Gegen rechte Netzwerke, institutionellen Rassismus und andere gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit. Die Polizei demokratisieren!
Beschluss des Bundesausschusses vom 7. Mai 2021
Wir brauchen einen sicherheitspolitischen Paradigmenwechsel: Sicherheit gibt es nicht durch eine weitere Kriminalisierung sozialer Konflikte und die Aufrüstung von Polizei und Geheimdiensten. Im Gegenteil: Es braucht soziale Sicherheit, d.h. mehr Geld für Bildung, soziale Dienste, Jugendzentren und vieles mehr von dem, was die Gesellschaft im Alltag verbindet und zusammenhält. Wir wollen daher staatliche Gewalt als Mittel zur Konfliktlösung langfristig zurückdrängen und durch zivilgesellschaftliche Prävention und Kooperation ersetzen. Polizei und anderer Sicherheitsbehörden müssen besser kontrolliert und demokratisiert werden.
Im demokratischen Rechtsstaat ist die Polizei kein universelles Mittel zur Durchsetzung staatlicher Ordnung, sondern klar auf die Kernaufgaben der Abwehr konkreter Gefahren und der Straftatenbekämpfung unter strikter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes beschränkt. Orientierung an Verhältnismäßigkeit bedeutet daher auch, dass Bagatelldelikte endlich entkriminalisiert werden müssen, was insbesondere Schwarzfahren, Containern (TÜ: G.02.13.1) und opferlose Vergehen wie Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz oder »illegale Einreise« betrifft.
Neben einer grundlegenden Aufgabenstraffung braucht die Polizei künftig ein modernes, demokratisches und menschenrechtsorientiertes Leitbild, das auf den Grundlagen von Verhältnismäßigkeit, Deeskalation und mit dem Fokus auf demokratische Kontrolle der Exekutive auf der Gewaltenteilung aufbaut.
Auch Polizisten brauchen eine gute und moderne Ausbildung, eine ausreichende Ausstattung zur Eigensicherung und ein gutes Gehalt, das ihnen einen ausreichenden Lebensstandard entsprechend ihrer Aufgabenstellung sichert. Zudem benötigen wir eine moderne Personalmitbestimmung für die Polizei.
Rassismus und Diskriminierung sind für viele Menschen eine leidvolle Erfahrung, eine die sie immer wieder machen müssen. Nicht nur auf der Straße und im Alltag, sondern innerhalb von staatlichen Institutionen und Behörden, auch mit der Polizei. Der rechtsterroristische Anschlag in Hanau hat das Land erschüttert, die Ermittlungsbehörden scheinen seltsam wenig irritiert. Die Morde des NSU und die Verstrickungen von Ermittlungsbehörden und Verfassungsschutz sind immer noch nicht aufgeklärt. Mit Informationen aus dem Polizeiapparat bedroht ein »NSU 2.0« antirassistisch Aktive. Bei der Polizei häufen sich scheinbar die extrem rechten Verdachtsfälle. Die dokumentierten Fälle von Diskriminierung durch die Polizei haben sich 2019 verdoppelt. Jedes Jahr gibt es zahlreiche Fälle von rechtswidriger Polizeigewalt, für die sich niemand verantworten muss (vgl. Republikanischer Anwaltsverein, 1600 Anzeigen pro Jahr). Eine strafrechtliche Verfolgung von Polizeigewalt findet kaum statt. Polizeiliche Übergriffe werden nicht nur selten angezeigt. Sie werden auch selten angeklagt – in 93 bis 98 Prozent der Fälle stellt die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein (KVIAPOL-Zwischenbericht, 17.9.2019).
Die Polizei ist unter den gesetzlichen Voraussetzungen berechtigt, Gewalt in Form unmittelbaren Zwangs einzusetzen. Dass es hierbei zu Grenzüberschreitungen kommen kann, ist aus strukturellen und psychologischen Gründen polizeilicher Alltag.
Die Polizeigesetze der letzten Jahre der Bundesländer, die die Polizei mit immer mehr Befugnissen ausgestattet haben, müssen zurückgenommen werden. Die Ausübung des staatlichen Gewaltmonopols muss kontrolliert werden. Findet das nicht statt, werden die Betroffenen gegenüber einem Missbrauch des Gewaltmonopols häufig rechtlos gestellt. Sie stehen einem Apparat gegenüber, der mit umfangreichen Eingriffsbefugnissen ausgestattet und in der Lage ist, die Ahndung solcher Übergriffe zu verhindern oder zumindest zu erschweren.
Insbesondere bei den geschlossenen Einheiten der Bereitschaftspolizei, die zur Durchsetzung von Maßnahmen insbesondere gegen größere Personengruppen ausgebildet werden, sind Grenzüberschreitungen auch Einsatzmittel und in gewissem Maße politisch instrumentalisierbar. Vielfach werden Überwältigungs- und Dominanzstrategien angewandt, die einer demokratisch verfassten Gesellschaft und ihrer Polizei widersprechen. So entsteht eine Polizeikultur, in der die einmal gelernten rechtlichen Eingriffsvoraussetzungen von intern geltenden Normen überlagert werden, die missbräuchliche Gewaltanwendung gestatten. Hier brauchte es ein Umsteuern!
Ein wichtiges Element des Umsteuerns ist die Stärkung der Versammlungsfreiheit, wie von Rot-Rot-Grün in Berlin auf den Weg gebracht, d.h. eine grundrechtsfreundliche Modernisierung des Versammlungsrechts u.a. durch Festlegung der Polizei auf Deeskalationsstrategien, durch Beschränkung der polizeilichen Eingriffsbefugnisse und Verzicht auf Straftatbestände in den Versammlungsgesetzen.
