Zum Entwurf des Wahlprogramm 2021 der Partei DIE LINKE
Bemerkungen des Ältestenrates
Der Parteivorstand hat als politisches Führungsorgan der Partei dem Parteitag den Entwurf des Wahlprogramms vorgelegt. Der Ältestenrat ist laut Satzung aufgefordert, bei grundlegenden Problemen das Wort zu ergreifen und die Parteiorgane entsprechend zu beraten. In diesem Sinne möchten wir zu ausgewählten Problemen des Entwurfs des Wahlprogramms Stellung beziehen.
1. Das Jahr 2021 hebt sich durch einige Charakteristika aus dem sonstigen Strom des politischen Geschehens ab. Die Staaten sind infolge der globalen Corona-Pandemie mit extremem sozialem und wirtschaftlichem Leid konfrontiert. Dank der großen Innovationskraft werden im Laufe dieses Jahres Hunderte Millionen Menschen geimpft und die Volkswirtschaften werden dank der neuen Umstände die gravierenden Krisen hinter sich lassen und die gesellschaftlichen Reproduktionsprozesse wieder auf die Gestaltungen der gesellschaftlichen Zukunft ausrichten. Zusammen mit staatlichen Hilfsprogrammen führt dies wieder zu einer wirtschaftlichen Konsolidierung. Diese verbesserten Aussichten haben vor allem mit der Entwicklung in der VR China und den USA zu tun. China dürfte dieses Jahr im Wirtschaftswachstum um 8,4% zulegen, und hat die Krise aus wirtschaftlicher Sicht bereits 2020 hinter sich gelassen. Die USA sind das einzige große Industrieland, in welchem die Wirtschaftsleistung bald wieder das Vorkrisenniveau erreichen und übertreffen kann. Tempo und Ausmaß der wirtschaftlichen Erholung sind global höchst unterschiedlich verteilt – und die langfristigen Folgen erst recht. Zu den vielen Schäden, die Corona hervorgerufen hat, kommt nun auch noch eine wachsende sozial-ökonomische Spaltung hinzu. Auch innerhalb der Staaten sehen wir große Unterschiede zwischen Arm und Reich. Während reichere Bevölkerungsgruppen relativ glimpflich durch die Krise kämen, sind ärmere Gruppen besonders getroffen. Es wird Jahrzehnte in Anspruch nehmen, bis diese Entwicklungen aufgeholt sind.
2. Zugleich ist das Jahr 2021 für die Bundesrepublik Deutschland ein herausragendes Wahljahr. Die Bestimmung der politischen Kräfteverhältnisse fällt zusammen mit einer grundlegenden sozial-ökologischen Umbruchkonstellation. Zum politischen Einmaleins gehört: es geht angesichts der ökologischen Herausforderungen nicht um eine Rückkehr zur Normalität, sondern um eine umfassende Erneuerung der Produktionsweise. Wirtschaft und Gesellschaft befinden sich im >Westen< und damit auch der gesamten Europäischen Union in tiefen Krise. Nach den Landtagswahlen in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz, den Korruptionsaffären in der CDU/CSU, aber auch den Problemen in den Impfkampagnen, dem Hin und Her bei der Pandemiebekämpfung verliert die christliche Union in den Meinungsumfragen stark an Zustimmung. Angela Merkel hat 2005 die Regierungsgewalt in einer tiefen Krise mit fünf Millionen Arbeitslosen übernommen. Sie hat seit her das Land durch mehrere Krisen geführt und insgesamt eine widersprüchliche Modernisierung durchgesetzt. Jetzt tritt die Kanzlerin ab und hinterlässt das Land in einem neuen Krisenzustand, auch abgesehen von den Folgen der Corona-Krise. Nach 15 Jahren Merkel liegt vieles im Argen, vor allem in den sozialen Unterschieden, des gesellschaftliche Konsens und die Glaubwürdigkeit sowie das Vertrauen in die Politik.
