Überlegungen und Vorschläge zur Jugendpolitik der Partei DIE LINKE
Diskussionspapier des Ältestenrates
Eine Durchsicht grundlegender Dokumente der Partei weist darauf hin, dass Jugendpolitik in der Politik der Partei nicht den Raum einnimmt, der ihr in einer linken Partei zukommen müsste. Mehrfach haben auf dem Gebiet der Bildungspolitik aktive GenossInnen darauf aufmerksam gemacht, dass Probleme der Entwicklungs- und Sozialisationsbedingungen der jungen Generation ins Zentrum der Gesamtpolitik der Partei gehören. Es gibt dazu aber weder Aussagen/Forderungen in den programmatischen Dokumenten der Partei noch konkrete Beschlüsse bzw. entsprechende Aktivitäten.
In der praktischen Politik der Partei spielen jugendpolitische Fragestellungen und Probleme nur eine untergeordnete Rolle. Die Vorstände reagieren auf aktuelle Probleme (z.B. auf den Bildungsstreik der Parteivorstand und der Wahlparteitag) mit knappen Stellungnahmen und Aufrufen. Aktivitäten des parteinahen Jugendverbandes bzw. des parteinahen Studierendenverbandes werden per Beschluss unterstützt. Woran es aber fehlt, das sind konkrete Maßnahmen der Gesamtpartei zur Realisierung solcher Beschlüsse. Die Bundestagsfraktion und auch die Landtagsfraktionen haben sich in den vergangenen Jahren durchaus mit aktuellen Fragen der Lage der Jugend im Land beschäftigt und entsprechende Vorschläge in die Parlamente eingebracht. Eine umfassende Konzeption für linke Jugendpolitik konnte auf diese Weise aber nicht entstehen.
Leider hat sich der Parteivorstand in den vergangenen Jahren zu Grundfragen der Jugendpolitik nicht geäußert, wie er das z.B. zu Fragen der Bildungspolitik und zu anderen Politikfeldern getan hat. Auch in dem "Leitbild Ostdeutschland 2020" sind zwar umfassende Aussagen zur Bildungspolitik zu finden, zusammenhängende Aussagen zur Situation unter und in der Jugend, zur Jugendpolitik der Partei, fehlen. Das aber sind bekanntlich Fragen, die ganz wesentlich auf der Ebene der Länder und der Kommunen anzusprechen sind.
Diese knappe Bilanz macht deutlich:
In der Partei DIE LINKE wird ein zentrales Politikfeld, das wie ein roter Faden die Gesamtpolitik der Partei mitbestimmen muss, sträflich vernachlässigt. Wenn das nicht rasch und grundlegend verändert wird, kann das für die Zukunft der Partei und ihren Platz in der Gesellschaft ernsthafte Folgen haben.
Jugendpolitik beginnt mit einer realen Analyse, Einschätzung der aktuellen Situation der Jugend in der Bundesrepublik. Dabei gilt, dass es schon immer falsch war – und auch heute ist - , von der Jugend allgemein zu sprechen. Allein die Altersspanne – es geht schließlich um junge Menschen vom 13./14. Lebensjahr bis etwa zum 30. Lebensjahr – und die konkrete Lebenssituation (Schüler/Student oder berufstätig) verdeutlicht das. Bedeutsamer ist aber die Tatsache, dass die sozialen Unterschiede in den Lebenslagen Jugendlicher immer größer werden, dass eine wachsende Anzahl von Jugendlichen arbeitslos ist bzw. z.T. mehrjährige Erfahrungen mit eigener Arbeitslosigkeit – auch mit Arbeitslosigkeit im familiären Umkreis – hat und von Hartz IV bzw. in Armut lebt. Nach wie vor sind auch Besonderheiten der großen Gruppe von Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu beachten. Auch die Tatsache, dass Teile der Jugend stark religiös gebunden sind, aber zugleich viele Jugendliche solche Bindungen ablehnen bzw. sich gleichgültig verhalten, darf nicht übersehen werden. Auch das Thema "Jugendkriminalität" und der Umgang mit straffällig gewordenen Jugendlichen darf kein Tabu sein. Ein besonderes Problem sind Jugendliche im rechtsextremen Umfeld. Schließlich haben wir es neben politisch interessierten und vor allem stark engagierten jungen Menschen mit vielen Jugendlichen zu tun, wo linke Jugendpolitik fragen muss, wie sie für Politik und politisches Engagement gewonnen werden können. Zu einer differenzierten Sicht auf die Jugend gehört auch, dass sich die objektiven und subjektiven Lebenslagen der Jugendlichen in Ost- und Westdeutschland nach wie vor deutlich unterscheiden.
