Digitale Demokratie statt Herrschaft der Monopole
Warum es heute ein antimonopolistisches Bündnis für eine demokratische Digitalisierung braucht
Von Katja Kipping, Anke Domscheit-Berg und Katalin Gennburg
1. Stell Dir vor…
Stell Dir vor, es gäbe SOZIALE Netzwerke, die Dir nicht ständig personenbezogene Werbung anzeigen und auf denen Deine Daten Dir gehören. Stell Dir vor, Du allein hättest die Souveränität über Deine Kontakte. Stell Dir vor, nicht einige wenige Konzerne bestimmten die alltägliche Kommunikation, sondern eine Vielzahl von Netzwerken, zwischen denen Du einfach hin und her wechseln könntest. Stell Dir vor, soziale Netze würden uns tatsächlich näher zusammen bringen und nicht Hass und Fakenews verbreiten. Stell dir vor, die Digitalisierung würde mehr Demokratie ermöglichen, anstatt einige Konzerne groß und unsere Demokratie klein zu machen.
All das wäre möglich, aber die Wirklichkeit sieht leider anders aus. Wenige Digitalkonzerne wie Google, Facebook & Co. beherrschen den Markt und schlagen Profit aus unseren Daten. Was wir wollen, ist einen Weg aufzuzeigen, wie wir die Macht der Internetgiganten brechen und kooperative und gemeinwohlorientierte Eigentumsformen und Technik an ihre Stelle setzen können. Dafür brauchen wir heute nichts Geringeres als ein breites antimonopolistisches Bündnis.
2. Wie Digitale Monopole unser Leben beherrschen und unsere Demokratie bedrohen
Es ist kein Geheimnis mehr: Unsere Demokratie ist in Gefahr. Die AfD und ihre konservativen Steigbügelhalter hier, eine Internationale der Mauerbauer um Trump, Erdogan und den autoritären Staatskapitalismus Chinas dort – sie alle stellen Menschen-rechte, individuelle Selbstbestimmung und Rechtsstaat offen in Frage. Doch es sind nicht nur der rechte Rand, neue Faschisten und alte Reaktionäre, die unsere Demokratie bedrohen. Die demokratische Maxime, dass die Menschen ihre gemeinsamen Angelegenheiten selbst bestimmen sollen, befindet sich heute vielmehr in einem Zwei-Fronten-Konflikt. Denn den westlichen Demokratien erwächst aus ihrer vermeintlichen Mitte eine weitere, bisher unterschätze Gefahr: Die massive Konzentration wirtschaftlicher Macht, in den Händen einiger weniger Digital-Konzerne und ihrer Anteilseigner.
Facebook, Amazon, Google, Apple & Co. sind gigantische Finanzfonds, die sich systematisch eine marktbeherrschende Stellung erkauft haben. Sie besitzen unsere Daten und bestimmen die Technik der Zukunft. Nur ein Beispiel: Zwischen 2004 und 2014 hat Google mehr als 23 Milliarden Dollar ausgegeben, um 145 andere Unternehmen aufzukaufen – ohne dass kartellrechtlich auch nur ein einziges Mal eingeschritten worden wäre. Der Konzern hat inzwischen 8 Produkte mit mehr als einer Milliarde Nutzer*innen – ohne dass die entsprechenden Dienste wie sein Suchdienst oder die Videoplattform YouTube sachlich irgendwie miteinander verbunden wären. Mit „freier Marktwirtschaft“ hat das nicht mehr viel zu tun. Anderes Beispiel: Amazon hat nicht nur eine riesige Einkaufsplattform etabliert, sondern nebenbei auch noch große Zeitungen, wie die Washington Post, aufgekauft. Auch eine Methode mit „schlechter Presse“ – etwa wegen der chronischen Missachtung von Gewerkschaftsrechten – umzugehen. Das Ergebnis: Die Monopole kontrollieren zunehmend unsere Kommunikation, unsere Konsumgewohnheiten und unsere Meinungsbildung, sie entziehen sich Steuern wie demokratischer Kontrolle – und prahlen öffentlich damit, dass sie die technischen Standards der Zukunft definieren und die öffentliche Meinung manipulieren können. Das ist kein Problem digitaler Techniken an sich, sie kann zu vielem Guten dienen. Aber wenn sich so viel wirtschaftliche Macht in den Händen einiger weniger konzentriert, bedroht das die Demokratie. Und es unterläuft die technischen Möglichkeiten selbst, da es dazu dient, Knappheit aufrecht zu erhalten, wo längst Überfluss möglich wäre. Das zeigt die Dialektik der Digitalisierung: ihre technischen Potentiale können schnell in soziale Zumutungen umschlagen, wenn sich an den Verhältnissen nichts ändert.
