Gefahr eines Profilverlustes
Mitteilung über die Beratung des Ältestenrates am 12. September 2019
Im Mittelpunkt der Beratung des Ältestenrates am 12. September standen die Ergebnisse der Wahlen der Landtage in Brandenburg und Sachsen, Fragen der politischen Führung der Partei DIE LINKE sowie die weitere Arbeit an einem Zukunftsprojekt der Linkspartei für Ostdeutschland.
An der Beratung nahmen Wenke Brüdgam und Torsten Koplin aus dem Landesvorstand Mecklenburg-Vorpommern, Genosse Artur Pech, Sprecher des Bundesausschusses, Genosse Jan Marose, Mitarbeiter der Bundestagsfraktion für Ostdeutschland, Genosse Daniel Wittmer, Referent des Bundesgeschäftsführers und Genossinnen und Genossen der BO der Uni Potsdam teil.
Der Ältestenrat geht davon aus, dass die Bedeutung der Wahlen weit über die beiden Bundesländer hinausgeht. In Fortsetzung der Europa-Wahlen ist erneut sichtbar geworden, dass die politische Linke in einer Defensivkonstellation steckt. Nicht nur in Brandenburg und Sachsen sondern in vielen europäischen Nachbarländern sind die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse deutlich zugunsten der Rechtspopulisten und Rechtsradikalen verschoben. Schon bei der Wahl zum Europäischen Parlament zeigte sich diese Rechts-Tendenz, was jetzt in den Landtagswahlen erneut sichtbar wurde; die rechte AfD konnte ihre Hochburgen in Ostdeutschland ausbauen, was nicht heißen soll, dass sie im Westen schwächelt.
Real ist das ein Zeichen einer historischen Zäsur, die zur Entfaltung kommt. Bis 1991 gab es noch den Kalten Krieg, seither wird von nahezu 100 Kriegskonflikten gesprochen, die es gab und die zum Teil immer noch nicht beendet sind. Innere und äußere Faktoren destabilisieren die wirtschaftliche, soziale und politische Ordnung. Die Enttäuschung der Bürger über die zunehmende Ungleichheit und Ungerechtigkeit sowie die Abgehobenheit der politischen Akteure schlägt sich in einer Stärkung der politischen Rechten nieder. Die seit einigen Jahren anhaltende politische Krise in der BRD verschärft sich, was nicht zuletzt seinen Ausdruck in wachsenden Schwierigkeiten bei der Bildung von Landesregierungen findet.
Die Klage über Ängste und Unzufriedenheit von Ostdeutschen, die sich als Bürger 2. Klasse fühlen, führt nicht dazu, dass die Ursachen dieser Einstellungen untersucht werden und entsprechende Gegenmaßnahmen auf den Weg gebracht werden. Die Betroffenheit der etablierten Parteien ist wenig überzeugend.
Der Verlust der Direktmandate unserer Partei spricht eine eigene Sprache.
Seit 1992 gibt die Bundesregierung Jahresberichte zum Stand der deutschen Einheit heraus. Mit dem oberflächlichen Schleier der Beschönigung lassen sich die real existierenden Ungleichheiten, Zukunftsängste, Verfälschungen von Geschichtsverläufen nicht zudecken. Die rechte Partei AfD, mit nationalistisch-völkischen Erscheinungsformen hat hier einen gesellschaftlich-politischen Nährboden, der die Ausbildung von >Hochburgen< erklärt. Die demokratischen Parteien sind zu einer selbstkritischen Prüfung ihrer Politik aufgefordert. Auch unserer Partei DIE LINKE mangelt es an Entschiedenheit bei der Ursachenforschung über die Niederlagen. Und daher bleibt offen, welche Veränderungen in Strategie, Programmatik und Führung anzustreben sind. Wer jetzt meint, ein "Weiter so" geht nicht mehr, sollte prüfen, woher und warum es doch seit längerer Zeit das "Weiter so" gegeben hat.
Es fallen jetzt Worte über einen Schock und ein Desaster. Schuldzuweisungen darf es aber nicht geben. Sogar von einer "Schlachteplatte", die zu verhindern ist, wird gesprochen. Redensarten, die nicht in unsere Partei gehören und Aussagen, die eine politisch, kritisch-konstruktive Analyse dem Wesen nach verhindern können.
DIE LINKE kann neue Stärke nur erreichen, wenn die gesamte Mitgliedschaft in eine breite Parteidebatte einbezogen wird. Die Kreisvorstände, geführt von den Landesorganen und vom Bund haben dafür eine Schlüsselstellung. Der Ältestenrat geht davon aus, dass eine aktive Führungstätigkeit in der Partei erforderlich sei. Die Gäste aus der Basisorganisation an der Potsdamer Universität sprachen von fehlenden Reaktionen in Führungsorganen der Partei auf Problemdebatten an der Basis der Partei. Wenn aus "zuhören" ein "weiter so" wird, kann Vertrauen zu einer Aussage "ein weiter so geht nicht" nicht erwachsen.