Seit mehr als 50 Jahren werden in der BRD in regelmäßigen Abständen die sog. Shell-Jugendstudien veröffentlicht (die letzte erschien 2006). Ihr Gegenstand ist eine auf aktuellen und repräsentativen Befragungen Jugendlicher beruhende Langzeitberichterstattung über die junge Generation, ihre Lebenswelten, ihr Rollenverständnis, ihre Einstellungen zur Politik. Hinzu kommt, dass sich jede Studie einem besonderen Themenschwerpunkt widmet.
Die grundlegenden Aussagen/Ergebnisse der Studien – insbesondere der von 2006 – treffen sowohl für die Jugend West als auch für die Jugend Ost zu:
Von allen Problemen, die die Jugendlichen bewegen, beschäftigen sie am meisten die Probleme der Arbeitswelt, vor allem die Sorge um den Arbeitsplatz.
In seit 1990 deutlich zunehmendem Maße werden gesellschaftliche wie persönliche Perspektiven pessimistisch beurteilt.
Deutlich wird die soziale Ungleichheit in den verschiedenen Lebensfeldern der jungen Menschen.
Charakteristisch ist eine hohe Veränderlichkeit von Wertauffassungen und – abhängig von der jeweiligen sozialen Lage – deren Pluralität.
Für viele Jugendliche ist Bildung ein hoher Wert; zugleich beklagen nicht wenige die wachsende Ungleichheit in den Bildungschancen.
Jugendliche schätzen im allgemeinen Demokratie, kritisieren aber heftig die Realität des demokratischen Alltags.
Das Verhältnis der jungen Menschen zur Politik ist sehr differenziert und durch eine weitgehend kritische Haltung zu Parteien gekennzeichnet. Jugendliche lehnen oftmals feste Bindungen an politische Organisationsformen ab, engagieren sich aber dort, wo es um die ganz speziellen Bedingungen für ihr Leben geht.
Nicht übersehen werden darf, dass die Familie im Erleben und Denken der jungen Menschen in den letzten Jahren einen Bedeutungszuwachs erfährt, sowohl was das eigene Verhältnis zur Familie und zur älteren Generation betrifft, als auch das Bestreben, eine eigene Familie zu gründen. Dazu gehört auch eine Vielfalt in den Lebensauffassungen der jungen Menschen.
Es gilt festzuhalten: Die Lebenssituation von Jugendlichen in der Bundesrepublik hat sich in den letzten zwanzig Jahren, insbesondere im Osten, dramatisch verändert. Damit verbunden ist ein rasant voranschreitender Mentalitäts- und Wertewandel.
Sehr deutlich werden einige Besonderheiten in der Lebenslage und in den Einstellungen ostdeutscher Jugendlicher durch die sog. "Sächsische Längsschnittstudie" (s. Peter Förster: "Junge Ostdeutsche heute – doppelt enttäuscht", in Beilage B 15/2003 zu "Das Parlament"). Sie wurde bereits 1987 vom damaligen Leipziger Zentralinstitut für Jugendforschung gestartet und begleitete über die "Wende" im Herbst 1989 hinweg den politischen Mentalitätswandel bei jungen Ostdeutschen des Geburtsjahrgangs 1972/73 zwischen ihrem 14. und (im Jahr 2002) 29. Lebensjahr.
