Forderungs- und Positionspapier der Partei DIE LINKE zur Begleitung der Cannabislegalisierung
Beschluss des Parteivorstands vom 12.11.2022
Die Legalisierung von Cannabis zu Genusszwecken markiert im Bereich der Gesundheits- und Drogenpolitik einen drastischen und langersehnten Bruch mit der althergebrachten Verbotspolitik der Vorgänger-Regierungen. Wir als Mitglieder der Partei Die Linke begrüßen den längst überfälligen Schritt weg von einer Politik der Bevormundung und Drangsalierung hin zu einer gesundheitsschutzorientierten Freigabe von Cannabis an Volljährige. Das kürzlich vom Bundeskabinett verabschiedete Eckpunktepapier zur Legalisierung ist daher eine deutliche Verbe-sserung zur bisher gültigen Rechtslage, besonders in den Bereichen Gesundheits- und Jugendschutz.
Die Bundesregierung versäumt es dennoch, auch unter Berücksichtigung des hohen gesundheitspolitischen Anspruchs an die Legalisierung, das große soziale, ökologische und gesellschaftliche Potenzial einer kontrollierten Freigabe von Cannabis auszuschöpfen. Eine zu repressive Gesetzgebung birgt das Risiko, das alte Probleme der Prohibition fortbestehen bzw. gesetzte Ziele verfehlt werden. Exemplarisch sind hierfür die im Eckpunktepapier umrissenen Regelungen zum Eigenanbau sowie im Bereich des Verkehrsrechts.
Forderungen
Unsere Forderungen im Rahmen der Legalisierung von Cannabis zur kontrollierten Abgabe an Volljährige für Genusszwecke und vor dem Hintergrund des jüngst vom Bundeskabinett beschlossenen Eckpunktepapiers:
1. Volle Amnestie und umgehende Straffreiheit: Alle verhängten Strafen, die nach dem neuen Recht nicht ausgesprochen würden, müssen aufgehoben und die laufenden Verfahren gestoppt werden. Alle bisher erteilten Berufsverbote, Akteneinträge und Fahrerlaubnisentzüge aus den Führungszeugnissen und Registern, welche nach den neuen cannabisbezogenen Richtlinien nicht mehr zu sanktionieren sind, müssen gelöscht werden.
2. Gesundheits- und Jugendschutz haben Priorität. Cannabisfreigabe erst ab 18 Jahren und Strafverfolgung für diejenigen, die an Minderjährige verkaufen, nicht aber für die Minderjährigen selbst. Wir brauchen flächendeckende Aufklärungs-, Präventions- und Therapieangebote sowie eine Forschungsförderung der gesundheitlichen Folgen von Cannabis, finanziert aus den dafür zweckgebundenen Steuereinnahmen.
3. Wir unterstützen die Besitzmenge von 30g pro volljähriger Person und fordern Straffreiheit für den Eigenanbau von bis zu 4 Pflanzen pro volljähriger Person.
4. Eigenanbau soll den geregelten und gemeinschaftlich organisierten Anbau von Cannabis einschließen, etwa im Rahmen von Cannabis Social Clubs. Der Handel wiederum muss auch online in einem zweistufigen Verfahren möglich sein.
5. Der im Straßenverkehr für das Strafmaß bisher zulässige Höchstwert (1 ng/mL) der aktiven THC-Konzentration im Blutserum soll auf zwischen 3 und 10 ng/mL Tetrahydrocannabinol (THC) im Blutserum erhöht werden.
6. Selbstverständlich ist für uns ein Werbeverbot für sämtliche Produkte, die Genusscannabis, etwa in Form von Joints, Liquiden, Harzen oder Esswaren, enthalten. Hiervon ausgenommen sollten Nahrungs- oder Pflanzenergänzungsmittel, kosmetische Produkte oder für Medizinalcannabis sein. Demgegenüber wehren wir uns gegen eine erneute Kriminalisierung durch Konsumverbote in der Öffentlichkeit wie in öffentlichen Parks. Das Werbeverbot kann als Blaupause für den Umgang mit Alkohol und Nikotin gelten.
