Investitionswende statt Schuldenbremse
Beschluss des Parteivorstandes vom 16. März 2024
Damit sozialer Ausgleich, Klimaschutz und öffentliche Infrastruktur nicht weiter auf der Strecke bleiben
Spätestens seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ist offensichtlich: Die Schuldenbremse des Grundgesetzes blockiert notwendige Investitionen in den Klimaschutz und die öffentliche Infrastruktur, den Umbau der Industrie und den sozialen Ausgleich. Sie ist eine Investitions- und Zukunftsbremse. Um die Deckungslücke im Haushalt zu schließen, erhöht die Bundesregierung den CO2-Preis um dem Klima- und Transformationsfonds fehlende Mittel zuzuführen, der soziale Ausgleich durch ein Klimageld bleibt dabei auf der Strecke. Die Deckelung der Netzentgelte entfiel. 1,5 Milliarden Euro sollen beim Bürgergeld und anderen sozialen Leistungen gekürzt werden. Diese restriktive Haushaltspolitik belastet effektive Nachfrage und konjunkturelle Entwicklung. Schon jetzt ist klar: Bleibt das Ampel-Dogma „Einhaltung der Schuldenbremse und keine Steuererhöhung für Vermögende“ bestehen, klafft für das Jahr 2025 eine noch größere Haushaltslücke – weitere Kürzungen bei Sozialem und Investitionen sind damit vorprogrammiert.
Die Rufe nach einer Reform der Schuldenbremse werden zu Recht lauter und häufiger. In der Vergangenheit wurden in Bund und Länder immer mehr Sondervermögen jenseits der Kernhaushalte etabliert, um notwendige Investitionen außerhalb des Geltungsbereichs der Schuldenbremse finanzieren zu können. Diese Umgehungsversuche machen offensichtlich, dass die Schuldenbremse im Widerspruch zu den finanziellen Notwendigkeiten in Bund und Land steht. Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts sind diese Möglichkeiten jetzt aber massiv eingeschränkt. Das unternehmernahe Institut der deutschen Wirtschaft (IdW) plädiert z.B. für einen „Investitions- und Transformationsfonds“ im Grundgesetz – vergleichbar mit dem Sondervermögen für die Bundeswehr. Auch Bundeswirtschaftsminister Habeck schlägt ähnliches vor. Die SPD fordert eine noch nicht näher spezifierte Reform der Schuldenbremse, auch mehrere Länderregierungschefs der Union haben sich mittlerweile für eine Reform der Schuldenbremse ausgesprochen. Mitglieder des Sachverständigenrats haben pragmatische Vorschläge für eine Flexibilisierung der Schuldenbremse vorgelegt. Danach sollte eine Übergangsphase für die Jahre unmittelbar nach Anwendung der Notfallklausel der Schuldenbremse, die strukturelle Defizitgrenze bei niedrigen Schuldenstandsquoten erhöht und das prozyklisch wirkende Verfahren zur Konjunkturbereinigung reformiert werden. Die Linke im Bundestag hat in einem Antrag die Umsetzung dieser Vorschläge als ersten Schritt vor einer grundlegenden Debatte über die Schuldenbremse gefordert, um kurzfristig die finanzielle Handlungsfähigkeit des Staates zu erweitern.