In der ersten Phase (1987 bis 1989) dokumentierte die Studie die wachsende Distanz und Enttäuschung gegenüber der Politik der SED, andererseits aber auch das nach wie vor vorhandene Vertrauen, in der DDR eine gesicherte Zukunft zu haben. Für berufliche Zukunftsängste bestand damals kein Anlass.
Die Erhebungen der Studie ab 1990 weisen nach, daß die überwiegende Mehrheit der Befragten mit zunehmender Tendenz die "Wende" bejaht. Das vereinte Deutschland ist für diese jungen Ostdeutschen zu einer Selbstverständlichkeit geworden. Die Ergebnisse der Studie verdeutlichen aber auch, dass die überwiegende Bejahung der "Wende" und der deutschen Einheit nicht gleichbedeutend ist mit der Zustimmung zum Gesellschaftssystem der BRD. Dieses wird auch nach mehr als einem Jahrzehnt mehrheitlich skeptisch oder kritisch betrachtet. Diese Skepsis kulminiert in verbreiteten Zweifeln an der Zukunftsfähigkeit des Systems und zeigt sich nicht zuletzt in einer sehr stark zurückgehenden Zukunftszuversicht der jungen Leute (von 60% im Jahr 1994 auf 28% im Jahr 2002). Existentielle Bedrohungsängste wie die Angst vor (erneuter) Arbeitslosigkeit und vor einer persönlichen Notlage nehmen erheblich zu. Fast zwei Drittel der Befragten haben bis 2002 schon die Erfahrung von Arbeitslosigkeit machen müssen.
Ausdruck der verbreiteten Unzufriedenheit der jungen Leute mit dem jetzigen Gesellschaftssystem ist die Tatsache, dass ein beträchtlicher Teil von ihnen (noch oder wieder) an sozialistische Ideale glaubt. Sozialistische Ideale sind offensichtlich trotz des von den Befragten 1989 gewissermaßen als Zeitzeugen erlebten Zusammenbruchs keineswegs bei allen diskreditiert. Im Gegenteil: diese Ideale erfahren zunehmend Zuspruch.
Der Zeitraum von eineinhalb Jahrzehnten hat nicht ausgereicht, um einen größeren Teil der in die Untersuchung einbezogenen jungen Ostdeutschen politisch für das jetzige Gesellschaftssystem einzunehmen. Die meisten von ihnen sind innerhalb kurzer Zeit erneut von der Gesellschaft, in der sie leben, enttäuscht. Sie halten dieses Gesellschaftssystem nicht für das "Ende der Geschichte". 42% der Befragten fühlen sich 2002 mehr als DDR-Bürger denn als Bundesbürger; bei rund 70% registrierte die Untersuchung eine "Doppelidentität". Sie fühlen sich als Bundesbürger, ohne jedoch ihre Verbundenheit mit der DDR aufgegeben zu haben. Das Zugehörigkeitsgefühl zur DDR ist offensichtlich tiefer verwurzelt als bisher angenommen. Es wird auch von jungen Menschen nicht in verhältnismäßig kurzen Zeiträumen als Ballast abgeworfen. Großes Gewicht dabei haben tiefe lebensgeschichtliche Prägungen, vor allem das Erleben der DDR als Heimatland, die Erinnerung an eine meist sorgenfreie Kindheit und Jugend, die vielfach aufgewertet wird durch den Kontrast heutiger Alltagserfahrungen.
Allerdings: Inzwischen ist eine junge Generation herangewachsen, die die DDR nicht mehr selber erlebt hat. Untersuchungen zeigen aber, dass auch in dieser Gruppe durch das familiäre Umfeld und durch das Erleben unsicherer Lebensperspektiven BRD-kritische Einstellungen und Haltungen und ein (sicher zum Teil verklärtes) DDR- und Sozialismusbild relativ weit verbreitet sind.
