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Bonner Parteitag

Für eine starke Linke in ganz Europa!

Rede von Bernd Riexinger, Vorsitzender der Partei DIE LINKE

Es gilt das gesprochene Wort!

Bei den Wahlen zum Europäischen Parlament steht viel auf dem Spiel. Es geht um eine Richtungsentscheidung. Werden Merkel, Macron und Junker bestätigt, die verantwortlich sind für ein Europa der sozialen Spaltung? Ein Europa, in dem Wettbewerb, Profit und Konzerninteressen mehr zählen als die sozialen Interessen der Vielen, die jeden Tag arbeiten, um über die Runden zu kommen?

Oder kommt es zu einem Rechtsruck. Werden LePen, Orban, Kurz, Salvini oder die AfD gestärkt und damit ihr Kurs einer migrationsfeindlichen und zugleich unsozialen Politik.

Oder gibt es eine starke Linke, die den klaren Gegenpool zu beidem bildet. Wir stehen für internationale Solidarität und für ein soziales Europa. Wir, liebe Genossinnen und Genossen ergreifen Partei: Für alle, die für bessere Arbeits- und Lebensbedingungen kämpfen. Für alle, die nicht ertragen, dass Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken. Für alle, die nicht länger akzeptieren wollen, dass Profitgier die Umwelt und das Klima zerstört. Für alle, die dagegen kämpfen, dass mit Wohnen, Wasser, Gesundheit und Pflege spekuliert wird.

Gerade in dieser Zeit brauchen wir eine starke Linke, die dem Europa der Banken und Konzerne den Kampf ansagt. Die Hoffnungsträger ist für alle, die für ein soziales, gerechtes, friedliches und demokratisches Europa stehen. Wir wollen die politischen Kräfteverhältnisse nach links rücken, liebe Genossinnen und Genossen.

Es gibt Leute in Europa, die wir nicht vertreten wollen. Einer davon ist Michael O`Leary, der Firmenboss von Ryanair. An der Billig-Fluglinie mit fast 90 Standorten hält er Aktien von rund 1 Milliarde Euro. Er kann sicher sein, dass Ryanair in der Steueroase Irland auch weiterhin kaum Steuern auf den Jahresgewinn von ebenfalls 1 Milliarde Euro bezahlen muss.

Und es gibt Menschen, die wir unbedingt vertreten wollen. Zum Beispiel Antonia Buttolo. Sie lebt in Frankfurt am Main. Ihren Lebensunterhalt verdient sie als Flugbegleiterin bei Ryanair. Von den weniger als 20.000 Euro brutto im Jahr muss sie ihre Krankenversicherung selbst bezahlen, Anspruch auf bezahlten Urlaub hat sie nicht. Ihr Arbeitsvertrag ist befristet. Wer bei Ryanair aufmuckt, fliegt raus. 

Antonias Kolleginnen und Kollegen stammen aus unterschiedlichen Ländern. Hier wird jeden Tag miteinander gelebt. Und miteinander hart gearbeitet. Gewerkschaften und Betriebsräte gab es bis vor kurzem nicht. O`Leary sagte ein Mal: Eher friere die Hölle ein, als dass Ryanair mit Gewerkschaften verhandelt. Aber er hatte die Rechnung ohne Antonia und ihre Kolleginnen und Kollegen gemacht.

Im letzten Sommer legten sie, organisiert von ihren Gewerkschaften, die Arbeit nieder. Gleichzeitig in Belgien, Schweden und Deutschland, über Landesgrenzen und Sprachbarrieren hinweg. Ein erster europäischer Streik seit vielen Jahren! Und sie zwangen einen internationalen Konzern in die Knie! Sie haben gegen O`Leary kräftige Lohnsteigerungen erkämpft. Sie können auch dank unserer Unterstützung einen Betriebsrat bilden.

Streiks bei Ryanair oder bei Amazon an verschiedenen europäischen Standorten sind Arbeitskämpfe eines neuen Zeitalters. Die Beschäftigten von Ryanair und Amazon machen klar: Gegen grenzenlose Ausbeutung großer Konzerne hilft nur grenzenlose internationale Solidarität. Wenn das Europa der Konzerne mit dem Europa der Lohnabhängigen ringt, stehen wir solidarisch und sichtbar an der Seite von Antonia und ihren Kolleginnen und Kollegen.