Es ist daher keine Übertreibung festzustellen: Nur wenn es gelingt, den digital-industriellen Komplex aufzulösen, seinen Reichtum umzuverteilen und seine Macht zu demokratisieren hat die Demokratie eine Zukunft. Die Kontrolle des privaten Reichtums und der Macht der großen Konzerne ist analog wie online eine ihrer Überlebensfragen. Die Überwindung der digitalen Monopole ist daher auch keine Aufgabe für die Linke allein; es braucht jetzt ein antimonopolistisches Bündnis, das Sozialdemokrat*innen wie Liberale, Sozialist*innen und Grüne, ja selbst fortschrittliche Konservative im Kampf für das Primat der Politik über die digitalen Riesen vereint. Dabei geht es natürlich nicht nur um Facebook, Amazon und Google, aber bei den Schrittmachern der Zukunftswirtschaft gilt es anzusetzen. Damit wir morgen überhaupt noch darüber streiten können, wie die Früchte der Digitalisierung am besten allen Menschen zu Gute kommen. Es geht längst um mehr als Datenschutz. Es geht um die Macht.
Deswegen reicht es nicht neue Datenschutzregeln einzuführen, den Breitbandausbau zu fördern oder bessere Standards im Umgang mit Hasspostings durchzusetzen. Es braucht vielmehr eine mehrdimensionale Agenda für eine digitale Demokratie, die mit Steuern, Ordnungsrecht, Datenschutz, Transparenzpflichten und Kartellämtern insgesamt dafür sorgt, dass die Macht der Konzerngiganten gebrochen wird. Ähnlich wie in den 1930er Jahren, als es Demokrat*innen und Arbeiter*innenbewegung mit Präsident Franklin Roosevelt in den USA gelang, den entfesselten Industriekapitalismus wohlfahrtsstaatlich einzuhegen, stehen wir heute vor der Aufgabe, den digitalen Kapitalismus wieder an die Kette der demokratischen Regulation zu legen. Das heißt: Es braucht jetzt nicht nur eine ökologische Modernisierung, sondern auch einen digitalen „New Deal". Unsere Perspektive dafür ist klar: Wenn etwas zu groß für die Demokratie ist, ist es höchste Zeit, es kleiner zu machen. Das gilt für Banken genauso wie für Internetgiganten.
Globale Player wie Facebook und Airbnb sind nur zwei Beispiele dafür, wie breit sich Internetkonzerne in unser aller Umfeld machen konnten, wie sehr sie Einfluss darauf nehmen können, wie wir kommunizieren, uns informieren, Meinungen bilden oder auch wo und wie wir wohnen können. Schauen wir sie uns genauer an.
2.1 Das Soziale Netz „Facebook“ hat mit „sozial“ wenig zu tun
Facebook ist das größte Monopol, das es jemals gegeben hat. Mehr als 2,5 Milliarden Menschen nutzen aktiv seine Dienste. Vor wenigen Jahren durfte Facebook sogar noch die Unternehmen Instagram und WhatsApp dazu kaufen, WhatsApp hat 1,6 Milliarden Nutzer*innen. Nicht einmal ein Drittel des über Links erzeugten Internetverkehrs kommt nicht von Facebook oder Google. Facebook hat mehrfach Gesetze gebrochen und vor allem die privaten Daten der Nutzer*innen nicht ausreichend geschützt. Bei Nutzerbeschwerden ist regelmäßig niemand erreichbar.
