CDU im Kalten Krieg
Die Geschichtsvergessenheit der CDU ist offensichtlich nicht nur dem Wahlkampf geschuldet. Für ihren bevorstehenden Bundesparteitag hat sie ein Papier zum Osten vorgelegt, das durchaus auch als Geschichtsklitterung verstanden werden kann. Eine polemische Auseinandersetzung von Dietmar Bartsch und Jan Korte
"Am 1. und 2. Oktober 1990 fusionierte die CDU der DDR mit der CDU der Bundesrepublik Deutschland." (Schlussbericht der Unabhängigen Kommission)
Das Jahr 2009 wirft seine Schatten voraus. Aber anstatt sich einer sachlichen, geschichtsbewussten und kritischen Diskussion zu stellen, geht die Union in Kalter-Kriegs-Rhetorik auf DIE LINKE los. Wie es beim militanten Antikommunismus schon immer gewesen ist, geht es sowohl um DIE LINKE, als auch um die vermeintlich vaterlandslosen Gesellen der SPD gleich mit. Das war schon immer der antikommunistische Monolog: Schwarz und Weiß, Inklusion und Exklusion, Denunziation und der Unwille, auch selbstkritisch Geschichte aufzuarbeiten.
Vorläufiger Tiefpunkt dieser Wahlkampfwellen ist ein Antrag des CDU-Bundesvorstandes an den kommenden CDU-Bundesparteitag. Unter dem Titel "Geteilt. Vereint. Gemeinsam. Perspektiven für den Osten Deutschlands" stehen wenige richtige Feststellungen zum Unrecht in der DDR, überwiegend aber antikommunistische Ergüsse gegen Linke und SPD sowie eine gehörige Portion einer schon gefährlicheren Spielart des Antikommunismus: Der Totalitarismustheorie, also der behaupteten Gleichsetzung von Rot und Braun. Der Reihe nach.
Unter römisch eins geht es um die Geschichte der Wiedervereinigung, in der es unter anderem heißt, dass die Bürger der DDR durch die Demonstrationen die Wende eingeleitet hätten (Zeilen 7 bis 19). Der erste schwerwiegende Fehler und die erste Verzerrung von Geschichte liegt im Satz "Die DDR wurde unter Führung des SED-Regimes auf Befehl Stalins gegründet und war eine Folge des sowjetischen Sieges im Zweiten Weltkrieg" (Zeilen 29 bis 31). Dass die Entstehung der DDR und der Sieg der UdSSR ursächlich mit dem faschistischen deutschen Angriffs- und Vernichtungskrieg zu tun haben könnte, mit der Konferenz von Jalta und dem Potsdamer Abkommen – darauf kommen die Konservativen nicht. Es war mitnichten so, dass der Weg Deutschlands stringent auf die Zweistaatlichkeit hinauslief: Es gab unter Exilierten, ehemaligen KZ-Insassen, Sozialdemokraten, Sozialisten, Kommunisten und Konservativen die Überzeugung, aus der Erfahrung mit dem Nationalsozialismus einen "antifaschistisch-demokratischen" Staat zu entwickeln. Erst ab 1947 wurde massiv in Richtung Zweistaatlichkeit umgeschwenkt.
Der Text führt in den folgenden Zeilen Daten und Fakten über die Toten an der Mauer, fehlende freie Wahlen und andere grobe Demokratiedefizite an und macht auf die wirtschaftlich ungenügende Situation in der DDR aufmerksam.
