Hannoverscher Parteitag
Beschlüsse und Resolutionen
Abschiebestopp nach Afghanistan bundesweit durchsetzen – für ein offenes und soziales Europa der universellen Menschenrechte!
Beschluss der 2. Tagung des 5. Parteitags vom 9. bis 11. Juni 2017 in Hannover
Afghanistan ist ein Kriegsgebiet. Allein im letzten Jahr sind in Afghanistan offiziell fast 11.500 Zivilisten (3.498 Tote und 7.920 Verletzte) getötet oder verletzt worden, die Dunkelziffer dürfte weitaus höher liegen[1]. Internationale Organisationen von UNHCR bis Amnesty International beschreiben in aktuellen Berichten die prekäre humanitäre Lage sowie die sich verschlechternde Sicherheits- und Menschenrechtssituation in dem Land. Der UNHCR sieht daher Abschiebungen nach Afghanistan äußerst kritisch[2], Amnesty International fordert einen sofortigen Abschiebestopp[3].
Trotz des andauernden Kriegszustandes werden aus Deutschland Menschen nach Afghanistan abgeschoben. Diese Abschiebungen sind eklatante Menschenrechtsverstöße, sie stellen eine Verletzung der Genfer Flüchtlingskonvention sowie der Menschenrechtscharta dar. Die Bundesregierung legitimiert diese Rechtsbrüche mit der Behauptung, in Afghanistan gäbe es sichere Zonen, ist gleichzeitig aber nicht in der Lage, solche Zonen zu benennen und die Sicherheit der Abgeschobenen zu garantieren.
Die Abschiebungen nach Afghanistan sind Teil einer immer restriktiveren Flüchtlingspolitik. Die gesellschaftliche Stimmung in weiten Teilen Deutschlands und Europas wird derzeit nicht von einem solidarischen Miteinander sondern von sozialer Kälte geprägt. Statt die Ursachen der sozialen Spaltung zu bekämpfen wird diese weiter vertieft; der schwächste Teil der Bevölkerung muss als Sündenbock herhalten. Die Gesellschaft erlebt gerade ein Rollback. Ehemals erkämpfte und für selbstverständlich gehaltene Bürger- und Menschenrechte werden massiv in Frage gestellt und angegriffen. DIE LINKE ist die Partei des offenen und sozialen Europas, der universellen und unteilbaren Menschenrechte, gegen Abschottung, soziale Spaltung und Rassismus. DIE LINKE ist die Partei derjenigen, die sich dem Rechtsruck entgegenstellen, der Flüchtlingshelfern, Antifaschisten und der Flüchtlinge selber. DIE LINKE ist die Partei der Solidarität. Denn kein Mensch ist illegal. Jeder und Jede darf den Aufenthaltsort frei wählen.
Deswegen setzt sich DIE LINKE auf allen Ebenen und mit all ihren Möglichkeiten dafür ein, dass niemand mehr nach Afghanistan abgeschoben wird. Wir machen gemeinsam mit außerparlamentarischen Bewegungen Druck auf die Bundesregierung, eine neue und realistische Bewertung der Sicherheitslage vorzunehmen, die Abschiebungen nach Afghanistan zu beenden und somit die aktuelle völkerrechtswidrige Praxis aufzugeben. Auch ist es unsere Aufgabe, dort, wo wir selber Gestaltungsspielräume zu haben, diese im Interesse der Betroffenen zu nutzen.
Eine Möglichkeit, Abschiebungen nach Afghanistan zumindest für einige Monate wirklich zu unterbinden, ist der Abschiebestopp nach § 60a AufenthG. Durch ihn haben die Betroffenen zumindest für einige Zeit die Gewissheit, in Sicherheit zu sein. Ein "informeller Abschiebestopp"[4] für Nicht-Straftäter oder die Zusage darauf hinzuwirken, dass die Ausländerbehörden im Rahmen einer sorgfältigen Einzelfallprüfung die Ermessensspielräume der gesetzlichen Regelungen des Aufenthaltsrechts nutzen[5], wie in einigen Bundesländern praktiziert, bietet diese Sicherheit nicht, vielmehr führt er zu einer großen Verunsicherung in der afghanischen Community. Die Ermessensprüfung in jedem Einzelfall im Asylverfahren ist gesetzlich sowieso vorgeschrieben, für die Betroffenen ist völlig unklar, was sich nun ändern soll: Diejenigen, deren Verfahren noch nicht abgeschlossen ist, zittern vor der oft als willkürlich wahrgenommenen Entscheidung der Ausländerbehörde, diejenigen, deren Verfahren nicht erfolgreich war, müssen jede Minute damit rechnen, festgenommen, in Abschiebehaft gesteckt und abgeschoben zu werden. Das betrifft auch Menschen, die nach etlichen Jahren des Aufenthalts hier fest verwurzelt sind und hier ihr Zuhause haben. DIE LINKE möchte nicht, dass Menschen in Angst vor Abschiebung leben müssen und setzt sich daher bundesweit für einen Abschiebestopp ein.
Klar ist auch: Menschenrechte gelten für alle Menschen. Daher dürfen auch Straftäter und sogenannte Gefährder nicht nach Afghanistan abgeschoben werden. Das Asyl- und Flüchtlingsrecht soll Menschen vor Verfolgung und Gefahren für Leib und Leben schützen - auch Leib und Leben von straffälligen Personen sind selbstverständlich zu schützen. DIE LINKE lehnt eine solche Vermischung von Straf- und Asylrecht ab. Gerade wenn Rechtspopulisten Flüchtlinge ständig als Bedrohung darstellen und Flüchtlinge diesen Generalverdacht in Form von "racial profiling" täglich zu spüren bekommen, ist es wichtig, dass DIE LINKE hier klare Kante zeigt und keinesfalls in den rechtspopulistischen Kanon einstimmt. Deswegen:
- Bleiberecht für alle.
- Abschiebungen stoppen!
- Refugees welcome!
Anmerkungen
[1] Jahresbericht der Unterstützungsmission der Vereinten Nationen in Afghanistan (UNAMA) [2] www.unhcr.de/home/artikel/76f96c0d22047c61f3ee756c05c89b2f/unhcr-gesamtsituation-in-afghanistan-hat-sich-verschlechtert.html [3] www.proasyl.de/wp-content/uploads/2016/08/PROASYL_Afghanistan_Broschuere_Jul16.pdf [4] So in Berlin: www.berliner-kurier.de/berlin/kiez---stadt/rot-rot-gruene-koalition-keine-abschiebungen-aus-berlin-nach-afghanistan-25784232 [5] So in Brandenburg: www.parlamentsdokumentation.brandenburg.de/starweb/LBB/ELVIS/parladoku/w6/drs/ab_6100/6143.pdf