1. Jugendpolitik sollte immanenter Bestandteil der Gesamtpolitik der Partei sein. Dabei ist davon auszugehen, dass sich die Lebenssituation der Jugendlichen nicht nur in den vergangenen zwanzig Jahren dramatisch verändert hat, sondern sich auch jetzt und in den künftigen Jahren mit Auswirkungen auf ihre Lebens- und Wertauffassungen ständig weiter verändern wird. Alle Beschlüsse und Entscheidungen der Partei, ihrer Vorstände und auch der Fraktionen sollten immer auch mit dem Blick auf die Jugend in diesem Land, auf ihre Entwicklungs-, Lebens- und Sozialisationsbedingungen, d.h. mit dem Blick auf die Schaffung günstiger Bedingungen für ihre Zukunft, vorbereitet und getroffen werden. Dabei sollte beachtet werden, dass die Jugend sich nicht nur für ihre ganz spezifischen eigenen Belange interessiert, sondern bereit und interessiert ist, an der Gesamtpolitik teilzuhaben, sich in gesamtpolitische Vorhaben und Aktivitäten einzumischen.
- Jugend heute kommt anders zur Politik als die älteren Generationen, und sie gewinnt auch
- auf andere Art und Weise, z.B. über Musik, Kultur, Nutzung der modernen Medien und
- Auseinandersetzung mit der aktuellen Medienwelt und nicht zuletzt über politische Aktionen,
- ihre politischen Überzeugungen.
- Es sollte ein ständiges Anliegen der Partei auf allen Ebenen sein, Bedingungen dafür zu
- schaffen, dass sich die Jugendlichen zur Mitwirkung herausgefordert fühlen. Es geht also um
- politisches Engagement gemeinsam mit den jungen Menschen!
2. Für die Debatten zum Entwurf des Programms der Partei und das aktuelle politische Handeln sollte mit dem Blick auf das jugendpolitische Profil der Partei davon ausgegangen werden, dass sich lebensnahe Jugendpolitik an den grundlegenden Interessen und Bedürfnissen der jungen Menschen orientieren muss:
- Junge Menschen wollen und brauchen eine optimistische Perspektive als Grundlage für ihre eigene Zukunftszuversicht. Sie brauchen Frieden und soziale Sicherheit, überhaupt Bedingungen für eine lebenswerte Zukunft.
- Die heutige Jugend erwartet von der Partei DIE LINKE eine antikapitalistische, konsequent kritische Position zum herrschenden System und entsprechende Aktivitäten sowie eindeutige Aussagen in Programm und Beschlüssen zur Perspektive einer Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse in Richtung demokratischer Sozialismus. Das gilt auch für eindeutige antifaschistische Positionen und ein Bekenntnis zu antifaschistischen Traditionen und zu Traditionen der revolutionären Arbeiterbewegung.
- Junge Menschen wollen sich für eine solche Perspektive engagieren und fordern dazu umfassende Mitgestaltungs- und Mitentscheidungsrechte, an deren Erkämpfung sie sich aktiv beteiligen wollen.
- Junge Menschen fordern wie die Partei insgesamt eine dem "Gemeinwohl verpflichtete Wirtschaftsordnung" und eine auf die Zukunft gerichtete Umweltpolitik, die ihnen Berufs- und Lebensperspektiven eröffnet, und die sie selber mitgestalten wollen. Das Engagement der Partei für ein Sozialsystem, das Sicherheit und Förderung für jede und jeden gewährleistet, ist nicht zuletzt auch eine entscheidende Bedingung für die Entwicklung der jungen Menschen.
- Kinder und Jugendliche wollen und brauchen ein Bildungssystem, das jeder und jedem umfassende Bildungsmöglichkeiten als Voraussetzung für ihre/seine Persönlichkeitsentwicklung und für ihre/seine für Berufs- und Lebensperspektiven eröffnet. Junge Menschen brauchen für ihre Entwicklung Rahmenbedingungen für die Gestaltung ihrer Freizeit und die Sicherheit, dass sie die angebotenen Möglichkeiten auch wahrnehmen können.
