Das 3. „Entlastungspaket“ der Bundesregierung
Mit dem dritten „Entlastungspaket“ will die Bundesregierung die hohen Preissteigerungen im Energiebereich sozial abfedern – so zumindest die Aussage im Ergebnispapier, auf das sich der Koalitionsausschuss am 03.09.2022 nach einer langen Sitzung verständigt hat. Für die vorgesehenen Maßnahmen werden rund 65 Mrd. Euro veranschlagt. Bund, Länder und Gemeinden sollen die Kosten gemeinsam tragen. Zusammen mit den bisherigen Entlastungspaketen ergibt sich ein Gesamtvolumen von über 95 Mrd. Euro. Trotzdem will die „Ampel“ ab 2023 die „Schuldenbremse“ wieder einhalten. Sozialkürzungen sind zu erwarten.
Die Maßnahmen im Überblick
Die Maßnahmen im Entlastungspaket unterscheiden sich darin, ob sie direkt (z.B. als Einmalzahlung an Bürger*innen) oder indirekt (z.B. über eine Steuerveränderung) wirken.
Direktzahlungen
- Rentner*innen bekommen 300 Euro als Einmalzahlung zum 01.12.2022.
- Studierende erhalten 200 Euro als Einm alzahlung, wobei der Auszahlungsmodus noch mit den Ländern geklärt werden muss.
- Die Wohngeldbezieher*innen erhalten einen einmaligen Heizkostenzuschuss für die Heizperiode September bis Dezember 2022. Er beträgt 415 Euro für einen Ein -Personen-Haushalt und 540 Euro für einen Zwei-Personen-Haushalt. Für jede weitere Person gibt es zusätzliche 100 Euro.
Erhöhung bestehender Sozialleistungen
- Das Kindergeld wird ab 01.01.2023 um 18 Euro monatlich für das erste und zweite Kind angehoben.
- Die Höchstbetrag des Kinderzuschlages wird ab 01.01.2023 auf 250 Euro monatlich angehoben (bis zur Einführung einer Kindergrundsicherung)
- Das Wohngeld erhält ab 01.01.2023 eine dauerhafte Klima- und Heizkostenkomponente, deren Höhen noch nicht beziffert sind.
- Die Grundsicherung wird zum Start des „Bürgergeldes“ am 1. Januar 2023 auf 502 Euro erhöht.
Steuerrechtliche Änderungen
- Um die so genannte „kalte Progression“ abzubauen, werden die Eckwerte des Einkommensteuertarifs ab 01.01.2023 verschoben[1]. Das nutzt vor allem den Besserverdienenden: der Chefarzt profitiert achtmal so stark wie die Kassiererin.[2]
- Als Ausgleich für die umstrittene Gasumlage wird die Umsatzsteuer für Gas bis Ende März 2024 auf 7 % gesenkt.
- Um die Gastronomiebranche zu entlasten, wird die reduzierte Mehrwertsteuer von 7 % für Speisen verlängert.
- Rentenbeiträge sollen bereits ab 01.01.2023 steuerlich voll geltend gemacht können – zwei Jahre früher als ursprünglich geplant.
- Die Umsetzung der globalen Mindestbesteuerung soll in Deutschland bereits jetzt beginnen. Ein konkreter Termin wird nicht benannt.
- Die Homeoffice-Pauschale wird entfristet.
Sozialversicherungsrechtliche Änderungen
- Die Midi-Job-Grenze wird ab 01.01.2023 auf 2.000 Euro erhöht. Beschäftigte in diesen Jobs zahlen weniger Beiträge zur Sozialversicherung. Derzeit liegt diese Grenze bei 1.300 Euro. Den Sozialversicherungen werden weitere Beiträge entzogen. Midi-Jobber*innen zahlen in der Rentenversicherung einen geringeren Beitrag zahlen, erwerben aber den vollen Rentenanspruch.
- Die Sonderregelungen für das Kurzarbeitergeld werden über den 30.09.2022 hinaus verlängert.
Regulatorische Markteingriffe
- Für profitable Energiekonzerne sollen in einer europäischen Lösung Erlösobergrenzen festgelegt werden. Die als „Zufallsgewinne“ bezeichneten Übergewinne der Energieunternehmen sollen teilweise abgeschöpft werden. Der Differenzbetrag zwischen Erlösobergrenze und (höherem) Marktpreis wird an die Verteilnetzbetreiber (Unternehmen, die Strom- bzw. Gasnetze zur Verteilung an Endverbraucher*innen betreiben, wie z.B. Stadtwerke) abgeführt.
