Neue Herausforderungen für DIE LINKE und die Verantwortung des Ältestenrates
Der Ältestenrat hat in seinem Bericht an die 2. Tagung des 4. Parteitages im Mai 2014 sein 2007 erteiltes Mandat zurückgegeben und dem neu gewählten Parteivorstand empfohlen, einen Ältestenrat neu zu berufen.
Der Ältestenrat hat in seinem Bericht an die 2. Tagung des 4. Parteitages im Mai 2014 sein 2007 erteiltes Mandat zurückgegeben und dem neu gewählten Parteivorstand entsprechend § 20, Abs. 7 der Bundessatzung empfohlen, einen Ältestenrat neu zu berufen. Der Bundesausschuss hat diese Empfehlung ausdrücklich unterstützt. Der Parteivorstand ist damit herausgefordert, seine Entscheidung zu treffen.
Die erstmalige Berufung eines Ältestenrates an der Jahreswende 1989/90 verfolgte das Ziel, in den Prozess der Erneuerung der Partei Erfahrungen aus den Kämpfen der Arbeiterbewegung und des nationalen und internationalen Widerstands gegen den Faschismus, überhaupt Erfahrungen aus dem geschichtlichen Gewordensein der Partei einzubringen. Der Ältestenrat sah sich in der Verantwortung für das Miteinander der Generationen in der Partei. Gegenseitige Achtung der Erfahrungen unterschiedlicher Generationen und sich gemeinsam der Verantwortung aus der Geschichte zu stellen, das sind wichtige Quellen für die Entwicklung einer konsequent linken Partei und für ihren Platz in der Gesellschaft. All das gilt auch heute und hat Konsequenzen für die Stellung und das Wirken des Ältestenrates in der Partei DIE LINKE.
Entstanden ist der Ältestenrat mit der Gründung der PDS. Im Prozess der Verschmelzung von PDS und WASG erfolgte die Neugründung der Partei DIE LINKE und mit ihr 2007 die Berufung eines neuen Ältestenrates. Die Mitgliedschaft der Partei hat sich inzwischen weitgehend verändert und neue Führungsgenerationen haben die Verantwortung übernommen. Da die in der Satzung festgelegten Grundsätze für das Wirken des Ältestenrates in den vergangenen Jahren im Führungsprozess durch den Parteivorstand kaum Beachtung fanden, sollte geprüft werden, ob bei den Veränderungen in der Zusammensetzung der Mitgliedschaft und der neuen Führungselite ein Ältestenrat mit den Erfahrungen seiner Mitglieder für die Politik der Partei angesichts neuer Herausforderungen noch einen zu beachtenden Beitrag leisten kann. Die jüngste Praxis - auch nach dem Berliner Parteitag - setzt eher Zeichen, dass ein solcher Rat kaum gebraucht wird.
Allerdings muss die Partei die veränderten gesellschaftlichen, politischen und ökonomischen Rahmenbedingungen in Deutschland, in Europa und in der Welt gründlich analysieren, um strategische Schlussfolgerungen für ihr Wirken im parlamentarischen Kampf und als politische Kraft zu ziehen, die zum herrschenden kapitalistischen System in Deutschland in grundlegender Opposition steht - und das auch, wenn sie in dem einen oder anderen Bundesland an der Regierung beteiligt ist.
In den letzten Jahren vollzieht sich in Europa, vor allem in Deutschland eine weitgehende Zäsur. Die Gesellschaft ist durch tiefe, dem Kapitalismus eigene Widersprüche gekennzeichnet. Unsere Welt ist erneut mit der Gefahr des Versuches konfrontiert, den Ausweg aus der Krise in einem globalen bewaffneten Konflikt zu suchen. Der Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit entwickelt sich in einer nie gekannten Breite, Tiefe und in verschiedenen Ausdrucksformen. Offensichtlich ist der Kapitalismus außerstande, für die grundlegenden Fragen der Entwicklung der Menschheit, für die zentralen Fragen zukünftiger Gesellschaftsentwicklung Lösungen zu finden. Wird dem nicht Einhalt geboten, führt das zum Untergang der Menschheit. In diese Prozesse ordnen sich der wachsende Anspruch des deutschen Kapitals und die Rolle des deutschen Staates nach einer Führungsrolle in Europa ein. An der Seite der USA sind die führenden Kräfte mit Frau Merkel und Herrn Gauck an der Spitze auf dem Weg, aus dem imperialistischen Deutschland eine Führungsmacht in der Welt zu machen, die einen entsprechenden Platz für die Durchsetzung ihrer Interessen im Wandel der gegenwärtigen Kräfteverhältnisse einfordert.