Obskur wird es ab Zeile 190. Entgegen dem Eingangsteil haben nun nicht mehr die Menschen in der DDR selber die Geschichte bestimmt, sondern Helmut Kohl hätte "…mit seiner Politik eine wesentliche Voraussetzung für die Deutsche Einheit geschaffen." Weiter geht’s gegen die Sozialdemokraten. Die Union erregt sich: "Zwei Jahre vor dem Mauerfall, am 27. August 1987, legten SPD und SED ein Grundwertepapier vor, in dem die Sozialdemokraten das Ziel der Wiedervereinigung faktisch aufgaben. Die SPD entwickelte mit einer Partei, die die Grundrechte der Menschen in der DDR missachtete, gemeinsame Wertvorstellungen." (Zeilen 229 bis 234). Hier muss man mal innehalten und das ganze Pharisäertum und die ganze Geschichtsvergessenheit der CDU kenntlich machen: Nicht nur, dass sich Adenauer schon in der 50er Jahren mit Vertretern der KPdSU, die auch nicht unbedingt eine konsequente Menschenrechtspolitik verfolgte, über die Rückkehr der Kriegsgefangenen unterhielt und verhandelte, nein, 1987 traf sich bekanntlich auch Helmut Kohl mit Erich Honecker und man prostete mit Schampus in die Kameras. Wir wollen auch an den Milliardenkredit, der von Franz-Josef Strauß mit SED-Mann und Offizier der Staatssicherheit im besonderen Einsatz Alexander Schalck-Golodkowski eingefädelt wurde, erinnern. Aber die CDU und die CSU gingen da schon von der Vereinigung 1990 aus? Folgt man der Union, so wird mit dieser Argumentration die gesamte Entspannungspolitik nachträglich mit Dreck beworfen und die Verbesserungen für die Menschen, etwa beim Reiseverkehr, negiert. Im Kern geht es hier um die Durchsetzung des konservativen, westdeutschen Geschichtsbildes, welches offenbar immer noch eine Rechnung mit Willy Brandt offen hat. Anmerken wollen wir zumindest auch die besten Kontakte der Christdemokraten zu blutigen Regimeführungen wie in Chile und Südafrika. Gab es da eigentlich einmal eine kritische Auswertung in der CDU oder der Adenauerstiftung?
Neben der Behauptung, die SPD war ein Gegner der Einheit (und somit gab es nur einen Befürworter – die CDU), geht es im eins zu eins übernommenen Vokabular der muffigen fünfziger Jahre ("Die CDU wird ihren Kampf gegen sozialistische Experimente jeglicher Art fortsetzen." Zeilen 311 bis 312) weiter zu Punkt 15, in dem Klartext geredet wird: Nachdem erklärt wird, wer bestimmt (nämlich die CDU), ob jemand auf dem Boden unserer "freiheitlichen Grundordnung steht", geht’s zur alten, gefährlichen Leier der Links und Rechts- Gleichsetzung: "Das gilt uneingeschränkt für rechtsradikale und linksradikale Parteien. Wir lehnen die Zusammenarbeit mit der Partei ‚DIE LINKE’, den politischen Erben der totalitären SED, ab. 20 Jahre nach dem Ende der DDR darf es kein Vergessen und Verdrängen geben." (Zeilen 327 bis 331) Abgesehen davon, dass es eine vielfältige Zusammenarbeit auf der kommunalen Ebene gibt, hat die Gleichsetzung von Links und Rechts eine lange, antidemokratische und reaktionäre Tradition. Um es klar zu sagen: Bei dieser Gleichsetzung wird der NS-Faschismus enorm relativiert, verharmlost und die Millionen Opfer auch von links vergessen gemacht. Wir fragen: Wo gibt es ein "Vergessen" und "Verdrängen"? In den Filmen, in den Dokumentationen von Guido Knopp, in der Literatur, im Bundestag, in den Landtagen? Diese Behauptung ist billige und falsche Propaganda.
In den Zeilen 343 bis 346 wird die Gleichsetzung von DDR und Nationalsozialismus offen und unverschämt betrieben: "Zusätzlich zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus und des Holocaust gehört für die CDU auch das Gedenken an die Opfer der Diktatur der SED zu den konstitutiven Elementen des wiedervereinigten Deutschlands." Hier ist ein geschichtspolitischer Ansatz zu unterstellen, der suggeriert, dass es bis dato in erster Linie eine Erinnerungskultur an die NS-Zeit, nicht aber an die DDR geben würde. Dass es sich dort um Opfer zweiter Klasse handele. Wir erinnern die CDU an die Einmaligkeit des durchbürokratisierten größten Verwaltungsmassenmords in der Geschichte der Menschheit, an den Zivilisationsbruch schlechthin. Das Unrecht in der DDR in diese Nähe zu rücken, verbietet sich für Demokraten.