- Aus diesen Einnahmen soll eine „Strompreisbremse“ für den Basisverbrauch der privaten Haushalte finanziert und die steigenden Netzentgelte abgedämpft werden. Die Umsetzung ist zeitlich ungewiss und von europäischen Regelungen abhängig.
- Eine Expert*innenkommission soll klären, ob Preisdämpfungen auch für den Wärmemarkt in Frage kommen können (z.B. Gaspreisdeckel oder Gasgrundkontingent).
- Den Ländern werden für ein bundesweites Nahverkehrsticket jährlich 1,5 Mrd. Euro zur Verfügung gestellt, wenn sie mindestens den gleichen Betrag dafür zahlen. Als Preis wird eine Spanne von 49 bis 69 Euro pro Monat angepeilt.
- Die Erhöhung des CO2-Preises wird auf den 01.01.2024 verschoben.
Verteilungswirkungen des Entlastungspakets
Das dritte „Entlastungspaket“ wird als wenig zielgenau und konkret kritisiert:[3] Den größten Teil der 65 Mrd. Euro erhalten Besserverdienende.[4] Ein Gaspreisdeckel ist nicht vorgesehen. Die angekündigte „Strompreisbremse“ und ihre Finanzierung durch abgeschöpfte „Zufallsgewinne“ bleiben ungewiss.[5]
Insbesondere der von Finanzminister Lindner (FDP) forcierte Abbau der „kalten Progression“ kommt vor allem Bezieher*innen hoher Einkommen zugute. Nach einer Modellrechnung der Arbeitnehmerkammer Bremen wird ein Zwei-Personen-Haushalt mit einem Jahreseinkommen von 200.000 Euro brutto um rund 1.250 Euro entlastet.[6] Bei einem Haushalt mit 40.000 Euro Jahreseinkommen sind es nur knapp 320 Euro. Einkommen, die nur knapp über der neuen „Midijob“-Grenze von 2.000 Euro brutto im Monat liegen, werden am wenigsten begünstigt.
70 % der Steuerentlastung kommt dem wohlhabendsten Drittel der Einkommensbezieher*innen zugute. An die reichsten 20 % geht die Hälfte der Steuerentlastung – Haushalte, die keine Probleme mit den steigenden Preisen haben. Das untere Drittel der Einkommen erhält so gut wie nichts.
Verzicht auf öffentliche Einnahmen
Der Umfang des Entlastungspakets scheint mit 65 Mrd. Euro groß zu sein. Allerdings ist darin verrechnet, auf welche Einnahmen die öffentliche Hand verzichtet. Statt hohe Einkommen stärker zu besteuern, werden sie steuerlich entlastet. Eine höhere Gewinnsteuer, eine allgemeine Übergewinnsteuer oder die Wiedereinsetzung der Vermögensteuer sind nicht geplant. Die Rückkehr zur Schuldenbremse wird die Haushaltslöcher bei Bund, Ländern und Kommunen vergrößern.
Insgesamt ergeben sich aus dem dritten „Entlastungspaket“ allein für 2023 mindestens 27,4 Mrd. Euro weniger Steuereinnahmen (vgl. Tabelle S. 6).[7] Davon trägt der Bund 12,6 Mrd., der Rest geht zu Lasten der Länder und Kommunen.
Den größten Anteil an den Steuermindereinnahmen hat der Abbau der „kalten Progression“ in der Einkommensteuer. Die Regierung schätzt die Steuermindereinnahmen hier für 2023 auf 12,2 Mrd. Euro. Bis[c1] 2027 steigen sie schrittweise auf 20,1 Mrd. Euro. Die genauen Eckwerte des Steuertarifs werden im Herbst festgelegt[c2] [MF3] .[8] Erst dann wird die genaue Höhe der fehlenden Steuereinnahmen feststehen.
Etwa 10 Mrd. Eurowird die Senkung der Mehrwertsteuer auf Gas kosten; allein für das vierte Quartal 2022 rechnet die Regierung mit 2 Mrd. Steuerausfällen. Für 2023 werden 6,5 Mrd. Euro veranschlagt. Die Senkung der Mehrwertsteuer wird für alle privaten Haushalte wirksam. Da wohlhabende Haushalte in der Regel einen höheren Energieverbrauch haben, profitieren sie davon stärker als die armen Haushalte.
Die Mehrwertsteuer für Restaurants bleibt abgesenkt, das kostet 3,3 Mrd. Euro.
Die Subventionen der Strom- und der Energiesteuer für energieintensive Unternehmen kostet 1,7 Mrd. Euro. Die Mindereinnahmen aus beiden Steuern gehen zulasten des Bundeshaushaltes.
