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betrieb & gewerkschaft

Wir streiken für unsere Kinder

Interview mit Andreas Piezocha

Andreas Piezocha ist seit etwa einem Jahr Betriebsrat bei KiK und hat mit seinen Kolleginnen und Kollegen dafür gesorgt, dass den unhaltbaren Bedingungen bei dem Textildiscounter etwas entgegen gesetzt wird und nun auch für einen eigenen Tarifvertrag gestreikt wird.

Ihr seid seit einem knappen Jahr Betriebsrat im Zentrallager von KiK, wieso seid ihr angetreten?

Bei KiK gab es im alten Betriebsrat von Anfang an 5 von 11 Mitgliedern, die sich dem Arbeitgeber näher fühlten als den Beschäftigten. Nach ein paar Monaten sind durch den Druck von Arbeitgeberseite einige damalige BR-Mitglieder umgekippt und haben den damaligen BR-Vorsitzenden abgewählt und durch ein BR-Mitglied, das gleichzeitig Abteilungsleiter war, ersetzt. Dieser neugeformte Betriebsrat hat eine Betriebsvereinbarung unterzeichnet, mit der sie fast alle Mitbestimmungsrechte aufgegeben haben.

Durch diese Betriebsvereinbarung wurden wir gezwungen, bis zu 58 Std. in der Woche zu arbeiten - bei gleichbleibendem Lohn von 1650 Euro Brutto. Überstunden werden nicht entlohnt, sondern nur auf dem Überstundenkonto festgehalten. Die Überstunden durften nur in auftragsschwachen Monaten abgebaut werden und dann auch nur, wenn der direkte Vorgesetzte es erlaubt.

Unter welchen Bedingungen müssen die Beschäftigten bei euch arbeiten.

Wir arbeiten in zwei jeweils zehnstündigen Schichten. Der Großteil der Kollegen hat ein Überstundenkonto zwischen 70 und 160 Stunden.

Das Zentrallager in Bönen ist überbelastet und dementsprechend auch unsere Belegschaft. 2014 hatten wir einen Auftragszuwachs von 13%. Der Druck ist enorm.

Der Arbeitgeber will, dass die Kollegen sich bemühen, Prämien für eine bestimmte Menge an Verladearbeit zu bekommen, und gleichzeitig erschwert er es den Kollegen, diese tatsächlich ausgezahlt zu bekommen. Die Zahl der Verladeaufträge ist ohnehin endlich und wird auch noch vorrangig an die Leiharbeiter vergeben. Die Leistung wird zudem jährlich hochgeschraubt und die Prämienausschüttung systematisch gesenkt.

Was habt ihr bislang getan, um diese Bedingungen zu verbessern?

Als Erstes, haben wir angefangen unsere Belegschaft zu organisieren. Uns war klar, dass wir unsere Forderungen ohne Gewerkschaft nicht durchsetzten können. Vor der Betriebsratswahl im Mai waren 41 Kollegen ver.di-Mitglieder. Sechs Monate später waren es an unserem ersten Streiktag im November 225 Kollegen. Mittlerweile sind es sogar noch mehr.

Unsere erste und wohl wichtigste Betriebsratsamtshandlung war, eine Anwaltskanzlei mit der rechtlichen Überprüfung der Betriebsvereinbarung von 2010 zu beauftragen. Der Anwalt stellte deren Rechtswidrigkeit fest. Die Betriebsvereinbarung haben wir natürlich schnell gekündigt, aber sie wirkt nach. Die Entscheidung darüber fällt nun das Arbeitsgericht. Wir haben versucht mit der Geschäftsführung eine neue Betriebsvereinbarung auszuhandeln, doch dies scheiterte leider an deren Unwillen.

Die wichtigste Verbesserung ist aber nebenbei geschehen. Die Beschäftigten haben ihre Angst verloren. Sie kommen nicht mehr gebückt zur Arbeit. Sie sind selbstbewusster, mündiger und vertreten jetzt ihre Rechte. Wir haben den Betriebsrat in die Belegschaft getragen, und jetzt ist die Belegschaft der Betriebsrat. Wir haben, wie es im BetrVG steht, "die Demokratie ins Unternehmen getragen".

Ihr seid jetzt seit einigen Monaten in Streik, Worum geht es in der Auseinandersetzung?

Kurz gesagt, um den Tarifvertrag im Einzelhandel NRW.

Beispielsweise ein Kommissionier, der derzeit bei durchschnittlich 40-58 Std./Woche nur 1650 Euro bekommt, müsste nach diesem Tarifvertrag bei einer 37,5 Std./Woche 2106 Euro verdienen. Kraftfahrer, die bei uns zwischen 1900 - 2000 Euro bekommen, müssten nach Tarif mit 2700 Euro entlohnt werden. Es geht um das Lohndumping-Geschäftsmodell von KiK, das von Bangladesch bis Bönen mit Unterstützung der Regierung praktiziert wird.

In der zweiten Streikwoche haben wir mal einen Tag zusammen mit den ganzen Familien gestreikt, das war cool. Das schönste Bild war, wie ein kleiner Junge von vier, fünf Jahren mit der neongelben ver.di-Streikweste, die ihm bis zum Boden hing, und der Trillerpfeife im Mund mit Lachen in seinen Augen und Spaß mitging. Die Botschaft ist klar: Wir streiken für diesen kleinen Jungen, wir streiken für unsere Kinder, damit sie es besser haben, als wir.

Wie reagierte die Geschäftsführung auf euren Arbeitskampf?

Eine der ersten Reaktionen seitens der Geschäftsführung war, den Streikbrechern eine "nicht-Streikzulage" von 20 Euro pro Tag ab dem dritten Streiktag zu zahlen. Die Streikbrecher der Spätschicht haben in der Pause Pizza bekommen.

In der zweiten Streikwoche hat die Geschäftsführung, ohne den Betriebsrat zu informieren, drei neue Zeitarbeitsfirmen beauftragt und mit den Firmen langfristige Werkverträge abgeschlossen. Dadurch hat die Geschäftsführung eine Zweitbesetzung zur Stammbelegschaft, die diese im Streikfall (zu maximal 40%) ersetzt. Desweiteren hat die Geschäftsführung die Anwaltskanzlei Dr. Schreiner und Partner GbR beauftragt, massiv gegen uns vorzugehen. Mit Abmahnungen - bei mir sind es elf Abmahnungen in den ersten sechs Monaten meiner Betriebsratstätigkeit - mit Mobbing, oder besser gesagt mit Bossing, gegen Betriebsräte und deren Familienangehörige im Betrieb.

Wie kann man euch am besten unterstützen?

Wir werden demnächst ein Aktionsbündnis KiK gründen. Zunächst werden wir das in kleinerer Runde vorbereiten und danach kann jeder mitmachen und uns unterstützen. Ich würde mich freuen, wenn da dann viele mitmachen.

Interview: Nils Böhlke

Nachtrag: "Ich möchte korrigierend klarstellen, dass der Grundlohn seit dem 1. Januar 2015 von 1650 Euro auf 1750 Euro erhöht worden ist und dass die Kraftfahrer seitdem ebenfalls eine entsprechende Erhöhung bekommen haben. (Andreas Piezocha)"