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Leipziger Parteitag

Für ein Recht auf gute Arbeit und gutes Leben

Beschluss der 1. Tagung des 6. Parteitages der Partei DIE LINKE vom 8. bis 10. Juni 2018 in Leipzig

Wir werden wir künftig leben und arbeiten? Das ist die zentrale Frage, die sich die Menschen im Angesicht tiefgreifender gesellschaftlicher Umbrüche stellen. Die Unsicherheit ist groß. Die Widersprüche treten immer deutlicher hervor:

  • Die Gesellschaft ist reicher als je zuvor und die Produktivität der Arbeit nimmt weiter zu. Doch zugleich wachsen Armut und Ausgrenzung. Viele Menschen fühlen sich in ihrem sozialen Status und ihren Perspektiven bedroht. Eine kleine Minderheit von Kapitalbesitzern und Privilegierten eignet sich den Löwenanteil der Zuwächse an und setzt auch politisch ihre Interessen durch.
  • Die Digitalisierung bietet neue Möglichkeiten für ein besseres Leben. Die Arbeit kann erleichtert und interessanter werden. Doch ihre kapitalistische Anwendung erhöht Stress und Überwachung, bedroht Arbeitsplätze, planbare Freizeit, Qualifikationen und soziale Errungenschaften.
  • Energieversorgung, Wirtschaft und Verkehr können auf regenerative Energien und Stoffkreisläufe umgestellt werden. Doch kapitalistische Interessen stehen einer konsequenten Umbaupolitik mit guten Ersatzarbeitsplätzen im Wege.
  • Soziale Sicherheit für alle ist möglich. Doch viele Kinder wachsen in Armut auf und vielen Jüngeren werden gute Perspektiven vorenthalten. Das Alter könnte ein erfüllender Lebensabschnitt werden. Doch immer mehr alte Menschen müssen in Armut leben.
  • Hunger und Armut könnten weltweit überwunden werden. Die Menschen wünschen sich Frieden, gute Nachbarschaft, internationale Zusammenarbeit. Doch die großen Konzerne, imperialistische Politik sowie herrschende oder gewalttätige Gruppen beuten die natürlichen Ressourcen und die Menschen aus und treiben sie in immer neue Katastrophen von Armut, Krieg und ökologischer Zerstörung. Die Folge sind Flucht- und Wanderungsbewegungen und die Gefahr großer Kriege.

DIE LINKE muss attraktive und überzeugende Wege aufzeigen, wie die positiven Möglichkeiten genutzt und verwirklicht und die Probleme und Risiken unter Kontrolle gebracht und gebannt werden können. Sie braucht klare Botschaften und Alternativen, die die Menschen verstehen und für die einzutreten Sinn macht:

Die Menschen haben im Rahmen der gesellschaftlichen Möglichkeiten ein Recht auf ein gutes Leben. Dazu gehört ganz wesentlich eine gute Arbeit, die angemessen bezahlt ist, soziale Sicherheit und Teilhabe bietet, und möglichst den Qualifikationen, Kompetenzen und Neigungen der Einzelnen entspricht. Wirtschaft und Lebensweise müssen ökologisch und zugleich sozial gerecht umgebaut werden. Kriege und internationale Feindschaften müssen beendet werden. Armut und Elend müssen weltweit bekämpft und Perspektiven für ein besseres Leben in allen Ländern entwickelt werden. DIE LINKE kämpft für eine bessere Welt, die jeder und jedem ein Leben in Frieden, Freiheit, sozialer Sicherheit und Gerechtigkeit bietet.

Dafür muss die Wirtschaft in den Dienst der Menschen gestellt werden. Die Vorherrschaft des Profits über das Leben und die Bedürfnisse der Menschen muss überwunden werden. Wir brauchen eine Gesellschaft, in der die Interessen der Vielen im Mittelpunkt stehen und nicht die Privilegien von Wenigen. Wir müssen den Kapitalismus, die Vorherrschaft der Kapitalbesitzer und ihrer Interessen, angreifen und überwinden!

Doch wir können nicht warten, bis das erreichbar ist, und die Menschen bis dahin vertrösten. Wir müssen gemeinsam mit möglichst vielen hier und jetzt für Verbesserungen kämpfen. Dabei können und müssen wir die Möglichkeiten nutzen, die dieses reiche Land, die Demokratie und der Sozialstaat bieten. Weder kapitalistische Unternehmen und ihre Verbände noch neoliberale Politik oder rechte Hetzer werden uns dabei aufhalten. Sie wollen die Kräfte der Linken, der Arbeit, der sozialen Gerechtigkeit und Solidarität schwächen und spalten. Doch sie werden keinen Erfolg haben.

Gute Arbeit und gutes Leben für alle Menschen, die hier leben – dafür treten wir ein, dafür kämpfen wir. Ein Recht auf gute Arbeit muss zu einem einklagbaren Recht einer jeden Person werden, nicht nur ein unverbindlich formulierter Anspruch. Der demokratische und soziale Rechtsstaat muss verpflichtet und in die Lage versetzt werden, dieses Recht zu gewährleisten und nötigenfalls selbst entsprechende Arbeitsangebote zu organisieren. Zusätzlich ist eine wirklich bedarfsdeckende Mindestsicherung ohne Sanktionen erforderlich. So können wir allen hier lebenden Menschen soziale Sicherheit und Teilhabe bieten und Existenzängste überwinden.