7. Wissenschaftliche Begleitung der Entkriminalisierung und Legalisierung, was Delikte, Gewaltverbrechen, Be- und Entlastung der Justiz, Polizei und Ordnungsbehörden betrifft und daraus Rückschlüsse für perspektivische Entkriminalisierung aller als Drogen stigmatisierter Rauschmittel ziehen
Positionen
Strafverfolgung umgehend einstellen und Amnestie
Was die veränderte Situation in der Strafverfolgung und im Justizwesen anbelangt, gehen die Schritte der Bundesregierung nicht weit genug. Verurteilungen mit Bezug zu Cannabis machen den größten Anteil an Drogendelikten in Deutschland aus. Vielfach sind davon Einzel- oder Gelegenheitskonsument:innen betroffen, die durch die Verurteilung weiterhin mit erheblichen sozialen, wirtschaftlichen und folglich psychologischen Folgewirkungen zu kämpfen haben. In gravierenden Fällen befördert dies wiederum problematische Konsummuster, womit sich die Legalisierung in ihrer Wirkung seither selbst aushebelt.
Um diesem langen Unrecht der Prohibition entgegenzutreten, fordern wir die Aufhebung aller Berufsverbote, die für Berufe des sozialen, schulischen oder medizinischen Bereichs gelten. Im speziellen müsse dies all jene betreffen, die nach waffen- und gewaltfreien Cannabis-Delikten, mit weniger als 30 Gramm Cannabis, ausgesprochen wurden. Das schließt erteilte Fahrerlaubnisentzüge und Akteneinträge im Einfachen sowie erweiterten Führungszeugnis ein. Wir können eine Benachteiligung über die Prohibition hinaus, während dann mit demselben „Tatbestand“ nicht mehr sanktioniert wird, nicht akzeptieren.
Gesundheits- und Jugendschutz steht ganz oben!
Im Zuge der Legalisierung von Genusscannabis für eine kontrollierte Abgabe an Volljährige begrüßen wir als Partei, dass der Gesundheits- und Jugendschutz einen großen Stellenwert im Rahmen der angestrebten Gesetzesänderungen einnimmt. Nicht nur sollten mit den Lockerungen der Regelungen synchron auch die Aufklärungs- und Informationsangebote stärker gefördert werden. Auch müssen an weiteren Stellen des Umgangs mit Cannabis medizinische und gesundheitliche Aspekte leitend für den öffentlichen Umgang sein. Mit den vorgegebenen Weiterbildungslehrgängen, in denen das Erkennen von problematischem Konsumverhalten speziell geschult wird oder der Festschreibung eines 500m-Mindestabstands von lizensierten Fachgeschäfte zu Gesundheits-, Sozial- und Schuleinrichtungen, wurden bereits konkrete Schritte unternommen, um einen soliden Gesundheitsschutz sicherzustellen.
Gleichzeitig fordern wir die Regierungskoalition auf ein Konzept vorzulegen, welches die Finanzierung neuer Aufklärungs-, Informations- und Therapieangebote beinhaltet. Hierfür bieten die Mehreinnahmen aus der einzuführenden Cannabissteuer, welche nach Hochrechnungen ca. 4,7 Milliarden Euro betragen werden, den finanziellen Spielraum, um ein umfassendes Finanzierungskonzept für den Jugend- und Gesundheitsschutz vorzulegen. Die ansteigenden Kosten für Frühinterventions-, Präventions-, Informations- und Therapieangebote dürfen nicht auf die Schultern der Kommunen verlagert werden und müssen langfristig finanziell abgesichert sein. Generell sollte über eine Bindung der Steuereinnahmen ausschließlich für soziale Maßnahmen an Schulen, Kitas und in der Kinder- und Jugendhilfe gedacht werden.
Besitz, Handel mit Jugend- und Verbraucher:innenschutz in Einklang bringen!
Die Einführung von 30 Gramm als zulässige Obergrenze für die maximal erlaubte Besitz- und Abgabemenge begrüßen wir. Die Obergrenze orientiert sich dabei an unterschiedlichen Besitzmengen anderer Länder (u.a. Portugal, Kanada oder einigen Bundesstaaten der USA) und setzt einen angemessenen Richtwert für die Trennung von Eigenbedarf und Überkonsum und bietet gleichermaßen die Möglichkeit, privaten Handel zu begrenzen. Konkret sollte die maximale Besitz- und Abgabemenge jedoch nicht unter 25 Gramm betragen.