Das Soziale Netz hat mit "sozial" wenig zu tun, es ist zur Plattform für die Massenverbreitung von Hass, Hetze und Fakenews geworden. Das liegt an den Algorithmen, die über die Reihenfolge von Postings entscheiden, denn diese sind so eingestellt, dass sie die Aufmerksamkeit der Nutzer*innen möglichst lange binden und möglichst viele Interaktionen (Liken, Kommentieren, Teilen...) hervorrufen. Beides bringt höhere Einnahmen von Anzeigenkunden. Leider ist die menschliche Psychologie so, dass negative Emotionen zu längerer Aufmerksamkeit und zu mehr Interaktionen führen. Deshalb finden sich negative Postings inklusive Fakenews besonders häufig weit oben in der Anzeige der Timeline. Zudem funktioniert die menschliche Psychologie außerdem so, dass wir offensichtlich falsche Nachrichten umso glaubwürdiger finden, je häufiger sie uns begegnen. Werden Fakenews also häufig geteilt und vom Facebook-Algorithmus prominent eingespielt, dann werden immer mehr Menschen sie für wahr halten.
Vor allem ultrarechte Kräfte nutzten Facebook, um über Mikrotargeting und intransparente Anzeigen, die oft falsche Behauptungen verbreiteten, Einfluss auf die Kernprozesse der Demokratie zu nehmen und insbesondere Wahlen zu beeinflussen. Sowohl der Brexit als auch die US-Präsident-schaftswahl wurden nur knapp entschieden. Es ist daher vorstellbar, dass die Plattform Facebook beide Wahlausgänge erheblich beeinflusst hat. Die UN stellte außerdem nach einer Untersuchungskommission formell fest, dass Facebook wesentlich zur Vertreibung von und den Verbrechen an der muslimischen Minderheit der Rohinya in Myanmar beigetragen hat. Verbale Gewalt übersetzt sich immer häufiger in physische Gewalt, auch bei uns in Deutschland.
Nun will Facebook auch noch eine eigene elektronische Währung, den Libra, einführen und so auch noch die Finanzsphäre kontrollieren und beeinflussen. Millionen investiert das Unternehmen weltweit in Lobbyismus. Es ist höchste Zeit, regulierend einzugreifen, solange es überhaupt noch geht.
2.2 Wie die Wohnungsbörse Airbnb zu Wohnungslosigkeit führt
Airbnb ist heute ein global agierender Vermietungskonzern, der als digitale Plattform für Angebote der kurzzeitigen Wohnraumvermietung reich geworden ist und das inmitten einer globalen Wohnungskrise. Als sogenannte Sharing Plattform eröffnet Airbnb seit seiner Gründung 2008 Menschen weltweit die Möglichkeit Wohnraum mit Gästen zu „teilen“. Im Jahr 2017 hat der Plattformkonzern 30 Milliarden $ Umsatz gemacht und schickt sich aktuell an, zum Hauptsponsor der Olympischen Spiele 2024 in Paris zu werden.
Doch woher kommt das viele Geld des eigentlich noch jungen Unternehmens aus dem Silicon Valley? In nur vier Jahren, wuchs das Start-Up von 100.000 Übernachtungen auf 4.5 Millionen weltweit. Was als digitale Bettenbörse begann, vermittelt heute als Vermietungskonzern weltweit mehr Zimmer als die fünf größten Hotelketten zusammen. Dabei war nicht einfach nur die Idee des Teilens von Wohnraum und Betten genial. Was Airbnb wirklich reich macht ist ihre Steuervermeidungspolitik, die Datenpolitik und das massive Agieren gegen lokale Gesetze durch ein perfekt organisiertes Lobbying von Airbnb-Vertreter*innen bei hochrangigen Regierungsmitgliedern auf allen Ebenen, bis hinein in die EU-Kommission. Immer dann, wenn in einem beliebten Innenstadtkiez eine weitere Wohnung für Übernachtungsgäste verfügbar wird und das lokale Bürgeramt die verbotene Kurzzeitvermietung sanktionieren möchte, teilt Airbnb mit, dass man keine Daten herausgeben könne, weil die Server des Konzerns nun einmal in Irland stünden. Airbnb meint es mit den Daten seiner User auch deswegen so ernst, weil sie mit jeder illegal angebotenen Ferienwohnung sehr viel Geld verdienen.
