Laudatio auf die yezidischen Frauenräte TAJE
Anlässlich der Verleihung des Clara-Zetkin-Preises, 2. März 2018
Es ist mir eine Ehre und eine Freude heute die Laudatio auf die yezidischen Frauenräte TAJÊ aus dem Schingal-Gebirge im Irak zu halten.
Clara Zetkin einmal gesagt: „Lassen wir uns nicht schrecken durch die Ungunst äußerer Umstände, haben wir für alle Schwierigkeiten nur eine Antwort: Erst recht!“
Und wenn das für Frauen zutrifft, dann gilt es erst recht für die diesjährigen Preisträgerinnen.
Viele von uns erfuhren erst wirklich etwas von den Yezidinnen und Yeziden im Moment ihrer versuchten Auslöschung. Ich spreche von den traumatischen Ereignissen im August 2014 im irakischen Schingal-Gebirge.
Damals überfielen die radikalislamistischen Killer des IS den historischen Siedlungsort der yezidischen Volksgruppe.
Das Grauen war wirklich unbeschreiblich. Der IS mordete und die Betroffenen sollten keine Chance haben.
• Die Männer wurden erschossen oder lebendig in die Schluchten des Gebirges geworfen.
• Die Frauen und Mädchen wurden versklavt.
• Einige wurden immer und immer wieder von den islamistischen Kämpfern vergewaltigt.
• Frauen und Mädchen wurden in Käfigen auf den Märkten zum Kauf angeboten.
In Käfigen im Jahr 2014!
Damals retteten sich die Überlebenden der Massaker auf die Berggipfel des Shingal. Dort harrten sie aus und warteten auf Hilfe in der Not.
Die Rettung kam von den Kämpferinnen und Kämpfer der syrisch-kurdischen YPG, die unter Einsatz ihres Lebens einen humanitären Korridor öffneten.
Es ist jene YPG, die heute in Afrin von Erdogans Armee angegriffen wird.
Es ist jene YPG, die Afrin gegen Erdogan und islamistische Milizen verteidigt, um die Kurdinnen und Kurden UND die yezidischen Dörfer zu beschützen.
Es ist jene YPG, deren Fahnen heute in Deutschland nicht immer gezeigt werden dürfen.
Die Rettung kam aber auch von Kämpferinnen und Kämpfer der PKK. Es ist jene PKK, die nicht nur der türkische Staatspräsident Erdogan gnadenlos verfolgt, sondern die auch in Deutschland verboten ist.
YPG und PKK haben dafür gesorgt, dass das yezidische Leben weiter eine Zukunft im Nahen Osten haben kann. YPG und PKK bewahrten die heiligen Stätten der yezidischen Gemeinschaft vor der Zerstörung.
Ich nehme das zum Anlass, um erneut zu fordern:
Das PKK-Verbot gehört aufgehoben!
Warum hassen die Islamisten die Yezidinnen und Yeziden?
Die Verachtung beruht auf einem religiösen Missverständnis. Das klingt banal, aber religiöse Vorurteile können auf grauenhafteste Art und Weise ausgenutzt werden.
Die auf vorislamische Kulte zurückgehende Religion der Yezidi verehrt nicht nur Gott, sondern auch den Engel Tausî Melek.
Der Engel Pfau ist der erste und treueste Engel Gottes. Weil er Gott so treu ergeben war, weigerte er sich nach der Erschaffung des ersten Menschen, sich vor Adam zu verneigen.
Tausî Melek wurde von Gott degradiert. Aber entgegen der christlichen und islamischen Höllenvorstellung wurde er nicht zum Teufel. Vielmehr wurde er der Gesandte zwischen den Menschen und dem Schöpfer.
Die Yeziden kennen keine Hölle und keine ewige Verdammnis. Gott ist für sie so allmächtig, dass es neben ihm keinen Teufel geben kann.
Die Islamisten sind der Meinung, dass die Yeziden Teufelsanbeter sind, so wie Christen jahrhundertelang die Juden als Christusmörder verfolgt haben.
Tausende von yezidischen Frauen und Kindern wurden vom IS nicht nur in die Sklaverei verschleppt, sondern sie erlitten auch, wenn sie überlebten und wieder frei kamen, eine erneute Demütigung.
Sie waren nicht nur durch die erlittenen Qualen traumatisiert, sondern sie mussten nach der Rückkehr in ihre Gemeinschaft um ihre Anerkennung kämpfen.
Die yedizische Kultur ist zutiefst patriarchal und nicht wenige yezidische Männer stellten den Ehrenkodex der Frauen in Frage. Und die Rückkehr der Frauen, die all das durchleiden mussten, ist wirklich alles andere als einfach.
Bei dieser doppelten Unterdrückung setzen die Frauenkomitees von TAJÊ an. Sie helfen den Betroffenen mit Traumatherapien und Bildungsseminaren. Sie helfen den Frauen nicht nur ihre Leiden zu verarbeiten, sondern ermöglichen der yezidischen Frau in die Gesellschaft zu treten.
Sie überwinden die yezidischen Heiratsregeln und geben den Frauen die Möglichkeit als freie Menschen zu leben.
Und dies in einer Region, in der vielfach ein Ochse mehr zählt als eine Frau.
Aus dem Dunkel dieser patriarchalen Geschichte sind die yezidischen Frauenkomitees ins Licht getreten.
Ja, Yezidinnen waren die Opfer der brutalsten Gewalt, die Männer Frauen antun können, aber Yezidinnen können auch aufstehen und den Lauf der Geschichte umdrehen.
Ich habe mit Clara Zetkin begonnen und ich ende mit ihr.
Clara Zetkin hat in ihrer historischen Rede „Für die Befreiung der Frau!“ auf dem Internationalen Arbeiterkongress zu Paris im Juli 1889 einen einfachen Satz gesagt: „Emanzipation der Frau heißt die vollständige Veränderung ihrer sozialen Stellung von Grund aus.“ Dieser Satz umfasst alles.
• Er berührt die Stellung der Frau gegenüber dem Mann,
• die Rolle der Frau in der Gesellschaft und
• die Möglichkeit der Frau als freies Wesen, welches in der Lage ist alle Verhältnisse umzuwerfen und den Schritt zu vollziehen, um den es geht:
Vom Objekt einer Zurichtung zum Subjekt des Lebens und einer Zukunft.
Die yezidischen Frauen von TAJÊ beweisen, dass dies selbst in der allerdunkelsten Stunde gelingen kann.
Sklavinnen können zu freien Frauen werden.
Und freie Frauen können beginnen eine ganze Gesellschaft umzuwerfen.
Für ihre Freiheit und die Freiheit aller.
Ich verneige mich vor ihnen.