Wir setzen uns für ein Europa ein, in dem die Würde, das Leben und die Interessen der Millionen Lohnabhängigen an erster Stelle stehen. Löhne, von denen alle leben können, und Arbeitszeiten, die zum Leben passen. Das sind unsere Maßstäbe für ein soziales Europa. Wir kämpfen dafür, dass sich die Bosse nicht länger aus den Tarifverträgen davon stehlen können. Wir wollen das Lohndumping nach unten beenden und für europäische Mindestlöhne sorgen. Wir wollen die Rechte der Gewerkschaften stärken, damit die Beschäftigten nicht mit Standortentscheidungen erpresst werden können. Wir nehmen nicht hin, dass Frauen in Europa 16 Prozent weniger verdienen als Männer – in Deutschland sind es 21 Prozent. Soziale Arbeit muss endlich besser bezahlt werden. Gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit: Darum kämpft die Arbeiterinnenbewegung seit über 100 Jahren. Gemeinsam mit den streikenden Kolleginnen und den europäischen Frauenbewegungen führen wir diesen Kampf weiter!

Liebe Genossinnen und Genossen! Man kann in Deutschland und auch in anderen europäischen Ländern schnell kriminalisiert werden und ins Gefängnis kommen. Zum Beispiel wenn du zu oft beim Schwarz fahren erwischt wirst, weil du die Monatskarte nicht bezahlen kannst. Aber nicht, wenn du reich bist, ein großer Konzern oder eine Bank und die Gesellschaft beim Steuerzahlen betrügst. Niemand, der die Gesellschaft mit Cum-ex oder Cum-Cum-ex Geschäften um Milliarden geprellt hat, wurde angeklagt oder muss auch nur befürchten, im Gefängnis zu landen.

Es ist völlig normal, dass Unternehmen fast nirgendwo in Europa die Steuersätze bezahlen, die gelten. In Deutschland zahlen sie statt 30 lediglich 20 Prozent, in den Niederlanden gerade mal 10 Prozent und in Luxemburg lächerliche 2 Prozent. Wer will, dass mehr Geld für Bildung, Erziehung und Gesundheit da ist, muss dafür sorgen, dass die Konzerne in Europa ordentlich Steuern bezahlen. Schluss mit dem Steuerwettbewerb nach unten. Wir wollen die Steueroasen trocken legen. Der organisierte Steuerbetrug muss endlich aufhören. Ich bin dafür, den Banken, die mehr als zweimal bei der Beihilfe zum Steuerbetrug erwischt werden, die Lizenz zu entziehen!

Liebe Genossinnen und Genossen! Die EU steckt in der Krise fest. Brexit, Handelskrieg mit den USA, die Kluft zwischen wirtschaftlich starken und schwächeren Ländern wächst, die Gefahr der nächsten Bankenkrise wird größer. Vom "Aufbruch Europa", den die Bundesregierung im Koalitionsvertrag angekündigt hat, ist nichts zu spüren.

Dabei ist es gerade die Regierung in Deutschland, die die Krise in Europa verschärft. Sie verteidigt mit Zähnen und Klauen das deutsche Exportmodell. Die deutschen DAX-Konzerne und die Arbeitgeberverbände feiern jedes Jahr die "Exportweltmeisterschaft". Das nutzt vor allem ihnen.

Bei fast der Hälfte der Menschen ist jedoch der Aufschwung der letzten Jahre gar nicht angekommen. Ich finde: Wir müssen endlich Weltmeister beim gesetzlichen Mindestlohn werden! Das nützt den Menschen hier und den Menschen in den anderen europäischen Ländern. Gerade die Regierung in Deutschland setzt rigoros die Austeritätspolitik durch. Deutschland verhindert eine Sozialunion. Da nützen alle Sonntagsreden für ein geeintes Europa nichts. Wer derart rücksichtslos mit den Interessen der Mehrheit der Menschen in Europa umgeht, führt Europa nicht zusammen, sondern treibt es auseinander.

