Janine Wisslers Rede auf dem Bundesparteitag 2024
Liebe Genossinnen und Genossen,
das ist meine letzte Rede als Parteivorsitzende. Ich habe mir die Entscheidung, nicht wieder anzutreten, nicht leicht gemacht – wie auch damals die Entscheidung als Vorsitzende zu kandidieren. Ich hatte großen Respekt vor dieser Aufgabe und wusste, dass der Wechsel von Hessen nach Berlin hart werden würde, aber dass ich die Partei während einer Pandemie und durch eine Abspaltung führen musste, damit hatte ich dann doch nicht gerechnet. Ich habe den Parteivorsitz im März 2021 übernommen, als die Partei bereits durch politische Machtkämpfe gezeichnet war. Als Vorsitzende sah ich meine Aufgabe darin, die Partei in ihrer gesamten Breite zusammenzuhalten. Ich habe mich oft gefragt, was hätte ich, was hätten wir anders machen können. Vermutlich einiges.
Rückblickend will ich aber klar sagen: Wir hätten die Abspaltung des BSW nicht verhindern können, es musste diese Trennung geben. Wenn ich heute Reden vom BSW höre, in denen mehr Abschiebungen gefordert werden, wenn offen über gemeinsame Anträge mit der AfD diskutiert und schärfere Sanktionen beim Bürgergeld gefordert werden, dann kann ich nur sagen: Es ist richtig, dass wir nicht mehr in einer Partei sind. Eine linke Partei darf sich niemals einem rechten Zeitgeist anpassen und darf niemals nach unten treten – auch wenn der Gegenwind noch so stark ist. Wir machen nicht Geflüchtete und Bürgergeldbezieher zu Sündenböcken, wir reden über die Klassenwidersprüche und die Profiteure dieses Systems.
Liebe Genossinnen und Genossen, ja, wir brauchen eine offene und selbstkritische Debatte. Nicht mit dem Ziel innerparteilicher Geländegewinne, sondern mit dem gemeinsamen Ziel, Die Linke zu erneuern und wieder stark zu machen. Erneuerung bedeutet auch, dass wir unsere innerparteiliche Kultur verändern müssen. Ich habe mit vielen Kreisvorsitzenden gesprochen, denen die Wertschätzung für ihre Arbeit fehlt. Wenn wir ein Ort sein wollen, an dem sich Menschen aufgehoben fühlen, wo Solidarität mit Leben gefüllt wird, müssen wir anders, müssen wir sorgsamer miteinander umgehen. Und ich will das auch für mich persönlich sagen: Harte Angriffe vom politischen Gegner war ich gewohnt – nach vielen Jahren im Landtag mit der Hessen-CDU. Aber öffentliche Angriffe aus den eigenen Reihen schmerzen - gerade in einer Zeit, in der man selbst Anfeindungen und rechten Drohungen ausgesetzt und auf Solidarität angewiesen ist. Wir müssen die innerparteiliche Kultur verändern und verbessern.
Liebe Genossinnen und Genossen, wir erleben eine dramatische Rechtsverschiebung. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik ist eine im Kern faschistische Partei stärkste Kraft in einem Bundesland. Aus meiner Sicht ist es richtig und notwendig, ein Verbot der AfD zu prüfen. Wer über die AfD redet, muss aber auch über die reden, die deren Forderungen übernehmen und damit den rechten Diskurs verstärken. Anfang dieses Jahres zeigten sich alle schockiert von den Vertreibungsplänen der AfD – und heute erklären fast alle Parteien „mehr Abschiebungen“ zur zentralen Losung. Die aktuelle Debatte fühlt sich an wie ein AfD Look-a-like-contest.