Den Vorschlag, lizensierten Fachgeschäften den Vertrieb zu gewähren, sehen wir als rationale Lösung einer regulierten Legalisierung. Darüber hinaus muss auch der online-Handel möglich gemacht werden, wobei in einem zweistufigen Verfahren nicht nur die Volljährigkeit bestätigt werden muss, sondern auch einmalig ein Beratungsgespräch stattzufinden hat.
Um weitergehend einen soliden Verbraucher- und Gesundheitsschutz sowie Einblick in den eigenen carbon-footprint zu gewährleisten, begrüßen wir den Ansatz, verpflichtende Angaben zu Herkunft, Inhaltsstoffen, Erntedatum sowie CBD-/THC-Gehalt der Produkte einzuführen. Die weiteren Bestimmungen bezüglich des Jugendschutzes erachten wir als folgerichtig und zielführend. Auch ein Werbeverbot für THC-haltige Genussmittel mitsamt einer Begrenzung der Produktvielfalt war seit langem Teil unseres legalisierungsbezogenen Forderungskatalogs.
Allerdings muss mithilfe der Vorschläge gleichermaßen sichergestellt werden, dass sich den Verlockungen eines sich anbahnenden green rush’s konsequent entgegengestellt wird. Großes Profitinteresse im Bereich der Cannabiswirtschaft hat u.a. in den Vereinigten Staaten zu einer Diversifizierung der Produkte mit steigenden Wirkstoffgehalten geführt. Eine Verfehlung der eigenen gesundheitspolitischen Ziele wäre die Folge, weshalb der Markt streng reguliert werden muss.
Gegen Profitorientierung – regionalen und gemeinschaftlichen Anbau ermöglichen!
Betreffend den Eckpunkten zum Eigenanbau begrüßen wir die Schritte, die im Konsultationsprozess getan wurden, um eine marktunabhängige Selbstversorgung zu ermöglichen. Dennoch geht uns der umrissene Rahmen nicht weit genug, um eine Balance zwischen Konsument:innen und Gesundheitsschutz zu gewährleisten. Vor allem kritisieren wir die Nichtbeachtung von Formen eines gemeinschaftlich-organisierten Hanfanbaus.
Die Gewährung von 4-6 weiblichen Pflanzen für den Eigenanbau zur Deckung des Eigenbedarfes hat sich in verschiedenen Ländern als angemessener Rahmen erwiesen. Wir fordern die erlaubte Anzahl an weiblich blühenden Cannabis-Pflanzen pro volljähriger Person auf mindestens 4 zu erhöhen. Gleichzeitig müssen Formen des nicht-kommerziellen und gemeinschaftlichen Anbaus, welche bereits aus dem Bereich der solidarischen Landwirtschaft bekannt sind, sanktionsfrei ermöglicht werden. Als Vorbild für benannte Formen dürften besonders Cannabis Social Clubs (CSC) dienen, die u.a. in Malta und Uruguay bereits evaluierbare Ergebnisse liefern. Unter Vorlage von Mitgliederinformation, einschließlich eines Konzepts zu Lagerung, Anbau, Ernte sowie Abgabe, sollte auf privaten Grundstücken der gemeinschaftliche Eigenanbau gestattet werden. Die Produktionsmöglichkeiten sollte auch unter ökologisch nachhaltigen Aspekten überprüft werden. Die Abgabe des geernteten Cannabis hätte folglich unter vergleichbaren Bedingungen wie in lizensierten Fachgeschäften stattzufinden. Mit der Bestimmung eines/einer Zuständigen für Gesundheitsfragen und dem ausschließlichen Ankauf bei zertifizierten Samenanbietern, ließe sich den gesundheitspolitischen Anforderungen begegnen. Da innerhalb des gesteckten Rahmens an Eckpunkten, die marktunabhängige (gemeinschaftliche) Selbstversorgung zu wenig Freiraum gelassen wird, fordern wir das Bundesgesundheitsministerium auf, Standpunkte eines solidarischen Eigenanbaus mehr Gewicht einzuräumen.
Cannabis ordnungs- und strafrechtlich auf eine Stufe mit Alkohol stellen!
Gerade der Verkehr hat sich seit Jahren zu einem Nadelöhr für die Prohibition von Cannabis erwiesen. Aufgrund der weitgehenden Null-Toleranz-Politik bisheriger Regierungen, wurden vielfach Gelegenheitskonsumenten verurteilt, obwohl der eigentliche Konsum schon Tage oder Wochen vorher stattgefunden hat. Die hierdurch entstandene Belastung von Bürger:innen und Justiz war und muss in der angestoßenen Legalisierung ein wesentlicher Bestandteil von Veränderung sein. Wir fordern deshalb vom Bundesgesundheitsministerium, den Null-Toleranz-Ansatz aufzugeben und zu einem differenzierenden Maß überzugehen.