Die Berichte von Todesfällen in behördlichem Gewahrsam sind alarmierend. All das sind längst mehr als nur »Einzelfälle«. Das Problem hat System, wie die systematische Verleugnung und Verniedlichung der Problematik oder die Dämonisierung jedweder Kritik belegen. Der Rassismus steckt in den Strukturen. Es ist kein »Minderheiten-Thema«. Diese Strukturen müssen verändert werden. Das beginnt damit, dass die Probleme anerkannt und nicht geleugnet oder auf rein individuelles Fehlverhalten zurückgeführt werden.
Auch für die Polizisten, die rechtsstaatlich handeln und sich dem Schutz aller Menschen verpflichtet fühlen – gerade für sie müssen die Strukturen so verändert werden, dass alle diesem Anspruch gerecht werden. Auch für sie muss die Kultur der Polizei verändert werden. Eine erhebliche Verringerung polizeilicher Übergriffe ist nur durch einen Wandel des polizeilichen Selbstverständnisses, von Einsatzformen und Polizeikultur zu erreichen.
Die Proteste gegen diese Zustände nehmen zu. DIE LINKE steht an der Seite von allen, die gegen Polizeigewalt, Rassismus, für Frieden (Ü G.02.68.1) und für gleiche Rechte einstehen. Wir zeigen klare Kante gegen rechts, Solidarität mit den Opfern rassistischer Gewalt und treten für den Ausbau von Grundrechten und Demokratie ein. Die Bewegungen gegen Rassismus, #blacklivesmatter, die migrantischen Initiativen und Verbände und deren alltägliche Unterstützung von Geflüchteten sind unsere Verbündeten und Hoffnung. Eine gründliche Aufklärung darüber, wie rechte Kreise staatliche Strukturen infiltrieren und missbrauchen, ist nötig.
Wir fordern:
- die Einrichtung von unabhängigen Beschwerdestellen gegen Polizeigewalt. Wirksame Kontrolle kann nur durch eine unabhängige Instanz erfolgen. Sie erfordert einen polizeikritischen Blick, eine institutionelle Unabhängigkeit von Polizei und Innenverwaltung sowie eine hinreichende Ausstattung mit Befugnissen und Ressourcen. Zur Aufklärung sollen Einsatzprotokolle und Polizeivideos bei Treuhandstellen aufbewahrt werden.
- Eine individuelle Kennzeichnungspflicht muss sofort und überall eingeführt werden. Es muss selbstverständlich werden, dass Polizeibeamte den Bürgern individualisierbar gegenübertreten.
- ein bundesweit wirksames Antidiskriminierungsrecht, das sich am Berliner Antidiskriminierungsgesetz orientiert.
- eine rechtliche Klarstellung, die dazu führt, dass das faktisch stattfindende Racial Profiling verboten wird. Zudem muss die Konstruktion von »gefährlichen Orten« und den damit in Zusammenhang stehenden verdachtsunabhängigen Kontrollen auf der Basis von Gummiparagraphen wie »grenzpolizeilicher Erfahrungen« in § 22 BPolG gestrichen werden. Der Begriff der Rasse muss aus allen Polizeigesetzen gestrichen werden.
- Der Einsatz von verdeckten Ermittlern und V-Leuten durch Polizei in politischen Szenen muss sofort beendet werden.
- Polizisten, denen rassistisches, sexistisches oder homophobes Verhalten nachgewiesen wird, müssen konsequent disziplinarisch verfolgt werden, ggf. bis hin zur Entlassung aus dem Dienst.
- Die fortschreitende Militarisierung der Polizei, ihre zunehmend flächendeckende Ausstattung mit Kriegswaffen und mit »weniger tödlichen Waffen« wie z.B. Taser, den Einsatz von Gummigeschossen oder bewaffnetem SEK gegen Demonstrationen lehnen wir ab.
- Die Ausbildung muss sich ändern. Die strenge Separierung in der Ausbildung muss zurückgefahren werden. So sollte beispielsweise die Polizeiausbildung des gehobenen Dienstes überwiegend in den allgemeinen Hochschulen und Universitäten erfolgen. Es braucht mehr kritische Polizeiforschung und Lehre, sowie eine fortdauernde Evaluation polizeilichen Handelns und der Arbeitssituation der Beamten.
- Einrichtung verbindlicher Unterstützungsangebote wie Supervisionen, Fortbildungen zu Diversität und diskriminierungsfreiem Verhalten sowie psychologische Betreuung, um Beamten bei der Bewältigung der praktischen Erfahrungen (sogenannter Praxisschock) zu unterstützen und um das Erlernen bzw. Verfestigen diskriminierender Einstellungen zu verhindern.
- In der Polizei im Allgemeinen und insbesondere bei Beamten der geschlossenen Einheiten wie SEK und BFE muss unter Beachtung der einseitigen subjektiven Diensterlebnisse kontinuierlich menschenfeindlichen Einstellungen entgegengewirkt werden. Da dies in der Vergangenheit völlig unzureichend erfolgte, müssen bereits verfestigte menschenfeindliche Einstellungen mit Hilfe von Studien festgestellt, ehrlich eingestanden und durch geeignete Maßnahmen bekämpft werden. Die Beamten in den geschlossenen Einheiten sollen rotieren, um die Herausbildung von Korpsgeist zu erschweren. Insgesamt wollen wir weniger geschlossene Einheiten und stattdessen eine bürgernahe Polizei.