Grenzkontrollen, Inhaftierung von Geflüchteten, Abschiebungen im großen Stil, wie der Kanzler sagt, sogar nach Afghanistan – der feuchte Traum eines jeden AfDlers ist Regierungshandeln geworden. Schwarzgrüne Landesregierungen bringen Anträge zur weiteren Aushöhlung des Asylrechts in den Bundesrat ein, während Menschen im Mittelmeer ertrinken. Man will der AfD das Wasser abgraben, indem man ihre Forderungen übernimmt. Man kann diesen Wettbewerb der Schäbigkeit aber nicht gewinnen. Es wird immer ein Merz oder – noch schlimmer – ein Höcke kommen, der noch eine Schippe drauflegt, dem noch eine Grausamkeit einfällt, um die Menschenrechte über Bord zu werfen.
Wer weiß das besser als Bodo Ramelow und die Thüringer Linke. Sie widersprechen seit Jahren der menschenverachtenden Rhetorik der AfD um Höcke. Im Wahlkampf hat Bodo gegen gehalten und betont, dass wir Zuwanderung brauchen. Ich freue mich, dass Bodo heute hier ist und sprechen wird. Der Bundeskanzler droht der eigenen Fraktion mit der Vertrauensfrage, um das Asylpaket durchzubringen, während er zu den Blockaden der FDP bei Kindergrundsicherung und Rentenpaket schweigt.
Die Gewährung von Asyl hat in der Nazizeit vielen Sozialdemokraten das Leben gerettet. Erinnert sei an Herbert Frahm, der als 19-Jähriger unter anderem Namen, als Willy Brandt, nach Norwegen flüchtete. Willy Brandt wäre nach dem heutigen Rückführungsverbesserungsgesetz ein „Identitätsverschleierer“, der sein Recht auf Asyl verwirkt hat. Das Asylrecht war eine Lehre aus Faschismus und Krieg und die SPD sollte ihrer eigenen Geschichte gerecht werden. Wir stellen uns gegen diese Verschärfungen! Statt die Probleme der steigenden Mieten, Altersarmut, einstürzende Brücken und maroden Schulen endlich anzugehen, wird Migration als vermeintliche Ursache für Missstände ausgemacht. Eine schäbige Ablenkungsdebatte. Die Menschen stehen doch nicht Schlange beim Arzt, weil zu viele Geflüchtete hier sind, sondern weil es eine Zwei-Klassen-Medizin gibt und Fachkräfte fehlen. Das Problem ist nicht, dass wir in einer Einwanderungsgesellschaft leben, das Problem ist die Klassengesellschaft. 40 Prozent besitzen nichts und zehn Prozent zwei Drittel des Vermögens. Warum reden wir dauernd über die, die wenig haben, statt über 249 Milliardäre in diesem Land? Statt Geflüchtete zu bekämpfen, müssen Fluchtursachen bekämpft werden: Hunger, Armut, Kriege, die Folgen des Klimawandels. Aber die Ampel kürzt die humanitäre Hilfe um fast 30 Prozent.
Wer die drängenden Probleme lösen will, muss ran an die Eigentumsverhältnisse. Und die Profiteure benennen. Nein, Preise und Mieten steigen nicht einfach, sie werden erhöht. Während viele nicht wissen, wie sie ihren Einkauf bezahlen sollen, schwimmen die Besitzer der Einzelhandelsketten im Geld. Die Zahl der Millionäre wächst – in einer Zeit, in der sich viele keine warme Wohnung leisten können und Angst vor dem Gang zum Briefkasten haben, weil sie nicht wissen, wie sie die Rechnungen bezahlen sollen. 7.000 Menschen, die sich keine Fahrkarte leisten können, sitzen im Knast, während die Verantwortlichen für CumEx, dem größten Steuerbetrug in der Geschichte, unbehelligt bleiben und Ermittler an ihrer Arbeit gehindert werden.
