Unsere Partei ist herausgefordert, die Umbruchsituation in der Gesellschaft zu untersuchen
Mitteilung des Ältestenrates über seine Beratung am 13. Februar 2020
Der Ältestenrat der Partei DIE LINKE tagte am 13. Februar 2020 im Karl-Liebknecht-Haus in Berlin. Im Mittelpunkt der Beratung standen der Jahresauftakt von Partei und Fraktion, die Vorbereitung der vom Parteivorstand einberufenen Strategiekonferenz in Kassel und die Themen der Beratungen des Ältestenrates im ersten Halbjahr 2020.
Die Demonstration und Kranzniederlegung an der Gedenkstätte der Sozialisten an den Gräbern von Karl und Rosa unterstrichen erneut mit vielen tausend Teilnehmern die Tradition der deutschen Arbeiterbewegung gegen Krieg und Faschismus, für Frieden und demokratischen Sozialismus.
Als Gäste und Gesprächspartner wurden Dr. Dietmar Bartsch, Vorsitzender der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag, Jörg Schindler, Bundesgeschäftsführer der Partei DIE LINKE, Dr. Artur Pech, Sprecher des Bundesausschusses der Partei DIE LINKE und Dr. Thomas Falkner begrüßt.
Die Jahresauftaktveranstaltung von Parteiführung und Bundestagsfraktion waren Ausdruck aktiver Bestrebungen der LINKEN für soziale Gerechtigkeit. Die Traditionen und das Vermächtnis von Friedrichsfelde hätte hier stärkere Beachtung finden sollen.
Das Nebeneinander im politischen Auftakt macht zugleich sichtbar, wie notwendig die Beachtung der Herausforderung des Jahres 2019 ein "Weiter so darf es nicht geben", auch für 2020 und den Erfurter Parteitag bleibt.
Der Ältestenrat hat 2019, der Aufforderung des Parteivorstandes folgend, sich zum Grundanliegen einer Strategiekonferenz gegenüber dem Parteivorstand geäußert. Mitglieder des Ältestenrates haben sich mit eigenen Beiträgen zur Parteistrategie zu Wort gemeldet.
Leider haben weder der Parteivorstand, noch die von ihm eingesetzte Arbeitsgruppe zur Vorbereitung der Konferenz, die grundsätzlichen inhaltlichen Überlegungen des Bundesausschusses und des Ältestenrates Beachtung geschenkt.
Der Ältestenrat hat in seiner Mitteilung vom April 2019 unter Beachtung der Hinweise des Bundesausschusses seine inhaltlichen Überlegungen an den Bundesausschuss übergeben.
Der Parteivorstand hat in seiner Beratung am 25./26. Januar 2020 einen Ablauf der Strategiekonferenz mit Stand 24. Januar 2020 beschlossen. Eine inhaltliche Aussage gab es nicht.
Der Ältestenrat hat im Oktober 2019 mit dem Landesvorstand von Mecklenburg-Vorpommern einen Gedankenaustausch geführt und erhielt auch Zustimmung aus Kreisvorständen und Teilnehmern am Dialog.
Zur Fortsetzung seiner Bemühungen hat der Ältestenrat mit Dr. Thomas Falkner Fragen zur Strategie unserer Partei diskutiert, dessen Ergebnis in Form eines Thesenpapiers vorliegt (siehe Anlage). Der Ältestenrat bittet den Parteivorstand dieses Thesenpapier und die Debatte im Ältestenrat in den Prozess der Dialogdebatte und in die Vorbereitung des Parteitages in Erfurt einzubeziehen,
Es geht hier um eine Analyse des geschichtlichen Verlaufs seit dem 2. Weltkrieg. Ein Komplex den der Ältestenrat im April, unter Beachtung des Beschlusses des Europäischen Parlaments: "Bedeutung der Erinnerung an die europäische Vergangenheit für die Zukunft Europas", beraten wird. In der Strategiedebatte sollte dieser Komplex gebührende Beachtung finden.
Die Linksfraktion im Europäischen Parlament hat gegen den Beschluss gestimmt, da er eine grundlegende Verfälschung europäischer Geschichte enthält und die Prozesse rechter Entwicklung in den Ländern der EU begünstigt.
Es vollzieht sich eine gesellschaftliche Zäsur mit tiefgreifendem Charakter, ähnlich wie nach dem Ende des 2. Weltkrieges 1945 und von 1989 bis 1991, dem Ende des Realsozialismus und dem Zerfall der Sowjetunion.
Die Welt ist in anderer Weise aus den Fugen geraten. Die Gefahren von militärischen Konflikten, die in Kriege übergehen können, sind gewachsen.
Die Formen der Ausbeutung führen zur wachsenden Vertiefung und Verbreitung der Armut und zum Wachstum des Reichtums und der Ausübung der Macht durch die Mächtigsten des Kapitals. Trump setzt dafür in den USA besondere Zeichen.