Mit etwa 800 Mio. Euro im Jahrsubventioniert die Bundesregierung Homeoffice durch dauerhafte Steuerfreibeträge. Sie entlastet damit Unternehmen, die für die Ausstattung ihrer Beschäftigten weniger oder nichts aufbringen müssen. Die Kosten des Arbeitsplatzes hat eigentlich der Arbeitgeber zu tragen. Dennocherscheint es auf diese Weise als Entlastung für Beschäftigte, denen der Staat „weniger Steuern abknöpft“.
Das Angebot steuer- und sozialversicherungsfreier Einmalzahlungen von Unternehmen an ihre Beschäftigten erscheint als Entlastung von Beschäftigten, die für ihr Einkommen weniger Steuern und Sozialversicherungsbeiträge zahlen müssen. Es entlastet aber vor allem Unternehmen davon, ihren Beschäftigten ausreichende (Brutto-)Löhne zu zahlen. Die Beiträge zur Sozialversicherung sind Teil des Lohns der Beschäftigten, mit denen die Unternehmen die Absicherung der Beschäftigten im Alter, bei Krankheit, Arbeitslosigkeit und Pflegebedarf finanzieren.
Die Regierung rechnet mit Mindereinnahmen von 1,2 Mrd. Euro. Dass keine Steuern und Abgaben gezahlt werden müssen, soll ein Anreiz für Gewerkschaften sein, in den anstehenden Tarifrunden bei den regulären Lohnforderungen zurückhaltend zu sein (und damit die Unternehmen zu entlasten).
Die Ausweitung der Midijobs bis zu einem Verdienst von 2.000 Euro im Monat. Für diese Arbeitsverhältnisse müssen die Beschäftigten weniger Sozialversicherungsbeiträge zahlen.[9] Bereits im Koalitonsvertrag hatte die „Ampel“ vereinbart, die Midijob-Grenze auf 1.600 Euro zu erhöhen. Damit sollte die Erhöhung des Mindestlohns auf 12 Euro ausgeglichen werden. Bei Midijobs zahlt der Arbeitgeber für „seine Hälfte“ die regulären Beiträge zu den Sozialversicherungen, die Beschäftigten zahlen auf „ihre Hälfte“ geringere Beiträge. Beide „Hälften“ sind aber die Lohnkosten der Unternehmen, die durch geringere „Arbeitnehmerbeiträge“ geringeren Bruttolohn zahlen können. Die Regierung beziffert die fehlenden Beiträge in den Sozialversicherungen auf 1,3 Mrd. Euroim Jahr.[10]
Der Steuerverzicht der „Ampel“ ist ein riesiges Geschenkpaket an die FDP-Klientel. Vor allem Wohlhabende und Unternehmen profitieren. Der Verzicht auf eine allgemeine Übergewinnsteuer verschont die Krisengewinne der Mineralöl- und Energiekonzerne.[11]
Was im „Entlastungspaket“ nicht vorkommt
Sozialen Einrichtungen und Dienste (z.B. die Angebote der Kinder- und Jugendhilfe) und die gesamte öffentliche Daseinsvorsorge leiden unter den Preissteigerungen. Die Mehrbelastungen bleiben überwiegend an den Kommunen, den öffentlichen und freien Trägern hängen. Dies wird Folgen für die Qualität und den Umfang der Angebote haben, besonders für sozial benachteiligte Menschen, Kinder und Jugendliche. Die soziale Spaltung der Gesellschaft wird beschleunigt. Der Paritätische Gesamtverband fordert daher die Einrichtung eines Schutzfonds zur Aufrechterhaltung der sozialen Infrastruktur.[12]
Die Kostenexplosion bei den Pflegeeinrichtungen geht zu Lasten der Pflegebedürftigen und ihrer Familien. Auch dafür brauchen die Betroffenen eine finanzielle Unterstützung.
Wie werden die Mindereinnahmen in den Sozialversicherungen ausgeglichen? Schon jetzt fehlen hier Milliardenbeträge. Und die „Ampel“ senkt weiter die Einnahmen der Krankenkassen und der Rentenversicherung, die die Beschäftigten selbst dann durch Leistungskürzungen oder höhere Beiträge ausgleichen müssen.
Was stattdessen nötig ist: Unsere LINKEN Forderungen
Für einen gerechten sozialen Ausgleich muss gelten: Menschen, die weniger haben, erhalten mehr. Menschen, die viel haben, tragen mehr bei. Das Gegenteil stimmt für das „Entlastungspaket“ der Bundesregierung – auch wenn einzelne Maßnahmen sinnvoll sind.
Menschen mit niedrigem oder mittlerem Einkommen – das ist die breite Mehrheit der Bevölkerung – brauchen Direktzahlungen als Unterstützung gegen die Preissteigerungen.