Wer das nicht will, muss eine andere, linke Wirtschaftspolitik machen. Die Löhne erhöhen. Statt Schuldenbremse 500 Milliarden in Bildung, Erziehung, sozialen Wohnungsbau und öffentliche Infrastruktur investieren. Statt Armut und Ausgrenzung brauchen wir soziale Garantien für alle Menschen in Europa. Den Wohlstand der Mehrheit der Menschen verbessern, der jungen Generation eine Zukunftsperspektive geben, die Kluft zwischen arm und reich schließen. Das ist die Politik der Linken in Europa!

Liebe Genossinnen und Genossen! Die vorherrschende Politik der EU kümmert sich mehr um das Wohl der Vermögensbesitzer und Einkommensmillionäre als um das der Mehrheit der Menschen. Nirgendwo wird das deutlicher als beim Wohnen. Egal ob in Paris, Brüssel oder Berlin. Überall das gleiche Bild. Die Mieten schießen durch die Decke. Die Immobilienspekulanten feiern eine Party nach der anderen. Reiche und Vermögende kaufen sich Luxuswohnungen in den Stadtzentren und Villenvierteln, in denen sie meist nur wenige Tage im Jahr wohnen, während gleichzeitig Zigtausende von Menschen aus ihren Wohnungen vertrieben werden, weil sie ihre Miete nicht mehr bezahlen können. Das Grundbedürfnis Wohnen mutiert zum Luxusgut und Spekulationsobjekt. Selbst Altenheime sind vor den Renditejägern nicht sicher. Damit muss Schluss sein!

Wir kämpfen für bezahlbare Wohnungen. Für den Ausbau des sozialen Wohnungsbaus in kommunaler oder genossenschaftlicher Hand in ganz Europa. Wien macht es vor. 60 Prozent der Wohnungen sind öffentliches Eigentum. Der durchschnittliche Quadratmeterpreis beträgt 5 Euro und das in einer Weltstadt. Wer bezahlbaren Wohnraum für alle will, muss die Eigentumsfrage stellen. 55 Prozent der Berlinerinnen und Berliner sind dafür. Wir auch. Die großen Immobilienkonzerne gehören enteignet! Deshalb unterstützen wir die Recht-auf-Stadt-Bewegung, die Initiativen "Deutsche Wohnen und Vonovia enteignen". Die Städte und Kommunen müssen denen gehören, die darin leben. Diese Bewegungen sind die Hoffnung für ein anderes Europa!

Hoffnung für ein anderes Europa kommt auch von den Zehntausenden Schülerinnen und Schülern, die europaweit für Klimaschutz streiken! Greta Thunberg ist ihr Vorbild geworden: "Es hat den Anschein, dass Geld und Wachstum unsere einzige Sinnerfüllung sind." Das sagt eine 16-Jährige zu den Konzernchefs beim Weltwirtschaftsforum in Davos. Sie sagt weiter: "Ich will, dass ihr die Angst spürt, die ich jeden Tag spüre."


Die Klimafrage macht nicht an den Grenzen halt. Klimaschutz ist eine europäische und internationale Aufgabe, die keinen Aufschub mehr duldet. Wer das Klima schützen will, muss schneller raus aus der Kohle und den Menschen in den Kohleregionen die Zukunft sichern. Muss den kriminellen Manipulationen der Automobilindustrie den Kampf ansagen und den Beschäftigten wirkliche Perspektiven geben. Wer das Klima retten will, darf nicht dulden, dass die Bahn eine profitorientierte Aktiengesellschaft ist. Mobilität ist eine öffentliche Aufgabe! Die Bahn muss in ganz Europa ausgebaut werden. Und die Ticketpreise müssen fallen!

Den Schülerinnen und Schülern, die auf die Straße gehen, ist bewusst: Unsere wachstums- und profitorientierte Wirtschaftsweise zerstört ihre eigenen Grundlagen.

Wir brauchen einen radikalen sozial-ökologischen Umbau der Wirtschafts- und Lebensweise. Naomi Klein hat Recht: Klima oder Kapitalismus – wir müssen uns entscheiden! DIE LINKE hat sich entschieden: Für ein Klima der Gerechtigkeit statt Wachstum der Profite!

