Zur Aktualität des Marxismus in der Politischen Bildung
Unter strengen Hygieneauflagen und mit einer ordentlichen Prise Humor, Achtsamkeit und Gelassenheit fand die Tagung auf drei Ebenen statt — oder in drei Sphären, könnte man augenzwinkernd sagen: zum einen als Präsenzveranstaltung im Rosa-Luxemburg-Saal des Karl-Liebknecht-Hauses mit den dort Versammelten, zum zweiten per Bildschirmübertragung in einen anderen Konferenzraum des Hauses für weitere Anwesende, und zum dritten als Live-Stream online für ein virtuelles Publikum zu Hause.
Dieser Hybrid-Charakter tat der produktiven Tagungsatmosphäre keinen Abbruch — im Gegenteil, es zeigte uns, was technisch möglich ist, wenn die Räumlichkeiten gewissen Einschränkungen unterliegen.
Anlass und Ziele der Tagung
Bereich und Kommission politische Bildung arbeiten seit 2020 zusammen an einer Neukonzeption der marxistischen Grundlagenbildung in der LINKEN. Es geht darum, für theorieinteressierte Ehrenamtliche der Partei fundierte und zugleich zugängliche Seminarformate zu entwickeln bzw. bestehende zu verbessern. Ein Anlass war die personelle Neuaufstellung unseres Bereichs – das fanden wir eine gute Gelegenheit, uns Rat und Expertise zu holen, um unsere bisherige Bildungsarbeit weiterzuentwickeln: Referent*innen, die zumeist in einem Umfeld außerhalb der Partei bildnerisch und wissenschaftlich tätig sind, kamen ins Gespräch mit wichtigen Multiplikator*innen auf dem Feld der innerparteilichen Bildungsarbeit.
Die auf der Tagung Versammelten verband, dass sie einen Fuß in der Theorie und einen in der Bildungsarbeit haben. Es gelang immer wieder, zwischen beiden Feldern die didaktische Brücke zu schlagen. Somit ging es also nicht um Marx-Exegese, sondern darum, wie man Marxsche Theorie und marxistische Debatten in spannende Bildungskonzepte übersetzen kann. Denn ganz in dem Sinne, dass die Theorie zur materiellen Gewalt wird, sobald sie die Massen ergreift, wie Marx es formulierte, wollen wir theoretische Grundlagenbildung in die Breite der Partei tragen.
Unsere Seminarteilnehmenden, also die Mitglieder und Aktiven der LINKEN, sind eine bunte Mischung, was Vorwissen zu Marxscher Theorie und zu Marxismus anbelangt – oder Vertrautheit mit Theorie und Textarbeit, Praxisbezüge, Alter, Herkunft und Bildungsgrad. Zugespitzt: Bei uns sitzt die beruflich eingespannte Krankenpflegerin im Seminar neben dem Antifa-Kid, dem Politik-Studenten, dem HartzIV-Bezieher und der Programmiererin. Für sie alle – und mit ihnen zusammen, denn jede und jeder bringt schon Wissen mit – machen wir theoretische Grundlagenbildung.
Ein weiterer Anlass für die Neukonzeption ist eine neue Generation von bildungsaffinen Genoss*innen, die mit Marxismus nicht aufgewachsen sind; weil die alte Generation von marxistischen Hochschullehrer*innen in Rente gegangen ist, die durch 1968 an die Unis kam; die durch BA/MA wenig Zeit für Kapital-Lesekreise hat; die aber auch – das wäre die These – Themen wie Rassismus, Feminismus und Ökologie viel selbstverständlicher einfordern; wie diese Themen materialistisch angegangen und mit marxistischer Theorie aufbereitet werden können, ohne die „klassisch“ marxistischen Themen – Ökonomie, Staatsverständnis, soziale Ungleichheit – zu vernachlässigen.
