. Der Ältestenrat richtet hier seine Überlegungen auf alle Länder und betrachtet 30 Jahre nach der staatlichen Vereinigung, die noch immer und sich sogar teilweise vertiefende Zweiheit in der bundesdeutschen Gesellschaft, als einen Faktor für DIE LINKE, dem sie nicht die gebührende Aufmerksamkeit und Kompetenz zuwendet.
Der Bundesausschuss der Partei hat sich ebenfalls am 10.03.2019 mit der Auswertung des Bonner Parteitages befasst und über den Stand der Entwicklung der Partei in den letzten Jahren beraten.
Während die Mitgliedschaft der Partei bereits mit einer knappen Mehrheit in Westdeutschland organisiert ist, beträgt der Anteil der Mandatsträger der Partei, mit Ausnahme des Bundestages, in den Ländern und Kommunen, in Ostdeutschland ca. 2/3.
Das Ereignis 30 Jahre Vereinigung Deutschlands hat bereits eine große Aufmerksamkeit im politischen Geschehen und in der Öffentlichkeit ausgelöst und gefunden. Der Ältestenrat hatte deshalb bereits auf dem Leipziger Parteitag im Juni 2018 vorgeschlagen, ein "Linkes Zukunftsprogramm Ostdeutschland" auszuarbeiten. Das sollte eine öffentliche Debatte auslösen, parlamentarische Aktivitäten bringen und es hätte auch für eine längerfristige inhaltliche Vorbereitung der Landtagswahlen nützlich sein können. Aufmerksamkeit hat diese Aktivität des Ältestenrates mit seinem Positionspapier zur Sache bei den Verantwortlichen in der Bundestagsfraktion und der Landtagsfraktion Mecklenburg-Vorpommern gefunden.
Unsere erneut beratene Analyse 30 Jahre nach dem Beitritt der DDR zur BRD entsprechend Artikel 23 des Grundgesetzes (alte Fassung) ergibt die klare Aussage, dass der beschrittenen Weg historisch betrachtet, falsch war. Der Artikel 146 des Grundgesetzes, der noch immer im Grundgesetz steht, war die historische Herausforderung, die bis heute noch offen ist, wenn die innere gegensätzliche Zweiheit zwischen Ost- und Westdeutschland überwunden werden soll. Hier nur einige Fakten und Entwicklungstendenzen, die im Raum stehen. Noch heute, 30 Jahre nach dem Beitritt besteht soziale Ungleichheit in allen sozialpolitischen Bereichen bis zu rechtlichen Entscheidungen, die sie weiter vertiefen, wie z. B. bei der Kindergeldentscheidung 2017. Aktuelle Studien weisen nach, dass es Aufstiegschancen und Karrieren für Ostdeutsche der Jahrgänge 1945 bis 1975 nicht gab und es auch nicht gibt. Eine allgemeine Desintegration Ostdeutscher hält bis heute an. Unter den Eliten der verschiedenen Bereiche beträgt der Anteil Ostdeutscher in Wissenschaft und Lehre 5 Prozent, in staatlichen Leitungsstellen auch im Osten Deutschlands (Manager)knapp 33 Prozent. Das Thema der alternativlosen Einverleibung, Abwicklung und Privatisierung der DDR bleibt gesellschaftlich tabuisiert wie z. B. die eigentlich vorsichtige Anfrage zur Arbeit der Treuhandanstalt an die Regierung zeigt. Es fehlt jede Bereitschaft, die bis zur Kriminalität gehenden Zusammenhänge ihres Handelns zum Schaden Ostdeutschlands aufzudecken. Welches Recht war wirksam, wenn 85 Prozent des Volkseigentums der DDR an Westdeutsche, 5 Prozent an Ostdeutsche und 10 Prozent an das internationale Kapital gingen? Aus dieser, dem Wesen nach gewaltigen Enteignungswelle, ergab sich die Tatsache, dass die Bewohnerzahl in Ostdeutschland nach 1990 um etwa 2 Millionen Menschen geringer geworden ist.
Die Rechtsberatung des Deutschen Bundestages kann keine Grundlagen für den Begriff "Unrechtsstaat" im deutschen Recht finden. In rechtlicher Landesbegrifflichkeit des Landtages Thüringen mit einer R-2-G-Regierung findet er jedoch seinen Platz.
Den "Neubürgern" der BRD wurden einst "blühende Landschaften" versprochen - geblieben ist eine Schockwirkung, eine Missachtung von Lebensleistungen und Lebenswegen. Geprägt wurde eine Gesellschaft mit einem Zweiklassenwesen.
DIE LINKE ist herausgefordert, ihren eigenen Standort, 30 Jahre nach dem Beitritt zu prüfen und sich der Zweiheit eines deutschen Entwicklungsprozesses entgegenzustellen.
Der Ältestenrat begrüßt die Beratung des ostdeutschen Themas im Parteivorstand und wird sich mit seinen Positionen an Entscheidungen der Partei weiter aktiv beteiligen. Eine besondere Aufmerksamkeit werden wir dabei auf die Geschichte mit der Vereinigung der beiden deutschen Nachkriegsstaaten in den letzten 30 Jahren, auf die Überwindung einer Gesellschaft mit Bürgerinnen und Bürgern 1. und 2. Klasse und auf die bisherige Aufarbeitung der Geschichte richten.