Nach fast neun Jahren will die Linkspartei mit einer weiblichen Doppelspitze einen politischen Aufbruch durchsetzen. Neben den gesellschaftlichen Problemen besteht die Herausforderung darin, die unterschiedlichen Strömungen innerhalb der LINKEN zusammenzuführen.
3. Mehr als 30 Jahre nach der politischen Vereinigung unterscheiden sich die Gesellschaften und die Wahlbevölkerung von Ost und West noch immer erheblich. Nicht nur ist die Bevölkerung in Ostdeutschland sehr viel häufiger von Armut betroffen. Auch ist der Anteil der Wohlhabenden oder Reichen im Westen fast dreimal so hoch wie im Osten. Diese Unterschiede sind in den letzten Jahrzehnten weitgehend stabil geblieben. Was als Beitritt und Vereinigung gilt, ist bis heute durch eine Zweiheit in allen sozialen Beziehungen und der wirtschaftlichen Entwicklung geprägt. Die vielfältigen Ideen und Bekundungen stehen neben den Ursachen größerer Wahlniederlagen, wie z. B. in Brandenburg und Sachsen. Bei aller "Schönfärberei" in den Jahresberichten der Regierung zum Stand der deutschen Einheit wurden in den letzten Jahren mehr Rückstände, Fehlentwicklungen bis an die Grenze von Rechtsverletzungen aufgezeigt, die im Wahlprogramm nur unzureichende Beachtung finden.
Die Aufarbeitung der Aufarbeitung von Geschichte, Politik. Kultur und Friedensentwicklung wären zu prüfen und als Herausforderung zu sehen, der sich DIE LINKE stellen muss.
4. Die Probleme der Friedenssicherung und Abrüstung haben bereits grundsätzliche Debatten ausgelöst. Ein Klärungsprozess für klare und gemeinsame Positionen ist damit aber bisher noch nicht erreicht. Die Rolle Deutschlands in der NATO als Anfang für Vermittlung zu bewerten, geht an der Realität vorbei. Wenn 80 Jahre nach dem Überfall des faschistischen Deutschlands auf die Sowjetunion wieder deutsche Panzer an der Grenze Russlands mit einer "Bündnispflicht" der NATO stehen, kann von einem Vermittlungsauftrag wohl kaum eine Rede sein. So bleibt kaum noch ein Hauch vom Profil der Partei für Frieden und soziale Gerechtigkeit. Die globale Welt braucht eine ausgewogene Balance für ein friedliches Zusammenleben und die wird nicht durch eine neue Hegemonie der USA und Treue der BRD zur Politik der USA erreicht.
5. Die Wahlen 2021 rütteln zudem an einem Grundverständnis der Partei. DIE LINKE will mitregieren, weil sie für einen Politikwechsel steht. Bislang gibt es keine belastbare innerparteiliche Debatte über inhaltliche Zielvorstellungen und Partner eines Parteien- und Regierungsbündnisses. Wie zwei Krisen, die Finanzkrise 2008/2009 und die Corona-Pandemie belegen, ist ein gemeinsames Verständnis über staatliche Interventionen unverzichtbar und über die Dimensionen des Umbaus von staatlichen Strukturen. Als Kanzler Kohl von blühenden Landschaften sprach, verwies er auf den Markt, der die unterschiedlichen Entwicklungsniveaus zum Guten richten sollte. Als Merkel davon sprach, dass wir über unsere Verhältnisse gelebt hätten und wir den Gürtel enger schnallen müssten, meinte sie aber nicht Kapital und Markt sondern die Einschränkungen der Krisen müssten sich auf die Einkommensverhältnisse, den Umfang und die Kosten der Daseinsfürsorge sowie in den sozialen Leistungen niederschlagen. Das immer wieder proklamierte Parteienbündnis Grün-Rot-Rot signalisiert einen Politikwechsel, aber die Schritte des Umbaus der gesellschaftlichen Verhältnisse bleiben vage. Die Grünen stehen mit ihrem Drang zur Mitte und der Kanzlerschaft für Grün-Schwarz bereit. Politische Parolen ohne tiefe Gesellschaftsanalyse können verhängnisvoll für unseren Wahlkampf sein.
