Becks Kurswechsel ist ein Eingeständnis der verfehlten Politik der Agenda 2010
Lothar Bisky auf der heutigen Pressekonferenz im Anschluss an die Beratung des Geschäftsführenden Parteivorstandes
Der Geschäftsführende Parteivorstand hat sich heute mit aktuellen Fragen und der Vorbereitung der Vorstandssitzung am 13. Oktober beschäftigt.
Am Wochenende hat sich in Rheinland-Pfalz, dem Kernland von Kurt Beck, der Landesverband der LINKEN konstituiert. Da in diesem Verband im Vorfeld der Gründung intensiv diskutiert wurde, freue ich mich über den einstimmigen Beschluss und dass wir mit Heidi Racké und Alexander Ulrich eine gute Doppelspitze haben.
Zur derzeitigen Debatte um die Verlängerung des Arbeitslosengeldes I und die Politik der Agenda 2010: Kurt Beck versucht mit diesem Vorstoß, das Ruder an sich zu reißen und die SPD auf neuen Kurs zu bringen. Wir haben uns immer für ein längeres Arbeitslosengeld I ausgesprochen. Wir unterstützen das nachdrücklich. Wir sehen auch seine Schwierigkeiten, die Mannschaft zusammenzuhalten. Bislang verweigert Müntefering die Gefolgschaft.
Den Glaubwürdigkeitstest müssen Kurt Beck und die SPD noch bestehen. Die Frage ist, ob die SPD die Kraft zur Kursänderung hat.
Ich hoffe, dass sie in die Richtung geht, die Härten der Agenda 2010 zu überwinden. Ganz offensichtlich führt die Existenz der Linken dazu, dass man versucht einzelne Härten zu mildern. Das ist ein durchaus gewolltes Resultat der Parteigründung.
Und da ist es uns egal, ob uns das möglicherweise Stimmen bei der nächsten Wahl kostet. Wenn es den Betroffenen was bringt, dann rechne ich nicht dagegen, dass es die Partei etwas kostet. Parteien sind keine Selbstzweckorganisationen. Wenn DIE LINKE angetreten ist für friedliche Politik und für mehr soziale Gerechtigkeit, muss sie dafür Sorge tragen, dass die soziale Gerechtigkeit gestärkt wird. Es gibt viel zu tun für mehr soziale Gerechtigkeit. Da kann es nur gut sein, wenn die SPD unsere Forderungen durchsetzt.
Wir sagen: Hartz IV und die unsoziale Politik der Agenda 2010 sind gescheitert.
Becks Kurswechsel ist ein Eingeständnis der verfehlten Politik. SPD und Grüne können sich noch von der Politik der Agenda 2010 distanzieren. Wenn eine Kurskorrektur ernst gemeint ist, dann darf sie nicht bei Verlängerung des ALG I stehen bleiben, sondern konsequent die gesamte Hartz-IV-Gesetzgebung evaluieren und Schlussfolgerungen ziehen. Wir haben dort zuhauf unsere Vorschläge gemacht.
Wenn es aber beim Kurs der Agenda 2010 bleibt, dann wird es für die SPD noch schwieriger als sie im Moment vielleicht denkt.
Der Parteivorstand wird sich auf der kommenden Sitzung mit Vorschlägen zur Überwindung von Hartz IV beschäftigen. Dabei geht nicht nur um längeres Arbeitslosengeld I, es geht auch um eine Anhebung des Regelsatzes auf 435 Euro als eine dringend erforderliche Sofortmaßnahme. Wir wollen, dass der Regelsatz für Kinder auf 100 Prozent angehoben wird, als eine wichtige Maßnahme zur Bekämpfung von Kinderarmut. Ich darf daran erinnern: 2,5 Millionen Kinder leben in Deutschland nach EU-Kriterien in Armut, das ist wahrlich kein Ruhmesblatt.
Wir sagen auch: Die Überwindung von Hartz IV ist nur ein erster Schritt, Ziel ist die Rekonstruktion und Neubegründung des gesamten Sozialstaates. Wir wissen, dass dazu auch die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohnes, eine armutsfeste Rente, die Einführung einer solidarischen Bürgerversicherung u.a.m. gehören.
Ein zweiter Punkt, zu dem ich etwas sagen möchte, bezieht sich auf den Verdi-Kongress. Mit großem Interesse habe ich verfolgt, dass dieser sich mit sehr vielen Anträgen gesellschaftspolitischer Art beschäftigt hat. Es gibt deutliche Unterschiede zwischen Parteien und Gewerkschaften, diese möchte ich auch im Auge behalten, wir wollen sie nicht verwischen. Aber dennoch ist es für mich ermutigend, dass auch aus Gewerkschaften heraus gesellschaftspolitische Anregungen diskutiert werden. Das ist ein positives Signal.
Zu einem dritten Punkt: Am Freitag wird der Bundestag über die Verlängerung des Afghanistan-Mandats abstimmen. Die Argumente sind bekannt. Der Afghanistaneinsatz ist gescheitert. Es wurde nicht das erreicht, was erreicht werden sollte. Das bestärkt uns in der Auffassung, dass mit militärischen Mitteln keine dauerhafte Lösung politischer und ziviler Konflikte möglich ist.
Es ist erschreckend, mit welchen Vorwürfen sich die LINKE und seit dem Sonderparteitag sicherlich auch die Grünen konfrontiert sehen – nur weil sie nicht die gegenwärtige Logik des Afghanistaneinsatzes bestätigen wollen. Ich bemerke Züge von Hysterie, ich bemerke, dass man gegen alle, die zu einer Sache Nein sagen, zunehmend aggressiv reagiert. DIE LINKE bleibt dabei, wir sind eindeutig und werden am Freitag NEIN sagen, auch wenn es emotionale Reaktionen geben wird.
Wir sind ganz eindeutig für die Verstärkung ziviler Maßnahmen, halten aber militärische Maßnahmen für wenig erfolgreich. Wenn wir die zivile Unterstützung vorantreiben, wird es bessere Resultate geben. Das betone ich deshalb, weil immer gesagt wird, wer gegen militärische Stärke ist, ist gegen Bevölkerung. Das ist nicht richtig.