Die Arbeitsangebote müssen den Mindestkriterien guter Arbeit genügen: existenzsichernder Lohn auf Grundlage geltender Tarifverträge und ein auf derzeit 12 Euro erhöhten Mindeststundenlohn, Berücksichtigung der Qualifikation, Wahlmöglichkeiten, gesundheitlich vertretbare und mitbestimmte Arbeitsbedingungen, geregelte Arbeitszeit und regelmäßiger bezahlter Urlaub, volle Arbeitnehmerrechte und soziale Sicherung, insbesondere Sozialversicherung.

Das Recht auf gute Arbeit ist zu verbinden mit einer Politik des sozial-ökologischen Umbaus. In Bildung und Erziehung, Gesundheitswesen und Pflege, sozialen Dienstleistungen und Kultur sowie für den ökologischen Umbau sind in großem Umfang zusätzliche Arbeitsplätze notwendig, zu schaffen und anzubieten. Ein Recht auf gute Arbeit könnte zudem einen wichtigen Beitrag zur besseren Integration geflüchteter und anderer eingewanderter Menschen leisten, da eine Einbeziehung in Erwerbsarbeit hierbei eine zentrale Rolle spielt. Es würde zugleich die Aufnahmebereitschaft der Einheimischen fördern. Ein Recht auf gute Arbeit wäre auch ein wichtiger Hebel, um die Benachteiligung von Frauen zu vermindern und ihre Erwerbschancen bei unterbrochenen Erwerbsbiografien zu verbessern. Auch das Risiko erfolgloser selbstständiger Existenzgründungen würde abgefedert.

Um das Recht auf gute Arbeit in allen Regionen der Bundesrepublik zu verwirklichen, muss der Staat eine aktive beschäftigungsorientierte Wirtschafts- und Strukturpolitik betreiben. Ein Recht auf gute Arbeit muss einhergehen mit einem Umbau der Wirtschaftsordnung und einer Demokratisierung der Wirtschaft und der Arbeitsverhältnisse. Ein Recht auf gute Arbeit kann nur im Zusammenwirken mit einem großen öffentlichen und gemeinwirtschaftlichen Sektor garantiert werden. Der gesellschaftliche Bedarf – Bildung, Gesundheit, Pflege, Soziales, Wohnen – für zusätzliche Beschäftigung im öffentlichen und gemeinwirtschaftlichen Bereich ist vorhanden. Finanziert werden kann dies über eine stärkere Besteuerung großer Einkommen und Vermögen und finanzstarker Unternehmen. Zudem stabilisiert eine solche Politik die gesamtwirtschaftliche Entwicklung und weist durch steigende Steuer- und Sozialbeitragseinnahmen eine hohe Selbstfinanzierung auf.

In letzter Instanz muss Erwerbslosen, die keine andere Erwerbsarbeit gefunden haben, öffentlich geförderte Beschäftigung in gemeinwohlorientierten Bereichen angeboten werden. Dies hat zugleich einen gesellschaftlichen Nutzen, indem bislang ungedeckte Bedarfe befriedigt und Leistungen für benachteiligte Bevölkerungsgruppen verfügbar gemacht werden. Auch diese Beschäftigung muss den genannten Kriterien guter Arbeit genügen und sie muss freiwillig sein. Dies muss in Kooperation mit öffentlichen und gemeinnützigen Arbeitgebern organisiert werden. In letzter Instanz haben Länder und Kommunen die Verantwortung, die notwendigen Arbeitsplätze in hinreichender Qualität und Anzahl anzubieten. Die konkreten Einsatzfelder sind vor Ort unter Mitbestimmung der Gewerkschaften zu bestimmen.

Ein Recht auf gute Arbeit muss aber auch den privatwirtschaftlichen Sektor in die Pflicht nehmen und die im Grundgesetz verankerte Sozialbindung des Eigentums stärker zur Geltung bringen. Unternehmen werden dem Gemeinwohl verpflichtet; sie haben ihren Beschäftigten gute, menschenwürdige Arbeit anzubieten. Sie könnten verpflichtet werden, einen Teil der bei ihnen bestehenden Arbeitsplätze für benachteiligte Gruppen bereit zu stellen.

Das Recht auf gute Arbeit muss verbunden werden mit einem Recht auf Bildung und Weiterbildung. Die Arbeitsverwaltung muss als Serviceeinrichtung einerseits Arbeitsangebote vermitteln, andererseits Qualifizierungs- und Weiterbildungsbedarfe ermitteln und den Menschen entsprechende Angebote machen.

Wer erwerbslos wird, hat zunächst Anspruch auf ein am bisherigen Einkommen bzw. den geleisteten Beiträgen zur Arbeitslosenversicherung orientiertes Arbeitslosengeld. Das bestehende Arbeitslosengeld I muss verbessert werden, indem die Bezugsdauer verlängert und die Anspruchsvoraussetzungen realistischer gestaltet werden.