Mit seinem Wirken in der Ukraine-Krise trägt Deutschland nicht zur Lösung dieses Konfliktherdes bei, sondern handelt aktiv als Teil der Kräfte in Europa und in der Welt, die Russland isolieren und zum "Bösewicht" der Welt stempeln wollen. Russland ist, wie die anderen Länder in dieser Krise auch, eine kapitalistische Macht, die ihre Interessen vertritt. Die Geschichte zeigt jedoch: Ohne oder gar gegen Russland wird es in Europa keinen Frieden geben. Wo nur von "Verantwortung" die Rede ist und Misstrauen geschaffen wird, werden Wege zur Krisenlösung verbaut. DIE LINKE sollte alle ihre Kräfte auf Vertrauensbildung richten; nur so kann ein Weg aus der Krise entstehen. Der 70. Jahrestag des Endes des 2. Weltkrieges mit dem Sieg der Alliierten und der Befreiung der Völker Europas vom faschistischen Joch sollte ein Anlass dafür sein. Die besondere Verantwortung Deutschlands und vor allem der deutschen Linken besteht im aktiven Engagement für den Frieden, für friedliche Beziehungen der Völker und Länder untereinander und im nichtnachlassenden Kampf gegen Neofaschismus und Rechtsextremismus.
Das alles sind neue Herausforderungen für die linke Opposition in Deutschland, für die Partei DIE LINKE. Es steht die Frage, ob die Partei auf diese Herausforderungen genügend vorbereitet, ob sie ihnen in ihrer gegenwärtigen Verfasstheit gewachsen ist.
Die Debatten um die Wahlergebnisse der letzten Landtagswahlen, insbesondere um das unbefriedigende Ergebnis der LINKEN mit 8 Prozent Stimmenverlust in Brandenburg, haben deutlich gemacht, dass die selbstkritische Sicht auf Ursachen der Wahlergebnisse nicht ausreicht. Eine wirkliche komplexe Analyse der gesellschaftlichen Situation im Land, der Situation in der Wirtschaft, im Bildungswesen, in der Verwaltung, auf dem Arbeitsmarkt, auf dem Gebiet von Wissenschaft und Kultur, eine wirkliche Analyse der Stimmungen in der Bevölkerung und in der potentiellen Wählerschaft fehlt. Das gilt auch für die Entwicklung und die aktuelle Situation, für das politische Profil und die Aktionsfähigkeit der Partei selber. Ohne eine solide und kontinuierlich zu leistende analytische Arbeit wird es kaum möglich sein, ein linkes Konzept für die Arbeit der Partei generell und insbesondere unter den Bedingungen der Mitverantwortung in einer Landesregierung zu entwickeln, das die Gestaltung linker Politik im Alltag sichert und das sozialistische Profil der Partei DIE LINKE als grundlegende Oppositionskraft in Deutschland deutlich sichtbar und für Bürgerinnen und Bürger auch spürbar und zustimmungsfähig macht.
