Zur Griechenland-Krise
Ein Diskussionspapier von Gretchen Binus
Der Ältestenrat ist in seinen Dokumenten vom Dezember 2014 und März 2015 auf die neuen Herausforderungen für die DIE LINKE und auf grundlegende Fragen linker Strategien eingegangen. Und sehen wir uns die heutige Welt genauer an, so ist das sicher nicht einfach, hier auch Schwerpunkte zur Strategiefindung zu setzen.
Gegenwärtig aber ist die Friedensbedrohung in Europa von einer ganz besonderen Tragweite für die Menschen. Sie gilt es sichtbar zu machen, stärker in das Bewusstsein der Menschen zu bringen, vor allem weil sie als Knotenpunkt mit anderen Entwicklungsprozessen im engen Kontext steht.
Die zwischenstaatlichen Auseinandersetzungen und der Ukraine-Krieg machen deutlich, dass solche Regionen auf diesem Kontinent wie Mittelosteuropa und Südosteuropa als geographischer Austragungsort imperialer Machtansprüche eine immer größere Rolle spielen. Und selbst in dem kapitaldominierten EU-Gebilde mehren sich die Diskrepanzen zwischen den Staaten. So ist Griechenland gegenwärtig zu einem Schwerpunkt in den politischen und zwischenstaatlichen Rangeleien der EU-Länder geworden.
Die seit Jahren schwelende Griechenland-Krise hat in der Öffentlichkeit eine riesige Aufmerksamkeit hervorgerufen. Das Gefährliche daran ist, dass sie mit einer medialen Radikalisierung und Hetze gegen die griechische Linksregierung und die griechische Bevölkerung verbunden ist. Besonders deutlich wurde das nach dem überzeugenden Ergebnis des Referendums in Griechenland gegen die EU-Sparpolitik am 5.Juli und an dem Gerangel auf der institutionellen Ebene der EU um ein neues Kreditprogramm für dieses Land. In der Süddeutschen Zeitung vom 7.7.2015 würdigte der Generalsekretär des ZK der Linkspartei SYRIZA, Tasos Koronakis, den Erfolg des Referendums mit dem Satz: "Das Nein-Votum ist die größte politische Entwicklung seit dem Fall der Berliner Mauer".
Diese Einschätzung war übersteigert und voreilig, auch wenn das NEIN einer so klaren Mehrheit der Griechen gegen die EU-Austeritätspolitik eine besondere symbolische Bedeutung für den Kampf gegen die vielzitierte Alternativlosigkeit kapitalistischer Wirtschaftspolitik und den damit verbundenen Versuchen hat, linke soziale Bestrebungen niederzuwalzen. Die Erpressungspolitik der EU-Machteliten hat eine Woche später klar gesiegt und setzt sich fort. Der Traum von einem sozialen Europa auf einer vom Großkapital beherrschten sozialökonomischen Grundstruktur ist verflogen. Und ob der Ausgang der Verhandlungen der Institutionen in Brüssel Anlass ist, dass die Linken in Europa nun stärker zu gemeinsamen, solidarischen Aktionen kommen, bleibt offen.
Über zwei Probleme sollte in unserer Partei Klarheit gewonnen werden:
1. Was verdeutlicht diese Griechenland-Krise?
Sie ist nicht nur eine ökonomische, eine Staatsschuldenkrise, die aufgrund verschärfter Konkurrenzbedingungen zwischen den Staaten innerhalb der EU, des Agierens mächtiger Konzerne und Finanzakteure sowie auf Basis von Manipulationen und Korruption entstanden und gewachsen ist. Sie ist vor allem auch Ausdruck für den vom Finanzkapital dominierten sozialökonomischen Charakter der EU. Diese "Werte-Gemeinschaft" mit ihren inneren Interessengegensätzen ist Teil der sich verändernden Kräfteverhältnisse in der Welt und damit auch ein Faktor in geopolitischer und geostrategischer Hinsicht. Ihre Bestrebungen nach politischer Eigenständigkeit in der Weltpolitik, getragen von einem "Kerneuropa" unter der Dominanz Deutschlands, lassen alternative linke Bewegungen nicht zu.
