Produktionsschulen – Chance oder Irrweg für benachteiligte Jugendliche?
Barbara Hülsmeyer
Im Rahmen unserer HANSE PRODUKTIONSSCHULE (HPS) ist es durch Wertschätzung und Fördermittel der Ministerien von Mecklenburg-Vorpommern, des Europäischen Sozialfonds, der Landkreise Bad Doberan und Güstrow, der Hansestadt Rostock, der Jobcenter in Bad Doberan, Rostock und Güstrow möglich, individuelle, kreative und existenzfördernde Lebenswege für junge Leute zu gestalten.
Wie konnten wir in der HPS erreichen, dass junge Leute, die keinen Bock auf Schule und Arbeiten hatten, keiner regelmäßigen Beschäftigung nachgingen, einen Arbeitstag nicht aushielten, doch Stolz auf sich und persönliches Engagement entwickelten?
Ein Beispiel aus dem Arbeitsalltag:
Erledigen von Vorbereitungsarbeiten in den Gewächshäusern: Es ist kalt im Monat Januar und doch muss jetzt für den Gemüseanbau der zukünftige Ertrag abgesichert werden. Marko fragt sich, ob wir wieder so hohe Erträge erreichen, wie im vergangenen Jahr? "Los, alle mit anpacken, damit es was wird!"
Fünf junge Männer sind damit beschäftigt, die Beete für die Gurkenpflanzen fertig zu bekommen. Die Zusammenarbeit funktioniert - einer hält die Karre, ein zweiter füllt, der Dritte richtet die Gräben im Gewächshaus her, der Vierte nimmt den Kompost an, der andere verteilt ihn. Es vergeht kaum eine Minute, ohne dass die Werkstattpädagogin sich einschaltet und die Jungs anleitet. Die Jugendlichen, die hier das Arbeiten lernen, sind keine AZUBIS und ohne weitere Vorbereitung werden sie wohl auch keine werden. In der HPS sollen sie an die Berufsreife herangeführt werden. Während eines Teils ihrer Arbeitszeit lernen sie sich in den verschiedenen Fächern zu konzentrieren und Lerntechniken anzuwenden. Während des anderen Teils an einem Arbeitstag produzieren sie, was auf dem Markt gebraucht wird. Das findet in einem überschaubaren Rahmen statt - nicht marktbestimmend.
Die Baugruppe wird auf einer Baustelle die Pflasterarbeiten ausführen; die Gärtnerei verkauft Blumen und Gemüse; die Tierhaltung Kaninchen, Hühner und Enten usw. In der HPS verteilen sich 70 Jugendliche zwischen 15 und 25 Jahren auf sieben Werkstätten: Bauservice, Metallbau, Tischlerei, Hauswirtschaft, Kreative Küche, Tierhaltung und Gärtnerei.
Mehr als sechzig Prozent unserer SchülerInnen haben keinen Schulabschluss; viele haben Gewalt und Missbrauch erlebt, einige Drogen- oder Knastkarrieren. Auch psychische Erkrankungen, Lernstörungen und Analphabetismus gehören eher zum Alltag. Viele SchülerInnen leben in ALG II Familien, dass heißt, sie erleben nicht, dass ihre Eltern einer geregelten Arbeit nachgehen. Bei jedem gibt es Gründe, die zu einer Benchteiligung geführt haben. Diese müssen erkannt werden, um dann gemeinsam den gefüllten "Rucksack der Sorge" auszupacken. Das ist tagtäglich meine Aufgabe. Nebenbei muss die Finanzierung gesichert werden, die anderen Sozialpartner mit in den Förderplan einbezogen und Akquise für Aufträge geleistet werden. Außerdem müssen Freizeitaktivitäten zur Stabilisierung der Tagesabläufe eingebunden werden und die Mitarbeiter befähigt werden, ihren "Mann zu stehen", um die komplexen Aufgaben der Betreuung und Sicherung der Produktion zu realisieren.
Am Ende der Produktionsschulzeit hat jeder Dritte seinen Schulabschluss nachgeholt oder eine Lehrstelle bekommen. Einige schaffen es, auf dem ersten Arbeitsmarkt anzukommen.
Dr. Barbara Hülsmeyer ist Schulleiterin der HANSE PRODUKTIONSSCHULE (HPS) in Rostock