Das ist mit Sicherheit kein Problem nur für Brandenburg, sondern gilt für alle Bundesländer und nicht zuletzt für das Wirken als gemeinsame Bundespartei in ganz Deutschland. Die Koalitionsverhandlungen in Brandenburg und Thüringen und deren Ergebnisse machen ein weiteres Problem der Arbeit und der Entwicklung der Partei deutlich: Zweifellos ist es den Vertretern unserer Partei gelungen, eine Vielzahl guter und richtiger Vorschläge und Forderungen zu Fragen der Gestaltung von Wirtschaft, Bildung und Kultur, öffentlichem Nahverkehr, Daseinsvorsorge und generell zur Verbesserung der Arbeits- und Lebensbedingungen der Menschen in die Vereinbarungen einzubringen. Das muss in den kommenden Jahren realisiert und über die Medien in der Öffentlichkeit kommuniziert werden. Offen ist aber, wie sich die Partei im Rahmen der Koalition mit SPD und Bündnis 90/Die Grünen sowohl im Parlament als auch vor allem im außerparlamentarischen Rahmen als linke sozialistische Partei, die das gesellschaftliche System in Deutschland nicht nur kritisch sieht, sondern sich mit Alternativen im Sinne eines demokratischen Sozialismus profiliert. Nur wenn sie in den kommenden Jahren als linke sozialistische Partei kenntlich ist, kann sie begründet bei den nächsten Wahlen für sich werben und auf Zustimmung hoffen. Beachtet werden muss jedenfalls die Gefahr - das ist eine Lehre aus den vergangenen 5 Jahren Mitregierung in Brandenburg, dass die Partei sich faktisch ausschließlich an der Koalitionsvereinbarung misst. Eine Koalitionsvereinbarung mit ihrem Kompromiss darf die im Parteiprogramm formulierten Ziele nicht unkenntlich werden lassen. Der letzte Maßstab und grundlegende Orientierung für das Wirken der Partei DIE LINKE muss das Erfurter Programm sein und bleiben.
Die Partei DIE LINKE kann die neuen gesellschaftlichen Herausforderungen nur erfolgreich bewältigen, wenn sie sich auf Grundlage des in Erfurt beschlossenen Parteiprogramms als konsequent linke sozialistische Partei weiterentwickelt. Das ist nicht nur ein Problem der Altersstruktur im Osten, der Strukturschwäche in nicht wenigen Landesteilen bzw. des ungenügenden Zustroms junger Kräfte in die Partei. Der Schwung, der mit der Vereinigung von PDS und WASG 2007 die Entwicklung der Partei vorangebracht hat, ist offensichtlich aufgebraucht und hat dem politischen Alltag, darunter nicht zuletzt den Wahlkämpfen und den Kämpfen um parlamentarische Mandate bzw. Mehrheiten Platz gemacht. Hinzu kommen Debatten um politische Orientierungen und unterschiedliche Interpretationen bestimmter Aussagen des Parteiprogramms, z. B. um ein Streben nach linker Mitte im parlamentarischen Raum oder das Suchen nach Bündnissen bzw. Zusammenwirken mit anderen linken Kräften im Land. Aktuelle Geschehnisse wie die von den Thüringer Koalitionsverhandlungen ausgelösten Debatten um das DDR-Bild unserer Partei, Diskussionen um Israel-Kritik und Antisemitismus an Stelle notwendiger Bestrebungen für eine konsequente Zwei-Staaten-Lösung im Sinne der UN oder um Positionsbestimmungen in der Ukraine-Krise verdeutlichen, wie schnell politische Unsicherheiten die Partei von ihrer grundlegenden Orientierung ablenken und ihre politische Handlungsfähigkeit einschränken können. Offensichtlich geht zurzeit ein Riss durch die Mitgliedschaft der Partei. Nicht zu übersehen ist, dass sich die Partei an einem kritischen Punkt ihrer Entwicklung befindet. Nach unserer Meinung brauchen wir ein grundlegendes, auf solide Analysen beruhendes Konzept der Entwicklung der Partei als linke sozialistische Kraft in Deutschland, das ein weiterentwickeltes Verständnis von linkem Pluralismus einschließt und überzeugend charakterisiert, wie sich die Partei ihrer politischen Verantwortung im Land, in den Bundesländern und darüber hinaus in Europa stellt. Der geplante Zukunftskongress im April 2015 könnte einen Beitrag in dieser Richtung leisten. Erforderlich ist dazu aber ein weiterentwickeltes Konzept, das ohne Wenn und Aber das Erfurter Programm zum Ausgangspunkt nimmt und auf seine Verwirklichung gerichtet ist.