Mit jeder Vermietung erweitert der Online-Konzern seine Datenlandschaft, die insbesondere im dicht besiedelten urbanen Gefüge mächtige Aussagekraft über Trends und Konsumverhalten bieten und deshalb auch wertvoll für die Weitervermarktung an Dritte sind. Data-Scraping, das Schürfen von Daten, nennt man dieses lukrative Geschäft, was zu Recht an die Goldgräberminen von früher erinnert. Mit den Millionen Übernachtungsangeboten dieser Plattform lässt sich sehr plastisch nachvollziehen, wie sich digitale Kapitalräume im analogen Raum materialisieren: Nur weil Airbnb das Brechen von lokalen Verbotsgesetzen gegen Kurzzeitvermietungen über das vermeintliche Schützen der Daten seiner User deckt, ist es laut der Datenrechercheplattform #insideairbnb allein in Berlin mit 22.552 Angeboten Marktführer. Nicht alle dieser Angebote sind illegal aber in einer Mieter*innenstadt mit einer akuten Wohnraummangellage ist eben auch jede fehlende Wohnung ein Problem. So spiegelt die Datenlandschaft des Konzerns die analoge Wohnungskrise wieder. Stadtpolitische Initiativen machen seit Jahren auf diese Missstände aufmerksam und forderten im vergangenen Sommer dem bekannten Volksentscheid entsprechend: Airbnb enteignen!
Im Kern wird hier ein wesentliches Argument der Kritiker*innen des unregulierten Internetkapitalismus sichtbar, nämlich dass mit einer solchen Vergesellschaftung eigentlich nur diejenigen ihre Daten und Werte zurückbekämen, die auch deren Eigentümer*innen sind. Airbnb ist genauso wie Facebook nur deshalb wertvoll, weil es die Werte von User*innen profitabel und verwertbar macht: Wohnraum, Daten, lokale Steuern und Geldtransaktionen. Lokale Regierungen sollten deshalb lieber die gemeinwohlorientierte und genossenschaftlich organisierte Wohnraumtauschbörse FAIRBnB stärken, die Wohnraum tatsächlich teilen lässt, ohne dabei selber reich zu werden. Zusätzlich könnten pro Vermietung Geldanteile in umliegende Kieze gehen. Das wäre gelebte Solidarität im digitalen Zeitalter, die soziale Beziehungen stark macht und nicht unregulierte Internetkonzerne.
3. Unsere To-Do-Liste hin zu einem Digitalen New Deal
Im Modus des bisherigen Geschäftsmodells lassen sich die benannten Probleme nicht lösen. Deshalb wollen wir die neoliberale Version eines Plattformkapitalismus deinstallieren und ein neues Betriebssystem aufspielen. Auch wir Autorinnen geben dem Ziel unterschiedliche Namen. Die einen nennen es digitalen Infrastruktursozialismus, andere reden lieber von Commonismus in Anlehnung an Commons (Gemeingüter). Wie auch immer wir unser Ziel benennen, was wir wollen ist eine Ökonomie des Gemeinsamen, weil die Zeit dafür gekommen ist.
