Vor den größten Herausforderungen der Zeit nach 1990/91
Mitteilung über eine Beratung des Ältestenrates der Partei DIE LINKE am 1. Oktober 2020
Der Ältestenrat tagte unter Beachtung der Anforderungen der Corona-Pandemie am 1. Oktober 2020 im Karl-Liebknecht-Haus in Berlin. Im Mittelpunkt standen Fragen der Corona-Pandemie mit ihren Herausforderungen an die Politik und die Vorbereitung des Parteitages in Erfurt.
Hans Modrow hatte am 20. September 2020 vor dem Bundesausschuss über die Tätigkeit des Ältestenrates berichtet. Den Bericht des Parteivorstandes gab der Schatzmeister, Genosse Harald Wolf. Für die Bundestagfraktion berichtete Genosse Matthias Höhn und für die Gruppe im Europäischen Parlament tat dies, Genosse Martin Schirdewan. Der Ältestenrat bezog die Information Hans Modrows im Bundesausschuss in seine Beratung ein.
Wir unterstützen die These, dass die Corona-Pandemie und in der Folge die politischen Gegenmaßnahmen (Lock down etc.) mit ihren vielfältigen krisenhaften Auswirkungen zur tiefsten weltweiten Krise des globalen Kapitalismus nach dem 2. Weltkrieg geworden ist. Die weltweit bestätigten Infektionszahlen überschreiten 30 Millionen.
Am stärksten sind die USA betroffen: Die USA verzeichnen rund 7 Millionen bestätigte Infektionen. Mit nur 4 Prozent der Weltbevölkerung stellen die Vereinigten Staaten mehr als einen Viertel der Infektionen. Die Zahlen für Infektionen, Hospitalisierungen und Tote liegen weit über denjenigen, anderer kapitalistischer Hauptländer. Zum 27. September meldeten die USA rund 204 500 Personen, die infolge einer Infektion mit dem Corona Virus gestorben sind.
Eine wirksame Therapie für Infizierte gibt es so wenig wie einen Impfstoff. Die zeitweilige Stilllegung der gesellschaftlichen Reproduktionsprozesse hat massive Schäden verursacht. Die Regierungen der kapitalistischen Länder haben verschiedene Hilfspakete von großem Umfang eingesetzt, um eine enorme Konkurswelle von Unternehmen und Massenarbeitslosigkeit zu verhindern. In der Folge ist die öffentliche Verschuldung massiv angestiegen.
Das politische Verhalten der LINKEN findet vom Bund bis vor Ort und bis in die Gewerkschaften Beachtung. Wir stimmen mit der Bewertung überein, dass die Pandemie sowohl eine bislang noch nicht kontrollierte medizinische Herausforderung für die Volksgesundheit ist, als auch weitergehende Aufwendungen zur Bekämpfung der Verwerfungen des gesellschaftlichen Reproduktionsprozess erfordert. Die Bekämpfung des Virus steht erst am Anfang und die Analyse ihrer komplexen Auswirkungen für die Gesellschaftsentwicklung ist bisher noch nicht wirklich aufgenommen worden.
Auch uns Mitgliedern des Ältestenrates ist bewusst, dass wir keine Erkenntnisse aus eigenen Erfahrungen einbringen können. Die entstandenen Wirkungen und Auswirkungen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft werfen die Systemfrage auf. In Verbindung mit den gravierenden Transformationsprozessen in der industriellen Produktion (z.B. Übergang zu Elektromobilität) und den drückenden Problemen des Klimawandels stellt sich die Frage nach einem umfassenden und grundlegenden Wechsel der gesellschaftlichen Produktionsweise.
Die gegenwärtigen politischen Interventionen zielen auf Reparaturen der kapitalistischen Produktionsweise. Was im Moment überwiegt, ist die Gewährleistung der unverzichtbaren Einkommensströme für die Lohnarbeit.
