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2011 wird es ein neues Parteiprogramm geben

Bundesgeschäftsführer Dietmar Bartsch auf der wöchentlichen Pressekonferenz im Berliner Karl-Liebknecht-Haus

Einen schönen guten Tag, meine Damen und Herren, am Sonnabend fand unter der Leitung von Lothar Bisky unsre Parteivorstandssitzung statt. Das war die erste nach der faktischen Feier nach den Bundestagswahlen. Wir hatten ein sehr umfangreiches Arbeitsprogramm. Ich würde Sie gern über drei Dinge aus der Parteivorstandssitzung informieren und dann eine Bemerkung zu den aktuellen Koalitionsverhandlungen im Bund machen.

Auf der Parteivorstandssitzung war ein größeres Thema, wie wir die weitere strukturelle und politische Entwicklung der Partei einschätzen und wie wir sie künftig gestalten wollen. Da spielte ein Thema, das auch die Medienöffentlichkeit des Wochenendes relativ umfangreich bestimmt hat, nämlich die Frage des neuen Programms der Partei, eine wichtige Rolle. Ich will in diesem Zusammenhang einige wenige Dinge sagen: Zuerst möchte ich noch einmal betonen – ich habe wieder lesen müssen, dass DIE LINKE kein Programm hätte – DIE LINKE hat selbstverständlich ein Parteiprogramm. Es gibt in der Bundesrepublik Deutschland keine Partei ohne Programm. Das sagt das entsprechende Gesetz. Und so haben auch wir damals – sogar mit einer Urabstimmung – unser Programm beschlossen. Wir haben seit längerem Programmdebatten, haben eine Programmkommission eingesetzt. Wir hatten uns aber vor den Bundestagswahlen entschieden, nicht in dieser Zeit eine intensive Programmdebatte durchzuführen, sondern erst danach dieses Thema anzugehen. Es war sicher sinnvoll, dass wir uns zunächst auf die Wahlen, insbesondere auf die Bundestagswahl, konzentriert haben. Jetzt werden wir diesem Thema eine größere Aufmerksamkeit schenken. Unser Ziel ist, das inhaltliche Profil der Partei und den Platz im veränderten Parteiensystem deutlicher und präziser zu bestimmen. Das ist die Aufgabe der Programmdiskussion. Wir wollen eine identitätsstiftende und aktivierende Diskussion für die Mitgliedschaft und nicht zuletzt auch Mitglieder im Rahmen der Programmdebatte neu gewinnen. Wir wollen eine offene und transparente Diskussion und werden uns dazu auf der nächsten Vorstandssitzung am 14. November mit diesem Thema konkreter und auch nach Vorlage eines entsprechenden Materials der Programmkommission beschäftigen. Ziel ist es – da war sich der Parteivorstand einig – im Jahre 2011, im ersten Halbjahr, ein neues Parteiprogramm zu verabschieden. Dieses Programm soll einen längeren Zeithorizont – nicht etwa eine Wahlperiode oder ähnliches – von vielleicht 15 oder 20 Jahren umfassen. Ich will zumindest meine Position deutlich sagen, dass der demokratische Sozialismus ein zentraler Begriff dieses Parteiprogramms sein sollte. Es muss und es wird sich dabei um ein modernes und zeitgemäßes Verständnis von Sozialismus handeln, und es werden viele Fragen weiter zu diskutieren sein, zum Beispiel: Welche Herausforderungen durch die Globalisierung auch kommen auf DIE LINKE zu? Welche Chancen und Potenzen liegen in der Globalisierung für den Fortschritt der Menschheit? Aber auch solche Fragen, wie welches Staatsverständnis DIE LINKE hat, wie wir mit der Thematik des Öffentlichen umgehen. Eine für mich zentrale Frage: Wenn es wirklich einmal eine Chance für ein Linksprojekt geben soll, dann wird die Rückgewinnung des Öffentlichen von zentraler Bedeutung sein. Aber auch das Thema sozial-ökologischer Umbau, da in anderer Weise die Fragen von Energie- und Umweltpolitik ernst zu nehmen sind. Das alles werden Dinge sein, über die wir reden, auch jetzt schon, wo ja auch nachlesbar das eine oder andere Diskussionspapier vorliegt, natürlich auch das, was wichtig ist, Europapolitik, Außenpolitik. Die Dinge werden wir sicherlich kontrovers, ich hoffe auch spannend behandeln. Wie gesagt: Die Zielstellung ist, dass wir im ersten Halbjahr des Jahres 2011 ein Programm verabschieden.

Ein zweiter Punkt der Vorstandssitzung war die Klausur der Fraktion. Gregor Gysi war anwesend und hat relativ umfangreich über die Ergebnisse der Fraktionsklausur berichtet. Darauf will ich aber jetzt hier nicht weiter eingehen.