Es ist nicht zufällig, dass bestimmte historische Ereignisse, insbesondere solche, die mit der Entwicklung der Arbeiterbewegung und den Kämpfen gegen Krieg, Reaktion und Faschismus zusammenhängen, Diskussionen in der Partei auslösen. Das belegt, dass bei aller Orientierung auf praktische Politik von heute das Verhältnis zur Geschichte für viele Parteimitglieder ein zentrales, ihr Verhältnis zur Partei wesentlich mitbestimmendes Thema ist. Und es ist nicht nur ein Thema der älteren Parteimitglieder, sondern auch der Jungen, die sich für das Gewordensein der Partei interessieren und damit ein Bindeglied der Generationen in der Partei.
Seit dem Beitritt der DDR zur BRD mit einem Einigungsvertrag und dem Zwei-plus-Vier-Vertrag der vier Siegermächte sind 25 Jahre vergangen. Beide deutsche Staaten sind Ergebnis deutscher Nachkriegszeit und haben ihre eigene Geschichte. Aber noch immer geben Parlamente und Regierung eine Erinnerungskultur vor, die nur den einen Staat, die DDR, betrifft und zwar negativ. Jedes Erinnern an Leben unter sozialistischen Bedingungen, an sozialistisches Gedankengut, soll diskreditiert werden. Wenn DIE LINKE ihr Wirken auf einen Politikwechsel ausrichten will, muss sie einem gesamtdeutschen Anspruch gerecht werden. Wie kann es eine "innerdeutsche Grenze" geben, wenn beide als souveräne Staaten 1973 in die Vereinten Nationen aufgenommen wurden. Die Führungskräfte der Partei DIE LINKE sollten ihre Aussagen genauer, kenntnisreicher und geschichtsbewusster abwägen. Juristen wissen, dass es den Begriff "Unrechtsstaat" nicht gibt. Wenn DIE LINKE sich auf diesen Begriff einlässt, lässt sie sich im Wesen auf die von der herrschenden Elite vorgegebene Geschichtsklitterung ein. Wie weit dann auch die Kultur der Sprache verloren geht, zeigen vielfältige Bemerkungen zur Regierungsbildung in Thüringen. Die Geschichte beider deutscher Staaten und die Geschichte des vereinten Deutschlands stehen nach 25 Jahren auf der Tagesordnung. Die Bundesrepublik hat sich 1949 mit dem Verständnis gegründet, das Deutsche Reich ohne wirklichen Bruch mit dem Faschismus fortzusetzen. Die DDR sah ihre Gründung als Teil der Entstehung einer antifaschistisch-demokratischen Ordnung. Vereinigt haben sich die beiden deutschen Staaten 1990 im Verständnis der Völkergemeinschaft und der vier Siegermächte als gleichberechtigte deutsche Staaten. Bei dieser Ausrichtung sollte der Politikwechsel in Deutschland heute ansetzen, da sich in den 25 Jahren einer vereinten Bundesrepublik Deutschland Staatspolitik noch immer an der "Delegitimierung" der DDR orientiert. Darüber hinaus belegt jeder Jahresbericht zur Deutschen Einheit im Bundestag die noch immer bestehende reale Ungleichheit. Ein kritischer Umgang mit deutscher Nachkriegsgeschichte ist nur glaubhaft und tragfähig, wenn er die beiden deutschen Staaten erfasst. Einer Erinnerungskultur, die Züge einer Unkultur enthält, darf sich DIE LINKE nicht anpassen. DIE LINKE ist herausgefordert, ihren Beitrag zu leisten.
Spätestens auf dem Juni-Parteitag 2015 hat DIE LINKE ganz in der Tradition von Karl Liebknecht ihr kategorisches "NEIN" zu Krieg, Rüstungsexport und Auslandseinsätzen klar auszusprechen und immer wieder zu bekräftigen. Die Führungsverantwortung für eine konsequente Opposition im Deutschen Bundestag gegen die immer weiter wirkende konservativ geprägte Politik der Regierung, der jetzigen Großen Koalition, sollte Maßstab für 2017 sein. Welche Farben Landesregierungen auch immer tragen, auch hier wird DIE LINKE nur glaubhaft sein, wenn Opposition im Bund und Mitregieren im Land sich nicht im Gegensatz befinden. Auch solche Überlegungen gehören auf den nächsten Parteitag.