Für eine konstruktive Programmdebatte
Erklärung des Ältestenrats
Für ein antikapitalistisches, ein sozialistisches Profil der Partei DIE LINKE
Die vom Parteitag 2007 beschlossene Programmkommission hat einen diskussionswürdigen Entwurf für das Parteiprogramm der Partei DIE LINKE vorgelegt. Inzwischen hat die Debatte begonnen – in Basisgruppen, in speziellen Veranstaltungen der Kreise und einiger Länder, in Bundesarbeitsgemeinschaften und in Plattformen bzw. anderen Zusammenschlüssen. Auch von außerhalb unserer der Partei stehenden Personen und Gremien gibt es Reaktionen.
Wie sehen wir, die Mitglieder des Ältestenrates der Partei, die bisherige Diskussion zum Entwurf und welche Überlegungen bzw. Erwartungen gibt es von uns für die weitere Arbeit?
Unsere Partei braucht ein Grundsatzprogramm als Richtschnur für das Wirken der Partei und aller ihrer Mitglieder für die nächsten Jahrzehnte. Dieses Programm muss auf der Grundlage einer nüchternen und realistischen Analyse der kapitalistischen Wirklichkeit in der Welt und in Deutschland mit ihren wachsenden Widersprüchen und Gegensätzen die grundlegenden Ziele der Partei und die konkreten Aufgaben und Aktivitäten für die kommenden Jahre bestimmen und zugleich das zu entwickelnde Profil der Partei als antikapitalistische, als sozialistische Partei charakterisieren. Es muss den Prozess der Herausbildung einer einflussreichen sozialistischen Linken in Deutschland befördern und die Partei in ihrer Strategie zur Veränderung der Gesellschaft weiter voranbringen. Und es muss der breiten Öffentlichkeit vermitteln, warum sich DIE LINKE eigenständig organisiert und sich von allen anderen Parteien unterscheidet und ihren Platz im sich herausbildenden parlamentarischen 5-Parteien-System dauerhaft festigt. Zweifellos hat die Programmdebatte auch das Potential, linke gesellschaftliche Bündnisse zu stärken und weitere Mitglieder für die Partei zu gewinnen.
Unsere Partei ist eine junge Partei. Es geht in den kommenden Jahren nicht nur um das Zusammenwachsen der ehemaligen Gründungsparteien. Ein gutes Drittel der Mitglieder heute war weder Mitglied der WASG noch der PDS. Tausende neue Mitglieder stärken unsere Reihen. Ein ganz bedeutendes Ziel der Programmdiskussion sollte es deshalb sein, die Partei zusammenzuführen, ihre Identität zu festigen und unser gemeinsames Profil klarer herauszuarbeiten und in diesem Prozess auch zur politischen Bildung der Mitglieder beizutragen.
Der Entwurf ist unseres Erachtens dafür ein konstruktives Diskussionsangebot, das verbessert werden kann, aber nicht verwässert werden darf. Das antikapitalistische Profil der Partei wird deutlich, ebenso wie die Orientierung auf konkrete Veränderungen zugunsten der Menschen heute und das politische Engagement für eine sozialistische Perspektive. Linke Reformalternativen werden – zum Teil sehr ausführlich – der Öffentlichkeit unterbreitet. Der Entwurf enthält zahlreiche gemeinsame Ansätze und verweist auch auf noch offene Fragen. In der Diskussion wurden auch Lücken gekennzeichnet und auf einige umstrittene Aussagen aufmerksam gemacht. In vielen Stellungnahmen und Diskussionen wird das den Entwurf charakterisierende antikapitalistische, sozialistische Profil ausdrücklich bejaht und empfohlen, es inhaltlich weiter auszugestalten. Der Entwurf sei ein Programm, das Zukunft atmet!
Veränderungen zugunsten der Menschen sind nur durch langwierige politische Kämpfe zu erreichen und bedürfen größten Engagements aller antikapitalistischen Kräfte. Gerade in eine solche Richtung zielt der Programmentwurf, wenngleich nicht übersehen werden soll, dass manche Aussage noch einmal überprüft und gegebenenfalls korrigiert werden müsste. Die folgenden Gedanken sollen vor allem Anregungen für die Diskussion um das Programm sein, die für die Stärkung unserer Identität wichtig sind.