Im Folgenden schlagen wir ein Maßnahmenpaket vor, das sowohl konkrete Reformmaßnahmen wie grundlegende Veränderungen enthält. Diese Maßnahmen zielen vor allem darauf, die Macht von Facebook & Co. zu brechen. Digitalisierung von links bedeutet natürlich auch der Einsatz für soziale Garantien, für Arbeitszeitverkürzung, für mehr Mitbestimmung und für einen besseren Schutz bei Arbeitsstandards. Dazu haben wir in der linken digitalen Agenda im September 2017 konkrete Maßnahmen unterbreitet, die nichts an Aktualität verloren haben. Hier in diesem Text konzentrieren wir uns bewusst auf die Maßnahmen für Datensouveränität und zur Begrenzung der Macht der Internetmonopole.
A) Ordnung schaffen durch ein Digitales Ordnungsrecht
Machtfragen kann man nicht mit Appellen, Bittbriefen und einer wachsweichen Selbstverpflichtung beantworten. Im Gegenteil: Das Primat der Politik muss heute wieder mit Macht durchgesetzt werden. Das ist viel weniger radikal als es sich anhört, ja eigentlich ist es eine demokratische Selbstverständlichkeit. Denn in einer Demokratie entscheiden Parlamente und Regierungen, die das Ergebnis freier Wahlen sind – und nicht die Höhe des Kontostandes oder die Anzahl der Firmenbeteiligungen – über die Regeln für Wirtschaft und Gesellschaft. Zu aller erst gilt daher für die Politik, dass sie sich aus ihrer selbstverschuldeten Unmündigkeit gegenüber den Digitalkonzernen befreien muss, in dem sie aktiv eine digitale Ordnungspolitik betreibt.
Die Mittel dafür liegen längst auf dem Tisch. Zu aller erst braucht es ein Kartellrecht, das auch online scharfe Zähne hat. Bisher werden Facebook & Co. nach dem Kartellrecht nicht als Monopole behandelt. Das kommt noch aus dem industriellen Zeitalter und muss endlich an die digitale Epoche angepasst werden, sodass die neuen Monopole entflochten werden können. Digitalkonzerne, die ihre Betriebssysteme als Standard durchsetzen, um anschließend Anwendungen und Innovationsgeschwindigkeiten zu bestimmen, werden dann zum Fall für das Kartellamt. Natürlich wird es dagegen den üblichen Widerstand und die inszenierte Aufregung der Lobbyisten geben, aber wenn eine Bundesregierung den Mut hat, ihre Möglichkeiten zu nutzen, sitzt sie am längeren Hebel. So könnten bei fortgesetzter „Steuervermeidung“ oder Kartellrechtsvergehen z.B. mit einer aktiven Marktzutrittspolitik auch entsprechende Lizenzen für den Zutritt zum europäischen Markt entzogen werden – und den Zugang zum europäischen Markt wird kein Internetkonzern verlieren wollen.
B) Google, Facebook & Co. ordentlich besteuern
Solange Google, Facebook & Co. privat wirtschaftende Unternehmen sind, sollten sie auch wie jedes andere Unternehmen Steuern zahlen. Der schlechte Witz ist, dass Digitalkonzerne in Europa zwar die größten Gewinne erwirtschaften, aber im Schnitt prozentual deutlich weniger Steuern zahlen als andere Unternehmen – sogar geringere Steuersätze, als durchschnittliche Angestellte oder der Bäcker von nebenan auf ihre Einkünfte. Google zahlte beispielsweise 2015/16 auf eine Milliarde Euro Gewinn nur 3,6 Prozent Steuern. Bis zu 21 Milliarden Euro haben Apples Steuertricks die EU-Mitgliedstaaten alleine in den letzten drei Jahren gekostet. Laut EU-Kommission zahlen Techgiganten in der EU lächerliche 9,5 Prozent Steuern auf ihre Gewinne.
Das Steuerrecht muss europaweit einheitlicher und vor allem endlich an die digitale Zeit angepasst werden. Die Gewinnverschiebung von Digitalunternehmen durch diverse Tricks wie z.B. das Kleinrechnen von Gewinnen in Deutschland durch Abzüge astronomischer Lizenzzahlungen an das Mutterunternehmen im Ausland muss endlich unterbunden werden. Außerdem muss das Konzept der "virtuellen Betriebsstätte" im Steuerrecht verankert werden, damit Digitalunternehmen auch in den Ländern Steuern zahlen müssen, wo sich ihre Kunden befinden. Diese Kunden erzeugen online nicht nur Umsätze, sondern auch jede Menge wertvoller Daten, selbst wenn es dort keinen Betrieb im klassischen Sinne gibt.
