Die Ampelkoalition bleibt minderheitenpolitisch vieles schuldig!
Bei den Minderheitenorganisationen wie auch bei minderheitenpolitisch engagierten Mitgliedern der jetzigen Ampelparteien waren die Erwartungen groß. Im heute veröffentlichten Koalitionsvertrag von SPD, Bündnis90/Die Grünen und FDP findet sich aus unserer Sicht nur wenig von diesen Erwartungen. Dazu erklärt die Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft Ethnische Minderheiten der Partei DIE LINKE Renate Harcke:
Eine zentrale Forderung der Minderheitenverbände – die nach einer Grundgesetzänderung zum Schutz der in Deutschland anerkannten autochthonen Minderheiten – hat es (wieder) nicht in einen Koalitionsvertrag auf Bundesebene geschafft. Hingegen werden zahlreiche geplante Grundgesetzänderungen konkret benannt: die Aufnahme der Rechte von Kindern (gleich an drei Stellen!), die Streichung des Begriffs „Rasse“, das Verbot von Diskriminierungen wegen der sexuellen Identität, die Aufnahme der Kultur als Staatsziel und die Absenkung des Wahlalters. Warum aber macht sich die Koalition nicht für den Minderheitenschutz stark? Und wie wird sich die Koalition zu dem seit über zwei Jahren im Bundesrat liegenden Gesetzentwurf von Schleswig-Holstein, Brandenburg und Sachsen verhalten, für den es immer noch keine Mehrheit gibt? Keine Antwort dazu!
Auf der Habenseite der neuen Koalition steht zweifelsohne die Stärkung der Unabhängigkeit der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz soll evaluiert werden - ob es allerdings auch das von den nationalen Minderheiten seit langem geforderte Verbandsklagerecht geben wird, dazu hüllt man sich in Schweigen.
Positiv ist, dass die Koalition die Empfehlungen der „Unabhängigen Kommission Antiziganismus“ aufgreifen und einen Antiziganismus-Beauftragten bzw. einen Antiziganismus-Beauftragten einsetzen will. Was letztendlich dann von den weit über 60 Empfehlungen, insbesondere von denen zur Wiedergutmachung für erlittenes Unrecht vor und nach 1945 sowie zu Asyl und Bleiberecht, umgesetzt werden wird, bleibt abzuwarten. Die Schaffung einer
Nationalen Koordinierungsstelle zur Umsetzung der EU-Roma-Strategie sowie einer unabhängigen Monitoring- und Beratungsstelle für antiziganistische Vorfälle ist überfällig. Dass sie jetzt endlich durch die neue Koalition in die Tat umgesetzt werden sollen, ist ein wichtiger Schritt für die Sinti und Roma in der Bundesrepublik.
Die Minority SafePack Initiative (MSPI) will die neue Koalition „proaktiv“ unterstützen. Was aber um Himmels Willen soll die Feststellung, man wolle die MSPI in Deutschland umsetzen? Die Europäische Bürgerinitiative ist auf die Veränderung der Politik der Europäischen Union gerichtet, hierzulande gibt es nichts umzusetzen … Neugierig wären wir hingegen gewesen zu erfahren, welche Ansätze die neue Regierung gegenüber der Europäischen Kommission hat. Auch hier keine Antwort!
Die Koalition möchte zudem Projekte für den Erhalt und die Entfaltung der Minderheiten, ihrer Sprachen und Kultur ausbauen - das ist auch nicht gerade sensationell. Denn allein durch das vom Bundestag 2020 beschlossene Strukturfördergesetz für Kohleregionen ist Etliches, einschließlich der finanziellen Rahmenbedingungen, vorbestimmt. Es ist löblich, dass die Koalition das Strukturstärkungsgesetz und das Bundesprogramm STARK an den beschleunigten Kohleausstieg anpassen will. Nur bleibt die Frage: Wann soll der Bundeshaushalt für 2022 beschlossen werden? Genau das Fehlen dieses Beschlusses ist das Haupthindernis dafür, dass bereits beschlossene Projekte im Interesse der Sorben/Wenden nicht – wie eigentlich erwartet – am 1. Januar 2022 beginnen können und Menschen, die diese Projekte mitentwickelt haben, jetzt vielleicht in die Arbeitslosigkeit gehen müssen!
Und zum Plattdeutschen findet sich einzig der lapidare Satz: „Wir wollen Kultur mit allen ermöglichen, indem wir ihre Vielfalt und Freiheit sichern, unabhängig von Organisations- oder Ausdrucksform, von Klassik bis Comic, von Plattdeutsch bis Plattenladen.“ Ziemlich platt, wenn die neue Koalition ihr Verhältnis zu der Regionalsprache, die immerhin in 8 der 16 Bundesländer noch gesprochen wird, nicht in konkrete Maßnahmen fassen kann.