Die Arbeit an dieser Neukonzeption wird Zeit in Anspruch nehmen, zugleich werden wir im laufenden Prozess bereits Dinge ausprobieren und evaluieren. Am Ende des Prozesses soll ein marxistisches Grundlagenprogramm für die LINKE stehen. Für seine Konzeption bot unsere Fachtagung intellektuelles Futter. Die Tagung war also der offizielle Auftakt einer Debatte – nicht ihr Schlusspunkt.
Die Inhalte
Wenn wir nach der Aktualität des Marxismus fragen, fragen wir zugleich, wie theoretische Grundlagenbildung heute aufgestellt sein muss, was also marxistisches Denken leisten muss – und kann. Unter dieser Fragestellung begann die Tagung mit dem Eröffnungspanel, auf dem Eva Bockenheimer (Philosophin und gewerkschaftliche Bildnerin und Beraterin), Bafta Sarbo (Sozialwissenschaftlerin und Leiterin von Kapital- Lektürekursen) und Michael Heinrich (Politikwissenschaftler und Autor diverser Einführungen in Marx’ Kritik der politischen Ökonomie) miteinander diskutierten.
- Beitrag von Eva Bockenheimer
- Beitrag von Bafta Sarbo
- Beitrag von Michael Heinrich
Weitere Fragen des Eröffnungspanels waren:
- Kapitalismus zu Marx‘ Zeiten und heute: Ist die Kritik der politischen Ökonomie überhaupt noch aktuell?
- Welche Rolle kann marxistische Bildung heute für die Orientierung, Ermächtigung und die Kämpfe der Arbeiter*innen spielen?
- Wer ist überhaupt die Arbeiter*innenklasse? Und wo sind heute in der Dienstleistungsgesellschaft, den freiberuflichen Ich-AGs, den Solo-Selbständigen die Kapitalist*innen zu finden?
- Mit Marx kann man Ausbeutung treffend analysieren, aber: Für welche neuen gesellschaftlichen Entwicklungen oder Strukturen ist die Marxsche bzw. die marxistische analytische Linse hilfreich?
- Wie können abstrakte Begriffe – Marxsche Kategorien, marxistisches Denken – am (bisweilen bizarren) Alltagsverstand andocken, am konkreten Leben, an den „objektiven Gedankenformen“?
Anschließend diskutierten alle Anwesenden in vier parallelen Workshops zu unterschiedlichen Themenbereichen:
Workshop 1: Marxismus und die vermeintlichen Nebenwidersprüche: Intersektionale Bildungsformate zu Klasse, Race und Geschlecht
— mit Melanie Stitz, Redakteurin, Bildnerin und Leiterin des Regionalbüros der Rosa-Luxemburg-Stiftung in NRW
— mit Ceren Türkmen, Soziologin und Autorin zu Klassenverhältnissen und Migration. (Leider musste Ceren aufgrund von Krankheit kurzfristig absagen.)
Workshop 2: Marx und gesellschaftliche Naturverhältnisse: Wachstum, Produktivkraftentwicklung und Bedürfnisse als Kategorien der politischen Bildung
— mit Valeria Bruschi, Bildnerin, Co-Autorin von PolyluxMarx und Dozentin an der Volkshochschule Berlin-Mitte
Workshop 3: Marx in der politischen Bildung mit Nicht-Akademiker*innen: Konzepte und Erfahrungen
– mit Christoph Ernst, Bildner und Autor von Marx für Alle!
Workshop 4: Marxismus und Staat: Bildungsformate zur Analyse von Herrschaft und Gesellschaftsveränderung von links
– mit Moritz Zeiler, Bildner und Autor zu materialistischer Staatskritik
Den Abschluss der Tagung bildete die Diskussion über aktuelle Herausforderungen an marxistische Grundlagenbildung in der LINKEN auf der Höhe der Zeit
– mit Sahra Mirow, Co-Sprecherin der LINKEN Baden-Württemberg, und Malte, LINKE-Mitglied und politischer Bildner aus Jena