Liebe Genossinnen und Genossen! Es wurde ja schon oft hier erwähnt: Trump hat den INF-Vertrag gekündigt. Er provoziert eine lebensgefährliche atomare Rüstungsspirale. Merkel gibt ihm irgendwie recht, will trotzdem verhandeln und Maas ist mal wieder schwankendes Rohr im Wind. Darauf kann es doch nur eine Antwort geben: Dieser Wahnsinn muss sofort gestoppt werden!

Erinnern wir uns. Schon einmal haben Anfang der 80er Jahre 500000 Menschen im Bonner Hofgarten gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen demonstriert. Heute ist es wieder Zeit für eine solche Friedensbewegung – in Deutschland und in Europa.

Und wisst ihr eigentlich, woher das zusätzliche Geld für die Aufrüstung genommen werden soll? Aus dem Fonds für die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse.  Die EU will stattdessen, dass die Verkehrswege nach Osten panzerfest gemacht werden. Welch für ein Offenbarungseid! Das ist nicht unsere Vision für Europa. Wir sagen: Wer Frieden will, muss abrüsten und verhandeln. Wir brauchen weder eine deutsche, noch eine europäische Interventionsarmee!

Liebe Genossinnen und Genossen! Die europäische Rechte will die Demokratie zerstören. Sie will autoritären Kapitalismus. Das ist das Programm. Soziale Rechte angreifen, wie in Österreich, wo die Menschen wieder bis zu 12 Stunden und mehr täglich arbeiten sollen. Nein, liebe Genossinnen und Genossen: Die Rechten haben noch nicht gewonnen. Wir können sie stoppen. Sie werden in uns, der europäischen Linken, den entschiedensten Gegner haben. Wir stehen auf in ganz Europa gegen Rassismus, Sexismus und Homophobie. Wir stehen auf gegen die rechte Hetze und gegen die rechte Gewalt. Unsere Solidarität ist unteilbar!

Wir wollen klar sagen: Wer Europa nicht den Rechten überlassen will, muss dem Neoliberalismus den Kampf ansagen. Er bildet den Nährboden für die Rechten. Unter der Hegemonie der Neoliberalen, gleicht die EU einem Kreuzfahrtschiff, das direkt auf die Klippen zufährt. Die Besatzung muss im Maschinenraum und den Kombüsen schuften, damit sich die Reichen am Pool sonnen können. Wir müssen nicht nur dem Kapitän das Ruder entreißen, wir müssen die ganze Richtung ändern. Dafür muss DIE LINKE Hoffnungsträger sein. Hoffnung für ein Europa, in dem nicht die Freiheit des Marktes an erster Stelle steht, sondern die Interessen der Mehrheit der Menschen. Ein Europa, in dem alle vor Armut und Ausbeutung geschützt sind. Ein Europa der Humanität. Norbert Blüm hatte recht, als er sagte: "Wenn 500 Millionen Europäer nicht 5 Millionen oder mehr verzweifelte Flüchtlinge aufnehmen können, dann schließen wir am besten den Laden Europa wegen moralischer Insolvenz".

Wir wollen eine EU, die sich den Friedensnobelpreis tatsächlich verdient, statt etwa Aufrüstung und Militarisierung in die Verträge zu schreiben. Wir machen Hoffnung auf ein Europa, das Klimaschutz und soziale Gerechtigkeit zusammenbringt! Junker, Merkel und Macron werden ein solches Europa nicht schaffen. Vielmehr sind es die Schülerinnen und Schüler, die europaweit für Klimaschutz kämpfen, die Gewerkschaften, mit und ohne gelbe Westen, die für höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen kämpfen. Es sind die Bürgerinitiativen, die gegen Privatisierung kämpfen. Wir setzen auf diejenigen, die Flüchtlinge retten und nicht ertrinken lassen. Wir setzen auf alle, die sich unermüdlich und unerschrocken für eine bessere Gesellschaft, für ein soziales und demokratisches Europa einsetzen. Für die Solidarität der Vielen gegen die Herrschaft der Wenigen. Für eine starke Linke in ganz Europa!