Noch hält der Damm der Kurzarbeit und der Zuwendungen für die kleinen Selbständigen. Doch die Gefahr ist groß, dass Standortschließungen und -verlagerungen sowie der Abbau von Personalkapazitäten die Arbeitslosigkeit deutlich ansteigen lassen. Der Sozialstaat erlebt in der aktuellen Corona-Krise ein Comeback in der öffentlichen Wertschätzung. Fakt ist auch, die Pandemie wird genutzt, um geltende betriebsverfassungsrechtliche Regelungen und Tarifbestimmungen einzuschränken oder zu schleifen. Mit dieser Attacke auf die Verteilungsstrukturen, soll eine Verlagerung der Krisenkosten auf die Lohnabhängigen durchgesetzt werden.
Die Corona-Krise hat die sozialen Unterschiede verschärft und die Schieflage zwischen Kapital und Arbeit verstärkt.
Unverzichtbar ist eine breite Gegenwehr gegen Arbeitsplatzabbau verknüpft mit einer beschäftigungsstabilisierenden regionalen Struktur- und Wirtschaftspolitik sowie eine »progressive Sozialstaatspolitik als Teil einer sozial-ökologischen Transformationsstrategie«. Der dem Parteitag vorliegende Antrag knüpft an grundlegende Überlegungen des Erfurter Programms der Partei an. Allerdings werden die Konturen für die weitere Parteipolitik nicht zweifelsfrei geklärt. Die Forderung nach einem n Kurswechsel in der Sicherheits- und Außenpolitik und der Durchsetzung einer neuen Identität der Linkspartei sind kein Kompass in Krisenzeiten: die anstehenden Verteilungskämpfe um die Krisenkosten unterstreichen die bestehenden Klassenverhältnisse.
- Unterstellen wir einmal, der Kalte Krieg wurde 1990/91 beendet, so hebt diese Aussage nicht auf, dass seit dieser Zeit mehr als 100 heiße Kriege geführt wurden und noch immer heißer Krieg geführt wird. Es handelt sich um Kriege zwischen kapitalistischen Ländern für ein Bewahren und die Durchsetzung ihrer Interessen. Dabei treten verschiedene Gruppierungen in Erscheinung und als militärisches Bündnis mit allen Pflichten für steigende Aufrüstung, die NATO. Die Bestrebungen nach Hegemonie der USA sind weltweit mit ca. 1.000 militärischen Stützpunkten verbunden.
Die Klausel, dass die starke Bundesrepublik Verantwortung übernehmen müsse, ist letztlich auf die Vorherrschaft, besonders in der EU und ihrer militärischen Rolle gerichtet.
Wo Partnerschaft aufgehoben wird und Sanktionen verbreitet werden, wer Verträge, die dem Frieden dienen kündigt und Vertrauensbildung nicht mehr verfolgt, da erhält Harmonie in der Entwicklung der Weltlage keinen Raum.
Friedenspolitik vertreten durch DIE LINKE braucht eine Friedensbewegung und breites Auftreten für Abrüstung, ob im Parlament und durch außerparlamentarische Bewegung.
Der Widerspruch zwischen dem Leitantrag für Erfurt und der grundsätzlichen Erklärung zur Sicherheits- und Außenpolitik, die Gregor Gysi abgibt, muss konsequent und öffentlich aufgehoben werden. Dieser Weg zur politischen Anpassung für rot-rot-grün hebt Vertrauen und Glaubwürdigkeit in unserer Wählerschaft auf. - Die 30 Jahre nach dem Beitritt der DDR zum Grundgesetz der BRD werden im Bericht der Bundesregierung dem Parlament in Schönschrift vorgelegt, eine kritisch-konstruktive Wertung der Lage in Ostdeutschland findet damit nicht statt. Der Ältestenrat hatte schon im Herbst 2019 dazu beraten und empfohlen, eine ostdeutsche Zukunftskonzeption als Erklärung der Partei DIE LINKE vorzulegen. Viele Detailfragen wurden diskutiert, eine Treuhandausstellung mit Berichten von Betroffenen vorgestellt, Aktivitäten, die zu beachten sind. Für eine komplexe Veränderung reichen sie jedoch nicht aus.
