Zum Hauptinhalt springen
2023/452

Für ein diskriminierungsfreies Selbstbestimmungsgesetz!

Beschluss der Parteivorstandsberatung vom 8. Juli 2023        

Die Kämpfe für eine Aufhebung des Abtreibungsverbots, gegen die Kriminalisierung von Homosexualität und ‚Ehebruch‘, für die Gleichstellung von Frauen und für eine umfassende Sexualaufklärung waren und sind seit weit mehr als 100 Jahren elementare Bestandteile linker Politik.

Dass die sexuelle und geschlechtliche Selbstbestimmung des Einzelnen einerseits Voraussetzung und andererseits Resultat einer Bewegung für die gesellschaftliche Befreiung des Menschen insgesamt ist, gehört zu den wichtigen Erkenntnissen der Arbeiter*innenbewegung.

Clara Zetkin, Magnus Hirschfeld, Hilde Radusch, Richard Linsert, Felix Halle haben mit ihrer Arbeit zu diesen Fragen Meilensteine gesetzt, auf die wir stolz sind – und in deren Tradition DIE LINKE steht. 

Wir wollen eine Gesellschaft des demokratischen Sozialismus aufbauen, in der die wechselseitige Anerkennung der Freiheit und Gleichheit jeder und jedes Einzelnen zur Bedingung der solidarischen Entwicklung aller wird, heißt es in unserem Parteiprogramm.

Von daher gilt unser Blick selbstverständlich auch Menschen, die aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität staatlicher und gesellschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt sind. Dazu haben wir uns in unseren Wahlprogrammen stets eindeutig bekannt.

Unterdrückung und Diskriminierung aufgrund der geschlechtlichen Identität oder sexuellen Orientierung potenziert die ohnehin vorhandene Unterdrückung im Kapitalismus. Gerad auch viele trans- und intergeschlechtliche Menschen leben in Armut. Aufgabe unserer Partei ist es, die Interessen derjenigen zusammenzuführen, die unter den gesellschaftlichen Verhältnissen leiden. Das "verächtlichte Lebewesen" war schon immer mehr als nur Zugehöriger der subalternen Klasse.

Von daher gilt unser Blick von je her selbstverständlich auch Menschen, die aufgrund ihrer geschlechtlichen Identität staatlicher und gesellschaftlicher Diskriminierung ausgesetzt sind. 

Gleich mehrfach hat das Bundesverfassungsgericht zu Recht Teile des noch bestehenden Transsexuellengesetzes außer Kraft gesetzt, weil es gegen die Menschenwürde verstößt. Dem Gesetzgeber wurde schon vor Jahren aufgetragen, eine Überarbeitung vorzunehmen. Ebenso zwang das Bundesverfassungsgericht den Gesetzgeber dazu intergeschlechtliche Menschen im Recht anzuerkennen. Doch die bisherigen gesetzlichen Regelungen sind unzureichend und diskriminierend.

Von daher ist ein Selbstbestimmungsgesetz überfällig, welches es trans, inter und nonbinären Menschen ermöglicht, ihre Geschlechtsidentität auch gegenüber dem Staat anzugeben, ohne zuvor kostspieligen und demütigenden Begutachtungen ausgesetzt zu werden.

DIE LINKE begrüßt die Bestrebungen zur Einführung eines Selbstbestimmungsgesetzes und fordert die Bundesregierung auf, endlich einen längst versprochenen Gesetzesentwurf in den Deutschen Bundestag einzubringen. Sicherzustellen ist dabei, dass die zahlreichen Stellungnahmen aus der Community, aber auch des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) berücksichtigt werden, die die einzelnen Regelungen (wie Hausrecht, Wartefrist, Krisenfall) des Referentenentwurfs kritisieren.

Ein Selbstbestimmungsgesetz muss diskriminierungsfrei sein.

Die desolate Situation des bundesdeutschen Gesundheitssystems kennen alle Kassenpatient*innen und im öffentlichen Gesundheitsdienst Beschäftigten. Auch her sind trans besonders betroffen, weil eine gesetzliche Regelung für ihre angemessene gesundheitliche Versorgung nach wie vor fehlt. Es darf nicht sein, dass die eigene finanzielle Situation darüber entscheidet, ob medizinische Maßnahmen zur Verfügung stehen oder ob nicht. Zudem fehlen gesetzliche Regelungen zum Abstammungs- und Adoptionsrecht. Neben dem Selbstbestimmungsgesetz muss die Bundesregierung auch in diesem Bereich schnell handeln. Und endlich ihren versprochenen Gesetzesentwurf vorlegen.

Trans- und intergeschlechtliche sowie nichtbinäre Menschen sind derzeit in den Fokus einer gesellschaftlichen Debatte, die insbesondere von rechten Kreisen geführt wird, ausgesetzt. Trotz der positiven Erfahrungen aus den Staaten, die schon längst ein Selbstbestimmungsgesetz haben, werden Schreckensszenarien von bedrohten Schutzräumen für Frauen und von Kindeswohlgefährdung an die Wand gemalt. Begleitet wird diese Kampagne davon, dass es sich um „Gendergaga“ handle, der zudem dazu führe, die soziale Frage und die wichtigen Themen, die die Menschen bewegen, zu vernachlässigen. 

Dagegen ist entschiedener Widerspruch notwendig. Die soziale Frage darf nicht gegen Menschenrechte ausgespielt werden. Zumal beides in einem engen Zusammenhang steht. Die Umsetzung wissenschaftlicher und medizinischer Erkenntnisse, die Durchsetzung von Grund- und Freiheitsrechten für alle Menschen und der Kampf um soziale Verbesserungen steht niemals gegeneinander, sie gehören immer zusammen.