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neues deutschland

Die Kunst des Zuhörens

Am Wochenende wurden beim Bundesparteitag der LINKEN in Göttingen die bisherige stellvertretende Bundesvorsitzende Katja Kipping und der badenwürttembergische Landeschef Bernd Riexinger in Kampfabstimmungen zu den neuen Vorsitzenden der Linkspartei gewählt. Über die schwierige Aufgabe des neuen Spitzenduos, die Linkspartei wieder zusammenzuführen und für die Bundestagswahl im kommenden Jahr auf Kurs zu bringen, sprachen mit ihnen Uwe Kalbe und Aert van Riel.

Mit freundlicher Erlaubnis vonneues deutschland

nd: Wie lange kennen Sie beide sich schon?
Kipping: Wir kennen uns seit vielen Jahren. Allerdings bisher nur aus der Zusammenarbeit in den sozialen Bewegungen.

Vor der Wahl haben Sie gesagt, dass Sie mit Bernd Riexinger keine Doppelspitze bilden wollen. Bäumchen-wechsele-dich wollten Sie nicht spielen.
Kipping: Ich hatte zunächst eine Kandidatur für eine Doppelspitze mit Katharina Schwabedissen angekündigt. Das heißt nicht, dass ich mich mit Bernd Riexinger nicht verstehe. Gestern haben wir gemeinsam gekocht. Das hat schon mal sehr gut geklappt.

Was gab's?
Riexinger: Nudeln mit Zuchini-Walnuss-Sauce. Es war gut, also: Zu viele Köche waren wir offenbar nicht, um den Brei zu verderben.

Auf dem Parteitag konnte man diesen Eindruck allerdings schon gewinnen.
Kipping: Der Parteitag wird zu Unrecht als Krisenparteitag dargestellt. Im Gegenteil: Es war ein demokratischer Fortschritt, dass die Delegierten wirklich eine Wahl hatten. Seit Gründung der LINKEN gab es das noch nicht. Bisher entschieden die Delegierten über Kandidaten ohne ernsthafte Gegenkandidaten oder über festgezurrte Mannschaften.
Riexinger: Die Delegierten sind mit dem Ergebnis sehr konstruktiv umgegangen. Auch die, die unterlegen waren.

Frau Kipping, kurz vor der Wahl haben Sie noch gesagt, dass Sie wegen der Betreuung Ihrer sechs Monate alten Tochter nur Teilzeit-Vorsitzende sein könnten. Das ist jetzt kein Problem mehr?
Kipping: Ich bin ein großer Freund von Arbeitsteilung. Das kann der Partei sogar helfen, wenn die Vorsitzenden nicht immer im Doppelpack auftreten.

Hat das Projekt eines dritten Weges nicht Schaden genommen, nachdem Sie ihn so kampflos verlassen haben?
Kipping: Wir haben für die Idee einer weiblichen Doppelspitze leidenschaftlich geworben. Aber wir mussten feststellen, dass es ein starkes Interesse an einer Entscheidung zwischen Dietmar Bartsch und Bernd Riexinger gab. Jeder wäre dazwischen zerrieben worden. Ich habe meine Kandidatur aufrecht erhalten, damit wenigstens ein Teil unserer Idee verwirklicht wird.

Von welcher Seite ging der Druck aus?
Kipping: Von verschiedenen Seiten.

Und dass Sie Dietmar Bartsch mit Ihrer Kandidatur verhindert haben, beschädigt nicht Ihre Glaubwürdigkeit?
Kipping: Auch Dietmar Bartsch hat auf seinem passiven Wahlrecht bestanden. Es mir abzusprechen, weil ich damit die Chancen eines anderen schmälere, folgt der Sicht, dass Frauen nur als Garnierung der Kandidatur eines Mannes angesehen werden.

Bernd Riexinger, Sie waren Teil der Schlachtordnungen dieses Parteitages, erschwert das anschließend nicht die Zusammenarbeit mit den Unterlegenen?
Riexinger: Das hätte für den Sieg jedes Kandidaten gegolten. Und jeder andere hätte anschließend die Integration der Partei meistern müssen. Ich bin sicher, dass die Delegierten zu 95 Prozent einig waren, dass die LINKE nur als gesamtdeutsche und linkspluralistische Partei eine Chance hat.

Was sehen Sie als Ihre ersten Aufgaben?
Riexinger: Zuerst werden wir mit den Ost-Landesvorsitzenden reden. Was sie zu sagen haben, wird für uns eine wichtige Rolle spielen. Mir ist auf dem Parteitag nicht klar geworden, wo die tiefen inhaltlichen Differenzen liegen sollen. Kommunalpolitik Ost kann man nicht gegen Bewegungsorientierung West ausspielen, wir brauchen beides. Und wir werden Vorschläge machen. Wieder politikfähig zu werden, das halte ich für die zentrale Aufgabe schon in den nächsten Wochen.
Kipping: Wir sind uns einig, dass wir die Kunst des Zuhörens üben wollen. Wir wollen einen Blog für Vorschläge einrichten, die die Mitglieder machen. Am Ende müssen alle Überlegungen verdichtet werden zu einer Strategie für die Wahlen im nächsten Jahr.

