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Klaus Ernst

Die historische Möglichkeit einer gemeinsamen linken Politik in Europa nutzen

Rede von Klaus Ernst beim Alternativen Europäischen Gipfeltreffen der Europäischen Linken (EL) am 30. und 31. März 2012 in Brüssel

Liebe Freundinnen und Freunde, ich freue mich heute hier gemeinsam mit euch beim alternativen europäischen Gipfel der Europäischen Linken gegen die gegenwärtige Kürzungspolitik – und für ein soziales, demokratisches und ökologisches Europa zu sein. Ich bedanke mich auch für die Gelegenheit über die Herausforderungen und Anforderungen an ein anderes Europa sprechen zu dürfen:

Staatsschulden sind kein neues Phänomen. Sogar schon im Alten Testament ist davon die Rede. Die babylonische Vorherrschaft in Mesopotamien bricht im Jahr 539 v.u.Z. an riesigen Schulden zusammen. Im Jahr 43 v.u.Z. bringen ein exorbitanter Militäretat und eine ausufernde Verschuldung die römische Republik an den Rand des Niedergangs.

Verschuldung, Haushaltskrisen und Staatspleiten hat es seit eh und je gegeben. Ursachen gleichen sich, Rituale wiederholen sich und immer wird zur Lösung den kleinen Leuten massiv in die Tasche gegriffen – ihre wirtschaftliche Existenz bedroht.

In diesen Tagen befinden wir uns aber nicht bloß in einer Krise einer Währung - des Euro - wir erleben vielmehr eine wirtschaftliche und politische Krise Europas, die – wenn keine Änderung vorgenommen wird – die Energie hat, das europäische Modell zu zerreißen und Grundelemente der europäischen Demokratie nachhaltig zu beschädigen.

Unsere Regierungen, insbesondere die der Bundesrepublik sind nicht bereit, sich von der gescheiterten neoliberalen Ideologie zu lösen und die Macht der Banken und Spekulanten zu brechen um das Primat der Politik gegenüber der Wirtschaft wieder herzustellen.

Liebe Freundinnen und Freunde, ich halte es für dringend notwendig, dass wir uns gemeinsam Gehör verschaffen, und zwar so nachvollziehbar, dass es uns gelingt, andere von unseren Antworten auf die gegenwärtige Eurofinanzierungskrise zu überzeugen. Im Lichte der derzeitigen Erkenntnisse droht doch das zentrale Dilemma "Kürzen oder Bankrott" immer mehr der Erkenntniss "Kürzen und dennoch Bankrott" weichen zu müssen.

Wer diese These für überzogen hält, möge ein Blick auf das werfen, was in Griechenland zu besichtigen ist. SOS-Kinderdörfer, in denen verarmte Eltern mittlerweile ihre Kinder abgeben. Studenten, die nachmittags wenn die Märkte schließen, in den Mülltonnen nach Gemüse wühlen. Kinder, die immer öfter wegen Mangelernährung im Unterricht ohnmächtig werden und Krankenhäuser, in denen teilweise Handschuhe und Spitzen fehlen. Das ist das Ergebnis der gegenwärtigen europäischen Politik: "Kürzen und dennoch Bankrott!"

Der harte Sparkurs zu dem Griechenland gezwungen wurde, reißt die griechische Wirtschaft in unvorstellbare Abgründe. Nach aktuellen Schätzungen dürfte die Wirtschaftsleistung in diesem Jahr auf das Niveau mancher Schwellen- und Entwicklungsländer absinken. Im Ergebnis hat die Mainstream-Therapie in eine wirtschaftliche Depression geführt, wie man sie zuletzt Anfang der 1930er Jahre erlebt hat.

In Spanien wird der Kündigungsschutz aufgeweicht und Unternehmen können bei Umstrukturierungen ohne die Zustimmung der Gewerkschaften die Löhne senken. Die Probezeit wird auf ein Jahr verlängert, das Rentenalter wird hochgesetzt, eine Erhöhung des Mindestlohns abgesagt. Bei den jungen Leuten ist jeder zweite arbeitslos. Um das ursprünglich mit der EU verabredete Defizitziel von 4,4 Prozent für 2012 zu erreichen, hätte die Regierung die Ausgaben um 40 Mrd. kürzen müssen. Und das bei schrumpfender Wirtschaftsleistung.

In Italien wird es Unternehmen erlaubt, weniger Lohn zu zahlen als der Tarifvertrag vorsieht. Der Kündigungsschutz soll aufgeweicht werden, der Einsatz von Praktika soll ausgeweitet werden, das Rentenalter steigt.

In Portugal schmiert die Realwirtschaft ab. Portugiesische Unternehmen wollen ihre Investitionen und 17 Prozent zurückfahren, der Einzelhandelsumsatz sank zuletzt um 9 Prozent. Daneben greifen starke Ausgaben- und Gehaltskürzungen, Steuererhöhungen und eingefrorene Renten. Zudem wurden Feiertage gestrichen. Wie Portugal unter diesen Bedingungen 2014 – wenn das "Rettungspaket" von 78 Mrd. Euro ausläuft – seine Finanzierung wieder über den Kapitalmarkt herstellen soll, weiß niemand. Die europäischen Rettungs- bzw. Kürzungspläne sind ökonomisch wie politisch irreal.