Darüber hinaus tritt Die Linke für eine grundlegende Änderung ein: Wir wollen eine Abschaffung der existierenden Schuldenbremse und ihre Ersetzung durch die sog. „Goldene Regel“ ein, wonach Investitionen über Kredite finanziert werden dürfen. Auch der wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums schlägt eine derartige Regel vor. Nach den gegenwärtigen Regeln der Schuldenbremse dürfen lediglich Kredite in Höhe von 0,35 Prozent des BIP verändert um eine Konjunkturkomponente und bereinigt um finanzielle Transaktionen aufgenommen werden – für 2024 ergeben sich so 39 Mrd. Euro zulässige Nettokreditaufnahme. Noch härter trifft die Schuldenbremse die Bundesländer: Sie dürfen keinerlei strukturelles Haushaltsdefizit aufweisen. Auf der anderen Seite besteht nach unterschiedlichen Studien ein Bedarf an Klimainvestitionen innerhalb von 10 Jahren in Höhe von 460 Mrd. Euro, im gleichen Zeitraum an Investitionen in Höhe von 460 Mrd. in die öffentliche Infrastruktur. Das Deutsche Institut für Urbanistik geht allein von einem jährlichen Investitionsbedarf von ca. 53 Mrd. Euro in die Verkehrsinfrastruktur aus. Das KfW-Kommunalpanel beziffert den Investitionsrückstand der Kommunen auf ca. 166 Mrd. Euro. Auch wenn sich Investitionserfordernisse in diesen Studien teilweise überschneiden, ist offensichtlich, dass mit der gegenwärtigen Schuldenbremse die für unsere Gesellschaft existentiellen Bedarfe nicht finanziert werden können. Eine Investitionsoffensive ist dringend notwendig.
Öffentliche Investitionen erhöhen das öffentliche Vermögen und den Nutzen für künftige Generationen. Es ist deshalb gerechtfertigt nach dem Prinzip „pay as you use“ auch künftige Generationen über Kredite an der Finanzierung der Infrastrukturen zu beteiligen. Öffentliche Investitionen befördern zugleich das Wirtschaftswachstum und können die Produktivität erhöhen. Der Multiplikator öffentlicher Investitionen liegt bei 1,3 bis 1,8 – d.h. ein Euro öffentliche Investitionen führt zu einer Steigerung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 1,30 Euro bis 1,80 Euro und damit auch zu weiteren Steuereinnahmen. Die „Goldene Regel“ ist damit grundsätzlich finanzpolitisch nachhaltig und generationengerecht.
Anders als in der alten Fassung der „Goldenen Regel“ des Grundgesetzes ist es jedoch notwendig, den Investitionsbegriff zu konkretisieren. Bisher gelten in der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung vor allem Sachinvestitionen als Investitionen. Investitionen in produktivitätssteigernde Bildungsausgaben und gezielte Zuschüsse an Unternehmen, z.B. im Rahmen der Transformation zur Klimaneutralität, erscheinen in dieser Systematik nicht als Investitionen. Dagegen gelten Rüstungsausgaben als investiv. Wir schlagen deshalb vor, die „Goldene Regel“ mit einer Neufassung des Investitionsbegriffs zu verbinden. Als Investitionen gilt demnach, was zukünftig zu mehr Wachstum führt oder zukünftig Kosten für die Allgemeinheit vermeidet. Dann werden auch innovative Ausgaben wie Bildungs- und Forschungsausgaben erfasst. Investitionen in Rüstung werden dagegen ausgeschlossen – schon aus ökonomischen Gründen: Rüstungsausgaben schaffen keinen langfristigen volkswirtschaftlichen Nutzen. Ebenfalls kann so definiert werden, welche Ausgaben kontraproduktiv für die dringend nötige Transformation zu einer fossilfreien Wirtschaft sind.
Die Bestimmung der über Kredit finanzierbaren investiven und innovativen Ausgabe sollten in einem mit einfacher Mehrheit des Bundestags bzw. der Länderparlamente beschlossenen Ausführungsgesetz festgelegt werden. Solange auch nach Ersetzung der Schuldenbremse durch die „Goldene Regel“ die europäischen Fiskalregeln weiter gelten, müssten in den jeweiligen Ausführungsgesetzen fiskalpolitische Eckwerte unter Berücksichtigung der europäischen Regeln festgelegt werden. Die europäischen Fiskalregeln sind jedoch unter starkem deutschen Einfluss zustande gekommen – eine Abkehr von der gescheiterten Politik der deutschen Schuldenbremse wäre auch ein starkes Signal für eine Abkehr von den restriktiven europäischen Regeln – und die nötige Investitionswende in Europa.