Von Erfurt nach Bielefeld
Erklärung des Ältestenrates der LINKEN
Der Bundesausschuss der Partei hat in seiner Beratung am 21./22. Februar 2015 dem Parteivorstand die Empfehlung übermittelt, folgende Schwerpunkte für den Parteitag am 6./7. Juni 2015 in Bielefeld zu berücksichtigen:
- Intensivere Hinwendung der LINKEN zur Sozialen Frage in ihren konkreten Erscheinungsformen, verbunden mit Ringen um breitere soziale Gerechtigkeit
- Kampf gegen Rechtsentwicklung in all ihren Schattierungen, verbunden mit dem Ausbau der sozialen Demokratie
- Kampf gegen die wachsende Kriegsgefahr und Tendenzen der Militarisierung, verbunden mit der Unterstützung des Kampfes um den Frieden
Der Ältestenrat begrüßt und unterstützt diese Empfehlung. Ebenso begrüßen wir die Initiative des Parteivorstandes, dem Parteitag einen Leitantrag vorzulegen. Gemäß den Festlegungen in der Satzung der Partei möchten wir an der öffentlichen Debatte zur Vorbereitung des Parteitages teilnehmen und unsere Betrachtungen dazu einbringen.
Unsere Zeit - unsere Politik
Da der Parteitag das höchste Organ unserer Partei und somit verantwortlich für Strategien auf dem Boden unseres geltenden Parteiprogramms ist, sollten im Juni in Bielefeld angesichts der aktuellen politischen Entwicklungen Grundfragen unserer weiteren Politik beraten werden. Dabei ist von einer neuen Etappe der imperialistischen Politik zur Neuaufteilung der Einflusssphären, der Ressourcen und der Absatzmärkte in der Welt und in Europa auszugehen. Und davon, dass dabei militärische und kriegerische Optionen eine wachsende Rolle spielen. Es brennt an allen Ecken und Enden der Welt. Das geht einher mit zunehmender sozialer Ungleichheit, mit dem Abbau und der Aushöhlung bürgerlich-demokratischer Standards in den USA und auf nationaler Ebene in Europa, forciert durch die Politik der EU. Die Bürger spüren in der Bundesrepublik, dass sie mit Stimmzetteln für Parteien ihre Lebensbedingungen immer weniger beeinflussen können. Die öffentliche Meinung, Kultur, die Gefühlswelt von Kindern bis zu Senioren, der Alltag der Bürgerinnen und Bürger werden von den Herrschenden massiver und gezielt manipuliert. Rechtspopulistische und fremdenfeindliche Stimmungen und Aktivitäten nehmen zu und neonazistischen Umtrieben wird von Staatsorganen vielfach nicht wirksam Einhalt geboten, Faschismus an der Macht von verschiedenen staatstragenden Kräften bagatellisiert.
In bisher nicht gekanntem Ausmaß beherrschen wenige Finanz- und realkapitalistische Konzerne weltweit und zunehmend auch auf nationaler Ebene die Gesellschaften und sozialen Beziehungen bis in die tiefsten Bereiche früher sozialstaatlich regulierter Lebensbedingungen der Menschen. Eine anhaltende Krise der Kapitalverwertung und die stabile Herrschaftskonstellation zu Gunsten des Kapitals in fast allen Metropolen des Kapitalismus sind die wichtigsten Ursachen dafür, dass die Politik des Neoliberalismus weiter geht.
Jeder Bürger erfährt das täglich in seiner Lebenspraxis, und in zahlreichen wissenschaftlichen Untersuchungen sind Grundtendenzen dieser Entwicklung analysiert und theoretisch verallgemeinert. Ebenso auch neuer Widerstand von internationalen Initiativen z.B. gegen TTIP u.a. und Bestrebungen von sozialen und politischen Bewegungen und Parteien u.a. in Griechenland, Spanien, Irland, Gegenkräfte zu mobilisieren, zu organisieren und politikwirksam zu machen. Auf der Grundlage dieser Realität muss es Aufgabe des Parteitages sein, das Klassen- und gesellschaftliche Kräfteverhältnis, in dem wir arbeiten, zu analysieren und daraus linke Strategien abzuleiten.
Als sozialistische und internationalistische Partei gehen wir vom Platz und von der Rolle des deutschen Finanz-, Groß- und Rüstungskapitals, von seiner ökonomischen und politischen Macht und der entsprechenden Regierungspolitik aus. Es geht wieder um deutsches Großmachtstreben, nun auch militärisch forciert. Daraus ergeben sich ganz wesentlich Aufgaben und Verantwortung der deutschen Linken, verheerende Tendenzen der Entwicklung aufzuhalten und zurückzudrängen. Und zwar in internationalistischer Solidarität, vor allem auch mit den Völkern, die am meisten unter diesen Grundtendenzen der gegenwärtigen Entwicklung leiden.