Der Wahlkampf gibt weder Zeit noch Raum für die immer noch ausstehende offene Frage zur Klärung der Strategie der Partei als sozialistische LINKE in der Gesellschaft. Die Zeit nach der Corona-Krise erfordert die Bestimmung des Profils der Partei und ihrer künftigen Entwicklung heraus.
6. Der eigentliche Wahlkampf hat noch nicht begonnen. Noch wird in den Parteien des Bundestages um eigenes Profil und Kandidaturen gestritten. Die Länderlisten und Kandidaturen für die Landtage zeigen oft Aussagen, die wohl wie bisher noch nie, Zweifel an der Politik und dem Profil der Parteien bedienen. Ein Prozess, den DIE LINKE bisher auch noch nicht ausgestanden hat. Manchmal verdeckt und oft auch nicht ganz offen wird das Ziel der Wahl nur auf die Bildung einer Regierungskoalition ausgerichtet. Eine der Ursachen aus Wahlniederlagen war das Fehlen einer "roten Linie", wenn es um den Erhalt einer Koalition ging. Für die Wählerschaft gibt es diese "rote Linie" bei der Abgabe einer Stimme oft auch. Die Grenzen einer Anpassung für Zugeständnisse schon mit der Wahl zu verbinden, wird Zweifel aber keine Zustimmung der Wählerschaft auslösen. Klarer und manchmal deutlicher abgehoben von anderen Parteien, braucht die Wählerschaft eine Aussage der LINKEN über die Interessen, die sie für ihre Wählerschaft mit der Politik, die sie betreiben wird, vertreten will. Der große Hauch klingt nicht nach Klassenpolitik, von der schon einmal die Rede war, sondern mehr nach Anpassung als von Linksanspruch.
7. Die Wählerschaft wählt eine Partei sowie eine bekannte Programmatik und nicht die vielen Meinungen in einer Partei. Wer es selbst erprobt hat sollte wissen, Jahrzehnte im Parlament zu verbringen vermittelt in vielfältiger Weise eine Menge an Erfahrungen. Ob auch Sachkenntnis und Kompetenz ist eine andere Sache. Die Wahlen 2021 bringen ihrem Wesen nach eine zweite Zäsur in der deutschen und europäischen Nachkriegsgeschichte. Es geht dabei nicht nur um die Corona-Pandemie, die die gesamte globale Welt erfasst hat, es geht auch um das Verhältnis zum Überfall des faschistischen Deutschlands auf die Sowjetunion, zur Befreiung vom Faschismus 1945, um eine Zukunft in Frieden und Sicherheit. Es geht darum, ob Deutschland gegenüber Russland aus einer Position der Stärke oder der Vertrauensbildung auftreten will.
Auch die 30 Jahre nach 1990 stehen auf dem Prüfstand der Geschichte. Die Landtagswahlen in Deutschland werden sich dem nicht entziehen können. DIE LINKE muss ihre Versäumnisse bei der Interessenvertretung kritisch und konstruktiv überprüfen, wenn sie die Niederlagen in Ostdeutschland überwinden will.
8. Der Ältestenrat hat mit seinem Appell für Frieden und Mahnung Zustimmung gefunden. Die Ablehnung des Antrags der Fraktion DIE LINKE den 80. Jahrestag des Überfalls auf die Sowjetunion im Deutschen Bundestag, durch den Bundestagspräsidenten, Wolfgang Schäuble, zu gedenken, unterstreicht nachdrücklich die Bedeutung unseres Antrages. Wir werden bemüht sein, an den Herausforderungen aus diesem Appell mitzuwirken.