Was tut die Ampel? Bezahlbaren Wohnraum? Nichts. Kindergrundsicherung? Kommt nicht. Bürgerversicherung? Auch nicht. Im Namen der Schuldenbremse lässt man die Infrastruktur verfallen. Jetzt läutet die SPD ihr traditionelles linkes Jahr vor der Wahl ein und fordert 15 Euro Mindestlohn, höhere Steuern für Spitzenverdiener und natürlich: die Vermögenssteuer, die die SPD in jedes Wahlprogramm schreibt, um sie dann vier Jahre nicht umzusetzen und zum nächsten Wahlkampf wieder rauszukramen. Wer soll das noch ernst nehmen? Die SPD regiert seit einem Vierteljahrhundert fast durchgehend. Pflegenotstand, Kinderarmut, Bahnchaos – das sind keine Naturereignisse, sondern auch Folgen von SPD-Politik. Und was fordert Merz? Längere Arbeitszeiten für hart Arbeitende und mehr Respekt für Besserverdienende. Als ob Reiche stigmatisiert wären. Wer kennt es nicht? Reiche, die verschämt ins Nobelrestaurant huschen und ihre Kinder drei Straßen weiter absetzen, damit niemand die Luxuskarosse sieht. Nein, nicht Reiche, Arme werden in diesem Land stigmatisiert. Merz behauptet, 90 Prozent der Frauen hätten abends Angst auf der Straße, aber statistisch gesehen ist der gefährlichste Ort für Frauen ihr eigenes Zuhause. Und Merz hat damals gegen die Strafbarkeit der Vergewaltigung in der Ehe gestimmt. Merz will sein Kabinett nicht paritätisch besetzen, weil es weibliche Fehlbesetzungen gegeben habe. Nun ja, nach der Logik dürfte nach Scheuer, Spahn und Dobrindt kein einziger Mann mehr in Regierungsverantwortung.
Liebe Genossinnen und Genossen, wir leben in beängstigenden Zeiten. Krisen und Umweltkatastrophen infolge des Klimawandels. Angesichts von Kriegen und einer neuen Blockkonfrontation braucht es eine Partei, die sich dem Wettrüsten und der Stationierung von US-Mittelstreckenraketen in Deutschland entgegenstellt. Wir wollen nicht, dass Deutschland kriegstüchtig wird, sondern friedenstüchtig. Statt Milliarden in die Rüstung zu pumpen, brauchen wir Milliarden für Soziales, Klimaschutz und Infrastruktur. Aufrüstung und das Zwei-Prozent-Ziel der Nato machen die Welt nicht friedlicher und gefährden die Klimaziele. Die Lieferung von immer mehr und immer schwereren Waffen an die Ukraine führte nicht zu einem schnellen Ende des Krieges. Seit dem verbrecherischen Angriff Russlands auf die Ukraine sind tausende Menschen getötet worden, Städte liegen in Trümmern und Millionen sind auf der Flucht. Wir sagen: Russische Truppen raus aus der Ukraine! Wir setzen uns ein für Diplomatie und Frieden. Es darf nicht sein, dass Menschen, die sich für Verhandlungen einsetzen, als naiv diffamiert werden. Und wir messen nicht mit zweierlei Maß: Wir kritisieren den Angriffskrieg Russlands ebenso wie die Bombardierung kurdischer Gebiete durch die türkische Armee. Und die Außenministerin schweigt, trotz ihrer Bekenntnisse zu einer wertegeleiteten, feministischen Außenpolitik. Wer das ernst meint, darf nicht nur "Jin Jiyan Azadi" ans Brandenburger Tor strahlen – sondern muss auch Abschiebungen in den Iran und die Türkei stoppen. Sonst ist das einzige, was wertegeleitet ist, die Wertsteigerung für die Rüstungsaktien.