Griechenland hat gerade unter den Mittelmeeranrainerstaaten durch seine räumliche Lage nicht nur für die Expansionsstrategien der transnationalen Konzerne und für die "sicherheitspolitischen Ambitionen" der EU ein besonderes Gewicht. Als Markt und bedeutender Vorposten der NATO in Südosteuropa ist Griechenland in den sich zuspitzenden Auseinandersetzungen zwischen den USA und Russland von besonderer Relevanz.
Das drückt sich auch darin aus, dass Griechenland größter europäischer Rüstungsimporteur ist und einen im Vergleich zur Bevölkerungszahl rund doppelt so hohen Rüstungshaushalt hat wie die anderen Mitglieder der EU. Die Militärausgaben haben einen Anteil von 40 Milliarden an den Schulden von rund 320 Milliarden Euro.
Die Diskussion der EU-Eliten um einen GREXIT oder EU-Austritt Griechenlands waren unter diesem Aspekt deshalb ein Scheingefecht.
2. Welche Anforderungen ergeben sich daraus für die politische Strategie der LINKEN?
Die Schuldenkrise ist nicht der griechischen Bevölkerung oder der seit Anfang dieses Jahres regierenden Linksregierung anzulasten. Es waren die Aktivitäten mächtiger Konzerne und Finanzakteure seit dem Beitritt Griechenlands zur EU im Jahre1981 und der von der Finanzkrise verschärften Staatsverschuldung. Bis 1993 wuchsen die öffentlichen Schulden von 25 auf 91 Prozent zum BIP und allein in den Jahren 2007 bis 2009 auf 127 Prozent an. Die Hilfen der Troika seit Mai 2010 zum Schuldenabbau waren mit einem Strukturranpassungsprogramm verbunden, für das diese Institutionen die Bedingungen gesetzt haben, wie Ausgabenkürzungen, Beschäftigungsabbau im öffentlichen Dienst, Deregulierungen und Privatisierungen. Das zog bekanntlich katastrophale Folgen nach sich, die sich bis heute durch den Druck der Institutionen noch verschärft haben. Mit dem neuen Kreditprogramm wird sich diese Situation nicht verändern und die Unternehmer-Lobby setzen über ihre Verbände die Bedingungen für die weitere Kapitalisierung des Staatseigentums.
Den Gläubigern des Landes ist es letztlich gelungen, die Linkregierung in die Knie zu zwingen und sie in das neoliberale System zu integrieren.
Deshalb muss eine Positionierung unserer Partei gegen eine solche Erpressungspolitik, die zu extremer Armut und hoher Arbeitslosigkeit in Griechenland geführt haben, von einer Stärkung der internationalen Solidarität ausgehen. Das betrifft nicht nur den weiteren Kampf gegen die zum Gesetz erhobene Austeritätspolitik und für eine Umverteilungspolitik zu Lasten der Reichen.
Generelle Überlegungen sind notwendig, wie die internationale Solidarität und die Entwicklung einer breiten internationalen Bewegung unter den heutigen Bedingungen der Weltlage überhaupt zu gestalten und zu koordinieren ist. Dazu zählt das Aufeinanderzugehen auf linke Parteien mit anderen Vorstellungen über die Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse, die Aktivierung und Organisierung von Kontakten über die Grenzen hinweg, um die linke Bewegung zu stärken.
Letztlich setzt das alles voraus, den Stellenwert der internationalen Situation in der Politik der Partei stärker in den Vordergrund zu rücken, das sich wandelnde Kräfteverhältnis zwischen den Zentren und Staaten zu erkennen, den größeren Einfluss internationaler Entwicklungen auf innenpolitische Prozesse deutlicher zu machen. Es geht um geeignete und machbare Alternativen zur Überwindung des "Raubtierkapitalismus", aktuell aber darum, dass die Entwicklung friedlich bleibt.