Keine Chatkontrolle
Beschluss des Parteivorstandes vom 10. Juli 2022
Am 11. Mai 2022 legte die EU-Kommission den Entwurf einer EU-Verordnung für Regeln zur Prävention und Bekämpfung der Darstellung sexualisierter Gewalt an Kindern („rules to prevent and combat child sexual abuse“, KOM(2022)209) vor, die auch unter dem Schlagwort „Chatkontrolle“ bekannt wurde. Gegenstand der Verordnung sind Verpflichtungen von Kommunikationsdienstleistern zum anlasslosen Scannen von Inhalten auf Darstellungen sexualisierter Gewalt an Kindern und „Grooming“ (Anbahnungsversuche), einschließlich verschlüsselt übertragener Inhalte. Weiterhin beinhaltet die Verordnung Szenarien für Verpflichtungen zu Netzsperren, Upload-Filtern und zur Altersverifizierung bei Nutzung von Messenger-Diensten. Die Maßnahmen kommen in der Summe einem Paket zur Totalüberwachung gleich.
Die praktische Umsetzung von „Chatkontrolle“ kann bei lückenhaft verschlüsselter Kommunikation durch herkömmliche, massiv ausgeweitete Telekommunikationsüberwachung erfolgen. Bei durchgängig verschlüsselter Kommunikation kann das Auslesen von Nachrichteninhalten hingegen nur durch ein Aufbrechen der Ende-zu-Ende-Verschlüsselung in der Übertragung, oder durch ein Durchsuchen und ggf. Ausleiten von Kommunikation direkt auf den Endgeräten der Nutzer*innen („Client-Side-Scanning“) erfolgen. Derartige Maßnahmen lehnt DIE LINKE entschieden ab, vor allem wenn sie – dem EU-Verordnungsentwurf folgend – massenhaft zur Überwachung der zwischen Menschen ausgetauschten Nachrichteninhalte genutzt werden sollen. Weiterhin lehnt DIE LINKE Verpflichtungen zu Netzsperren, Upload-Filtern und zur verpflichtenden Altersverifizierung bei Nutzung von Messenger-Diensten ab und verurteilt den EU-Verordnungsentwurf insgesamt als erschreckende Maßnahme der totalen Überwachung elektronischer Kommunikation.
DIE LINKE unterstützt den zivilgesellschaftlichen Protest gegen „Chatkontrolle“ und begrüßt es, dass sich inzwischen über 100 Grundrechtsorganisationen in einem offenen Brief an die EU-Kommission gewendet haben, um ihren Protest gegen die geplante EU-Verordnung zum Ausdruck zu bringen (https://digitalegesellschaft.de/2022/06/europaeische-zivilgesellschaft-gegen-chatkontrolle/).
Statt technischen Lösungen für soziale Probleme, die ihr Ziel auch noch verfehlen, fordert DIE LINKE Maßnahmen, die Kinder wirksam vor sexualisierter Gewalt schützen:
Sexuellem Missbrauch vorbeugen und schneller erkennen: Jugendämter, die Kinder- und Jugendhilfe und weitere Betroffenen-Initiativen besser ausstatten; Kinder und Jugendliche präventiv besser über ihre Rechte aufklären, junge Menschen zu mehr eigenständigem Handeln befähigen und mehr Anlaufstellen schaffen - online und offline; Eltern und Lehrkräfte proaktiv schulen und informieren
Soziale Ursachen bekämpfen: Vermögensungleichheit und Armutsmigration als Ursachen von Prostitution Minderjähriger und sexueller Gewalt entgegenwirken; konsequente Aufklärung und Prävention bei ausgeprägten Abhängigkeitsverhältnissen von Kindern zu Erwachsenen, etwa in kirchlichen Strukturen, stationären Einrichtungen und im Sport; mehr Forschung zum Umgang mit Pädophilie
Wirksame Ermittlungsarbeit: Prioritäten und Koordinierung der Polizeiarbeit und Justiz anpassen, damit Verdachtsfälle schneller verfolgt werden können; Weitermeldung aller bei Ermittlungen gefundenen Bilder an internationale Datenbanken; Serverbetreiber zur Löschung aller bei Ermittlungen gefundenen Bilder auffordern; einzelfallbezogene Überwachung durch verdeckte Ermittlungen und Open Source Intelligence (OSINT); längere Beobachtung von Tätern