Wir haben viele Gemeinsamkeiten und einen guten, kollegialen Umgang miteinander gefunden
Grusswort von Reiner Hoffmann, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes
Reiner Hoffmann musste seine Teilnahme am Parteitag aus gesundheitlichen Gründen kurzfristig absagen. Er übermittelte jedoch den Text seiner geplanten Grußbotschaft.
Liebe Katja, lieber Bernd, liebe Delegierte, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich danke Euch herzlich für die Einladung hierher nach Leipzig! Sozusagen zum Gegenbesuch. Denn Bernd und viele andere von euch waren ja vor gut vier Wochen zu Gast beim 21. Ordentlichen Bundeskongress des DGB. Ich finde, es ist eine gute Tradition, dass wir uns gegenseitig auf wichtigen Kongressen besuchen. Deswegen habe ich auch gerne zugesagt, wieder – ich glaube zum zweiten Mal – ein Grußwort an Euch zu richten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, der DGB-Kongress ist für uns ein großer Erfolg gewesen. Wir haben von dort vier klare Botschaften gesendet: Wir wollen gute Arbeit für Alle.Mit Tarifbindung und Mitbestimmung! Wir stehen für Renten, die im Alter ein würdiges Leben ermöglichen! Wir wollen Investitionen in die Zukunft. Mit deutlich mehr Geld für gute Bildung und Kinderbetreuung, eine moderne Verkehrsinfrastruktur, bezahlbaren Wohnraum und digitale Infrastruktur! Wir wollen ein soziales und solidarisches Europa. Mit einem Kurswechsel weg von der besinnungslosen Austeritätspolitik und einer klaren Absage an Sozial- und Lohndumping!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stehen für Solidarität statt Spaltung! Solidarität – das ist der Kitt, der unsere Gesellschaft zusammenhält. Solidarität zwischen Jungen und Alten. Solidarität zwischen Reichen und Armen. Solidarität zwischen Innen und Außen. Solidarität zwischen Stadt und Land. Das unterscheidet uns und die demokratischen Parteien von den populistischen Vereinfachern und ewig gestrigen Rechtsextremisten. Egal, ob in Springerstiefeln auf der Straße oder in Nadelstreifen in den Parlamenten von Brüssel über Berlin bis nach Budapest: Die Rechten spalten unser Land, sie spalten unser Europa.
Schlimmer noch: sie treiben Schindluder mit der Verunsicherung vieler Menschen und hetzen sie auf gegen Schwache und Geflüchtete. Wir überlassen ihnen nicht unser Land und unsere Demokratie! Und wir überlassen ihnen nicht unser Europa! Früher haben wir gesagt: keinen Fußbreit den Faschisten! Heute sagen wir: Weg mit AfD, FPÖ, Rassemblement National (vorher Front National) und Lega und wie sie alle heißen! Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stehen vor großen Herausforderungen, auf die die Rechten schon gar keine Antworten haben. Die Welt scheint aus den Fugen geraten zu sein. Kriege und Naturkatstrophen, 60 Millionen Menschen auf der Flucht, ein tiefgreifender Strukturwandel durch Demografie, Digitalisierung und Klimawandel, der Brexit und damit der Zerfall Europas. Und das sind ja nur vier Beispiele von vielen. In dieser Situation ist Europa besonders gefordert. Wir brauchen dringender denn je ein Europa, das auch friedenspolitisch Verantwortung übernimmt. Wir haben es doch vorgelebt nach 1945: Soziale Sicherheit, Gerechtigkeit und sozialer Frieden sind die besten Mittel gegen Krieg, Bürgerkrieg und Vertreibung!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir stehen vor grundlegenden Fragen: Kann die soziale Marktwirtschaft ihr Wohlstandsversprechen halten? Wird unsere Demokratie den Veränderungsprozessen gewachsen sein? Können wir die Schere zwischen arm und reich schließen? Können wir unsere Gesellschaft demokratisch, sozial gerecht und nachhaltig gestalten?
Liebe Kolleginnen und Kollegen, Gewerkschaften sind Profis darin, den Strukturwandel zu begleiten und zu gestalten. Wir organisieren Solidarität. Mit Mitbestimmung und Tarifverträgen verbessern wir die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Menschen. Dort wo wir stark sind, ist auch der gesellschaftliche Zusammenhalt größer, sind die Ängste kleiner, sind die Menschen weniger anfällig für rechte Parolen. Wir kämpfen für mehr soziale Sicherheit und ein selbstbestimmtes Leben für alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und ihre Familien. Und deswegen haben wir klare Erwartungen an die Bundesregierung: Tut endlich was für mehr Tarifbindung und Mitbestimmung! Trocknet endlich den Niedriglohnsektor aus! Schafft Kettenbefristungen und Minijobs ab! Stellt den Mißbrauch von Werkverträgen und bei Solo-Selbständigkeit und Leiharbeit ab! Sorgt für Recht und Ordnung im digitalen Kapitalismus! Schafft Parität in der GKV und eine gute Pflege, mit deutlich mehr Beschäftigten und allgemeinverbindlichen Tarifverträgen!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, egal ob im analogen oder digitalen Kapitalismus – auch den Arbeitgebern gehören einige Punkte ins Stammbuch geschrieben: Erstens: macht Schluss mit dem Mindestlohn-Betrug! 1,8 Millionen Menschen werden um ihrem Lohn betrogen!
Zweitens: Hände weg vom 8-Stunden-Tag! Schafft lieber mehr Zeitsouveränität! Die Hälfte der 1,7 Milliarden Überstunden wurde 2017 nicht bezahlt! Das ist Lohndiebstahl! Drittens: Schafft endlich den Lohnunterschied zwischen Männern und Frauen ab!
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir im DGB rufen aber nicht nur nach der Politik oder stellen Forderungen an die Arbeitgeber. Das ist unser Tagesgeschäft! Wir werden mehr denn je für gesellschaftlichen Zusammenhalt und Solidarität in der Gesellschaft, für Perspektiven jenseits der neoliberalen Agenda und für eine menschliche Modernisierungspolitik kämpfen. Wenn es uns gelingt, den sozialen Zusammenhalt und das Vertrauen in die Demokratie wieder zu stärken, dann werden wir Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz zurückdrängen. Daran müssen wir arbeiten, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich weiß, wir sind nicht immer einer Meinung. Aber das ist gut, denn Streit und Debatten sind die besondere Würze der Demokratie. Dass der DGB immer dem Prinzip der Einheitsgewerkschaft verpflichtet bleibt ist für mich selbstverständlich! Trotzdem haben wir viele Gemeinsamkeiten und einen guten, kollegialen Umgang miteinander gefunden.
In diesem Sinne: Glück auf und einen guten Parteitag.