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100 Tage Schwarz-Gelb: Zerstritten und chaotisch

Statement von Dietmar Bartsch, Bundesgeschäftsführer der Partei DIE LINKE, auf der Pressekonferenz im Berliner Karl-Liebknecht-Haus.

Einen schönen guten Tag, meine Damen und Herren,

in dieser Woche ist die schwarz-gelbe Regierung 100 Tage im Amt. Es sind zwar dann noch 13 Mal 100 Tage, aber die ersten sind rum. Zumindest sollte man schauen, was denn in diesen 100 Tagen bewegt oder nicht bewegt worden ist. Ich möchte daran erinnern, dass schon im Koalitionsvertrag festgelegt ist, dass es viele Kommissionen und viele Verschiebebahnhöfe gibt. Bisher kann man nicht erkennen, dass in irgendeinem wichtigen Feld etwa Einigung zustande kommt.

Ich will zunächst mit einer Grundeinschätzung beginnen und festhalten, dass das Gesamtbild der schwarz-gelben Koalition das Bild einer sehr zerstrittenen, einer chaotischen Koalition ist. Diese Koalition ist zerstrittener als es die große Koalition selbst in Wahlkampfzeiten war. Das ist schon einigermaßen überraschend. Mir ist nicht aufgefallen, dass es bei zentralen Fragen etwa sinnvolle Konzepte gibt. Das Allerwichtigste ist, dass mit den Entscheidungen, die bereits getroffen wurden und die die schwarz-gelbe Koalition verkündet hat, alles auf einen vier Jahre dauernden haushaltspolitischen Blindflug hinausläuft. Herr Schäuble hat klar und deutlich angekündigt, dass bei seiner Finanzplanung in dieser Legislatur 280 Milliarden Euro neue Schulden gemacht werden, 85 Milliarden in diesem Jahr, dann jeweils 10 Milliarden weniger. Das ist eine völlig inakzeptable Größenordnung, vor allem, wenn man berücksichtigt, dass zum gleichen Zeitpunkt auch Entlastungen stattfinden sollen. Das ist besonders sichtbar bei dem Steuergeschenk, das den Hotelbesitzern gemacht wird. Da sieht man, in welchem Chaos sich die Koalition befindet. Herr Pinkwart hat – wenn ich das richtig gelesen habe – am Wochenende nun die Aussetzung gefordert. Das ist schon ein kurioses Ding. Seit Januar gilt diese Regelung und die FDP hat das in besonderer Weise vorangetrieben. Aber Herr Pinkwart ist ja der, der im Mai in Nordrhein-Westfalen gewählt werden will. Daran sieht man ganz klar und eindeutig, dass hinter diesen Dingen offensichtlich kein Konzept steckt.

Wenn die Ankündigung „Mehr Netto vom Brutto“ gemacht worden ist – insbesondere von der FDP –, dann ist es ein Hohn für alle diejenigen, die im Januar auf den Gehaltszettel geschaut haben. Ich will noch ein Beispiel in der allgemeinen Bewertung besonders hervorheben. Das ist die Kindergelderhöhung von 20 Euro. Diese Kindergelderhöhung ist bei einigen real eine Erhöhung bis zu 40 Euro, durch den Kinderfreibetrag wie Sie wissen. Bei anderen sind es die 20 Euro reales Geld. Dritte bekommen nicht einen Cent, weil das Geld bei ihnen angerechnet wird. Das ist Umverteilung von Unten nach Oben. Da werden diejenigen, die wenig Einkommen haben, bestraft und die viel Einkommen haben über diese Kindergelderhöhung besonders gefördert.

Wenn jetzt immer gesagt wird – und das als letzter Punkt im Allgemeinen –, dass man den Mai abwarten muss, um die konkreten Maßnahmen, die dann anstehen, öffentlich zu machen, dann finde ich das ein ganz großes Kuriosum. Jeder weiß, die Steuerschätzung ist immer im Mai. Aber eines ist auch klar: Die große Überraschung wird es nicht geben. Die grundsätzlichen Maßnahmen, die diese Regierung tätigen muss, die kann man auch vor den Wahlen in Nordrhein-Westfalen deutlich machen. Ich will die Bundesregierung nochmals auffordern, klar und deutlich zu sagen, was nach den Wahlen in Nordrhein-Westfalen geplant ist.

