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Sonja Kemnitz

Berlin

Liebe Genossinnen und Genossen, vielleicht sollte der Redeblock besser Gesundheit und Pflege heißen… Susanne  sprach davon, dass wir den sozialen Alltag der Menschen sehen und sie darin wertschätzen wollen. Und das hat viel mit Pflege zu tun.

Es gibt eine Gruppe, die politisch kaum gesehen wird: die "sozialstaatliche Reservearmee" der fast 5 Millionen pflegenden Angehörigen.

Diese Menschen leisten Sorgearbeit, unbezahlt, oft unbemerkt, 7 Tage in der Woche. Sie tun es oft aus Zugehörigkeit und mit Freude. Aber sie tun es immer öfter auch gezwungenermaßen: es fehlen professionelle Pflegeangebote, private Angebote sind nicht bezahlbar oder sind nur am Rande der Legalität möglich. Mehr als 70% sind Frauen, die erst ihre Arbeitszeit reduzieren, dann den Job aufgeben, häufig selbst erkranken und ihre sozialen Kontakte verlieren. Sie tun es vor allem unbezahlt und nicht nur das. Im Job sinken ihre Gehälter mit ihrer Arbeitszeit und damit auch ihre Rentenansprüche. Angehörigenpflege führt direkt in die Altersarmut.

Hier verbinden sich materielle Armut und soziale Isolation in unsichtbarer Weise.

Deshalb haben wir in der BAG Gesundheit und Pflege einen Antrag eingebracht, für pflegende Angehörige eine Lohnersatzleistung einzuführen, wie es sie als Elterngeld für junge Familien schon gibt. Nicht weil informelle Familienpflege professionelle Pflege ersetzen soll. Sondern weil sie immer dazugehört – aber niemand dadurch verarmen darf. Nicht weil professionelle Pflegekräfte draußen bleiben sollen, sondern ein Mix aus guter fachlicher und Laienpflege die Lebensqualität entscheidend prägt.

Als LINKE dürfen wir nicht zulassen, dass Sorgearbeit Menschen in die Armut führt. Solange und weil die kapitalistische Gesellschaft nicht in der Lage und bereit ist – pflegerische Sorgearbeit gesamtgesellschaftlich zu organisieren, muss sie zumindest und zunächst gezwungen werden, die Verluste auszugleichen, die pflegende Angehörige hinnehmen müssen und ihre Pflege als Arbeit anzuerkennen. Das schließt unsere Forderung nach deutlich mehr Pflegekräften und professionellen Angeboten nicht aus. Im Gegenteil: Linke Pflegepolitik funktioniert eben, weil wir alle Säulen der Pflege im Blick haben und nicht versuchen, eine Säule durch die andere zu ersetzen oder sie gegeneinander auszuspielen. Die Menschen brauchen breite Bündnisse, in denen sich Menschen mit Pflegebedarf, Pflegekräfte und pflegende Angehörige füreinander einsetzen. In diesem Sinne muss DIE LINKE für alle Menschen in der Pflege eine Perspektive aufzeigen.

Dabei dürfen wir uns auch nicht von den Rechten aufhalten lassen. Die AfD setzt das Thema ultrakonservativ: sie wollen zum Beispiel ein pauschales Pflegegeld. Ich nenne das Herdprämie 2.0. Einen Lohnersatz zur besseren Vereinbarkeit von Pflege und Beruf lehnen sie dagegen ab. Die CDU hat inzwischen den Antrag der Linksfraktion aus dem Bundestag für höhere Rentenansprüche pflegender Angehöriger für ihr Wahlprogramm geklaut. Auch die SPD will Lohnersatz wie viele Sozialverbände und der DGB. Hier geht es zugleich um ein aktuelles Thema und um eine Grundsatzdebatte darüber, wie DIE LINKE Arbeit über Lohnarbeit hinaus – die wir doch abschaffen wollen - versteht.

Unsere Solidarität muss auch zwischen den Generationen unteilbar sein! Und zu einer klaren Vision für ältere Menschen gehört neben Wohnen und Rente auch die Gesundheitsversorgung und Pflege. Wir müssen uns einsetzen für die vielen Menschen, die unsichtbar benachteiligt und ausgebeutet werden, weil sie noch keine politische Lobby haben. Dazu gehören die pflegenden Angehörigen. Wir sollten die politische Lobby auch dieser Menschen werden, sie ermutigen, ihre Stimme zu erheben, öffentlich zu werden. Dafür müssen sie auch in der Partei unterstützende Strukturen finden, die sie zur Selbstver-tretung brauchen. Denn es geht auch darum, die zu stärken, die noch nicht kämpfen können,  ihnen zu zeigen: wir sehen Euch und stehen an Eurer Seite.

Die älteren Menschen, Menschen mit Pflegebedarf und mit Behinderungen, pflegende Angehörige und Assistenzkräfte gehören auf unsere Agenda. Unser Angebot heißt: Solidarische Gesundheits- und Pflegevollversicherung. DIE LINKE gestaltet als einzige das Prinzip der Bürgerversicherung konsequent solidarisch und verknüpft es ZUGLEICH in der Pflege mit dem Ziel Vollversicherung. Wir sind die einzige Partei, die Inklusion nicht als technische Maßnahme und politische Phrase versteht, sondern es ernst meint mit selbstbestimmter Teilhabe für jede und jeden. Fehlende Fachpflege, Altersarmut und Hilfslosigkeit dürfen nicht verhindern, dass Menschen die letzten Lebensjahre würdevoll leben können.