1. Vertiefender Einschätzungen bedarf unseres Erachtens die Analyse der heutigen gesellschaftlichen Verhältnisse, der Vertiefung der allgemeinen Krise des kapitalistischen Systems, denn sie stellt die Fundierung der Grundaussage des Programmentwurfs dar, dass ein Systemwechsel weg vom Kapitalismus notwendig ist. In einigen Abschnitten des Entwurfs entsteht der Eindruck, es würde genügen, die gegenwärtigen Auswüchse dieser Wirtschaftsordnung (den "Finanzmarktkapitalismus", den Neoliberalismus) zu überwinden. Einige Passagen können unrealistische Hoffnungen auf Regulierungsmöglichkeiten von Wirtschaft und Gesellschaft durch den gegenwärtigen bürgerlichen Staat, den Parlamentarismus und die Regierungen bestärken. Die zweifellos vorhandenen Reformierungspotenzen des heutigen Kapitalismus dürfen nicht übersehen lassen, dass alle aktuellen "Reformen" der Stabilisierung und dem weiteren Vorantreiben der kapitalistischen Verhältnisse dienen und zu Lasten der Mehrheit der Menschen und unser aller Zukunft gehen. Die mehrfach im Programmentwurf gut dargestellten Zusammenhänge von Eigentum, Macht und Demokratie sollten durchgängig gegen illusionäre Vorstellungen abgegrenzt werden.
Ein ernster Mangel ist, dass im Entwurf die Frage von Grund und Boden, aus der sich viele weitere Probleme ableiten, nicht berührt wird.
2. Eine zentrale Frage der Debatte ist die um unser Sozialismusverständnis. Sie wird vor allem in verschiedenen Beiträgen zur Eigentumsfrage deutlich, der Entwurf benennt diese als "eine entscheidende Frage gesellschaftlicher Veränderung" und akzeptiert unterschiedliche Eigentumsformen. Eine andere Eigentumsordnung sehen wir als wesentliche Voraussetzung an für mehr soziale Gerechtigkeit, für eine umfassende Demokratie, für die Überwindung der Profitorientierung bei der Sorge um die Verhinderung der Klimakatastrophe und den Erhalt der Umwelt und für eine Abschaffung aller Kriege.
Aber die neue Gesellschaft erfordert – vor allem von uns in den sogenannten "entwickelten Ländern – auch ein Umdenken in der Lebensweise, den Konsumgewohnheiten und Vorstellungen von Lebensqualität, den Wachstumsmaßstäben, verbunden mit notwendiger Umverteilung von oben nach unten, von Nord nach Süd, nicht als Verzicht, sondern als Zugewinn von Lebensqualität. Unbefriedigend bleibt, dass Aussagen zu Rahmenbedingungen für die Entwicklung der Menschen, zum Verhältnis von Individuum und Gemeinschaft, zum Menschenrecht auf Bildung, zum humanistischen Anspruch auf Bildung für alle, zur Rolle von Bildung und Kultur für die Individuen und für die Entwicklung und Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse, zur Stärkung selbstbestimmter und solidarischer Lebensformen im Entwurf und insbesondere im Abschnitt über unser Sozialismusverständnis fehlen. Wir sehen darin auch wichtige Elemente zur Herausarbeitung des jugendpolitischen Profils der Partei.
In der Debatte um unser Sozialismusverständnis gilt es, neben der berechtigten kritischen Sicht auf das Sozialismusbild und die sozialistische Praxis im 20. Jahrhundert internationale Erfahrungen und Diskussionen, vor allem die aus dem Ringen um den "Sozialismus im 21. Jahrhundert" in Lateinamerika, und vorhandene wissenschaftliche Erkenntnisse – beginnend bei den Aussagen von Marx und Engels in den "Grundsätzen des Kommunismus", im "Kommunistischen Manifest" und in der "Deutschen Ideologie" bis zu Forschungsergebnissen neuerer und neuester Zeit – gründlich auszuwerten.