Liebe Genossinnen und Genossen, links zu sein, das bedeutet immer und überall für Humanität einzutreten. Es bedeutet, konsequent an der Seite aller Menschen zu stehen, die Leid und Unrecht erfahren. Am ersten Jahrestag des 7. Oktobers, des Massakers der Hamas, war ich bei einer Gedenkveranstaltung in Berlin, bei der ein Überlebender sprach, dessen Mutter erschossen und dessen Schwester in Geiselhaft getötet wurde. Seine Frau war 50 Tage in Geiselhaft. Für die Menschen, die seit einem Jahr um das Leben von Geiseln bangen, die Angehörige verloren haben, die Gewalt erfahren und traumatisiert sind, wird der 7. Oktober nie vorbei sein, er wird sich durch ihr ganzes Leben ziehen. Nichts rechtfertigt die Ermordung dieser Menschen, kein Leid wiegt das Leid ihrer Familien auf. Die Gräueltaten der Hamas verurteilen wir aufs Schärfste. Die Geiseln müssen sofort freigelassen werden. Durch die Bombardierung Gazas durch die israelische Armee wurden in einem Jahr über 40 000 Menschen getötet, 100 000 verletzt und verstümmelt. Die medizinische Versorgung in Gaza ist zusammengebrochen, die humanitäre Lage katastrophal. So schafft man keine Sicherheit, so bekämpft man keinen Terror – im Gegenteil. In Gaza gibt es niemanden, der keine Angehörigen verloren hat. Die Menschen wissen nicht mehr, wohin sie gehen sollen, wo sie sicher sind. Alles ist zerstört, Schulen, Krankenhäuser, Wohnhäuser. Auch im Libanon wurden in den letzten Wochen tausende Menschen durch israelische Luftangriffe getötet, Hunderttausende sind auf der Flucht.
Die Angriffe auf den Libanon müssen sofort beendet werden, genauso wie der Raketenbeschuss durch Hisbollah und Hamas. Unsere Empathie und unsere Solidarität gilt allen in Israel, in Palästina und im Libanon, die Leid erfahren, und allen, die sich für Frieden und Gerechtigkeit einsetzen und allen, die gegen die rechte Netanjahu-Regierung auf die Straße gehen. Wir setzen uns ein für ein sicheres Israel und einen anerkannten, sicheren Staat Palästina. Nötig ist ein sofortiger Waffenstillstand in Gaza, humanitäre Hilfe und die Waffenlieferungen nach Israel müssen sofort gestoppt werden.
Liebe Genossinnen und Genossen, nicht erst seit dem 7. Oktober nimmt antisemitische Gewalt hierzulande zu. Viele Menschen jüdischen Glaubens fühlen sich nicht mehr sicher. Das ist erschreckend. Nötig ist ein konsequenter Kampf gegen alle Erscheinungsformen des Antisemitismus, gegen jede Gewalt gegen Jüdinnen und Juden und ihre Einrichtungen. Hier in Halle ereignete sich vor fünf Jahren ein antisemitischer Anschlag auf eine Synagoge, zwei Passanten wurden dabei getötet. Es ist mir eine Ehre, dass wir heute Ismet Tekin begrüßen dürfen, der später zu uns sprechen wird. Seine Familie betrieb den Imbiss, in dem ein rechter Attentäter einen Menschen erschoss. Wir stellen uns gegen antimuslimischen Rassismus und dagegen, dass Menschen unter Generalverdacht gestellt werden. Im Land der Shoa wissen wir: Antisemitismus ist nicht nach Deutschland eingewandert. Antisemitismus und Rassismus müssen zusammen bekämpft werden! Das heißt auch: Wer das Massaker der Hamas feiert, wer zur Vernichtung Israels aufruft, kann niemals unser Bündnispartner sein!
Liebe Genossinnen und Genossen, die Diskussion zu Nahost polarisiert – auch innerhalb unserer Partei. Unser Herangehen sollte von Empathie und Nachdenklichkeit geleitet sein. Lasst uns zu breit getragenen Beschlüssen kommen und respektvoll diskutieren. In einer solidarischen Kultur, die vor allem einem gerecht wird: Dem Leid der Menschen im Nahen Osten. Das Leid von Menschen lässt sich nicht gegeneinander aufrechnen. In Solidarität mit den Menschen, die versuchen, die Fahne der Humanität hochzuhalten und sich für Frieden einsetzen.
Liebe Genossinnen und Genossen, in meiner Zeit als Parteivorsitzende habe ich einen Schwerpunkt auf die Zusammenarbeit mit den Gewerkschaften gelegt. Zusammen mit der Bundesarbeitsgemeinschaft „Betrieb & Gewerkschaft“ haben wir den Gewerkschaftsrat ins Leben gerufen. Ich war oft bei Betriebsversammlungen und Streiks, weil es mir wichtig ist, dass Die Linke die Klassenfrage ins Zentrum stellt. Denn die großen Menschheitsideale von Freiheit und persönlicher Entfaltung bleiben in einer Klassengesellschaft für die allermeisten Menschen unerfüllt.