In der Beratung des Ältestenrates wurde unterstrichen, dass eine gründliche Strategiediskussion nicht länger aufgeschoben werden sollte.
Bei der ersten Debatte im Parteivorstand am 2. September über die Wahlergebnisse betonte ein Vertreter des Ältestenrates: "Es geht nicht um Schuldzuweisungen, es gilt allen, die einen aktiven Wahlkampf führten, zu danken und wenn sich echte Nachdenklichkeit zeigt, ist diese zu begrüßen." Das wollen wir auch heute in unserer Beratung nachdrücklich unterstreichen. Auf nachstehende Schwerpunkte hat der Vertreter des Ältestenrates dann verwiesen, die entsprechend der Satzungspflicht auch den Standpunk des Ältestenrates wiedergeben.
- Es geht nicht um die Schuldfrage, sondern überprüft werden muss die Frage nach Verantwortung und Fähigkeit zur Führung der Partei. Jede und jeder müsste sich selbstkritisch nach seinen Kompetenzen befragen und damit Bereitschaft zur kollektiven Wahrnehmung der Führungsverantwortung zeigen.
- Richtig ist: die Linkspartei sollte nicht in den üblichen Fehler der Selbstbeschäftigung abrutschen. Aber angesichts der chronischen Niederlage steht nicht mehr Schadensbegrenzung auf der Tagesordnung. Es geht um den Bruch mit der Haltung des "Weiter so", das heißt wir müssen über die Gründe von Vertrauensverlust debattieren, weil nur so neue Ansätze und Veränderungen in der Partei einen Raum erhalten.
- Die politische Handlungskonzeption und nicht zuletzt die politische Führung der Partei bis in die Geschäftsführung blieb hinter Anforderungen zurück. Es gibt kein Bemühen darum, die gesellschaftlichen und politischen Veränderungen zu erfassen.
- Offenkundig gibt es auch organisatorische Defizite. Zum wiederholten Mal war der Parteivorstand bei seinen Beratungen wegen großer Abwesenheit von gewählten Mitgliedern nicht beschlussfähig.
Zu prüfen bleibt der Satzungsrahmen für die Zuständigkeiten und ihre Ausfüllung durch den geschäftsführenden Parteivorstand und den Parteivorstand.
Der Ältestenrat beschäftigte sich erneut mit dem Thema "Ostdeutsche Zukunftspolitik". Die Genosslnnen aus Mecklenburg-Vorpommern betonten die Notwendigkeit einer gründlichen Auswertung der Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen. Aus den Zusammenhängen und Ursachen dieser Niederlage gilt es Lehren für alle Länder zu ziehen.
Sie sprachen weiterhin über eigene Erfahrungen in der Vertretung von Interessen der Bürgerinnen und Bürger durch gestellte Anträge und Anfragen im Landtag. Schwerpunkte wie die Verbindung des Friedenskampfes mit der Umstellung der Produktion von Kriegsschiffen auf der Werft in Wolgast auf Elemente für den Klimaschutz und eines Hochschulprojektes in Pasewalk finden breite Unterstützung in politischen Bewegungen. Sie begrüßten die Initiativen des Ältestenrates in der "Zukunftspolitik Ostdeutschland" und luden Vertreterinnen und Vertreter des Ältestenrates zu einer Beratung des Landesvorstandes ein.
Der Ältestenrat hat schon auf den zurückliegenden Beratungen eine Aktualisierung der Strategie der Partei DIE LINKE angemahnt. Angesichts der unübersehbaren Defizite plädiert er für eine kurzfristige angesetzte, geschlossene Beratung des Parteivorstandes mit dem Führungskern von Fraktion im Bund und mit Vorständen und Fraktionen der Länder. Einziger Tagesordnungspunkt: "Die neuen Herausforderungen für DIE LINKE". Der bisher geplante bürokratische Ablauf der Führungsprozesse bleibt hinter den sich entwickelnden Verschärfungen der politischen Herausforderungen weit und hilflos zurück.
Der Ältestenrat geht davon aus, dass sich die Partei DIE LINKE in der Gefahr eines Profilverlustes befindet. Rederei über Zusammenschlüsse zwischen LINKE und SPD erfordern klare Aussagen zur Programmatik für eine linke sozialistische Partei, die für gesellschaftliche Veränderungen eintritt. Zwei Sozialdemokratien haben keinen Platz in der bundesdeutschen Gesellschaft. Der Geschichte der Arbeiterbewegung und dem aktuellen Versagen der Sozialdemokratie zu folgen, kann nur krisenhafte Erscheinungen in den sozialen Kämpfen in unserer Partei verschärfen.
Die Situation in Ostdeutschland und die Interessenvertretung durch DIE LINKE sollte nach der Wahl in Thüringen gründlich analysiert und auf Bundesebene koordiniert und beraten werden.