Um kooperative und gemeinwohlorientierte Eigentumsformen und Techniken zu fördern, wäre es letztlich nur folgerichtig, wenn ein Teil der Gewinne privater Digitalkonzerne in Förderfonds fließt, die genau solche Alternativen fördern.
C) Echte Datensouveränität schaffen - Datenmonopole zerschlagen
Intelligente Persönliche Assistenten (IPA) wie ALEXA oder Siri sind für viele eine praktische Hilfe. Doch wir bezahlen sie auch nach dem Kauf weiter, mit unseren Daten. Das Groteske daran: Wir können in der Praxis kaum entscheiden, wer Zugang erhält und wer wie davon profitiert. Die Konzerne kontrollieren die Daten und das jeweilige Geschäftsmodell. Auch die Datenschutzgrundverordnung hat bisher nicht geschafft, eine umfassende Datensouveränität herzustellen, immer noch sind viele AGB zu lang und unverständlich, die Einstellungen von Opt-Out Möglichkeiten zu aufwändig und in verzweigten Menüs gut versteckt.
Doch Menschen brauchen das Recht auf Datensouveränität und Privatsphäre, die Hoheit über ihre Daten sollten daher grundsätzlich diejenigen behalten, denen sie gehören und nicht private Digitalkonzerne. Stattdessen werden unter dem Stichwort „Dateneigentum“ in letzter Zeit sogar Forderungen laut, Daten eine Rechtsordnung überzuhelfen, die es erlaubt, sie wie Eigentum zu behandeln. Derartigen Rechten an Daten und Informationen muss eine klare Absage erteilt werden. Stattdessen muss die DSGVO weiterentwickelt und vor allem ihre Anwendung härter durchgesetzt werden, denn theoretisch gibt es bereits eine Pflicht zu einfachen und verständlichen AGBs, die nur Zugang zu Daten verlangen dürfen, die für die Funktionalität eines Dienstes auch erforderlich sind.
In einer digitalen Welt spielt jedoch nicht nur der Schutz der Privatsphäre eine große Rolle, sondern auch der Zugang zu Daten, die nicht personenbezogen sind. Die Macht digitaler Monopole begründet sich ganz wesentlich auch auf solchen Datenschätzen, die so groß sind, dass kleinere Konkurrenten (for Profit oder non Profit) gar nicht erst eine Chance haben, innovative Dienste zu entwickeln, ohne darauf Zugriff zu haben. Deshalb erhebt sich immer häufiger die Forderung nach einer Vergesellschaftung solcher Daten, also nach einer Verpflichtung zum Teilen dieser Daten mit Dritten. Das ist besonders dort sinnvoll, wo die Datenschätze durch (unbezahlte) kollektive Arbeit überhaupt erst entstanden sind, z.B. beim Google-Übersetzer-Algorithmus, der schließlich von Nutzer*innen trainiert wurde, die ihn mit ihrem Feedback bei fehlerhaften Übersetzungen fütterten.