Wir streben eine Gesellschaft an, in der das gilt, was Karl Marx und Friedrich Engels im Kommunistischen Manifest schrieben: Eine Gesellschaft, in der die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist. Deshalb verteidigen wir das Streikrecht – auch für Beschäftigte der Berliner Kitas – gegen jeden Versuch, es einzuschränken. Hände weg vom Streikrecht. Unsere Solidarität gilt den Beschäftigten bei VW, die gerade um ihre Arbeitsplätze kämpfen. Im Mai hat VW 4,5 Milliarden Euro an Dividenden ausgeschüttet – jetzt fehlen dem Konzern angeblich fünf Milliarden. Der Vorstand hat Entlassungen angekündigt und den Tarifvertrag gekündigt, die Beschäftigten sollen auf Gehalt verzichten. Wir sagen: Nicht die Beschäftigten sollen verzichten, sondern die Aktionäre!
Liebe Genossinnen und Genossen, Die Linke befindet sich in einer schweren Krise. Das haben auch die jüngsten Wahlen gezeigt. Wir reiten nicht auf einer Welle, sondern schwimmen bei vielen Fragen gegen den Strom. Das Gegeneinander ausspielen von Menschen, die Aufrüstungs- und Abschottungsrhetorik – das ist nicht wirkungslos geblieben. Wir dürfen vor diesen Stimmungen aber nicht kapitulieren. Wir wollen gesellschaftliche Stimmungen nicht abbilden, wir wollen sie verändern! Die Wahlergebnisse zeigen, wie schwer es ist, verloren gegangenes Vertrauen zurückzugewinnen und dass wir einen langen Weg vor uns haben, aber ich bin überzeugt, dass wir Die Linke wieder stark machen können, wenn es ein neues Miteinander und eine Fokussierung gibt. Dann können wir erfolgreich sein bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg mit unseren beiden großartigen Spitzenkandidatinnen Cansu Özdemir und Heike Sudmann, bei den Kommunalwahlen in NRW und auch wieder als Fraktion in den Bundestag einziehen. Die über 10 000 Neumitglieder, die seit letztem Herbst in Die Linke eingetreten sind, werden uns dabei helfen. Und: Wir haben noch Plätze frei, tretet ein, werdet aktiv. Es ist unsere gemeinsame historische Verantwortung, dass es auch in Zukunft eine relevante linke Stimme gibt. Unsere Partei hat großartige Mitglieder, die tagtäglich so viel tun und nicht im Rampenlicht stehen: Die allermeisten ehrenamtlich, die nach Feierabend Vorstandsarbeit machen, im Kreistag sind, in der Mieterinitiative mitarbeiten oder bei der Sozialberatung.
Da ist der Genosse im tiefschwarzen Cloppenburg, der im Kreisvorstand und im Stadtrat ist und fast jeden Infostand selbst aufbaut. Es ist die Genossin in Greifswald, die nach jeder Kreismitgliederversammlung die älteren Mitglieder mit Gehbehinderung in ihrem Auto nach Hause fährt, weil sie sonst nicht teilnehmen könnten. Das sind die Genoss*innen in Recke, die aus dem Nichts einen Ortsverband aufgebaut haben und im schwarzen Münsterland der Linken ein Gesicht geben. All die Mitglieder, die sich seit Jahrzehnten mit Zeit, Geld und Leidenschaft engagieren, die angefeindet wurden zu Anfangszeiten der PDS und trotzdem weitergemacht haben. Und die heute weitermachen trotz rechter Bedrohungen in Wahlkämpfen und im Alltag. Sie sind es, die wirklich unersetzbar sind. Diese Partei und ihre Fraktionen gibt es, weil tausende aktive Mitglieder tagtäglich Gesicht zeigen für Die Linke. Dessen sollte man sich immer bewusst sein.