Sicher wird eine solche Diskussion nicht mit der Programmdebatte abgeschlossen sein; sie kann und muss aber ein wichtiger Beitrag zur Präzisierung der Aussagen im Entwurf leisten.
3. Angesichts der Bestrebungen zur Delegitimierung jeder Politik, ja selbst jeder Sicht auf die gesellschaftliche Entwicklung, die die bürgerlich-kapitalistische Ordnung in Frage stellt, ist die weitere Qualifizierung der Bezugnahme auf unser Geschichtsverständnis unabdingbar. DIE LINKE steht als sozialistische Partei in der Tradition der Arbeiterbewegung und ihrer sozialistischen, sozialdemokratischen und kommunistischen Parteien in Deutschland. Sie beruft sich auf das humanistische Erbe der Arbeiterbewegung und ihre Errungenschaften, benennt aber auch die Fehler und die Verbrechen, die im Namen des Sozialismus verübt wurden.
Vor allem der Verweis auf Erfahrungen linker Politik, linker Bewegungen in der "alten" Bundesrepublik bedürfte weiterer Ausgestaltung und Schlussfolgerungen für aktuelles politisches Handeln. Das gilt vor allem für die Kämpfe der Arbeiterbewegung und der Gewerkschaften für soziale Gerechtigkeit, für die Aktivitäten gegen den Vietnam-Krieg, für die Kämpfe gegen atomare Bewaffnung, für die Kämpfe gegen Berufsverbote u.a. Das schließt aber auch die kritische Auseinandersetzung mit den Aktivitäten der Herrschenden in der "alten" BRD zur Unterdrückung des massenhaften Widerstands gegen deren konservative und reaktionäre Politik ein. Zweifellos sind hier einem Programm Grenzen gesetzt, aber die Debatte darüber schärft zweifellos das linke antikapitalistische Profil der Partei und trägt zu präziseren Aussagen im Programm bei.
Der Versuch im Osten Deutschlands, den Sozialismus zu errichten, und die Erfahrungen der DDR gehören zu diesem Erbe, zu dem sich die LINKE bekennt und das sie nicht pauschal verleumden und kriminalisieren lassen darf, auch wenn sie sich eine kritische Sicht darauf erarbeitet hat. Diese Erfahrungen, die heute in anderen Teilen der Welt Interesse finden, sind differenzierter und genauer zu analysieren. Eine Gleichsetzung von mangelnder Demokratie und Stalinismus ist nicht gerechtfertigt.
4. In verschiedenen Äußerungen zum Entwurf wird der Wunsch, zum Teil als Forderung formuliert, vorgetragen, das Programm solle sicherstellen, dass eine Zusammenarbeit mit SPD und Grünen möglich wird, dass sich die Partei also als möglicher Partner für Koalitionen mit der SPD bzw. den Grünen anbietet. Ein solches Herangehen ist aus unserer Sicht nicht zu akzeptieren. Das Programm muss die Partei als antikapitalistische Kraft ausweisen, als eine Partei, die um eine sozialistische Perspektive ringt, als Partei, die konsequent für soziale Gerechtigkeit, für die Interessen der Mehrheit der Menschen in diesem Lande kämpft, als konsequente Friedenspartei. Das Programm muss die Partei als eine Kraft darstellen, die in außerparlamentarischen Kämpfen und nicht zuletzt im Zusammenwirken mit verschiedenen Bewegungen, die sich für soziale Gerechtigkeit, gegen Krieg, für bessere Lebensbedingungen der Menschen engagieren, einen zentralen Schwerpunkt ihres Wirkens sieht, die zugleich aber auch alle Möglichkeiten parlamentarischer Arbeit nutzt, und die immer um ein produktives Miteinander der verschiedenen Formen des politischen Kampfes ringt. Das schließt ein, gegebenenfalls auch die gegenwärtige Praxis der parlamentarischen Parteiendemokratie kritisch zu hinterfragen.
Das Programm muss ausweisen, was und welches die originären Ziele der Partei sind, wodurch sie sich von anderen Parteien und linken Bewegungen unterscheidet. Nur so wird deutlich, was sie in Koalitionen einbringt bzw. womit eventuelle Partner zu rechnen haben.