D) Wahlfreiheit durch Interoperabilität und Daten-Portabilität
Viele Menschen mögen die digitalen Monopole nicht, die sie dennoch täglich nutzen, denn sie wollen oder können nicht auf den praktischen "Gebrauchswert" verzichten. Am stärksten ist die Divergenz bei Sozialen Netzen wie Facebook, denn ihr Gebrauchswert entsteht durch den Netzwerk-Effekt. Ein soziales Netzwerk ist daher umso nützlicher für ein Individuum, je mehr Kontakte es darin finden kann, mit denen es sich vernetzen möchte - also je größer das Netzwerk ist. Die vielen existierenden datenschutzfreundlicheren und nicht-kommerziellen Alternativen sind für die meisten uninteressant, denn was nützt ihnen ein soziales Netzwerk, in dem sie fast allein sind? Viele haben außerdem über Jahre hinweg ein digitales Leben auf diesen Plattformen gelebt, dessen Spuren sie nicht verlieren wollen, all ihre geposteten Bilder und Botschaften auf Facebook, all die Mails in der Googlemailbox. Diese wirkmächtigen Barrieren müssen regulativ beseitigt werden, damit wer wechseln möchte, das auch leichter tun kann. Der Wechsel zwischen Mobilfunkwettbewerbern wurde schließlich auch durch das Mitnehmen der Rufnummer erleichtert. Die Datenschutzgrundverordnung hat bereits gute Vorgaben zur Datenportabilität gemacht, darauf gilt es aufzubauen.
Weiter weg, aber noch viel wichtiger als die Datenportabilität ist eine Pflicht zur Interoperabilität zwischen Diensten. So wie man heute ein Foto als MMS ohne Probleme von einem Vodafone-Handy auf ein Telekom-Handy schicken kann, so muss es möglich sein, ein Foto von einem Messenger (z.B. Facebook-Chat oder WhatsApp) zu einem anderen Messenger (z.B. Signal, Threema) zu schicken oder ein Statusupdate sowohl mit Freund*innen auf Facebook als auch mit Freund*innen auf anderen sozialen Netzwerken wie Mastodon, Diaspora oder ganz neuen Alternativen wie Human Connection zu teilen. Denn wer bei einem Umzug auf ein alternatives soziales Netzwerk nicht alle seine Netz-Beziehungen inklusive der eigenen und gemeinsamen digitalen Biographie verliert, der wird auch eher wechseln. Echte Interoperabilität durchbricht die Barriere des Netzwerk-Effektes und gibt Nutzer*innen wieder wirkliche Wahlfreiheit zwischen Diensten. Man kann dann ohne Verluste dorthin gehen, wo man sich wohl fühlt und dem Anbieter vertraut. Mit jeder Nutzerin und jedem Nutzer, die und der wechselt, wird Facebook schwächer und seine Alternativen stärker.
E) Durch Social Innovations Fonds gemeinwohlorientiertes soziales Netz fördern
Am Ende sollte aber kein profitorientiertes Unternehmen die soziale Infrastruktur der digitalen Gesellschaft betreiben. So wie die gemeinnützige Wikipedia das Wissen der Welt bereitstellt, ohne daran reich werden zu wollen, sollte das Grundbedürfnis des Homo Digitalis – sich miteinander in sozialen Netzen auszutauschen – ebenfalls gemeinwohlorientiert bereitgestellt werden. Ein staatliches Facebook ist nicht das Ziel, denn zum einen wäre das zu viel staatlicher Einfluss und Zugriff auf personenbezogene Daten und zum anderen stellte sich dann die Frage, welcher Staat es denn sein sollte. Schließlich kommt wie bei der Wikipedia nur ein weltweites soziales Netz in Frage. Ein solches Netz muss jedoch langfristig und ausreichend finanziert sein, es könnte von der UNO oder der EU finanziert werden. Dafür sollte ein Social Innovation Fonds eingerichtet werden.
Seine Ausgestaltung im Detail sollte ein internationaler Bürgerrat mit zufällig ausgewählten Bürger*innen, unterstützt von Expert*innen und breiter virtueller Beteiligung von Nutzer*innen in ausreichend Zeit und in einem völlig transparenten Prozess entwickeln. Wenn die Anforderungen stehen, muss es eine Bewerbungsphase geben, denn ein solches soziales Netz existiert ja vielleicht schon. Zentrale Gestaltungselemente, die zu den Minimumforderungen gehören sollten, sind: keinerlei Verkauf von Daten an Dritte, ein hoher Grad an Autonomie für die Nutzer*innen (z.B. Hinsichtlich der Art der Anzeige von Postings), reine Gemeinwohlorientierung: keinerlei For-Profit-Geschäfte, Entwicklung mit Open Source, echte Beteiligung der Nutzer*innen an der Weiterentwicklung der Plattform und an der Governance der Plattform sowie die Einhaltung höchster Datenschutzstandards.
