Für eine neue Kultur des Alters und des Alterns
20 Jahre Seniorenarbeitsgemeinschaft
Ziel originär linker Seniorenpolitik sind gesellschaftliche Bedingungen, die den Menschen im Alter ein selbstbestimmtes Leben in Würde ermöglichen, Entfaltungsspielraum für die Potenziale des Alters schaffen, Altersarmut verhindern, und die den Herausforderungen zunehmender Hochaltrigkeit in der Bevölkerung gewachsen sind.
Dafür steht die Seniorenarbeitsgemeinschaft der LINKEN, deren Formierung in vielen Stadt- und Kreisverbänden der PDS wenige Monate nach dem außerordentlichen Parteitag begann. Seine Bestätigung findet das bereits im Bericht des Parteivorstandes an den 2. Parteitag der PDS im Januar 1991 in der Aussage, dass die AG Junge GenossInnen, Lisa und die AG SeniorInnen zu den am weitesten verbreiteten Interessengemeinschaften der Partei zählen.
Rückenwind für die Formierung einer Arbeitsgemeinschaft von unten kam in dieser Zeit von der "Lustgartenkundgebung", anlässlich der Verabschiedung des Rentenüberleitungsgesetzes am 25. Juli 1991. Ca. 10.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer waren gekommen, um gegen den Missbrauch des Rentenrechts als politisches Strafrecht zu protestieren - ein deutliches Signal an die Partei, dass ein neues Politikfeld auf seine Bearbeitung wartet.
Am 18. September 1991 unterschrieben 50 Genossinnen und Genossen aus den Landesverbänden/ Ost die Gründungsurkunde der Seniorenarbeitsgemeinschaft. Die verstand sich von Anfang an als integraler Bestandteil der Partei. Ihre Mitstreiter wissen aus eigener Erfahrung wie Alter gelebt und gedacht wird und was Alter braucht. Als Betroffene sind sie in der Lage, spezifische Erkenntnisse in die Seniorenpolitik der Partei einzubringen.
Rentenfragen nahmen anfangs zwangsläufig den breitesten Raum in der Arbeit ein. Eine Zweitagesschulung im November 1991 zum neuen Rentenrecht mit über 200 Interessenten legte den Grundstein für ein ganzes Netz von Rentenkonsultanten in den neuen Bundesländern.
Das Bedürfnis vieler älterer Genossinnen und Genossen über die Basisorganisation hinaus am Erneuerungsprozess der Partei teilzuhaben, führte im Dezember 1991 zur Bildung des Seniorenklubs im Karl-Liebknecht-Haus. Inzwischen hat sich der Klub zu einem anerkannten Forum interessanter Bildungsangebote, kulturvoller Debatten und kritischer Geschichtsaufarbeitung entwickelt und ist bis heute diesem hohen Anspruch treu geblieben.
Während in der Anfangszeit Vieles "aus dem Bauch heraus" geschah, gelang es mit Unterstützung von Babara Höll, Martina Bunge und anderen Genossinnen der Bundestagsgruppe, in wenigen Monaten eigene "Seniorenpolitische Standpunkte" zu erarbeiten und auf der Seniorenkonferenz am 12. Mai 1992 zu beschließen. Damit konnte der Partei erstmals ein halbwegs in sich geschlossenen Konzeptes linker Seniorenpolitik vorgeschlagen werden, das deutlich über Rente und Pflege hinausging. Die Mitarbeit der ehrenamtlichen Seniorenpolitiker in anderen Seniorenzusammenschlüssen und mehr Nähe zu den Alterswissenschaften, trugen dazu bei, unsere Vorstellungen von den Kernfragen linker Seniorenpolitik zu schärfen. So wie Kindheit, Jugend und Erwerbsleben nicht durch starre Altersgrenzen sondern im Kontext gemeinsamer psychosozialer Grundbedürfnisse abgegrenzt werden, scheint es nur konsequent, dass in der linken Seniorenpolitik "Alter" nicht willkürlich als 50, 60 oder 65 Plus, sondern als "Lebensabschnitt nach dem altersbedingten Ausscheiden aus dem Erwerbsleben" definiert wird.