Vorschläge, wie jene des Deutschen Hanfverbandes DHV, wonach ein oberer und unterer Grenzwert gelten sollte, begrüßen wir hinsichtlich der langen Nachweisbarkeit von THC im Körper. Aus diesem Grund treten wir für eine Erhöhung des bisherigen Grenzwertes (1 ng/mL-THC im Blutserum) auf einen unteren Grenzwert (3 ng/mL-THC im Blutserum) wie er etwa in Kanada oder Norwegen bereits Anwendung findet. Bis zu dieser Konzentration soll von einer Verurteilung oder juristischen Maßnahmen abgesehen werden, da erst mit ca. 6 ng/mL THC im Blutserum von einer vergleichbaren Beeinträchtigung der Aufmerksamkeit und Reak-tionsgeschwindigkeit ausgegangen werden kann, wie sie bei einem Blutalkoholspiegel von 0,5 ‰ vorliegt. Bei einer Überschreitung würde eine Bewertung als Ordnungswidrigkeit stattfinden. Überschreitet die THC-Konzentration jedoch 10 ng/mL, greift dieselbe Bewertung wie bei einer Trunkenheitsfahrt (>1,1 ‰) nach §316 StGB.
Solch ein Ansatz würde dazu beitragen, der juristisch und kulturell tief verwurzelten Ungleichbehandlung von Cannabis gegenüber Alkohol zu beenden. Es ist notwendig dem bisherigen Ansatz abzuschwören und den Grenzwert auf min. 3 ng/mL THC im Blutserum zu erhöhen, sowie eine differenzierte Strafanwendung für höhere Konzentrationen zu überdenken.
Ebenso wie Alkohol muss auch der Konsum von Cannabis im öffentlichen Raum möglich sein.
Gesundheitsschutz statt Prohibition – auch bei weiteren Betäubungsmitteln!
Die Legalisierung von Cannabis zu Genusszwecken darf nicht das Ende der Fahnenstange gewesen sein, sondern muss den Ausgang für eine vollumfängliche Abwägung und kritische Auseinandersetzung mit der noch geltenden Betäubungsmittelgesetzgebung bilden. Staatliche Bevormundung und Repression lehnen wir im Umgang mit berauschenden Substanzen ab. Vielmehr führt wie bei der kontrollierten Freigabe von Genusscannabis der Weg nach Rom über Sanktionsfreiheit und einen Ausbau der Informations-, Präventions-, Beratungs- und Therapieangebote. Mit Portugal und Tschechien existieren innerhalb der EU bereits zwei Staaten, die selbigen Ansatz für sich erkannt haben und umgesetzt haben. Die seither evaluierten Ergebnisse im Falle von Portugal, zeigten ...
keinen Anstieg der drogenbezogenen Straftaten,
eine Abnahme der Gefängnisinsassen, die aufgrund eines betäubungsmittelbezogenen Delikts verurteilt wurden,
dieselbe Konsumentwicklung wie andere Länder,
einen Rückgang beim Jugend- und Problemkonsum.
Wenn auch weiterhin die Devise "Strafe statt Hilfe" gilt, ist eine gesundheitsschutzorientierte Drogenpolitik nicht umsetzbar und es werden selbige Probleme geschaffen, welche auch für einen Kurswechsel im Umgang mit Cannabis antreibend waren/sind. Die vergangenen Jahrzehnte haben evident gezeigt, dass Prohibition nicht der Weg für Konsumminimierung ist und durch die Unkontrolliertheit des Marktes problematische Konsummuster, mit den jeweiligen psychologischen, sozialen und juristischen Folgen, forciert werden. Wir fordern deshalb eine vollumfängliche Entkriminalisierung aller Drogen und Betäubungsmittel bis zu einer sanktionsfreien Menge des Eigenbedarfes. Gleichzeitig müssen Beratung, Frühintervention, Prävention und Therapie stärker in den Blick genommen und als Stützpfeiler einer sozialen und gesundheitsschutzorientierten Drogenpolitik dienen.