Magdeburger Parteitag
Reden und Grussworte
Wir freuen uns, dass Ihr da seid
Begrüßung durch Birke Bull, Vorsitzende des Landesverbandes Sachsen-Anhalt
Liebe Genossinnen und Genossen, liebe Gäste unseres Parteitages, die Partei ist zu Gast in Magdeburg! Das hat was! Da kann man nicht meckern, würde die gemeine Magdeburgerin sagen.
Mit anderen Worten: Wir freuen uns, dass ihr da seid. Es ist in der Tat der richtige Ort zum richtigen Zeitpunkt. Sachsen-Anhalt ist alles andere als langweilig. Aber an einer zweieinhalbminütigen Liebeserklärung muss ich scheitern. Für dieses Land muss man sich Zeit nehmen, man muss sich darauf einlassen und neugierig sein.
Das Land ist gerade für eine LINKE Partei eine Herausforderung, weil hier die Widersprüche aufeinanderprallen: Wohlstandsfrisierte sind hier nicht im Angebot. Auf der einen Seite gibt es Leute, die Bock auf Unfertiges und Unkonventionelles haben und mit Luxus und geglätteter Denke nicht so viel anfangen können, die was ausprobieren wollen, die eher dem Widerspruch etwas abgewinnen können.
Auf der anderen Seite sind da die Menschen in den abgehängten Stadtteilen der großen und größeren Städte oder in den ländlichen Räumen, deren Zorn sich angestaut hat, weil sie sich abgehängt fühlen und es auch sind, die in Weltoffenheit eher Bedrohung sehen. Der Zugang zu denen ist schwierig, wir haben ihn auch nicht gefunden.
Wir haben in Sachsen-Anhalt mindestens zwei Metropolen (je nach Definition): Halle und Magdeburg, die ein sehr inniges Verhältnis zueinander haben, sich gegenseitig viel Humor zumuten, aber wenn es sein muss, durchaus auch miteinander was reißen können.
Und wir haben in der Mitte des Landes eine sehr geschichtsträchtige und kulturvolle Region Anhalt. Dort ist vor einigen Jahren 800 Jahre Anhalt gefeiert worden. Und es ist der LINKEN in Dessau-Roßlau zu verdanken, dass das nicht nur als Adels-Party männlicher Großköpfe gefeiert wurde, sondern dass diese Geschichte auch etwas mit Frauen zu tun hat: wie Dorothea von Erxleben, die erste promovierte Ärztin Deutschlands, Marie Kettmann, die erste weibliche Landtagsabgeordnete Anhalts. Das hatte etwas Aufmüpfiges und Erfrischendes, Dessau hat gestaunt. Davon brauchen wir mehr!
Liebe Genossinnen und Genossen, ein Wahlkampfjahr wiegt wie zehn Menschenjahre. Und wenn man das Wahlergebnis vom 13. März hier in Sachsen-Anhalt und anderenorts noch in Rechnung stellt, dann kann man sagen: Wir sind um Jahre gereift! Und wir alle stehen vor schwierigen Fragen.
Wir haben in der Tat Brücken gebaut: zu Leuten aus Kultur und Kunst, die bisher eher wenig mit der parteilich organisierten LINKEN zu tun hatten, die uns aber aufmüpfig und verlässlich erlebt haben. Wir haben Brücken gebaut zu den Engagierten, die sich für uns entschieden haben. Wir schaffen das!
Aber manche unserer alten Brücken sind wohl auch brüchig geworden – gar nicht so sehr zu denjenigen, denen das Wasser bis zum Halse steht, zu denen, die Angst davor haben.
Wir kennen Wirtschaft,und wir können Wirtschaft, und zwar aus der Sicht des linken Betriebsrates in der Altmark, der öffentlich rebelliert, weil mit den Wirtschaftsfördermitteln des Landes Markt- und Standortbereinigung betrieben wird. Aber eben auch aus der Perspektive der jungen Leute, beispielsweise in der Medien- und Kreativwirtschaft in und zwischen den Metropolen Halle und Leipzig, die etwas unternehmen wollen, denen aber die notwenige Kohle fehlt (während sie andernorts verschleudert wird an insolvente Unternehmen).
Und ja, auch wenn wir bei den einen für Aufregung und bei den anderen für Anregung gesorgt haben: Wir verstehen was von Frauen! Vor allem von emanzipierten. Wir sind eine Hausnummer in Sachen Gleichstellungspolitik hier in Sachsen-Anhalt.
Interessanterweise sind die Frauenversteher-Plakate mittlerweile zur Bückware geworden, und mancherorts werden sie heimlich meistbietend versteigert. Und wenn ihr euch anstrengt beim Glücksrad an unserem Stand da draußen, bekommt ihr sogar noch einen handsignierten »Frauenversteher« – auf Wunsch auch diskret und unauffällig.
Liebe Genossinnen und Genossen, hinter uns – bisher eher erfolgsgewohnt – liegt eine Landtagswahl, die kaum einen Stein auf dem anderen gelassen hat, weder hier noch in der Partei insgesamt, die uns in Nachdenklichkeit umtreibt. Und wir haben nicht viel Zeit dafür. Wie schaffen wir den schwierigen Spagat zwischen unserem Anspruch, politisch gestalten und ja, auch verwalten zu können und gleichzeitig Verbündete im Zorn zu sein – gegen soziale Ungerechtigkeit, gegen Demokratieabbau, gegen eine schleichende Militarisierung der Gesellschaft. Verbündete derer, die gegen Rassismus auf die Straße gehen – heute Nachmittag zum Beispiel in Halle. Wie schaffen wir den Spagat zwischen notwendigen Kompromissen (und zwar gleich in welchen Bündnissen) und durchaus politischer Radikalität im besten Sinne – also an die Wurzeln gehend?
Einer meiner Kreisvorsitzenden sagte kurz nach der Landtagswahl, er sei noch nie so verbunden mit seiner Partei gewesen wie in diesen Wochen. Er fand unseren Landesverband und unseren Spitzenkandidaten großartig, weil sie in diesen schwierigen Zeiten nicht ein Jota von solchen wichtigen Prämissen wie Menschlichkeit und Weltoffenheit abgerückt sind.
Wir haben eine klare Haltung in dieser Frage. Sie war und ist keine taktische Option, eben weil wir LINKE sind.
Und trotzdem müssen wir das Gespräch suchen: mit denen, die hin- und hergerissen sind zwischen den eigenen Ängsten und dem Anspruch, anständig zu bleiben. Das sind Fragen, die wir in den nächsten beiden Tagen bereden müssen.
Das alles klingt noch nicht sehr nach Aufbruch, Kraft und Energie. Ich finde das sehr nachvollziehbar. Auch eine Partei hat neben ihrer Rationalität ein Gemüt. Ich halte es für eine Stärke, innezuhalten – auch mal vorübergehende Unklarheiten auszuhalten. Daraus können wir gestärkt herausgehen.
Uns allen wünsche ich, dass wir am Ende der beiden Tage zu Aufbruchsstimmung finden: kraft- und saftvoll!
Und unseren befreundeten Nachbarn in Berlin und in Mecklenburg-Vorpommern: Euch drücken wir alle unseren 20 linken Daumen. Macht was draus! Wir schaffen das!