Sozialismus oder Barbarei ist die historische Herausforderung
Rede von Hans Modrow, Vorsitzender des Ältestenrates
Liebe Delegierte, liebe Genossinnen und Genossen, verehrte Gäste, mein Auftreten soll den vorliegenden schriftlichen Bericht des Ältestenrates mit einigen aktuellen Ereignissen und Aussagen ergänzen.
1. Es mag an den eigenen Erlebnissen aus Kindheit und Jugend liegen, wenn uns, die ältere Generation in den Reihen der Partei, die Fragen von Krieg und Frieden so stark bewegen.
Mir scheint, nachdem was auf der Münchner Sicherheitskonferenz, dem Wesen nach Kriegskonferenz, geschehen ist, ein Bezug auf die "Zeit nach dem Kalten Krieg" nicht mehr angebracht ist. Seit dem Ende des 2. Weltkrieges gab es keine so gefährliche Bedrohung des Friedens in der Welt wie heute. Es werden heiße Kriege geführt, Konfliktherde mit der offenen Ansage für heiße Kriege geschaffen, Feindbilder errichtet, die Kriegseinsatzmotive schaffen sollen. Nicht nach Dialog und Vertrauensbildung mit Russland wird gestrebt - da sei es erlaubt, mit den Worten des russischen Dichters Jewtuschenko, der schon in der politischen Krise 1961, angesichts der 27 Millionen Opfer seines Landes im 2. Weltkrieg erinnerte, zu fragen: "Meinst du die Russen wollen Krieg?"
Es wurden Verträge der Sicherheit gekündigt, Militär- und Rüstungskosten aufgebracht und geplant, die alle bisherigen Größen der Kriege übersteigen. Wir sollten die Fakten, die das belegen, viel mehr beachten. Beim genauen Hinsehen geht es bei der Gorch Fock doch um noch mehr, als die Kosten um ihren Erhalt, die von 10 Millionen Euro auf ca. 135 Millionen Euro stiegen. Der Namensgeber hat mit seinen Büchern und Texten die Elemente deutscher reaktionärer Marinetraditionen mitgeprägt. Die Begründungen für den notwendigen Einsatz des Schulschiffes zur Ausbildung der Marinestreitkräfte sprechen eine eigene Sprache. Im Winter 1943/44 war ich für 4 Wochen in einem Marineausbildungslager, in dem der Grundsatz lautete: "Seeleute sind Edelsteine, die müssen geschliffen werden!" Dieser Geist also soll mit der Gorch Fock weiterleben.
Die deutsche, ich möchte sagen, die Kriegseinsatzförderungsministerin von der Leyen, hält in München alles offen, auch mehr Atomwaffen auf deutschen Boden gehörten dazu.
Ein anderer Fakt: Beim Krieg in Afghanistan sind ca. 60 Prozent ostdeutsche Soldaten in der Truppe, aus mehr Bereitschaft oder aus höchster Besoldung. Am Hindukusch wird nicht, wie einst ein SPD Politiker sagte, Deutschland verteidigt - dort wird gestorben. Das hat nichts mit meinen Worten "Deutschland einig Vaterland" vom 1. Februar 1990 zum 3-Stufen-Plan einer Vereinigung zu tun. Es sollte Frieden sein und keine heißen Kriege geführt werden.
Die militärischen Führungsstäbe der NATO, der EU und ihrer Mitgliedsländer führen und planen doch seit Jahren den Einsatz von Truppen in Kriegsräumen und Konfliktgebieten. Sie sind zum Mittel der Politik geworden. Die 5-er Gruppe mit Gregor Gysi bleibt da mit ihren Beschreibungen und Aussagen hinter unserem Wahlprogramm ein ganzes Stück zurück. Viel offener, viel lauter sollten wir, DIE LINKE, sagen: Schluss mit den Kriegen! Wir fordern Abrüstung, wo ein "Aufstehen" auch dabei sein könnte.