3. Gegenstand der Jugendpolitik ist das gesamte Lebensumfeld der jungen Menschen. Dazu ist es erforderlich, Positionen zu erarbeiten, Vorschläge zu unterbreiten und zu handeln – außerparlamentarisch wie in den Parlamenten, vor allem auch in den Kommunen und in den Kommunalvertretungen:
- Welche Lebens- und Sozialisationsbedingungen müssen geschaffen bzw. gesichert werden, damit sich die jungen Menschen als Persönlichkeit entwickeln, und sie ihren Platz in der Gesellschaft bestimmen können? Welche Aktivitäten sollte die Partei außerparlamentarisch und in den Parlamenten entwickeln, um solche Lebens-, Arbeits-, Bildungs- und Sozialisationsbedingungen im ganzen Land zu schaffen und fortlaufend zu sichern?
- Wie wird in der Bundes-, Landes- und Kommunalpolitik den spezifischen Lebens-, Arbeits- und Entwicklungsbedingungen für die jungen Menschen in den verschiedenen Territorien (Stadt – Land usw.) Rechnung getragen? Was sollte getan werden und was können die jungen Menschen selber dazu tun?
- Was ist erforderlich, um das Verhältnis zwischen "jung" und "alt", das Verhältnis der Generationen untereinander positiv gestalten und ein produktives Miteinander herausbilden zu können?
- Was geschieht bzw. sollte getan werden, um das Zusammenleben der verschiedenen Gruppen von Jugendlichen positiv zu befördern (Migranten, Behinderte, aber auch Jugendliche aus unterschiedlichen sozialen Milieus u.a.)?
- Welche Aktivitäten entwickelt die Partei, um junge Menschen zu politischem Engagement zu ermuntern, wie sorgt die Partei dafür, dass sich junge Menschen politisch gefragt, zur Mitarbeit gefordert fühlen?
- Was kann und sollte zur politischen Bildung der jungen Menschen getan werden? Um welche Inhalte soll es dabei konkret gehen? Welche Möglichkeiten hat die Partei, hat der parteinahe Jugendverband, diese Bedürfnisse der Jugendlichen zu befriedigen?
- Von welchen Werten lassen sich junge Menschen heute leiten? Welche Werte akzeptieren sie? Welche Faktoren haben Einfluss auf ihre Wertauffassungen und welche Rolle spielen dabei Bildungseinrichtungen und Familien? Welche Möglichkeiten haben Partei und Jugendverband, darauf Einfluss zu nehmen?
- Was ist erforderlich, damit alle Jugendlichen eine gediegene Berufsausbildung beginnen und abschließen können und anschließend daran einen festen Arbeitsplatz erhalten?
- Die Gestaltung der Freizeit der jungen Menschen, die Nutzung von Sporteinrichtungen, Jugendclubs usw. wird immer mehr zu einem "Marktproblem"! Was kann getan werden, damit Gesellschaft, Staat und Kommunen ihre Verantwortung für die Lebensgestaltung der jungen Menschen wirklich wahrnehmen?
- Welche Freizeitmöglichkeiten stehen zur Verfügung bzw. sollten geschaffen werden? Welche Aktivitäten sind dazu in der Bundes- und Landespolitik, in den Kommunen erforderlich? Wie können die jungen Menschen selber dabei aktiv werden, wie werden sie dabei unterstützt?
- Wie ist das Bildungswesen zu entwickeln, damit sich alle jungen Menschen bestmögliche Bildung aneignen und selbstbestimmt ihre Persönlichkeit entwickeln können, damit der Grundmangel des deutschen Bildungswesens – die Abhängigkeit des Bildungserfolgs von der sozialen Herkunft – schrittweise überwunden werden kann? Was können die Lernenden – die SchülerInnen, die StudentInnen, die Auszubildenden – selber dazu tun?
