Diskussionspapier des Parteivorstands DIE LINKE zur Mandatszeitbegrenzung
Beschluss des Parteivorstandes vom 16. Januar 2022
Aufgrund eines Antrags an den Bundesparteitag hat sich der Parteivorstand ausführlich mit dem Thema „Mandatszeitbegrenzung“ beschäftigt und dazu das folgende Vorgehen festgelegt:
- Die Forderung nach Mandatszeitbegrenzung ist berechtigt, aber auch umstritten. Das Thema beschäftigt DIE LINKE seit ihrer Gründung. Die Frage sollte deswegen breit in allen Gliederungen der Partei diskutiert werden. Dabei sollte das Ziel sein, zu einem mehrheitsfähigen Vorschlag für eine Satzungsänderung zu kommen.
- Die Debatte der Partei und ihrer Gremien sollte zunächst nur die hauptamtliche Parlamentsarbeit auf Europa-, Bundes- und Landesebene umfassen, weil dort Probleme und Möglichkeiten einer Lösung ähnlich sind.
- Man mag zur Mandatszeitbegrenzung stehen, wie man will, der PV plädiert dafür, diese Frage als strukturelle Frage - unabhängig von Personen oder gar der Bewertung ihrer Qualitäten - zu diskutieren. Die Auseinandersetzung muss respektvoll gegenüber den Mandatsträger*innen der LINKEN geführt werden, die viel Lebenszeit und Energie in die Amtsausübung investieren.
- Schritte der Auseinandersetzung mit Mandatszeitbegrenzung:
- Diskussion im Parteivorstand auf Grundlage unseres Arbeitspapiers (Nov./Dez. 2021)
- Der PV verabschiedet das (eventuell abgeänderte) Arbeitspapier.
- Der PV fordert Landes- und Kreisebene der Partei auf, in geeigneten Formaten über mögliche Optionen zur Mandatszeitbegrenzung zu diskutieren. Als Diskussionsgrundlage stellt der PV ein Diskussionspapier mit Pro- und Contra-Argumenten zur Verfügung (s. Anhang).
- Auf Grundlage der parteiinternen Diskussion legt der Parteivorstand dem Parteitag einen Änderungsantrag zur Satzung und zur Wahlordnung vor. Dieser sollte durch einen zweiten Antrag zur politischen Einordnung, Bewertung und Zielsetzung der neuen Regelung in der LINKEN ergänzt werden. Auf einem Parteitag wird über eine Satzungsänderung zur Mandatszeitbegrenzung und eine entsprechende Änderung der Wahlordnung entschieden.
Anhang
Daten und Fakten zu Mandaten der LINKEN
Bundestag: Im November 2021 (Ende der 19. WP) stellt sich die Zusammensetzung der LINKE-Bundestagsfraktion stellt sie wie folgt dar:
- 8 MdBs in der ersten Legislaturperiode
- 10 MdBs in der zweiten Legislaturperiode
- 21 MdBs sind mindestens die dritte Legislaturperiode oder länger im Amt
- Darunter sind 19 MdBs mindestens die vierte Legislaturperiode oder länger im Amt.
- Einige MdBs waren vorher bereits MdLs.
Landtage:
DIE LINKE ist in 10 Bundesländern in Landtagen. Sie hat insgesamt 135 Landtagsabgeordnete, davon sind 45 erstmals, 48 zweimal und 42 drei- oder mehrmals gewählt.
Die Bedingungen in den Landtagen sind in den verschiedenen Bundesländern (Wahlgesetzgebung, Höhe der Diäten, Altersregelungen etc.) äußerst unterschiedlich.
Europaparlament: DIE LINKE hat 5 MdEP, von denen eine in der ersten, die anderen mindestens in der zweiten Legislaturperiode tätig sind.
PRO und CONTRA Mandatszeitbegrenzung
Verkrustungen aufbrechen vs. vorhandene Strukturen erhalten
Parlamentarier*innen – insbesondere Langjährige – haben Einfluss auf die Parteistrukturen in ihrem Wahlkreis und ihrem Bundesland – im Guten wie im Schlechten. Personelle Veränderungen bedeuten immer Brüche, bei denen neue Perspektiven entstehen (können) aber auch alte Strukturen wegbrechen (können).