- DIE LINKE fordert ein monatliches Inflationsgeld von 125 Euro pro Haushalt plus 50 Euro für jede weitere Person.
- Für Menschen in der Grundsicherung müssen die Leistungen sofort um 200 Euro monatlich erhöht werden. Die geplanten 502 Euro beim „Bürgergeld“ sind gerade mal der Inflationsausgleich und reichen nicht zum leben (vgl. Kurzinformation „Bürgergeld bleibt Armut per Gesetzt“).[13]
- Es braucht eine wirklichen Energiepreisdeckel mit kostengünstigen Grundkontingenten für den durchschnittlichen Basisverbrauch an Gas, Strom und Wärme.
- Die unsoziale Gasumlage muss zurückgenommen werden. Stattdessen können die Preissteigerungen über ein sozial gerechtes Tarifmodell oberhalb des Basisverbrauchs ausgeglichen werden.
- Die krisenbedingten Übergewinne der Energiekonzerne müssen besteuert werden. Zusammen mit einer Reform der Quellensteuer (= Gewinne werden dort besteuert, wo sie erzielt werden) könnte eine Übergewinnsteuer in Deutschlandgut 100 Mrd. Euro an Einnahmen erzielen.
- In die Sozialversicherungen dürfen nicht noch weitere Löcher gerissen werden. Damit sie gestärkt und sozial gerechter werden, wollen wir die Beitragsbemessungsgrenzen anheben. Das Nebeneinander von privaten und gesetzlichen Versicherungen überführen wir in solidarische Gesundheits- und Pflegeversicherungen für alle („Bürger*innenversicherung“).
[1] Entwurf der Bundesregierung in der ersten Lesung https://dserver.bundestag.de/btd/20/034/2003496.pdf, 22.9.22
[2] Vgl. Auf den Punkt gebracht 5.22: „Diese Entlastung von der „kalten Progression“ ist ein Steuergeschenk für Reiche, www.die-linke.de/fileadmin/download/punkt/2022/AdPg-2022.5%E2%80%93Einkommensteuer.pdf
[3]https://www.diw.de/de/diw_01.c.851885.de/entlastungspaket_laesst_trotz_guter_elemente_fragen_offen_und_ignoriert_klimaschutz.html
[4]https://www.der-paritaetische.de/alle-meldungen/drittes-entlastungspaket-der-paritaetische-zeigt-sich-enttaeuscht/
[5]https://zeitschrift-luxemburg.de/artikel/ampel-entlastungspaket-das-steckt-nicht-drin/
[6]https://www.arbeitnehmerkammer.de/fileadmin/user_upload/Downloads/Politik/Wirtschaft_Finanzen/Discussion_Paper_Inflation_und_moegliche_Entlastungswege_final.pdf
[7]https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/bundeshaushalt-wundersame-geldvermehrung-wie-kann-lindner-das-entlastungspaket-finanzieren/28659174.html
[8] Der Gesetzentwurf wurde am 22.09.2022 zur ersten Lesung in den Bundestag eingebracht. Für die dortigen Eckwerte wurden die Daten der Frühjahrsprojektion der Bundesregierung genommen. Im parlamentarischen Verfahren wird im Lichte der im Herbst 2022 vorliegenden Berichtsergebnisse ggf. eine Anpassung der Eckwerte erfolgen. Vgl. https://dserver.bundestag.de/btd/20/034/2003496.pdf
[9] Midijobs wurden 2003 im Rahmen der „Hartz-Gesetze“ eingeführt als „Brücke“ zwischen sozialversicherungslosen Minijobs und regulärer Beschäftigung. Damals galt dafür die sogenannte Gleitzone zwischen 450 Euro (Minijobgrenze) und bis 800 Euro.
[10] Der gesetzlichen Krankenversicherung gehen rund 500 Mio. Euro verloren, der sozialen Pflegeversicherung ca. 100 Mio. Euro, der gesetzlichen Renteversicherung gut 600 Mio. Euro und der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung rund 80 Mio. Euro. Die Mindereinnahmen müssen über höhere Beitragssätze oder Leistungseinschränkung wieder reingeholt werden.
[11] Wie bereits bei der Corona-Krise die Zusatzgewinne der Digitalkonzerne (Amazon, Zoom etc.) nicht extra besteuert wurden.
[12]https://www.der-paritaetische.de/alle-meldungen/brandbrief-es-braucht-einen-schutzfonds-fuer-soziale-einrichtungen-und-dienste/
[13]filebox.die-linke.de/index.php/s/ZPRLDrYgjTWi8af