Ich will zu drei Dingen nochmal etwas konkreter werden. Als erstes das große Thema Afghanistan: Zunächst begrüßen wir, dass es dort eine Veränderung gegeben hat. Ich sage auch mit einigem Stolz, dass DIE LINKE wie viele andere dazu beigetragen hat, dass es zumindest ein Umdenken in allen Parteien der Bundesrepublik gibt. Aber es ist auch ganz klar und eindeutig: Die Afghanistan-Konferenz, mit der ja viele Hoffnungen verbunden waren, ist letztlich eine Enttäuschung gewesen. Es gibt keine Abkehr von der Logik des Krieges. Vielmehr ist diese Logik zementiert worden. Es wird getäuscht. Es wird über Abzugsdaten geredet, aber alle diese Daten sind außerhalb der Legislatur, jedenfalls bei der schwarz-gelben Regierung. Es wird mit einer Schwerpunktverlagerung ein Strategiewechsel vorgetäuscht. Aber das ist kein Strategiewechsel. Real ist es so, dass 850 zusätzliche Soldaten nach Afghanistan gehen sollen. Das ist wirklich ein Kuriosum. Man schickt mehr Soldaten hin und sagt dann, dass man eher zurückgehen kann. Das ist eine Logik, die sich zumindest der LINKEN nicht erschließt. Letztlich ist mit den Entscheidungen ein Abzug auf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben. Das ist allerdings wirklich falsch. Es muss darum gehen – und da nehme ich die Bewegung mit Interesse zur Kenntnis –, dass mehr in zivile Konfliktlösung, mehr in den Aufbau investiert wird. Ich kann nur hoffen, dass auch in den Haushaltsberatungen im Entwicklungshilfeetat wirklich relevante Erhöhungen stattfinden, damit wenigstens diese Komponente gestärkt wird und dass sie nicht dafür genutzt werden, ausschließlich militärische Maßnahmen zu flankieren.

Ein zweites Thema, zu dem ich etwas sagen will, ist die Frage Arbeitslosigkeit, verbunden mit Mindestlohn: Gerade das Urteil zum Postmindestlohn aus der vergangenen Woche ist für mich noch einmal Anlass, dies zu thematisieren. Wir haben eine Situation in Deutschland, dass der Niedriglohnbereich immer weiter ausgedehnt wird und die von der neuen Regierung nicht angegangen wird. Wir haben die 1-Euro-Jobs, wir haben die vielen, die Aufstocker sind, die also Vollzeit arbeiten und sich von den Agenturen zusätzliche Leistungen holen. Es ist so, dass Wettbewerb über Lohndumping geführt wird. Gerade die Entscheidung zum Postmindestlohn hat dazu geführt, dass sofort in der Branche Löhne gesenkt worden sind. Jetzt wird sogar eine Klage des großen Medienkonzerns erwogen, inwieweit Springer die Bundesregierung verklagen kann, weil Springer als Eigner der PIN-AG offensichtlich so große Verluste hat. Das alles ist der völlig falsche Weg. Wir haben nichts desto trotz real 4,8 Millionen Arbeitslose – 3,6 Millionen ausgewiesen, aber mit all denjenigen, die dazukommen, die in Maßnahmen sind, die krank sind usw., ist die reale Zahl 4,8 Millionen. Deswegen brauchen wir einen gesetzlichen Mindestlohn. Diese Forderung bleibt bei der LINKEN erhalten. Das, was Schwarz-Gelb macht, die Unterschreitung der Tariflöhne bis zu 30 % zu ermöglichen, ist der völlig falsche Weg, weil auch das die Umverteilung von Unten nach Oben fördert.

Ein dritter inhaltlicher Punkt, zu dem ich etwas sagen will, ist die Frage Gesundheit, und da das Thema Kopfpauschale: Das ist nun wirklich ein Beispiel für den maximal möglichen Streit in der Koalition. Wenn ich Herrn Rösler höre, der ein klarer und konsequenter Vertreter der Kopfpauschale ist – alle zahlen gleich, die alleinerziehende Mutter genauso wie der Vorstand einer Bank – dann ist das die eine Linie. Die Linie der Union ist da diametral entgegengesetzt. Da kann man in dem Fall nur hoffen, dass sich die FDP-Linie nicht durchsetzen kann. Letztlich ist aber auch das, was die Union will, nicht der Weg, den etwa DIE LINKE vorschlägt. Wir wollen keine Kopfpauschale. Das, was jetzt mit den Zuzahlungen gemacht wird, ist ja so etwas wie eine kleine Kopfpauschale, da auch da der Gutverdiener genauso viel bezahlt wie diejenigen, die sehr wenig Vermögen haben. DIE LINKE will eine solidarische Bürgerversicherung, wo jeder nach seiner Leistung in die Kassen einzahlt und dann die Krankheit entsprechend der Symptome behandelt wird und keine andere Regelung.

Eine letzte abschließende Bemerkung: Am Wochenende hat der Bundesausschuss der Partei DIE LINKE getagt. Wie Sie wissen, ist er – laut Satzung – das höchste Gremium der Partei zwischen den Parteitagen. Auf der Tagung ist ein neues Präsidium gewählt worden. Der Bundesausschuss hat eine Erklärung verabschiedet, die Sie selbstverständlich auch haben können. Im Kern beinhaltet diese Erklärung, dass wir zurück zur Politik kommen. Gerade die kurze Bilanz, die ich hier zu 100 Tagen Schwarz-Gelb dargelegt habe, zeigt deutlich, dass DIE LINKE in besonderer Weise gefordert ist. Ich kann mich nur dieser Forderung anschließen, dass wir zurück zur Politik kommen, um Schwarz-Gelb noch mehr als bisher im Parlament und außerhalb des Parlaments auf die Finger zu klopfen.

Dankeschön!