PRO: Langjährige Mandate leisten dem Verkrusten von Parteistrukturen Vorschub. Posten innerhalb des Kreisverbandes werden eher von politisch Vertrauten oder Mitarbeiter*innen der/s MdBs besetzt. Der/m MdB politisch nicht so nahestehende Aktive haben es oft schwer oder geben resigniert auf. Für neue und junge Menschen sind diese Strukturen wenig attraktiv. Überalterung der Mitglieder, Aktiven und Wähler*innen und damit Stagnation bzw. ein Schrumpfen der Partei droht.
PRO: Die Kämpfe um Listenplätze bestimmen einen großen Teil des Parteilebens; sie sind Energie zehrend und wirken entpolitisierend. Auf Menschen, die sich inhaltlich und praktisch engagieren wollen, wirken sie abschreckend.
PRO: Kürzere Mandatszeiten bieten die Chance, mehr Menschen an den Spitzenfunktionen der linken Politik und den damit verbundenen Erfahrungen zu beteiligen. Diese Erfahrungen können in die Parteiarbeit vor Ort zurückgetragen werden.
PRO: Mandate, i.d.R. mit Diäten bzw. Aufwandsentschädigungen und Macht verbunden, sind – so zeigt die Erfahrung - attraktiver als Parteiposten. Parteiämter und Mitarbeiterstellen werden z.T. als Sprungbretter für Bundestagsmandate betrachtet.
PRO: DIE LINKE hat die Ausübung von Parteiämtern auf acht Jahre beschränkt. Warum sollte bei der Wahrnehmung von Mandaten nicht ähnlich verfahren werden? Abgeordnete und Fraktionen üben einen prägenden Einfluss auf die Partei und ihre Außendarstellung aus. Mehr noch, sie verfügen zusätzlich über eine staatliche Finanzierung ihrer politischen Aktivitäten.
CONTRA: Mandatsträger*innen bringen ihre Vernetzungen z.B. in Gewerkschaften und anderen sozialen Bewegungen mit in die Partei und sie bauen Kontakte, Netzwerke und z.B. Bindungen zu Journalist*innen auf, die – wenn sie ihr Amt beenden/verlieren – für die Partei verloren gehen können. Gerade im ländlichen Raum ist die Parteiarbeit oft genug auf die Abgeordnetenbüros und deren Mitarbeiter*innen angewiesen.
CONTRA: Parlamentsarbeit erfordert Einarbeitung und Fachkompetenz. Eine Legislaturperiode ist zum Einarbeiten nötig, eine zweite zum Arbeiten und dann ist schon wieder Schluss?
CONTRA: Prominente „Aushängeschilder“ der Partei, die sich in der Öffentlichkeit, vor Ort oder in einem bestimmten Fachgebiet einen Namen gemacht haben, sind ohne Mandat unter Umständen nicht mehr als Akteur*innen der LINKEN erkennbar.
CONTRA: DIE LINKE hat mehrere Direktmandate, die für uns sehr wichtig sind, und die Chance noch mehr zu gewinnen. Diese sind teilweise an in ihrem Wahlkreis stark verankerte und/oder prominente Personen gebunden. Eine Lösung könnte so aussehen, dass man sich zwar nur zweimal für die Landesliste aufstellen kann, aber noch öfter als Wahlkreiskandidat antreten kann.
CONTRA: Mandatszeitbegrenzung kann verkrustete Strukturen nur teilweise aufbrechen. Neue Abgeordnete sind abhängig von Mitarbeitenden, die länger im „Geschäft“ sind als sie und die mit ihrem „Know-How“, Einfluss auf Netzwerke und die inhaltliche Ausrichtung nehmen können.
Verhältnis Partei/Parlamentarismus
PRO: „Der Kampf für eine andere, bessere Welt“ muss auch das Aufbrechen der uns vom Parteigesetz vorgegebenen hierarchischen Organisationsstruktur beinhalten. Wir schreiben im Erfurter Programm: „Wir wollen dazu beitragen, dass aus passivem Unmut aktive Gegenwehr wird.“ Das muss sich auch im Ringen um beteiligungsorientiertere Strukturen widerspiegeln.
PRO: Die Geschichte linker Parteien und Bewegungen zeigt, dass die Fixierung auf Parlamentsmandate und die Machtverschiebung zu Gunsten der Fraktionen eine inhaltliche Rechtsbewegung und Akzeptanz der herrschenden Verhältnisse bedeuten. Außerdem wirkt der Machtkampf zwischen Partei und Fraktion wirkt nach innen und außen entpolitisierend, weil es vor allem um Macht über finanzielle Mittel, Personal, Zugang zur Presse usw. geht.
