Potenziale der Seniorenpolitik im Wahlkampf 2013
Brief des Bundessprecherrates an die Vorsitzenden, den Bundesgeschäftsführer und den Vorsitzenden der Bundestagsfraktion der Partei DIE LINKE
Liebe Genossen, der Bundessprecherrat der BAG Senioren hat auf seiner jüngsten Sitzung über die Vorhaben der Bundesarbeitsgemeinschaft im Wahljahr 2013 beraten. Damit im Zusammenhang stand eine Verständigung, unter welchen Voraussetzungen linke Seniorenpolitik einen größeren Beitrag für ein gutes Wahlergebnis leisten kann.
Gemessen an den Interessen der Bevölkerungsmehrheit und im Vergleich zu anderen Parteien verfügt DIE LINKE aus der Sicht des Bundessprecherrates über das nachhaltigste Rentenkonzept und über in sich stimmige Lösungsvorschläge zur Verhinderung massenhafter Armut im Alter. Es darf allerdings auch nicht übersehen werden, dass inzwischen alle Parteien das Thema Rente für sich entdeckt haben und dass die Regierungs- und Regierungsmöchtegernparteien mit ihren Wahlgeschenken bzw. mit dem Versprechen von Wahlgeschenken über einen Bonus verfügen, auf den DIE LINKE keinen Zugriff hat.
Deshalb lautete eine unserer Schlussfolgerung aus den Wahlen 2009: Will unsere Partei künftig mehr Zustimmung aus dem großen Reservoire der Rentnerinnen und Rentner gewinnen, (20 Mio. Wähler), dann muss sie erkennen, dass das Leben im Alter mehr ist als Rente und dass die politischen Konsequenzen einer immer älter werdende Gesellschaft weit über die gerechte Verteilung der Produktivitätsgewinne hinaus reichen.
Wenn wir, DIE LINKE, mit unserer Politik die Interessen der Menschen dieser großen, außerordentlich differenzierten Bevölkerungsgruppe genauer treffen wollen, führt kein Weg an einem offenen und vorbehaltlosen Umgang mit dem Phänomen des demographischen Wandels vorbei. Wissenschaftliche Erkenntnisse wie die der Demographie sollten daher nicht gering geschätzt sondern gezielt genutzt werden, um unsere Seniorenpolitik wirksamer zu machen. Immer weniger Neugeborene, immer höhere Lebenserwartung, aber auch immer mehr alte und hochbetagte Menschen sind nicht irgend ein Zukunftsproblem, kein Mythos und schon gar nicht Schlagwort sondern eine Tatsache, deren Folgen bereits heute in vielen öffentlichen Bereichen, Städten und Gemeinden empfindlich spürbar sind.
Ausgehend von Erkenntnissen des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung zählt die Geburtenrate in Deutschland zu den niedrigsten der Welt. Unser Land ist Weltmeister in der Kinderlosigkeit und hat die im Durchschnitt ältesten Mütter. Der Anteil der über 65-Jährigen an der Gesamtbevölkerung ist der höchste aller EU-Staaten. Zugleich verweisen Daten der WHO die Bundesrepublik auf einen deutlichen Nachholebedarf in der Aus-, Fort- und Weiterbildung auf dem Gebiet der Geriatrie. Vom Weltalzheimertag 2012 ging dass Signal aus, dass sich die Zahl der an Demenz Erkrankten in den nächsten Jahrzehnten verdoppeln wird. Die potenzielle Zahl der Familienangehörigen, die Pflege zu Hause leisten könnten, nimmt aus objektiven Gründen ab während sich die Anzahl der Pflegebedürftigen mit großer Wahrscheinlichkeit um über 2 Mio vergrößern wird.
Mit dem demographischen Wandel verbindet sich allerdings auch, dass keine Altengeneration bisher so gebildet und mobil war wie die heutige. Neu debattiert wird über den Sinn der hinzu- gewonnenen Lebensspanne und über Chancen der älter werdenden Gesellschaft. Es bedarf jedoch intelligenterer Lösungen als Rente mit 67, wenn das große Potenzial der "Alten" an Fachkenntnissen, sozialen Erfahrungen und Aktivität im Interesse des Gemeinwesens besser erschlossen werden soll.
Die gesellschaftlich wirklich relevanten Folgen der Verschiebung der Altersstrukturen erfordern keinen Aktionismus sondern langfristige politische Entscheidungen und eine Seniorenpolitik, die sich im Wortsinne als Querschnittsaufgabe versteht. Leider spielt unsere Partei in dem seit Jahren laufenden demographischen Diskurs, in den zahlreichen Fachkonferenzen, Publikationen und Fernsehgesprächen zu diesem Thema so gut wie keine Rolle. Sie überlässt damit nicht nur dieses öffentlichkeitswirksame Feld den neoliberalen Parteien, sie vergibt sich zugleich wertvolle Möglichkeiten, linke Seniorenpolitik den Menschen, insbesondere der alten Generation näher zu bringen.
Unser Land ist auf die gravierenden Veränderung der Bevölkerungsstruktur nicht eingestellt. Zwar beschäftigt sich der Bundestag seit 1992 mit dieser Problematik und die Regierung hat in den letzten 10 Jahren mehrfach Enquetekommissionen bemüht, um immer neue "Erkenntnisse" zusammen zu tragen, ohne wirklich Substanzielles auf den Weg zu bringen, soweit es nicht Leistungskürzungen bei den "Alten" betraf.
Damit immer höhere Lebenserwartung auch im hohen Alter tatsächlich für die Einzelne und den Einzelnen zu einer zivilisatorischen Errungenschaft und nicht zu einer Quälerei wird, muss sich die Alterskultur in in unserem lande ändern. Wir halten deshalb eine weitere Aufwertung dieses Politikfeldes der Partei für unerlässlich, damit die Menschen besser erkennen, dass linke Seniorenpolitik dafür steht, mit und für die Menschen im Alter das Beste aus dieser Lebensphase zu machen.
DIE LINKE sollte in ihrem Wahlprogramm Antwort auf die Frage geben, was ihr die Menschen im Alter, auch im hohen Alter, auch mit stark eingeschränkter Gesundheit, wirklich wert sind. Es muss erkennbar sein, dass für uns nicht Kosten sondern die Menschen, ihre Ansprüche und Bedürfnisse nach dem Erwerbsleben, an erster Stelle stehen. Für unsere Partei ist Alter nicht "Restzeit" sondern die Abrundung des Lebens, ein ebenso wertvoller Lebensabschnitt wie alle anderen, mit wichtigen Funktionen für die gesamte Gesellschaft.
Der Bundessprecherrat schlägt vor, nach den Bundestagswahlen, das Thema " Linke Seniorenpolitik im Zeichen des demographischen Wandels" auf einer der nächsten Tagungen des Parteitages grundsätzlich zu behandeln.
Es sollte keine Bundestagswahl mehr vorbeigehen, ohne ein "zündendes" Plakat, nach Möglichkeit eine Großfläche, mit einem Thema zum Engagement der LINKEN für die Interessen der Menschen im Alter.