Zum dritten Punkt allerdings ein paar Sätze mehr: Der Parteivorstand hat sich über die Koalitionsverhandlungen im Land Brandenburg informiert. Es waren zwei Vertreter, die auch Mitglied in der Verhandlungskommission sind, anwesend, die über die bisherigen Ergebnisse und den Stand berichtet haben. Ich will zunächst nochmal ausdrücklich festhalten, dass wir uns, wenn es in Brandenburg zu rot-rot kommt, das  auf gar keinen Fall kleinreden lassen. Das ist nicht irgendwas. Dort hat zehn Jahre die SPD in einer kleineren Koalition mit der CDU regiert. Jetzt könnte es hier wirklich einen Politikwechsel geben. Nach unserer Einschätzung sind wir in Brandenburg auf einem guten Weg. Natürlich wird auch in der Partei kontrovers debattiert. Ich selbst war in der vergangenen Woche bei der gemeinsamen Sitzung von Landesausschuss und Landesvorstand, wo die Ergebnisse dargelegt worden sind. Dort gab es ein großes Votum für die Fortführung der Koalitionsverhandlungen von 40 Stimmen, bei zwei Gegenstimmen und einer Enthaltung. Die beiden Mitglieder der Verhandlungskommission haben uns über die Ergebnisse berichtet. Da ist in besonderer Weise hervorzuheben, dass es beispielsweise einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor in Brandenburg geben wird. Das wäre nach Berlin das zweite Bundesland mit einer sehr linken Handschrift auf diesem Gebiet. 8.000 neue Beschäftigte sind das Ziel. Es soll ein Vergabegesetz mit einem vereinbarten Mindestlohn geben – auch sehr ähnlich wie in Berlin. Es wird sicherlich viele weitere Ergebnisse geben, die dann ausdrücklich eine linke Handschrift sichtbar machen. Der Parteivorstand hat den Brandenburgern seine weitere solidarische und auch kritische Begleitung zugesagt. Ich hoffe, dass sowohl inhaltlich als auch von der Zeitplanung die Ergebnisse wunschgemäß sein werden.

Der letzte Punkt, zu dem ich etwas sagen will, sind die laufenden Koalitionsverhandlungen von schwarz-gelb: Es ist ja immer noch so, dass die bisher präsentierten Ergebnisse sehr dünn sind. Eines allerdings ist schon auffällig, dass Herr Pofalla, der offensichtlich neue Sozial- und Arbeitsminister davon gesprochen hat, dass man die "Beitragssätze im Auge behalten" will. Ich interpretiere das zumindest so, dass man hier nicht von Stabilität oder gar Senkung ausgehen kann. Die zentrale Frage ist, wie man gleichzeitig das Thema Steuersenkungen, was alle drei Parteien versprochen hatten, Haushaltskonsolidierung und mehr Investition in Bildung hinbekommen will. Das ist die spannende Frage der Koalitionsverhandlungen. Ich habe das auch schon vor dem Wahltag gesagt: Wenn die Grundrechenarten stimmen, wird das nicht möglich sein. Und sollte es so sein, dass gerade schwarz-gelb Steuersenkungen auf Kosten der nächsten Generation macht, dann wird das selbstverständlich große Kritik und Widerstand der LINKEN im Bundestag und auch außerhalb des Parlaments hervorrufen. Es kann nicht sein, dass die Koalition, weil sie in ihrem Wahlprogramm Steuersenkungen versprochen hat – mal ganz nebenbei: das, was die FDP zum einfachen Steuersystem mit 15, 25 und 35 Prozent gesagt hat, davon wird wohl nichts realisiert werden –, aber Steuersenkungen sind ja offensichtlich immer noch auf der Agenda. Ich lese, die CDU spricht von 20 Milliarden im Jahr 2013. Das kann ich dann schon nicht mehr ernstnehmen, wenn man das ernsthaft als Ergebnis präsentieren will. Die FDP spricht ja weiterhin von 35 Milliarden im nächsten Jahr. Da bin ich sehr gespannt. Nichts desto trotz bleibt die Frage: Haushaltskonsolidierung – wie wird das sein? Ich habe heute gelesen, dass es einen weiteren Nachtragshaushalt geben soll. Das widerspricht dann auch der Wahlprogrammatik. Ich habe allerdings das Gefühl – da komme ich zurück auf die Pofalla-Äußerung über die Beitragssätze –, dass hier offensichtlich versucht wird, über erhöhte Beiträge, in welchen Kassen auch immer, die Lasten auf die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer abzuwälzen. Das ist auch zumindest ein Widerspruch zu dem, was vor Tische gesagt worden ist. Ich hoffe mal, dass sich die Koalition nicht als Wolf im Schafspelz präsentieren wird.

Letzte Bemerkung: Wie wird das denn nun mit dem Gesundheitsfonds? Ich höre nur immer, er bleibt oder er bleibt nicht. Aber das ist gar nicht so sehr die entscheidende Frage. Die entscheidende Frage ist und wird sein, wie denn wirklich ein Gesamtkonzept für die Finanzierung des Gesundheitssystems entsteht. Auch da werden wir mit Interesse den Ergebnissen entgegensehen. Ich bin sehr gespannt, wie sich die krisenbedingten Einnahmeausfälle für die Kassen und vor allem für die Patienten auswirken werden.

Also das "Klima des Vertrauens", von dem man da gehört hat, wird sich dann hoffentlich auch in entsprechenden Ergebnissen widerspiegeln. Ich bin sehr gespannt, wie das am Ende der Woche aussehen wird.

Herzlichen Dank!