Liebe Freundinnen und Freunde, anstatt die Probleme Europas zu lösen, bringt die derzeit verfolgte Politik Europa eine rezessive Wirtschaftsentwicklung und erhöht die Schuldenberge. Gegenwärtig erleben wir, dass die sozialen und politischen Grundwerte Europas auf dem Spiel stehen. Wichtige soziale und politische Institutionen sind im Begriff zerstört zu werden. Der Sozialstaat wird aufgeweicht. Die Krise bekommen auch nicht diejenigen zu spüren, die sie zu verantworten haben und von ihr profitieren, sondern die Arbeitsnehmer – die stets ihre Steuern zahlen.

Europa ist in einem wirtschaftlichen Teufelskreis gefangen, aus dem wir nur durch eine Änderung der Politik herauskommen können. Selbst Adam Smith stellte zu Recht fest: "Keine Gesellschaft kann gedeihen und glücklich sein, in der der weitaus größte Teil ihrer Mitglieder arm und elend ist."

Unsere Parteien haben seit Jahren auf die möglichen Folgen dieser Politik hingewiesen und auch unsere Analyse der Krise wird von den Bevölkerungen in unseren Ländern geschätzt und in großem Maße geteilt. Woran es aber aus meiner Sicht noch krankt ist, dass die Linke keine wirksame Mobilisierung gegen die Sparpolitik Brüssels und Merkozys auf europäischer Ebene hinbekommt.

Ein Umstand, der den Regierungen unserer Länder in die Karten spielt, können sie doch die europäische Krise auf die nationale Ebene herunter brechen und die Bevölkerungen Europas gegeneinander ausspielen.

Diesen Gefallen sollten wir ihnen nicht tun und gemeinsam mit den Parteien der Europäischen Linken, aber auch darüber hinaus, daran arbeiten, einen sichtbaren Protest gegen die Politik des Spardiktats organisieren. Mir scheint dies am einfachsten möglich, wenn wir uns dabei auf die Punkte konzentrieren, die die Folgen der Austeritätspolitik betreffen und gegen die in den einzelnen Ländern auch schon deutliche Widerstandsaktionen organisiert wurden.

Ohne Gegenwehr wird das Sozialstaatsmodell Europas zerstört und grundlegende demokratische Strukturen nachhaltig beschädigt. Bleibt es bei dieser Logik, wäre das nicht nur das Ende des Euro, sondern auch das Ende für Europa.

Ich schlage deshalb vor, dass wir als europäische Linke uns in einem ersten Schritt auf folgende Punkte verständigen:

1. Keine unserer Parteien wird Maßnahmen des Sozialabbaus, der Rentenkürzungen oder Lohnkürzungen akzeptieren, sondern parlamentarisch oder außerparlamentarisch allen möglichen Widerstand dagegen organisieren. Wir wollen ein Europa des aufrechten Gangs! Die Interessen der Arbeitnehmer/innen, Rentner/innen Erwerbslosen und ihrer Familien sind Messlatte unserer politischen Entscheidungen!

Die Faustformel unserer politischen Ausrichtung muss sein: Wer Löhne, Renten und Sozialleistungen senkt, ist auch gegen ein geeintes Europa! Wir hingegen sind und wollen Europa!

Das sind die roten Linien, die uns in der Europäischen Linken über alle Grenzen hinweg einen. Diese rote Linie gilt für alle Linksparteien, egal ob sie regieren oder in der Opposition sind. Das wird das Markenzeichen der Linken in ganz Europa. Wer links wählt, weiß, woran er ist. Er stimmt dafür, dass die Krise nicht auf dem Rücken der Arbeitnehmer, Rentner und Erwerbslosen bewältigt wird.

Wir ziehen diese roten Linien nicht mit Blick auf Koalitionen. Wir wollen eine Koalition mit den Bürgerinnen und Bürgern Europas.

Jedes Parlamentsmandat, das wir auf diesem Kontinent erringen, ist eine Stimme gegen Lohnraub, Rentenkürzungen und Sozialabbau. Das ist das, worum es jetzt geht. Das ist das, was von uns erwartet wird.

2. Wir fordern übereinstimmend die Entkopplung der Finanzierung von Staatsschulden von den Finanzmärkten. Wir wollen, dass die europäische Zentralbank direkt oder indirekt die Finanzierung von Staatsschulden übernimmt und damit die Spekulation mit Staatsanleihen beendet und Wucherzinsen für die Staaten verhindert werden.

Realität ist auch, dass unsere Parteien zu klein und zu schwach sind, um einen solchen Protest allein zu tragen. Das geht nur mit Partnern aus der Zivilgesellschaft, den Gewerkschaften, Verbänden, oder auch der Occupy-Bewegung. Die von mir vorgeschlagene Strategie könnten wir als Grundlage für Gespräche mit den genannten Akteuren nutzen.

Ohne eine umfassende wirtschaftliche Erneuerung werden wir die gegenwärtige Krise nicht überwinden können. Diese Erneuerung ist nur mit der demokratischen Partizipation der Bevölkerungen Europas zu haben und nicht durch eine autoritäre Politik von oben herab.

Liebe Freundinnen und Freunde, wir fordern die schädliche Austeritätspolitik sofort zu beenden. Europa muss wieder mehr bedeuten, als Demokratieabbau und Armut in ganz Europa. Deshalb lasst uns die historische Möglichkeit zu einer gemeinsamen Linken Politik in Europa nutzen, bevor die Lichter in Europa ausgehen.