4. Jugendpolitik erfordert von der Partei bzw. ihren Vorständen, sich kontinuierlich mit der Lage der Jugend im Land bzw. im jeweiligen Territorium, mit den Problemen, die die Jugendlichen bewegen, mit den Fragen, die die jungen Menschen stellen und mit ihren Interessen und Wünschen zu beschäftigen und zu prüfen, was die Partei tun kann? Unsere Partei versteht sich nach wie vor als eine "Partei im Alltag", und das bedeutet nicht zuletzt, sich grundsätzlich und eben auch im "Alltag" der Probleme der Jugendlichen in diesem Land zu stellen und ihnen zu helfen, diese Probleme zu bewältigen. Jugendpolitik darf nicht an den verschiedenen Konfliktsituationen, in die die jungen Menschen heute kommen und in denen sie sich entscheiden müssen, vorbeigehen. Dazu zählen z.B. Fragen, ob man als junger Mensch den Grundwehrdienst bei der Bundeswehr ableistet und sich vielleicht sogar länger verpflichtet oder ob man sich für den Zivildienst oder eine Totalverweigerung entscheidet, ob man sich gewerkschaftlich organisiert und engagiert, ob man Mitglied einer Partei werden oder sich lieber in anderen "offenen" Formen politisch engagieren will oder nicht? Es geht aber auch um Entscheidungen über den Lebensweg nach der Schule, über das Verbleiben im Umfeld der Familie oder eine berufliche Entwicklung weit weg von der Familie, über die Gründung einer eigenen Familie, auch um Konflikte mit den Eltern und in der Verwandtschaft.
Das alles bedeutet nicht, dass die Partei in ihren jugendpolitischen Aktivitäten den Interessen und Wünschen der Jugend "hinterherlaufen" soll. Notwendig ist nicht zuletzt auch die kritische Begleitung der Jugendlichen und ggf. eine prinzipielle Auseinandersetzung. Jugendpolitik kann und darf nicht heißen: die Partei erzieht die Jugend. Aber es heißt auch nicht, dass die Partei auf jede Diskussion mit den Jugendlichen verzichtet, dass die Partei alles gutheißt, was die Jugend wünscht bzw. tut. Die Zusammenarbeit der Partei und ihrer leitenden Gremien mit den parteinahen Jugendverbänden erfordert ein genossenschaftliches, solidarisches Miteinander, das Aufgreifen ihrer Ideen, sie zu ermuntern, sich einzumischen, und vor allem, sie aktiv zu unterstützen. Das schließt gegenseitige Kritik ein.
Ein wesentliches Element der Entwicklung der Partei und speziell ihres jugendpolitischen Engagements ist die Arbeit mit den in der Partei als Mitglieder organisierten Jugendlichen und die Gewinnung von Jugendlichen als Mitglied der Partei. Dabei ist zu beachten, dass junge Genossinnen und Genossen nicht auf ihr Wirken in den parteinahen Jugendverbänden reduziert werden dürfen, wenngleich viele von ihnen dort ihr hauptsächliches politisches Wirkungsfeld sehen und dort mit jungen Menschen gemeinsam aktiv sind, die nicht der Partei angehören bzw. den Schritt zur Mitgliedschaft in der Partei (noch) nicht getan haben.
Andererseits gilt auch die Erfahrung, dass sich viele junge Parteimitglieder mit den traditionellen und in der Regel ziemlich festgefügten Organisationsformen der Parteiarbeit schwer tun, ihnen auszuweichen suchen, sich ihnen entziehen. Daraus abzuleiten, dass es gesonderte Organisationsformen für die jungen Parteimitglieder geben sollte, ist allerdings weder für die Entwicklung der Partei als Ganzes noch für die politische Entwicklung der jungen GenossInnen sinnvoll.