Viele wollen im Europawahlprogramm für DIE LINKE in Deutschland und anderswo in der Europäischen Union sein. Mehr zu sein, ist gut. Für den Gang zur Wahlurne zu werben, ohne dem linken Namen der Partei mit klaren linkem Profil gerecht zu werden, kann doch wohl kein Inhalt des Wahlkampfes sein. Ein anderes Europa, wie wir es vertreten wollen, braucht einen anderen Wahlkampf, als wir ihn bisher führten. Was Karl Liebknecht nach Beginn des 1. Weltkrieges im Deutschen Reichstag, auch gegen die Haltung seiner Parteiführung tat, sollte die Linke in ganz Europa jetzt in Parlamenten und im außerparlamentarischen Kampf tun. Karl und Rosa zu gedenken ist das Eine, sich in ihrem Geiste den Herausforderungen von heute zu stellen, sollte ein Zeichen setzen.
2. Auf Initiative von Cuba si und dem Ältestenrat hat der Parteivorstand die Durchführung einer 2. Kuba-Konferenz beschlossen, die mit Freunden aus Kuba, dem Netzwerk Kuba und der Gruppe KarEn mit Kuba-Projekten in Berlin stattgefunden hat.
Eingeladen von der Kommunistischen Partei Kubas weilte eine Delegation, der ich auch angehörte, Anfang Februar vor Ort zu politischen Begegnungen. Kuba hat in einer neuen Verfassung seinen weiteren Weg festgelegt und strebt nach einer neuen Phase seiner sozialistischen Entwicklung.
Die Achtung und Wertschätzung unserer AG Cuba si wird als Ausdruck einer besonderen Tiefe der politischen und fortschrittlichen, materiell-technischen und kulturellen Solidarität verstanden. Mit gemeinsamen Pilotprojekten soll sie ein Element der Hilfe zur Selbsthilfe sein. Einen Faktor sollten wir für ganz Lateinamerika beachten. Die NATO entfacht auch hier ein gefährliches Kriegsspiel. Kolumbien nimmt hier für die imperialen Ziele der USA eine Schlüsselrolle ein. US-Kräfte besetzen Militärstützpunkte auf Inseln in der Karibik, angeblich wegen Besorgnis "über die humanitäre- und Menschenrechtslage". Deutschland wäre als Mitglied im Sicherheitsrat gefordert, gefährlicher Zuspitzung von Kriegsfahren mit den Möglichkeiten der UN entgegenzutreten. Aber wo kein Maß ist, steht Deutschland mit Maas an der Seite der USA.
Wenn Havanna von einem Tornado betroffen wird, ist das den deutschen Medien nur eine Kurzmeldung wert. Die Bilder der Zerstörung und die Leistungen der Solidarität im Land, auch von außen, finden keinen Platz in den Medien. So verdrängt Politik den Sinn der Solidarität, wenn Raum für Konflikte imperialer Politik geschaffen werden soll. Wir sollten dem noch mehr ein stärkeres Cuba si, die Solidarität geht weiter, entgegenstellen!
3. Bereits in Leipzig forderte der Ältestenrat auf, sich mit einem "Ostdeutschen Zukunftsprogramm", der Lage einer sozialen, politisch-rechtlichen Zweiheit im vereinten Deutschland mit allen dafür möglichen Kräften gemeinsam zu beraten und entgegen zu stellen.
Am 24. Januar hat der Ältestenrat als beratendes Organ, zur Teilnahme am öffentlichen Dialog Vorschläge und Empfehlungen für eine ostdeutsche Zukunftskonzeption beraten und unterbreitet. Die Spitzen von Partei und Fraktion erhielten unsere Anregungen. Für die Fraktion nahm Genosse Höhn an der Beratung teil und wir halten diesen Kontakt. Von Seiten der Parteispitze ist der Kontakt, ich möchte es vorsichtig ausdrücken, sehr spärlich. Der Landesverband Mecklenburg-Vorpommern hat gemeinsam mit uns beraten und wir werden diese Gemeinsamkeit weiter fortsetzen.
Ob SPD oder CDU, es gibt Signale, die für neue Zuspitzungen in der Zweiheit sprechen. Die Grünen finden, wie bisher, für den Osten keine Worte und alle Umfragen für die bevorstehenden Landtagswahlen lassen einen weiteren Rechtsruck erkennen.