PRO: Wahlkämpfe können nur das stärken, was zuvor an gesellschaftlicher Verankerung aufgebaut wurde. Sie können aber nicht die Parteiaufbauarbeit ersetzen. Je mehr sich die Fraktionen durch Dauerpräsenz einzelner Genoss*innen verselbständigen, werden die Wahlkämpfe nur noch Mittel diese parlamentarischen Strukturen zu verteidigen, nicht aber die Partei aufzubauen. Die Geschichte zeigt, dass sich dies periodisch immer mehr zuspitzt. Nach zwei Legislaturperioden drängen sich immer mehr die konservativen Kräfte, die bestehenden Strukturen zu erhalten, in den Vordergrund.
PRO: DIE LINKE muss den Widerspruch, die herrschenden Verhältnisse zu bekämpfen und gleichzeitig mitgestalten zu wollen, aushalten und immer wieder neu austarieren. Die Begrenzung der Mandatszeiten ist ein Mittel auf Selbsterhalt ausgerichtete Machtstrukturen in Parlamenten aufzubrechen.
Welche Politiker*innen wollen wir?
PRO: Der Wunsch »Abgeordnete/r« auf Dauer zu werden bzw. das Mandat als Beruf auszuüben, widerspricht den Grundsätzen einer bewegungsorientierten, gesellschaftsverändernden und basisdemokratischen Partei. Nach zehn Jahren Parlament sind die Parlamentarier*innen andere Menschen geworden. Die materiellen Privilegien und manchmal sogar mehr die immateriellen Schmeicheleien und Machtteilhabespielchen verändern den stärksten Menschen.
DIE LINKE hat in den letzten Jahren viele junge Mitglieder gewonnen. Die Kandidat*innen, die sich für Landes-, Bundes- Europaparlamente bewerben, sind zahlreicher geworden. Wir verfügen in der Breite über viele junge Menschen, die fähig, engagiert, in politischen Themen verankert sind und Ausstrahlung haben. Es gibt also keinen Mangel an Nachwuchs (mehr).
CONTRA: Das hat allerdings auch eine Kehrseite: In der Anfangszeit der LINKEN (und der PDS) verfügten die Mandatsträger*innen in der Regel über eine politische und berufliche Sozialisation außerhalb der Partei. Heute ist ein Trend absehbar, dass junge Menschen in Karrieren „hineinschliddern“ oder eine Berufspolitiker-Laufbahn anstreben, die von der Uni über ein Abgeordnetenbüro zur Bewerbung um einen aussichtsreichen Listenplatz führen.
PRO: Eine Mandatszeitbegrenzung würde ein deutliches Signal setzen, dass MdB oder MdL kein Lebensberuf werden kann und junge Menschen dazu motivieren, bevor sie Mandate übernehmen, außerhalb der Partei eine politische sowie berufliche Verankerung anzustreben.
PRO: Wir sind eine feministische Partei. (Sorge-)Arbeit und Zeit umverteilen heißt auch die Trennung zwischen Berufspolitiker*innen und Basis aufzuweichen. Mandate sind mit viel Arbeit verbunden, es macht Sinn diese Arbeit über die Jahre auf viele Schultern zu verteilen.
CONTRA: Mandatszeitbefristung könnte ein Hindernis für Menschen sein, die gut in einem Beruf und in Netzwerken verankert sind und nicht für eine bestimmte Zeit „aussteigen“ können. 5 oder 10 Jahre einen anderen beruflichen Schwerpunkt zu wählen, heißt in vielen Bereichen, dass es keine „Rückkehrmöglichkeit“ mehr gibt - man/frau ist einfach raus: thematisch, Kontakte usw. Das Mandat ist keine Auszeit, sondern eine bewusste Entscheidung für eine andere berufliche Entwicklung, das kann die Entscheidung für viele stark beeinflussen.
CONTRA: Die Mandatsbefristung kann zu einer Nichteinbeziehung von Qualität und Leistung führen, so dass sich Mittelmaß durchsetzt.
CONTRA: Eine formale Mandatszeitbegrenzung ohne Berücksichtigung von Qualität und Leistung führt dazu, dass das Mandat als zwischenzeitliche persönliche Absicherung gesehen wird. Das Bild nach außen ruft Unverständnis bei Menschen hervor, die sehr gute Erfahrungen mit „tollen“ Abgeordneten gemacht haben.