5. Tiefere Beachtung und Analyse erfordert die Dialektik des Nationalen und Internationalen unter den heutigen Bedingungen. Die internationale Dimension kann nicht auf bestimmte Teilabschnitte beschränkt werden, sondern wirkt übergreifend und durchdringt alle im Programm behandelten Probleme. Dies erhöht den Anspruch an das Handeln der Partei im nationalen und europäischen Rahmen. Ebenso werden antikapitalistische und sozialistische alternativen nur im regionalen und globalen Maßstab dauerhaft durchgesetzt werden können.
In diesem Kontext sei auch darauf verwiesen, dass die Partei DIE LINKE als Mitglied der Europäischen Linken in europäischer und internationaler Verantwortung steht. Mehr denn je verfolgen linke Kräfte anderer Länder – nicht nur aus Europa – die Entwicklung in Deutschland und speziell die Entwicklung unserer Partei. Das erfordert, dass wir die Erfahrungen anderer linker Parteien aufgeschlossen verfolgen, unser Wissen um deren Probleme und Lösungsansätze ständig vervollkommnen und ihnen unsere eigenen Erfahrungen umfassend, d.h. auch die Schwierigkeiten und Probleme kennzeichnend, vermitteln. Internationalen Erfahrungen und Erfordernissen der internationalen Solidarität gebührt ein fester Platz in der praktischen Politik der Partei.
Wir brauchen in den kommenden Wochen weiterhin eine sachliche und konstruktive Debatte, und auch – weit über den Zeitraum der Diskussion und Arbeit am Programm hinaus – ein "qualitatives Mehr" an politischer Bildung in der gesamten Partei. Die Ergebnisse der Programmdebatte müssen auch in der Arbeit an einer neuen Satzung ihr Instrumentarium finden.
Der pluralistische Charakter unserer Partei lässt unterschiedliche Meinungen und Positionen nicht nur zu, er befördert sie geradezu. Die Gefahr, dass dadurch in der Öffentlichkeit ein sehr heterogenes Bild von der Partei entsteht, dass nicht eindeutig erkennbar wird, wofür DIE LINKE steht, sollte keinesfalls negiert, sollte auch nicht kleingeredet werden. Worauf es jetzt aber ankommt: mit der Debatte um den Programmentwurf gilt es, um das Gemeinsame zu ringen, gemeinsame Positionen zu erarbeiten, zu erstreiten und damit auf ein alle Parteimitglieder einendes politisches Engagement zu orientieren. Deshalb sollten auch alle Versuche vermieden werden, die jeweils eigene Meinung als die einzig richtige und gültige zu postulieren. Mittels eines offenen, demokratischen und kulturvollen Dialogs auch zwischen Anhängern unterschiedlicher Positionen müssen die Diskussion und die weitere redaktionelle Arbeit am Programmentwurf vor allem der Stärkung der Linken dienen.
Was wir nicht brauchen, das ist eine Institutionalisierung der zweifellos vorhandenen Auffassungsunterschiede und Konflikte. Gegenseitiges Zuhören, sich auf die Meinung des anderen einlassen, darüber nachdenken und konstruktiv prüfen und im Ergebnis nach Gemeinsamem suchen – das ist der Stil, durch den die Debatte charakterisiert sein sollte.
Im Sinne der Verbindung des Heute mit dem Morgen wäre es gut, die Programmdebatte mit den Fragen der gegenwärtigen praktischen Politik der LINKEN zu verbinden, mit Orientierungen, die jedem einzelnen Mitglied in seiner täglichen politischen Arbeit hilfreich und nützlich sind.
Wir wollen uns als Repräsentanten der älteren Generation in der Partei, die wir jahrzehntelang für sozialistische Ideale und eine bessere Welt gekämpft haben, gemeinsam mit den jüngeren Generationen, die heute in unmittelbarer politischer Verantwortung stehen, aktiv an der Debatte beteiligen und nach überzeugenden Antworten auf die vielen Fragen der Gegenwart suchen und nach besten Lösungen streben. Wir wünschen uns eine Debatte, die die Partei voranbringt und damit hilft, dem Wirken der Partei in dieser heutigen Gesellschaft weiteren Schwung zu verleihen.