Es ist schon bemerkenswert, dass solche Papiere nicht einmal mehr in der liberalen Presse für Aufregung sorgen. Offenbar ist den Rechten, Konservativen alles erlaubt. Es muss auch daran erinnert werden, welche Parteien die Union "geschluckt" hat. Dazu lohnt es, den "Schlussbericht der Unabhängigen Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen der DDR" (alles andere als eine der damaligen PDS freundlich gesinnte Einrichtung!) vom 5. Juli 2006 zu studieren, um sich über die Verlogenheit der Unionskampagnen klar zu werden. Die Blockparteien der DDR, CDU und Demokratische Bauernpartei Deutschlands (DBD), wurde von der CDU (West) geschluckt. Unter C.I.2 kann man von der Kommission erfahren: "Bis 1989 waren in der DDR die Parteien Christlich Demokratische Union der DDR (CDU der DDR), Demokratische Bauernpartei Deutschlands (DBD), Liberal-Demokratische Partei Deutschlands (LDPD) und National-Demokratische Partei Deutschlands (NDPD) mit der SED im Demokratischen Block zusammengeschlossen. Die Blockparteien bildeten den Kern der Nationalen Front, dem von der SED kontrollierten Dachverband aller Parteien und gesellschaftlichen Organisationen der DDR. Die Nationale Front verstand sich als 'Sozialistische Volksbewegung' unter Führung der SED. […] Als Blockparteien waren sie in Regierung und Volkskammer der DDR vertreten, jedoch hatten sie keinen politischen Einfluss." (S. 37) Alles Unrecht in der DDR haben sie mitbeschlossen.
Weiter wird die Geschichte so geschildert: "1990 fusionierte die DBD mit der CDU der DDR und anschließend letztere mit der CDU der Bundesrepublik Deutschland." (S.38) Zu den Vermögen stellt der Bericht fest: "Die Geldmittel von CDU der DDR und DBD hat die CDU Deutschlands im Rahmen ihres Zusammenschlusses mit den beiden Blockparteien übernommen." (S. 38) Darüber verliert die CDU in ihrem Papier und in ihren Reden kein Wort. Daher ist es an der Zeit, hieran zu erinnern und auf die Rolle der CDU aufmerksam zu machen. Ihre Behauptungen und ihr Kalter-Kriegs-Jargon sind in der Substanz völlig unglaubwürdig.
Zum Vermögen, das die CDU übernahm, gibt der Bericht genaue Auskunft: "Flüssiges Vermögen der CDU der DDR wurde nicht in die treuhänderische Verwaltung durch die THA übernommen. Mit Beitritt der Landesverbände der CDU der DDR in die CDU Deutschlands sind ihre Geldmittel auf diese übergegangen (etwa 8,1 Mio DM = ca. 4 Mio. EUR). Die auf sie übergegangenen Geldmittel des Vorstandes der CDU der DDR (etwa 14,7 Mio DM = 7,2 Mio EUR) stellte die CDU Deutschlands in ein Treuhand-Abwicklungs-Sondervermögen (TAS) ein, das als eigenständige, abgegrenzte Vermögensmasse geführt wurde. Aus dem TAS wurden personelle Abwicklungsmaßnahmen sowie die technische Ausstattung der Landes- und Kreisgeschäftsstellen finanziert." (S. 39)
Das alles ist Teil der historischen Wahrheit. Die Heuchelei werden wir der CDU/CSU nicht durchgehen lassen.
All diese Fakten entledigen DIE LINKE nicht, sich weiterhin kritisch und selbstbewusst mit der Verantwortung für Geschichte linker Parteien und Bewegungen auseinanderzusetzen. Keinesfalls, um den Pharisäern der Union zu gefallen, sondern um der Zukunft der Linken selbst.