Die Breite und Vielfalt von Massenbewegungen für Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit ist zu begrüßen. Europaweit und auch in Deutschland bleiben linke Kräfte mit ihren Strukturen und Kräften noch immer hinter den Herausforderungen und Möglichkeiten zurück.
Der Ältestenrat führte aus aktuellem Anlass eine Debatte zur Wahl des Ministerpräsidenten im Thüringer Landtag. Mit Begriffen wie "Desaster", "Empörung", "politischer Betrug" und ähnlichen, ist dieser Vorgang in seiner gesellschaftlich-politischen Bedeutung nicht erfassbar. Das Deutschland von 1991 gibt es nicht mehr. Die Bundestagswahlen von 2017 und die letz-ten Landtagswahlen haben dafür spürbare Zeichen gesetzt. Die AfD mit nazistischen Elementen ist in allen Landtagen und im Deutschen Bundestag vertreten. In der CDU entfalten sich Kräfte, die Nähe zur AfD suchen und die FDP setzt Zeichen für eine reaktionäre Entwicklung.
Anschaulich wurde diese Tendenz mit dem politischen Coup in Thüringen. Der amtierende Regierungschef der LINKEN, Bodo Ramelow, wurde überraschend nicht bestätigt, sondern abgewählt, weil sich sämtliche Parteien des rechten Spektrums, von FDP über CDU bis AfD, gegen die linke Koalition von LINKE, SPD und Grünen verbündeten. Der Landtag wählte mit 45 Stimmen überraschend den FDP-Fraktionschef, Thomas Kemmerich zum Ministerpräsidenten. Hinter der FDP haben sich in einer Geheimen Wahl die bürgerliche CDU und die rechtsextreme AfD versammelt.
Das Debakel in Thüringen bei der Wahl einer funktionsfähigen Landesregierung hat die fragi-le Konstruktion in der aktuellen politischen Architektur der >Berliner Republik< aufgedeckt. Ursache der politischen Krisen sind die wachsenden Fliehkräfte in der Gesellschaft: einerseits mit der AfD vom rechten Rand her, andererseits mit den Grünen und der neuen ökologischen Bewegung aus der Mitte selbst heraus.
Das Ende dieser Transformation des Parteiensystems ist noch nicht absehbar. Die Transformation von Demokratie und Parteiensystem folgt damit einer großen Transformation im realexistierenden Kapitalismus.
Die Genossinnen Ursula Schumm-Garling, Evelin Nowitzki und Genosse Wolfgang Grabowski brachten ihre Sichten aus der historischen Lehre der Geschichte des Freistaates Thüringen als schriftlichen Beitrag in die Debatte ein (siehe Anlage).
Genosse Dietmar Bartsch dankte dem Ältestenrat für seine regelmäßigen Anregungen und Hinweise auf das politische Geschehen, die sich auch für die Bundestagsfraktion als nützlich erweisen. Das gilt nicht zuletzt für die Vorbereitung von Parteitagen, wie es auch für den Erfurter Parteitag gehören sollte. Es kann hier nicht um Wahltaktik gehen. Gefordert ist ein wirklich tiefer theoretischer Dialog, aus dem eine strategische Orientierung für die Partei und Fraktion erwächst und damit ihr Wirken und ihr Platz in einer sich ständig verändernden Welt bestimmt.
Unsere Partei DIE LINKE ist herausgefordert, die Umbruchsituation in der Gesellschaft zu untersuchen, das Erstarken der neuen Rechten genauer zu erfassen, sowie das eigene Profil genauer und klarer zu bestimmen. Die neue Rechte wird nicht von selbst verschwinden. Heute besteht die Herausforderung darin, dass das Zentrum der kapitalistisch geprägten Gesellschaften durch massive Umwälzungen in den Produktivkräften selbst in Frage gestellt wird. DIE LINKE sollte ihre politischen Alternativen verdeutlichen. Der Weg einer Anpassung zu einer veränderten Sozialdemokratie hat keine Zukunft, wie sich auch in west- und osteuropäischen Ländern zeigt.
Der politische Kern der Distanzen und der Angriffe gegen DIE LINKE bleibt der nach 1945 in der alten BRD geprägte Antikommunismus. SPD und Grüne stehen dabei auch nicht abseits. Der historische Schaden einer solchen Haltung ist eine der Quellen für die AfD von heute. Die Strategiekonferenz in Kassel sollte auch als eine Chance verstanden und wahrgenommen werden. Der Parteitag in Erfurt ist herausgefordert, dem "Herumeiern" in Fragen des politischen Inhalts und sozialer Politik ein Ende zu setzen, sowie dem Profil und der Strategie der Partei klare Aussagen zu geben. Gleiches gilt für die Funktionsträgerschaft. Es geht um Verantwortung, die zu übernehmen ist und nicht um Posten, die zu verteilen sind.
Der Ältestenrat wird sich im Rahmen des Satzungsauftrages für seine Tätigkeit weiter an der Strategiedebatte beteiligen und vor dem Parteitag Rechenschaft über sein Mitwirken geben.