Und ich bin dankbar, dass ich als Parteivorsitzende auch außerhalb unserer Partei so viele großartige Menschen treffen konnte. Menschen, die in ihren Betrieben als Einzelkämpfer begonnen und dann Streiks organisiert haben. Menschen, die vor Krieg geflohen sind und heute dafür kämpfen, dass das Sterben im Mittelmeer ein Ende hat. Menschen, die trotz der Stigmatisierung, die mit Armut verbunden ist, ihre Stimme erhoben haben. Die LKW-Fahrer an der Autobahnraststätte Gräfenhausen, die sich spontan zum Streik zusammengeschlossen haben und denen es gelang, ihre ausstehenden Löhne zu erkämpfen. Meine erste Reise als Parteivorsitzende führte mich nach Lesbos, nach Kara Tepe und Moria. Ich traf Kinder, die in ihrem Leben noch nie außerhalb eines Flüchtlingslagers gelebt haben, die noch nie einen Spielplatz gesehen haben. Ich war in Kurdistan und habe die mutigen Genossen der HDP getroffen, Basak Demirtas, die Ehefrau sowie die Eltern von Selahattin Demirtas, der seit Jahren im türkischen Gefängnis sitzt. Ich habe das schwere Erdbeben in Diyarbakir erlebt und die Tage danach, als unsere Genossen in allem Leid und Verzweiflung Hilfe organisiert und Suchtrupps zusammengestellt haben. Ich habe Überlebende des Genozids an den Jesiden getroffen und inspirierende Personen wie Bernie Sanders und Didier Eribon. Dafür bin ich dankbar.
Und ich möchte allen danken, die mich unterstützt haben. Ich danke Martin Schirdewan für die vertrauensvolle Zusammenarbeit und für Deine Freundschaft. Ich danke Harald Wolf, der eine große Stütze und wichtiger Ratgeber war. Ich danke Katina Schubert und Ates Gürpinar, die nach dem Rücktritt des Bundesgeschäftsführers kurzfristig eingesprungen sind. Danke an die Mitglieder des Parteivorstands. Riesiges Dankeschön an die Beschäftigten des Karl-Liebknecht-Hauses, die tolle Arbeit leisten und mich herzlich aufgenommen haben. Allen voran meiner persönlichen Mitarbeiterin, Kerstin Wolter, die immer an meiner Seite war, ich hätte keine bessere haben können. Danke für Deine großartige Arbeit und für Deine Unterstützung als Mitarbeiterin und als Freundin. Ich möchte mich bei meinem Landesverband Hessen bedanken für die Unterstützung und den großen Rückhalt. Wir sehen uns jetzt wieder öfter in Hessen.
Liebe Genossinnen und Genossen, ich gebe das Steuer ab, aber bleibe an Bord. Ich werde mich auch weiterhin mit aller Kraft für unsere Partei engagieren. Weil ich überzeugt bin, dass eine sozialistische Partei in der Tradition von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht dieses Erbe auch in schweren Zeiten weitertragen muss aus Verantwortung gegenüber der Geschichte, der Gegenwart und der Zukunft. Weil ich davon überzeugt bin, dass es eine Partei links von SPD und Grünen braucht, die die Eigentumsverhältnisse grundlegend infrage stellt und den Kapitalismus überwinden will. Eine Partei mit einer klaren Haltung in Fragen von Asyl und Menschenrechten, die sich der Rechtsentwicklung entgegenstellt und sich dem Aufrüstungskurs verweigert. Die den Kampf um soziale Rechte verbindet mit dem Kampf gegen jede Form von Unterdrückung. Lasst uns dazu beitragen, dass aus passivem Unmut aktive Gegenwehr wird. Lasst uns den Rücken gerade machen, unseren Mut zusammennehmen und gegen alle Widrigkeiten für eine solidarische Gesellschaft kämpfen.
Ich wünsche dem neuen Parteivorstand alles erdenklich Gute für seine Arbeit. Es ist nicht immer leicht und auch nicht nur eine Freude, Parteivorsitzende der Linken zu sein, aber es war mir immer eine Ehre. Trotz alledem. Macht es gut, machen wir es besser.