Gut vorangekommen sind wir dort, wo Seniorenarbeit auf den berühmten drei Standbeinen beruht - Unterstützung der Vorstände, eigene Aktivitäten der Arbeitsgemeinschaften und vor allem die Mitarbeit unserer Mitglieder in der Volkssolidarität und anderen Seniorenzusammenschlüssen, in den Gewerkschaften und Seniorenvertretungen. Das ist und bleibt wirksame Bündnisarbeit für die Partei.
Auf der Habenseite steht die selbstlose Tätigkeit unserer Rentenkonsultanten, die umfangreiche Aufklärungsarbeit der Kreis-, Stadt- und Landes- A G über die Politik der Partei und das uns übergestülpte Rechtssystem. Beispielhaftes auf diesem Gebiet leistet seit nun mehr fast 20 Jahren der Seniorenklub im Karl-Liebknecht-Haus.
Zu den Marksteinen unserer 20-jährigen Entwicklung gehört 1998 die Aufnahme in die BAGSO, die Bundesarbeitsgemeinschaft der Seniorenorganisationen, die inzwischen über 100 Mitgliedsverbände zählt. Sie verschafft uns u.a. Zugang zu Fachtagungen, zu Ergebnissen der Altersforschung, zu den Deutschen Seniorentagen und der Seniorenmesse "SenNova".
Auf die Fahnen geschrieben hat sich die Seniorenarbeitsgemeinschaft, das "Politikum" Altenpflege aus seinem Nischendasein heraus zu holen. Weil der Alltag der Menschen nach Ausscheiden aus dem Erwerbsleben vor allem in den Kommunen gelebt wird, will sie dazu beitragen, dass kommunale Seniorenpolitik in unserer Partei einen höheren Stellenwert erhält.
Ein neuer Entwicklungsabschnitt verbindet sich mit den Initiativen zur Bildung von Seniorenarbeitsgemeinschaften in Landesverbänden/West. Im Saarland, in NRW und Bremen können die Genossinnen und Genossen auf erste, nachhaltige Ergebnisse verweisen. Ihre Mitglieder tragen dazu bei, linke Seniorenpolitik in den alten Bundesländern stärker zu thematisieren. Sie bereichern die inhaltliche Arbeit der Leitungsgremien der Bundes-AG und sind Veranlassung, auch über Organisationsstrukturen neu nachzudenken.
Das Potenzial linker Seniorenpolitik für mehr Akzeptanz unserer Partei in der Gesellschaft wird bisher unzureichend ausgeschöpft. Gelingen muss es, nicht nur die Geldbeutel sondern auch die Herzen der Seniorinnen und Senioren zu erreichen. Weil dafür langfristiges Denken und Handeln eine Grundvoraussetzung sind, muss die Schere zwischen Seniorenpolitik und den Alterswissenschaften weiter geschlossen werden.
Veränderungen der Bevölkerungsstruktur verursachen vielschichtige Nebenwirkungen in der Gesellschaft. Auch deshalb stellt sich die Frage, ob unser Umgang mit der "Demographie" noch optimal ist. "Bevölkerungswissenschaft" ist kein Mythos. Deshalb sollten Ihre Erkenntnisse weniger ignoriert als vielmehr für die Ausarbeitung politischer Strategien einschließlich einer langfristigen und soliden Seniorenpolitik dienstbar gemacht werden. Wenn die Neoliberalen bis heute den "demographischen Wandel" für ihre unsoziale Politik missbrauchen können, dann auch deshalb, weil ihnen faktisch die Deutungshoheit darüber fast völlig überlassen wird. Schwarzgelbe Seniorenpolitik setzt auf ganzer Linie auf Leistungskürzungen und damit auf Abwertung des Alters. Will DIE LINKE für die wachsende Seniorengeneration Substanzielles bewegen, dann reicht es nicht, die regierungsamtliche Altenpolitik zu reparieren. Notwendig ist ein Ansatz in der Seniorenpolitik, der auf eine andere Kultur des Alters und des Alterns in der Gesellschaft zielt. In diesem Sinne braucht unser Parteiprogramm eine klare Aussage.
Helmut Schieferdecker für den Bundessprecherrat