Friedenskampf in den Mittelpunkt stellen
Anknüpfend an den Empfehlungen des Bundesausschusses sollten illusionslos Entwicklung und Politik der Europäischen Union sowie die Rolle der BRD in Europa eingeschätzt und aufgrund dieser Analyse das Verhalten der Linken einen Schwerpunkt der Tagesordnung des Parteitages bilden.
Hier ginge es u. a. um das Verhalten der LINKEN zur deutschen Zwangspolitik gegenüber Griechenland ebenso wie das Agieren der BRD im Vorfeld und im Bürgerkrieg in der Ukraine und um eine beabsichtigte Armee der Europäischen Union. Wir begrüßen ausdrücklich die von Genossen Riexinger zu diesen Fragen erklärten Standpunkte. Unsere friedenspolitischen Positionen sollten auch auf diesem Parteitag bekräftigt und „Kompromisse“ für eine vermeintliche Regierungsfähigkeit ausgeschlossen werden. Ebenso wie die Grundposition der Linkspartei gegen die Austeritätspolitik der Bundesregierung und der Europäischen Union. Im Zusammenhang mit der Rolle der BRD in der EU wäre das weitere Agieren der LINKEN, in Partei und Fraktionen, u.a. gegen das TTIP und CETA und die Dienstleistungsrichtlinie zu beraten.
Bei diesen Vorschlägen gehen wir selbstverständlich davon aus, dass Interessendifferenzen innerhalb der Herrschenden international und im eigenen Land zu berücksichtigen und zu nutzen sind. Und ebenso, dass wir uns in diesen Kämpfen um breite Bündnisse mit allen Kräften bemühen, die die bedrohliche Entwicklungen aufhalten wollen. Mit konsequent humanistischen und an die Wurzel gehenden demokratischen, also sozialistischen Positionen, können wir Kräfte in den Gewerkschaften, in der Sozialdemokratie, bei den Grünen, in der Friedensbewegung, in Initiativen und Organisationen für Abrüstung und gegen Waffenexporte und anderweitig, wo Frauen und Männer wie wir eine verhängnisvolle Entwicklung befürchten, erreichen und stärken. Fragen der Bündnispolitik unter den gegenwärtigen Bedingungen, Fragen auch der notwendigen Abgrenzung zu menschenverachtenden und abwertenden Positionen, werden gestellt und darauf sind Antworten zu suchen.
An die Wurzeln gehen
Wir denken, dass es angesichts der schnellen, rabiaten, neoliberalen und militaristischen Entwicklung der uns umgebenden Wirklichkeit an der Zeit ist, dass Sozialisten in den breiten notwendigen Kampf dagegen stärker den Grundzusammenhang von Kapitalismus – Krise – Kriege – Armut – Umweltzerstörung - Flüchtlingsströme- antidemokratische und faschistoide Entwicklungen einbringen: aufklärend, Köpfe und Herzen erreichend, mit Rückgrat sagend, was ist. Es geht gegen die herrschenden Ideen der Herrschenden in unserem täglichen Einsatz in Parlamenten, wo im aufrechten Gang mitregiert werden könnte, in widerständischen Initiativen und Zusammenschlüssen, bei aus Profitgründen erfolgenden Betriebsstilllegungen und Verlagerungen, bei Protesten gegen die Aushöhlung der Mindestlohnerrungenschaft und gegen schamlose Ausbeutung junger Akademiker. Es geht gegen Resignation und Unterordnung bei Befristungen und Niedriglohn, bei Mietenexplosion und dort, wo immer mehr Menschen bei den Tafeln und Suppenküchen anstehen und wenn Kliniken geschlossen oder geschrumpft werden. Wo Kinder aus Armut keine Lebensperspektive haben. Hier sehen wir einen Zusammenhang zur sozialen Gerechtigkeit, von der im ersten Schwerpunkt des Bundesausschusses für eine Tagesordnung für den Parteitag gesprochen wird und denken an Brecht: „…und der Arme sagte bleich, wär ich nicht arm, wärst du nicht reich.“
Unsere Wirklichkeit schreit danach, im täglichen Verteilungskampf nun stärker die Wurzeln des Verhängnisses bloßzulegen, jene Zusammenballung von privatem Reichtum und Kapital, die aus Spekulation und Ausbeutung menschlicher Arbeitskraft und Natur ständig wächst. Aus dieser Quelle wurde und wird Neoliberalismus, Vermarktung unseres Lebens und unserer Beziehungen erst ermöglicht und übermächtig gemacht. Der notwendige ständige Kampf gegen die neoliberale (Um)Verteilung von unten nach oben muss nun die Primärverteilung, die Eigentumsfrage in ihren vielen Facetten und nicht als Relikt einer vergangenen linken Ideologie oder als Feigenblatt- Begriff unter anderen auftauchend, stärker bewusst machen. In unserem geltenden Erfurter Parteiprogramm wird Vergesellschaftung in Einheit von öffentlichem Eigentum und demokratischer Verfügung sehr wohl als Kern sozialistischer Politik begriffen. Der anstehende Parteitag sollte hier konkret weiterarbeiten. Viele Vorschläge liegen auf dem Tisch, nun müssen Aufklärung und Politik daraus gemacht werden. Sollte ein ganz konkretes Projekt zur Einschränkung der Macht der Rüstungsindustrie über unser aller Leben entwickelt werden? Wir könnten wohl Mehrheiten dafür gewinnen.
