Minderheiten schützen
Beitrag der Sprecherin der Arbeitsgemeinschaft Renate Harcke für das »Neue Deutschland«
In den letzten 15 Jahren vollzogen sich minderheitenpolitisch in Europa erhebliche Veränderungen. Die Europäische Charta der Minderheiten- oder Regionalsprachen gilt nun in 24, das Europäische Rahmenabkommen zum Schutz nationaler Minderheiten in 39 Staaten. Die Einrichtung eines Europäischen Dialogforums, das mit der Intergruppe für nationale Minderheiten im Europaparlament kooperiert, und eines Netzwerkes Mehrsprachigkeit und sprachliche Vielfalt waren Signale der Minderheiten zum Erhalt ihrer Sprachen und Kulturen. Deren Initiator war die Föderalistische Union Europäischer Volksgruppen (FUEV), die in der vergangenen Woche in Brüssel ihren 60. Geburtstag feierte.
Jubiläen sind Anlass zurückzublicken, auf die Entwicklung während des »kalten Krieges« ebenso wie auf das, was durch die FUEV und ihre 84 Mitgliedsorganisationen in 32 Staaten getan wurde, um eine moderne Minderheitenpolitik in Europa zu etablieren. Ja, es gab die Zeit, in der die FUEV eng mit den Vertriebenenverbänden und ihren Unterstützern kooperierte. Wer unvoreingenommen in die 2006 im sorbischen Budyšin (Bautzen) beschlossene »Charta der autochthonen/nationalen Minderheiten/Volksgruppen in Europa« schaut, kann jedoch sehen, dass sich die FUEV mit diesem Teil ihrer Vergangenheit auseinandergesetzt hat: Heute versteht sie sich als Mittlerin zwischen der Mehrheitsbevölkerung und denen, die als nationale, ethnische oder kulturelle Minderheit in ihrer angestammten Heimat gleichberechtigt ihre Zukunft gestalten wollen.
Das Zusammenleben ist oft nicht problemlos: So stellte unlängst in der Slowakei ein Sprachengesetz den Gebrauch von Minderheitensprachen im öffentlichen Raum unter Strafe. In Griechenland griffen Neofaschisten, ohne dass die Polizei sofort einschritt, Vertreter der mazedonischen Minderheit an. In Italien ging Berlusconi menschenunwürdig gegen Roma vor. In Frankreich, Belgien und Griechenland gelten die europäischen Minderheitenstandards bis heute nicht.Die Bundesrepublik hat Dänen, Friesen, Sinti und Roma sowie Sorben (Wenden) als Minderheiten anerkannt. Wohl vor diesem Hintergrund meinte die »taz« unlängst in einer unsäglichen »Glosse«, die Sorben hätten keine Sorgen, um die sich (linke) Politik kümmern müsste. Aber auch in Deutschland gibt es offenen Rassismus gegen Sinti und Roma, werden Sorben am Gebrauch ihrer Muttersprache gehindert, streiten Dänen und Friesen für eine höhere Landesbeteiligung an der Schülerbeförderung, zwang erst der sichtbare Protest der Minderheit Politiker zum Abschluss eines neuen Finanzierungsabkommens für die Stiftung für das sorbische Volk.
Der Europarat hat die Bundesrepublik 2008 wegen ihrer Minderheitenpolitik massiv kritisiert. Er forderte eine wirksame Förderung der am meisten bedrohten Sprachen – des Nordfriesischen, Saterfriesischen und Niedersorbischen. Er wandte sich gegen die Gefährdung von Obersorbisch durch Schulschließungen. Und mahnte, den Umfang des Unterrichts in Niederdeutsch und Romanes gemeinsam mit den Minderheiten zu schaffen.
»Wir brauchen einen grundlegenden Politikwechsel in Europa, der die viel zitierte kulturelle Vielfalt ernst nimmt«, meinte der FUEV-Präsident Hans Heinrich Hansen unlängst. Denn in Europa gehört jeder Siebte einer autochthonen Minderheit oder Sprachgruppe an.