Solidarität statt „Querdenken“
Beschluss des Parteivorstandes vom 15. Januar 2022
In der gesamten Bundesrepublik finden verharmlosend "Spaziergänge" genannte Demonstrationen gegen die Corona-Maßnahmen statt. Ihr Hauptthema ist allerdings längst schon nicht mehr diese Kritik, sondern es kommen zunehmend rechte TagX-Szenarien zum Tragen und es wird sich der Rhetorik des Bürgerkriegs bedient. Die Teilnehmenden maßen sich dabei an, für "das Volk" zu sprechen, obwohl sie nur ein Teil einer Minderheit in der Bevölkerung sind. Fast überall unterlassen es die Innenminister und die ihnen unterstellten Polizeiführungen, angemessen auf Rechtsbrüche (Verweigerung der Schutzmaßnahmen) zu reagieren.
Der Politikwissenschaftler Prof. Hajo Funke warnt angesichts dieser Entwicklung: „Wenn aber weder die Pandemie eingedämmt wird und die Exekutiven an dieser Stelle versagen, noch die Polizei angemessen reagiert und sich die Bürger weiter kaum gegen die Zumutungen der Corona-Leugner wehren, hätten wir eine sich ausweitende und eskalierende Massenbewegung mit faschistischen Elementen, die eine unmittelbare Gefahr für den Bestand der Demokratie bedeuten und zu bürgerkriegsähnlichen Ausdehnungen führen würde.“ Es handele sich um eine „Bewegung gegen die freiheitliche demokratische Ordnung in der prekärsten Krise seit 1949“. Sein Kollege Johannes Kiess vom Leipziger Else-Frenkel-Brunswick-Institut sieht zusätzlich die Gefahr einer zunehmenden Gewaltaffinität: „Es wird Einzelne und kleine Gruppen geben, die sich in dieser derzeitigen Dynamik so weit radikalisieren, dass sie auch Anschläge planen. Einen ersten Mord gab es bereits in Idar-Oberstein, in Dresden wurde eine Gruppe identifiziert, die konkret Gewalttaten plante. Diese Gefahr von Anschlägen wird uns leider in den nächsten Monaten und Jahren begleiten. Das ist der Auftrag an die Sicherheitsbehörden, hier klare Grenzen zu ziehen.“
Die sich selbst so bezeichnende „Querdenken“-Bewegung vereint politisch sehr heterogene Elemente, wobei es in der Führung der Bewegung ein Ost-West-Gefälle gibt: Im Osten liegt die Führung häufiger als im Westen bei rechten und neofaschistischen Gruppierungen, im Westen bei Esoterikern, „alternativen Lebenssreformern“ und „freien Linken“, wobei auch im Westen der Einfluss neofaschistischer Kräfte gewachsen ist. Zusammengehalten wird die Bewegung im Wesentlichen durch Leugnung oder Verharmlosung der Covid19-Pandemie und der daraus begleiteten Ablehnung und Bekämpfung von Impfung und Schutzmaßnahmen. Eine einheitliche politische Ideologie hat sich bislang nicht herausgebildet. Allerdings haben bei allen Unterschieden die Organisatoren der Demonstrationen eine Abgrenzung von der Zusammenarbeit mit Kräften der radikalen Rechten abgelehnt. Damit bietet die Coronaleugner-Bewegung der AfD und anderen Kräften der extremen Rechten ein offenes Feld, in dem sie neue Kräfte sammeln können.
Die aktuelle Stärke der Coronaleugner-Bewegung spiegelt den Vertrauensverlust in die Pandemiepolitik der Bundesregierung wider, die wiederholt das baldige Ende der Pandemie und damit der Einschränkungen der persönlichen und politischen Freiheiten angekündigt hat, um dann mit jeder neuen Welle das Gegenteil zu tun. DIE LINKE fordert seit langem die sofortige Freigabe der Patentrechte auf die Impfmittel, eine aufsuchende Impfkampagne und einen massiven Ausbau des staatlichen Gesundheitswesens, das seit den Jahren der Austeritätspolitik immer weiter kaputtgespart worden ist. Gesundheit darf jedoch keine Ware sein. Gesundheitspolitik ist vielmehr Teil der sozialen Frage. Um einen Ausgleich für besonders Betroffene wie Künstler*innen und Kleingewerbetreibende zu schaffen, fordert deshalb DIE LINKE die Einführung einer Vermögensteuer sowie Vermögensabgabe zur Bewältigung der Krisenkosten.
Als Partei der Solidarität teilt DIE LINKE zugleich die Befürchtungen, dass die gegenwärtige Welle dieser Demonstrationen und sonstigen Aktionen der „Querdenker“ zu einer realen Bedrohung für Leib und Leben von als „Feinden“ markierter Menschen werden kann. Bereits jetzt ist das erste Mordopfer zu beklagen. Hass und Hetze im Internet und in den sozialen Medien sind zur Normalität geworden und werden noch immer viel zu selten juristisch verfolgt. Es ist längst keine Ausnahme mehr, dass Teilnehmende der „Querdenker“-Aufmärsche gewaltsam gegen Medienvertreter*innen, Gegendemonstrant*innen und Polizist*innen vorgehen und diese verletzen. Bedrohliche Aufmärsche vor den Wohnhäusern von Politiker*innen unterschiedlicher Ebenen nehmen an Häufigkeit zu. Eine erste Gruppe, die über die Ermordung des sächsischen Ministerpräsidenten diskutierte, wurde durch die Arbeit eines Teams von Journalist*innen enttarnt.
Angesichts dieser bedrohlichen Entwicklung sieht DIE LINKE mit großer Freude, dass sich aus der Zivilgesellschaft heraus eine Vielzahl an kreativen, friedlichen Initiativen gebildet hat, die nachdrücklich zeigen, dass die „Querdenker“ eben nicht „das Volk“ repräsentieren, sondern lediglich eine lautstarke Minderheit darstellen. Es ist höchste Zeit, selbst in die Offensive zu kommen und für eine solidarische und effektive Krisenbewältigung auf die Straße zu gehen. Ob es nun „Omas gegen rechts“ in Erfurt sind, die eine Menschenkette organisiert haben, oder das Bündnis „Haltung zeigen“ in Dresden, das mit Lichtern vor der Frauenkirche auf die Opfer der Pandemie aufmerksam gemacht hat, oder das Bündnis in Minden, das der Bedrohung der Landrätin ein unüberhörbares „Stopp!“ entgegengesetzt hat, sie alle und immer mehr Initiativen in allen Teilen des Landes zeigen, dass die Stimme der Vernunft keineswegs verstummt ist, sondern mit Einheit in der Vielfalt an Lautstärke gewinnt.
Der Parteivorstand der LINKEN unterstützt das Streben nach einer solidarischen und demokratischen Bewältigung der Pandemie-Krise. Er unterstützt all jene, die Aufklärung, Rationalität, Demokratie und Solidarität gegen den aktuellen Angriff von rechts verteidigen. Wir werden auf allen Ebenen mit unseren Kräften solche Initiativen unterstützen und in ihnen gleichberechtigt mitwirken. Wir fordern unsere Gliederungen und alle Mitglieder auf, sich selbst aktiv in solche Bündnisse einzubringen und mitzuwirken. Tragen wir gemeinsam dazu bei, dass sich Vernunft und Solidarität durchsetzen.