Es entspricht offensichtlich nicht (mehr)der Wirklichkeit, wenn behauptet wird, dass Frauen, Männer, junge und ältere Leute Kapitalismuskritik lieber weglassen wollen. Die meisten Menschen, zudem hart Gebeutelte, denken, fühlen, ahnen doch längst, dass Krisen und Kriege, wachsende Rüstungsausgaben, Verschleuderung von Volksvermögen/Steuergeldern für Banken und Subventionen für Privatunternehmen etwas mit dem Kapitalismus zu tun haben. Falls Angst vor radikaler Kapitalismuskritik etwas mit Anpassung für erstrebte “Regierungsfähigkeit“ zu tun haben sollte, bleibt sie hinter denen zurück, die für tatsächliche substantielle Veränderungen zu gewinnen wären. Hier wäre wohl auch ein Schlüssel, die Tür für weiteren Zulauf rechtspopulistischer und rechtsextremer Propaganda und Organisationen ein Stück weit zuzuschlagen.
Um Missverständnissen vorzubeugen: An die Wurzel gehende Kritik am Kapitalismus und Politiken zur Einschränkung seiner Macht sind als kluger und vielfach schon mehrheitsfähiger Bestandteil unseres täglichen Einsatzes gegen seine neoliberalen menschenverachtenden Konsequenzen, nicht als Ersatz dafür, zu verstärken. In den Anfangsjahren der Bankenkrise seit 2008 und der Bankenrettung mit Steuergeldern, ohne aus diesem öffentlichen Eigentum auch staatliche Politik im Interesse des Gemeinwohls einzufordern, waren diese Zusammenhänge in der LINKEN schon einmal stärker präsent und haben in breiten Teilen der Gesellschaft Zustimmung gefunden. Debatten und Strategien, die bei Humanisierungsversuchen des gegenwärtigen Kapitalismus stehen bleiben, ohne seine Machtressourcen anzugreifen und einzuschränken, werden immer wieder durch die „Kraft des Faktischen“ durchlöchert, aufgesogen, herrschaftstauglich integriert und bringen keine Zukunftsorientierung für DIE LINKE.
Innerparteiliche Demokratie stärken und entwickeln
Und schließlich ergibt sich aus all dem, dass der Parteitag, auch zum inneren Zustand der Partei sprechen müsste. Der Umgang mit der DDR-Geschichte unter anderem für das Zustandekommen der Regierungskoalition in Thüringen, die Debatten darüber in der Partei und darüber hinaus haben deutlich gemacht, dass diese Thematik nicht abgeschlossen ist. Dabei sollten Geschichtsrevisionismus und Antikommunismus entgegengetreten werden. Das Abstimmungsverhalten der Bundestagsfraktion zur Politik der BRD gegenüber Griechenland, die Entwicklung um die Doppelspitze bei der Führung der Fraktion, Vorgänge in der Partei in Niedersachsen, Hamburg, Sachsen u.a. verlangen nach Aufarbeitung, die vom Gesamtinteresse der Partei ausgeht und inhaltliche Ursachen nicht ausklammert. Ebenso wären Regierungs-beteiligungen der Partei in Bundesländern, wie von vielen Mitgliedern schon lange gefordert, zu analysieren und in der Politik zu berücksichtigen. Davon nicht ganz unabhängig wird In der Partei eine vielfach wachsende Kluft zwischen Parteiapparaten und bezahlten Mitarbeitern einerseits und der Basis andererseits festgestellt, auch darüber ist zu reden und bei all dem sollten unterschiedliche Positionen in der Partei nicht länger verdrängt sondern auf dem Boden unseres Programms offen diskutiert werden. Hierher gehört schließlich auch, dass selbstverständlich bei Wahlen Einzelkandidaturen betrieben werden können, aber auf die Liste der Partei DIE LINKE gehören nur solche Kandidatinnen und Kandidaten, die auch zum Programm der Partei stehen. Nicht zuletzt erwachsen auch daraus Unverwechselbarkeit zu anderen Parteien und unsere Anziehungskraft im Ringen um andere gesellschaftliche Kräfteverhältnisse im Land.