Erst auf dem Weg zu einem guten Mindestlohn
Jutta Krellmann
Nach vielen Jahren der beschwerlichen Auseinandersetzungen wurde im Juli des letzten Jahres endlich ein gesetzlicher Mindestlohn vom Bundestag verabschiedet. Dies war ohne Zweifel ein Erfolg der deutschen Gewerkschaftsbewegung aber auch unserer Partei, die im Bundestag lange Zeit allein für eine untere Haltelinie gegen die Lohndrückerei einstand. Gerade durch die Agenda 2010 war für uns ein Mindestlohn dringend notwendig geworden, um den Wert der Arbeit und die Würde vieler Menschen in diesem Land zu verteidigen. Aber nicht erst nach dem Inkrafttreten des Mindestlohn-Gesetzes Anfang 2015 ist Ernüchterung eingekehrt. Der von den Unionsparteien und der SPD beschlossene Mindestlohn war bereits im Gesetzgebungsverfahren mehr und mehr durchlöchert worden. Und neben den vielen unsinnigen Ausnahmen und der mangelhaften Kontrolle ist er auch viel zu niedrig angesetzt worden. Ein Mindestlohn muss ein soziokulturelles Existenzminimum bei Vollzeitarbeit gewährleisten und das ist mit den 8,50 Euro angesichts der angewachsenen Lebenshaltungskosten schon heute nicht möglich. Dieses Manko wird sich noch verschärfen, denn die Koalition hat die Höhe ja bis ins Jahr 2018 eingefroren. Dann werden die 8,50 Euro aller Voraussicht nach nur noch einer Kaufkraft von 8 Euro entsprechen. Wir werden in die absurde Situation kommen, dass der Mindestlohn zu einer Art Kombilohn wird, denn viele Vollzeitbeschäftigte werden zu Aufstockern, wenn das Existenzminimum offiziell nach oben angepasst wird.
Für uns als LINKE ist klar, dass wir erst auf dem Weg zu einem guten Mindestlohn sind. Neben der zu geringen Höhe haben SPD und Union mit den vielen Ausnahmen, z.B. für Langzeitarbeitslose, Saisonarbeiter, Zeitungszusteller oder Praktikanten, dem Unterlaufen des Mindestlohns Tür und Tor geöffnet. Die ersten Erfahrungen aus den Betrieben belegen, dass viele Unternehmen tricksen - mit längeren Arbeitszeiten, deren veränderter Erfassung oder durch die Entlohnung mit Sachleistungen. Abgesehen davon sind die willkürlichen Ausnahmen diskriminierend und daher inakzeptabel. Wir müssen davon ausgehen, dass die Arbeitgeber z.B. die Langzeitarbeitslosen durch die Drehtür schicken werden, d.h. sie ohne Mindestlohn einstellen und dann vor dem Einsetzen des Kündigungsschutzes nach sechs Monaten wieder auf die Straße setzen werden. Kurz, der bestehende Mindestlohn hat bei Weitem nicht alle Probleme gelöst, die er hätte angehen sollen. Er hat an einigen Stellen auch die Kämpfe für gerechte Löhne erschwert. Grund genug, den Druck in den Betrieben und in den Parlamenten zu erhöhen, die Missstände weiterhin zu skandalisieren und einzufordern, was selbstverständlich sein sollte - einen Mindestlohn, der für alle gilt und von dem man sorgenfrei leben kann.
Jutta Krellmann MdB ist gewerkschaftspolitische Sprecherin der Fraktion DIE LINKE im Bundestag.