Ist eine solche Plattform als sichere, transparente und verlässliche, gemeinwohlorientierte Alternative erst einmal geschaffen und wird die Entwicklung begleitet von der Pflicht zur Interoperabilität, dann kann und wird sie auch gegen ein Monopol wie Facebook eine Chance haben. Durch ihre alleinige Ausrichtung am Nutzen für die Menschen wird ein innovativer Dienst entstehen, der leicht zu bedienen ist, dem man vertrauen kann, und der sich mit den Bedürfnissen der Menschen weiterentwickelt. Erst dann wird aus der politischen Plattitüde, dass "die Technik den Menschen dienen soll" eine Realität, denn in der aktuellen Welt dienen wir einschließlich unserer sozialen Beziehungen im digitalen Raum den Techgiganten als (Daten)-Ware für die Maximierung ihrer Werbeeinnahmen.
4. Eine Einladung
Wir leben längst in einer digitalen Gesellschaft, die sich rasant weiter entwickelt. Es ist völlig klar, dass die Politik bessere digitalpolitische Antworten liefern und jenseits der Frage des Breitbandausbaus und Netzabdeckung Fragen der digitalen Gesellschaft politisch verhandeln muss. Für uns als LINKE braucht es dabei ein klares Bekenntnis zu Datensouveränität und zur Begrenzung der Macht der Internetmonopole. Dass es so nicht weitergehen kann, ist inzwischen selbst in konservativen Kreisen angekommen. Auf dem Internet Governance Forum der UN im November 2019 in Berlin wurde das erneut deutlich. Was noch vor wenigen Jahren als unrealistische und radikale Idee galt, kann heute konstruktiv diskutiert werden. Die digitalen Monopole haben den Bogen überspannt. Es gibt ein Möglichkeitsfenster für ein antimonopolitisches Bündnis, das die Spielregeln neu definiert.
Wir wollen die technischen Potentiale der Digitalisierung nutzen, indem wir regulierend eingreifen und so ihre Gemeinwohlorientierung ermöglichen und fördern. Wir wollen die sozialen Infrastrukturen der digitalen Gesellschaft sicherstellen, zum Beispiel durch eine gemeinschaftliche Verwaltung solcher Infrastrukturen durch nicht-staatliche Akteur*innen.
Für einen digitalen „New Deal" einzutreten bedeutet für uns, die Internet- und Techgiganten strenger zu regulieren und demokratisch zu beschneiden. Den Reichtum dieser Konzerne wollen wir über vernünftige Besteuerung gesellschaftlich umverteilen und wir wollen über unsere wertvollen Daten wieder selbst bestimmen können! Wir wollen Investitionen in eine nachhaltige und soziale digitale Zukunft, Geld für unser aller digitales Gemeinwohl und politisches Eingreifen, das unser digitales Zusammenleben bereichert und nicht die Aktionäre der Internetmonopole. Wir wollen Geschäftsmodelle stark machen, die nicht zum Nachteil für die Demokratie werden, weil ihre Algorithmen sich an Präferenzen der Nutzer*innen orientierten und nicht daran, Werbeumsätze durch Verbreitung von Hassbotschaften und Falschnachrichten zu maximieren.
Ob digitaler Infrastruktursozialismus oder gemeinwohlorientierter Commonismus: lasst uns das bisherige Geschäftsmodell der Techgiganten beenden und die neoliberale Version des heutigen Plattformkapitalismus deinstallieren. Dies ist eine Einladung für ein antimonopolistisches Bündnis für digitale Freiheitsrechte und für ein Internet als sozialer, dezentraler Raum der Ideen und einer offenen Gesellschaft. Ein Raum, der unsere Leben analog und digital bereichert.