CONTRA: Wir haben keine Optionen für das „Danach“. Es gibt in der LINKEN kein Personalentwicklungskonzept. Nach dem Mandat ist der Abgeordnete auf sich allein gestellt oder er/sie hat die Zeit des Mandates intensiv genutzt, um für sich eine weitere berufliche Absicherung zu organisieren – was eigentlich nicht zu den Aufgaben eines Mandates gehört. In bestimmten Politikbereichen – z.B. Antirassismus/Antifaschismus – bestehen darüber hinaus auch besondere Gefahren für die Betroffenen, die zum Teil durch das Mandat geschützt waren.
Juristische und formale Fragen
Für eine Regelung zur Mandatszeitbegrenzung gibt es juristische Hürden und Grenzen. Die Diskussion, wie wir als linke Partei unsere Strukturen gestalten wollen, sollte aber nicht entlang juristischer Gegebenheiten, sondern politisch geführt werden. Wenn sich aus dieser Diskussion ein Modell herausbildet, muss juristisch geprüft werden, wie das verfassungskonform in der Satzung umgesetzt werden kann.
Eine Soll-Bestimmung ist verfassungsrechtlich unbedenklich.
Die für eine Satzungsänderung notwenige Zweidrittelmehrheit sollte angestrebt werden. Vor allem, weil eine breite Mehrheit in der Partei für ein neues Verständnis von Parlamentsarbeit vorhanden sein sollte.
Optionen zur Mandatszeitbefristung:
- Begrenzung auf eine Legislaturperiode
- Begrenzung auf zwei Legislaturperioden
- Begrenzung auf drei Legislaturen, verbunden mit einer Quote für Neueinsteiger*innen, z.B. jeder zweite Listenplatz wird mit einer* Neueinsteiger*in besetzt
- Weitere kombinierbare Maßnahmen/Fragen:
- Ausnahme für einzelne Bewerber*innen mittels eines Sondervotums der Wahlversammlung mit qualifizierter Mehrheit (Zweidrittel- oder Dreiviertel-Mehrheit)
- Einführung einer Neueinsteigerquote für jede Parlamentsfraktion.
- Ist eine Wiederwahl in der übernächsten Legislatur möglich?
- Ist eine Wahl in einer anderen parlamentarischen Ebene möglich?
- Bezieht sich die Begrenzung nur auf die Landesliste oder generell auf eine Kandidatur?
- Zusätzlich zur Gender-Quotierung die Installierung weiterer Quoten für Migrant*innen u.a.
Ausblick auf weitere zu klärende Fragen
Wenn die LINKE eine Debatte über die Mandatszeitbefristung beginnt und entsprechende Regelungen beschließt, dann ergeben sich sehr bald weitere zu lösende Problemkreise:
- An erster Stelle der Umgang mit kommunalen Mandaten in Bezirks-, Kreis- und Stadträten sowie bei Wahlämtern in der Verwaltung. Ihr Einfluss auf die Partei und das Leben in den Kreisverbänden ist oft noch viel gravierender als der Einfluss von „höheren“ Abgeordneten und ihrer Bürostrukturen.
- Die Rolle der Mitarbeiter*innen von Abgeordneten muss ebenfalls geklärt werden. Dabei sind die politischen Zielsetzungen, möglichst feste, unbefristete Anstelllungen einschließlich einer gewerkschaftlichen und betriebsrätlichen Betreuung für die Mitarbeiter*innen zu gewährleisten und andererseits die politische Willensbildung der Partei und ihrer Mandatsträger*innen (egal ob erste oder zweite Legislaturperiode) sicherzustellen, miteinander zu verbinden.
- In diesem Zusammenhang ist zu überprüfen, ob die Regelungen der Partei zur Trennung von Parteiamt und parlamentarischen Mandat ausreichen, oder ob sie stärker auf die Mitarbeiter*innen ausgedehnt werden sollten.
- Letztlich hat die LINKE heute schon ein Problem mit Ämterhäufung. Sowohl parlamentarische Mehrfachämter als auch die Häufung von Parteiämtern sind fast überall schon ein Hindernis für eine demokratische Mitgliederentwicklung.
- All diese Prozesse könnten in einer Diskussion über so genannte „Personalentwicklungskonzepte“ zusammengeführt werden.