Wenn wir in Brandenburg von rund 18 % auf 10 % bei den Landtagswahlen abgesunken sind, trotz oder weil wir an der Regierung beteiligt sind, sind das Alarmzeichen für eine gründliche Analyse der Ursachen dieser Niederlage. Was jedoch geschieht, ist eigene Lehren und Erfahrungen nicht zu ziehen – eine Missachtung. Nicht die Inhalte unserer Politik werden im Vorfeld des Parteitages im Lande diskutiert, sondern um die Plätze auf der Liste, für die noch nicht einmal genau festgelegte Bundestagswahl, gestritten.
Der Ältestenrat bittet den neuen Parteivorstand und die Historische Kommission sich gründlicher als bisher geschehen, mit der deutschen Nachkriegsgeschichte, den inneren Entwicklungen und den unterschiedlichen Lasten im geteilten Deutschland und den Schärfen eines Kalten Krieges zu beschäftigen. Wir unterstreichen nochmals die Notwendigkeit der Betrachtung einer deutschen Geschichte. - Die Kommunalwahlen in NRW haben uns ca. 25 % Verlust eingebracht.
Die parlamentarische Parteiendemokratie mit ständig wachsender Ansage zu ihrer Finanzierung, ob direkt an Parteien oder über ein Wachstum des Parlaments, steht mit den Wahlen 2021 vor einer eigenen Zäsur. Unsicherheiten und Unzufriedenheit wachsen in der bundesdeutschen und den Gesellschaften der Länder der Europäischen Union.
Welche Bündnisse oder Koalitionen möglich oder vertretbar sind, wird sich erst nach den Wahlen zeigen. Bleibt es bei der Große Koalition, weil die SPD sich weiter in Verantwortung sieht? Gibt es schwarz-grün, weil beide meinen sich am nächsten zu stehen? Wird das Streben nach rot-rot-grün, dem kleinsten Partner, der wir wohl wären, den größten Einfluss für einen Politikwechsel einräumen? Viele Fragen – welche Antworten können/wollen wir geben? In Verantwortung und mit Zuspruch breiter Wählerschichten sind wir für die Vertretung ihrer Interessen nach sozialer Gerechtigkeit und Frieden herausgefordert. Aus dieser Sicht und mit den eigenen und europäischen Erfahrungen sollten wir die eigenen Aussagen werten und auch prüfen. Eines ist klar – ein Modell mit ständiger Wiederholung gibt es nicht.
Die Aussage "30 Jahre Opposition sind genug" ist noch keine Politik - Wie erste Ergebnisse einer Neu-Mitgliederbefragung zeigen, sind etwa 50 Prozent der Mitglieder zwischen 3 bis 6 Jahren Mitglieder unserer Partei. Mit dieser Erneuerung konnten wir eine relative Stabilität der Mitgliedschaft um ca. 60.000 sichern. Mit ihrer Wortmeldung zum Parteitag, rufen uns die Genossen Klaus Ernst und Thomas Händel dazu auf, die Erfahrungen der Entwicklung der Partei, aus der Verschmelzung von WASG und PDS, für den Prozess der Stärkung und Verbreitung der Partei in den Ländern gründlicher zu beachten. Eine Aufforderung an den neuen Parteivorstand, die wir vom Ältestenrat unterstützen möchten.
Gefordert von unserer Partei sind klare Positionen des Antikapitalismus, ihr entschlossenes Eintreten als Friedenspartei, ihr Einsatz für soziale Gerechtigkeit und die Überwindung einer Anschlusspolitik 30 Jahre nach der Vereinigung.
Der Parteitag der Partei DIE LINKE 2020 steht vor den größten Herausforderungen der Zeit nach 1990/91. Wenn es uns gelingt, sich diesen Forderungen konstruktiv, schöpferisch und kritisch mit einer linkssozialistischen Orientierung zu stellen, könnte der Erfurter Parteitag, einen historischen Platz in der Geschichte unserer Partei einnehmen.