Die Gesellschaft hat die berechtigte Erwartung, dass die Menschen bereit sind, sich gemäß ihren Fähigkeiten und Möglichkeiten an der gesellschaftlich notwendigen Arbeit - das ist nicht nur Erwerbsarbeit – zu beteiligen. Zugleich muss aber klar sein: Jede und jeder hat das Recht, konkrete Arbeitsangebote abzulehnen, ohne Sperrzeiten oder Sanktionen fürchten zu müssen. Zwang zur Erwerbsarbeit lehnen wir ab. Menschen ohne hinreichendes Einkommen oder Vermögen haben in letzter Instanz Anspruch auf eine bedarfsdeckende und sanktionsfreie Mindestsicherung, die Armut tatsächlich verhindert und die Bürgerrechte der Betroffenen achtet.

Die Ziele einer sozialen Gestaltung der Gesellschaft müssen aber anspruchsvoller sein, als eine bloße Existenzsicherung zu gewährleisten. Gute Arbeit bietet darüber hinausgehende soziale Teilhabe und Anerkennung sowie Perspektiven zur persönlichen und beruflichen Verwirklichung und Weiterentwicklung. Die zentrale Aufgabe sozialistischer Politik liegt in der demokratischen, sozialen und ökologischen Umgestaltung des gesellschaftlichen Produktions- und Arbeitsprozesses und der gerechten Verteilung der gesellschaftlich notwendigen Arbeit, im Bereich der Erwerbsarbeit wie in den Bereichen der unbezahlten Arbeit in privaten Haushalten oder ehrenamtlich.

Zentrale Bedingungen dafür werden im Erwerbssektor gesetzt. Wir wollen die Arbeitszeiten bei vollem Lohn- und Personalausgleich verkürzen. Gute Arbeit für alle, aber weniger Arbeit für die Einzelnen – das wollen wir als neue Vollbeschäftigung. Die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit mit Kindererziehung und Pflege und zugleich die sozialstaatlichen Leistungen in diesen Bereichen müssen verbessert werden. Die Beschäftigten brauchen zudem größere Selbst- und Mitbestimmungsrechte in Bezug auf ihre Arbeitszeit und genügend freie Zeit für Erholung, Muße und selbstbestimmte Tätigkeiten. Das streben wir als ein „neues Normalarbeitsverhältnis“ an. Wir wollen regelmäßige Lohnzuwächse, die mindestens den Produktivitätszuwachs und die Preissteigerungen ausgleichen, und eine Aufwertung bisher unterbezahlter Berufe. Um dies zu ermöglichen müssen die Tarifbindung gestärkt und die Herstellung der Allgemeinverbindlichkeit von Tarifverträgen erleichtert werden. Wir wollen die Gewerkschaften stärken und unterstützen sie in ihren Bemühungen für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen und für soziale Gestaltung und Verkürzung der Arbeitszeiten.

Die strategische Kernaufgabe der LINKEN besteht darin, zu einer Veränderung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse beizutragen, um eine solidarische Umgestaltung der Gesellschaft und eine linke demokratische, soziale, ökologische und friedliche Politik durchzusetzen. Wir streben eine Veränderung der Macht- und Eigentumsverhältnisse an. Hierfür ist es erforderlich, die Solidarität der Lohnabhängigen herzustellen, von den Kernbelegschaften bis zu den Erwerbslosen und prekär Beschäftigten. Eine wichtige Aufgabe der LINKEN besteht darin, deren gemeinsame Interessen zu betonen. Für die Entstehung und Durchsetzung von Klassenmacht sind gewerkschaftliche und politische Organisationen erforderlich, in denen gemeinsame Interessen formuliert und Kämpfe zu ihrer Durchsetzung geführt werden. Es ist Aufgabe der Partei DIE LINKE, diesen Prozess bewusst und aktiv zu fördern.

DIE LINKE streitet für eine demokratische und soziale, emanzipatorische und friedliche Gesellschaft. Mit der Mobilisierung von gesellschaftlichem Widerstand und dem Einsatz für eine grundlegende Umgestaltung machen wir uns auf den Weg zu einer sozialistischen Gesellschaft. Dabei knüpfen wir an die sozialstaatlichen, rechtsstaatlichen und demokratischen Errungenschaften sowie ökologischen Regulierungen an, die in den sozialen und politischen Auseinandersetzungen der Vergangenheit bereits durchgesetzt wurden. Wir wollen sie weiterentwickeln und als Ausgangspunkte für weitergehende Veränderungen nutzen.

Begründung:

Das Neue daran ist, ein Recht auf gute Arbeit nicht nur als allgemeine Deklaration, sondern als individuell einklagbaren Anspruch zu formulieren und zu fordern, den der Sozialstaat gewährleisten muss. Zusammen mit der Forderung nach einer bedarfsdeckenden sanktionsfreien Mindestsicherung fordert DIE LINKE damit als einzige Partei eine klare und umfassende Alternative zum unwürdigen Hartz IV-Regime. Damit kann das Profil der LINKEN als soziale Alternative wesentlich geschärft werden.

Der Beschluss als PDF-Datei zum Download