Allerdings sollten vor allem die Kreisverbände Möglichkeiten schaffen, spezielle Bedürfnisse und Wünsche der jungen Parteimitglieder zu befriedigen. Dazu zählen z.B. eigenständige politische Aktivitäten "vor Ort", freie Gesprächsrunden untereinander und/oder mit älteren GenossInnen, spezielle Bildungsabende zu von den jungen Mitgliedern gewünschten Themen, die Organisierung des gemeinsamen Lesens (und Diskutierens) z.B. des "Kommunistischen Manifests" oder von Teilen des "Kapitals" und andere.
Generell ist es erforderlich, die jungen Parteimitglieder in die verschiedenen Aktivitäten der Partei entsprechend ihrem Wissen und Können, ihren Erfahrungen aktiv einzubeziehen, ihnen eigenverantwortliche Aufgaben zu übertragen, sie an die Leitungsarbeit heranzuführen und ihnen auch die Möglichkeit zu schaffen, für Abgeordnetenmandate zu kandidieren. Es sollte ihnen in den Basisorganisationen, in den Kreis- und Landesverbänden das Gefühl gegeben werden, etwas für die Ziele der Partei – und damit für ihre eigenen – tun zu können.
Im Umgang mit den jungen Genossinnen und Genossen in der Partei ist also Ideenreichtum in den Inhalten und Vielfalt in den Formen gefragt, und es gilt vor allem, die jungen Menschen herauszufordern, ihre eigenen Ideen und Vorschläge für ihr eigenes Wirken und für die Entwicklung der Partei insgesamt einzubringen. Die Partei braucht sie, und sie brauchen nicht zuletzt auch die Erfahrungen der älteren Genossinnen und Genossen.
Mit den vorgestellten "Überlegungen und Vorschlägen" will der Ältestenrat kein jugendpolitisches Konzept, geschweige denn ein jugendpolitisches Programm, vorlegen. Er will vielmehr gemeinsam mit dem parteinahen Jugendverband eine Debatte anregen und herausfordern. Sie könnte und sollte – ausgehend vom Brief des Parteivorstandes an die Mitglieder – im Kontext mit der in der Partei im kommenden Jahr anstehenden Diskussion zum Entwurf eines neuen Parteiprogramms geführt werden. Der Ältestenrat will sich selbst aktiv an dieser Debatte beteiligen und bittet alle Mitglieder und Sympathisanten der Partei – jüngere wie ältere -, in den Basisorganisationen, in den Arbeitsgemeinschaften, in den Vorständen und Fraktionen ihre Vorschläge und Ideen in die Diskussion einzubringen. Sie sollte mit dem Ziel geführt werden, deutlich zu machen, dass Jugendpolitik Sache der ganzen Partei ist und damit das jugendpolitische Profil ausprägen helfen. Auch das Zusammenwirken von Partei und Jugendverband kann so befördert werden.
Darüber hinaus wird eine solche Debatte auch einen bedeutsamen Beitrag in der Programmdebatte der Partei leisten. Dabei sollte davon ausgegangen werden, dass die Jugendlichen, insbesondere der parteinahe Jugendverband, einen eigenständigen Beitrag zur Programmdebatte leisten wollen und können und sich dabei keineswegs nur auf jugendspezifische Probleme beschränken werden. Die Debatte in der Partei könnte durch Gesprächsrunden mit Jugendlichen zu solchen Themen, die sie besonders bewegen, durch Erfahrungsaustausche zwischen älteren und jüngeren Parteimitgliedern zur Programmarbeit und ähnlichen Veranstaltungen ergänzt werden. Auch Konferenzen auf Landesebene, auf denen die jungen GenossInnen ihre Erwartungen an das neue Programm und Vorschläge für Aktivitäten der Partei vortragen, können die Programmdebatte inhaltlich beleben und das jugendpolitische Profil der Partei fundieren. Nicht zuletzt könnte die Rosa-Luxemburg-Stiftung durch die Vergabe entsprechender Themen an junge Stipendiaten/Doktoranden einen wichtigen Beitrag leisten.
Wir wünschen uns eine aktive Beteiligung möglichst vieler Genossinnen und Genossen an einer schöpferischen und ergebnisreichen Debatte!