4. Ich bin Berichterstatter, aber einige persönliche Nachdenklichkeiten seien mir erlaubt. Wenn sich der Ältestenrat so intensiv mit der ostdeutschen Zukunftsfrage beschäftigt, so gibt es dafür doch Gründe. Die 40 Jahre der Zweistaatlichkeit finden eine sehr einseitige Betrachtung und die 30 Jahre eines vereinten Deutschlands erfordern eine gründliche Aufarbeitung und viele Veränderungen. Mit unserem Papier wollen wir dafür einen Denkanstoß anbieten.
Als mir bewusst wurde, dass sich der reale Sozialismus in Europa im Untergang befindet und die Sowjetunion im historischen Zerfall, da blieb, wenn es nicht zum Chaos im eigenen Land und zur Gewalt bis zum Konflikt zwischen Warschauer Vertrag und NATO kommen sollte, nur der Weg zum einig Vaterland, wie es in der Hymne der DDR hieß. Dieser Weg sollte militärische Neutralität bringen und keinen Wachturm der NATO bis an die Grenzen um Russland.
Noch 1991 war die Ratifizierung des 2+4-Vertrages für die Außenbedingungen der Vereinigung Deutschlands im Obersten Sowjet der UdSSR nicht sicher. Es war nicht Gorbatschow, der sich bemühte, sondern mein Freund und Deutschlandversteher, Valentin Falin. Er bat um Konsultation und als Abgeordneter des Deutschen Bundestages war ich im Februar 1991 bei ihm, dem Vorsitzenden des Auswärtigen Ausschusses des Parlaments in Moskau. Er kannte die Geschichte und wusste genau, welche antikommunistischen Verfolgungen es in der BRD in den 1950er bis in die 1960er Jahre, auch wegen Verbindungen zur DDR, gab. Über 200.000 Verfahren mit über 10.000 Prozessen wurden in der BRD durchgeführt. So lautete dann die Aussage in einer Erklärung des Obersten Sowjets zur Ratifizierung, dass Niemand wegen seiner politischen Haltung verfolgt wird und die Menschenrechte gegenüber den DDR-Bürgern einzuhalten sind. Was dann geschehen ist, spricht eine andere Sprache. Westdeutsche Richter verurteilten ostdeutsche Bürger. Die Siegerjustiz folgte dem staatlichen Auftrag.
Die sozialen Menschenrechte sind bis heute eine deutsche Zweiheit, ob Rente oder Lohn. Die Gewerkschaft ver.di hat zum ersten Mal ein klares Zeichen gesetzt und für Flugplatzarbeiter den gleichen Lohn erstritten.
In den gehobenen Posten im Bund und in den Ländern sitzen in großer Mehrheit Eliten des Westens. Ca. 5 Prozent der Lehrstühle an Hochschulen und Universitäten im Osten sind von Ostbürgern besetzt. Die Liste ist sehr lang, wir haben in unserem Papier noch mehr dazu dargelegt. 40 Jahre DDR sind weiter zu beachten und 30 Jahre BRD ganz gründlich aufzuarbeiten. Der Ältestenrat bittet euch:
- Prüft unsere Denkanstöße für eine ostdeutsche Zukunft; zur Debatte und zum Mittun stehen wir gern zur Verfügung.
- Gregor Gysi möchten wir vorschlagen, als Genosse mit einer Genossin persönlich zu sprechen wenn es um einige Vorbehalte geht und diese nicht über die "Rheinische Post" wieder in die Öffentlichkeit zu tragen.
Von Klassenpolitik zu sprechen ist gut, den Wahlkampf auch als Klassenpolitik zu verstehen und zu führen, ergibt sich daraus als Konsequenz. Sozialismus zu sagen, sollte auch Nachdenken über Sozialismus heißen. Wir sollten da ganz konsequent bei Rosa Luxemburg bleiben und nicht mit Bodo-Ansagen in den Thüringer Wald rufen.
Es bleibt dabei, Sozialismus oder Barbarei ist die historische Herausforderung, die uns Rosa und Karl hinterlassen haben.
Danke für's Zuhören und gehen wir entschlossen in die politischen Kämpfe dieser Zeit.