Auf dem Parteitag hat Gregor Gysi den Zustand der Fraktion dramatisch beschrieben. Teilen Sie seine Wertung?
Kipping: Ich hätte Vokabeln wie Hass für den Zustand der Fraktion nicht verwendet. Ich erlebe viele Debatten als leidenschaftlich, aber mich interessiert eher die Frage, wie man das produktiv machen kann.

Wie soll das Parteiprogramm in konkrete Politikangebote übersetzt werden, eine Forderung auf dem Parteitag in Göttingen?
Riexinger: Zwei, drei inhaltliche Kampagnenprojekte brauchen wir. Prekäre Beschäftigung zum Beispiel, Niedriglohn, Leiharbeit, Soloselbstständigkeit - das sind Probleme, die Ost und West beschäftigen. Die Eurokrise ist noch so ein Thema. An den konkreten Lebensumständen der Menschen müssen wir deutlich machen, dass die Einschläge auch in Deutschland näher kommen. Und als Drittes: Dietmar Bartsch hat auf dem Parteitag die Frage des Öffentlichen hervorgehoben, öffentliche Daseinsvorsorge, Kommunalfinanzen, Privatisierungen und Rekommunalisierung.

Und das bedingungslose Grundeinkommen? Eine gute Gelegenheit, Katja Kipping, Ihr Lieblingsthema jetzt in der Partei salonfähig zu machen. Was sagt dann Bernd Riexinger?
Riexinger: Es ist kein Geheimnis, dass wir da unterschiedliche Positionen haben. Die Partei hat zu diesem Punkt eine Mehrheitsmeinung. Nichtsdestotrotz müssen wir weiter über unterschiedliche Konzepte diskutieren.
Kipping: Da muss ich widersprechen. Wir wissen nicht, was Mehrheitsmeinung ist. Im Programm haben wir einen Kompromiss formuliert. Teile der Partei sehen das Grundeinkommen als Lösung und wir haben bewusst den Punkt nicht zur Abstimmung gestellt.

Sehen Sie die LINKE in Opposition zu allen anderen Bundestagsparteien?
Kipping: Beim Fiskalpakt entscheidet darüber die SPD. Wenn sie diesen unterstützt, statt den Kurs des französischen Präsidenten François Hollande, dann setzt sie auf eine Große Koalition und nicht auf einen Politikwechsel.

Stimmen Sie Gregor Gysi zu, im Osten sei die LINKE eine Volks-, im Westen eine Interessenpartei?
Riexinger: Ich stimme zu, dass eine Partei, die im Westen zwischen drei und sieben Prozent liegt, dort anders agiert als im Osten, wo sie 20 bis 30 Prozent Zustimmung hat. Es muss in der LINKEN Verständnis dafür geweckt werden, dass es zwangsläufig Unterschiede in der Herangehensweise und in den Möglichkeiten gibt. Wenn die LINKE in fast allen Kommunalparlamenten im Osten ist, dann muss sie auch Bündnisse schließen. Im Westen muss man auch andere Wege suchen, etwa in Bündnissen im außerparlamentarischen Bereich oder durch Verankerung in den Gewerkschaften. Wir müssen zudem einen strukturellen Rahmen schaffen, wo kommunalpolitische Erfahrungen ausgetauscht werden.

Wie wollen Sie sich vom Machtzentrum Gregor Gysi und Oskar Lafontaine emanzipieren?
Kipping: Beide sind wichtige Politiker und hervorragende Redner. Ich glaube, der Parteitag hat gezeigt, dass es eine gewisse Emanzipation bereits gegeben hat. Viele Leute, die sich zur Wahl stellen, sind keinem Machtzentrum zuzuordnen, gehören zu einer neuen Generation. Es gibt inzwischen viele, bei denen sich die Ost-West-Biografien durchkreuzen. Viele wollen einen Aufbruch, weg vom Lagerdenken. Die Macht ist offensichtlich etwas weiter gestreut in der Partei.
Riexinger: Wir haben es geschafft, beide Traditionslinien in der Parteiführung aufzunehmen und einen Generationswechsel herbeizuführen. Wir sollten nun nicht den Fehler machen, uns von der Presse einen Machtkampf zwischen Lafontaine und Gysi einreden zu lassen. Die beiden werden ebenso wie Sahra Wagenknecht im Bundestagswahlkampf eine wichtige Rolle spielen.

Dass es Differenzen zwischen Lafontaine und Gysi gibt, ist auf dem Parteitag deutlich geworden.
Riexinger: Das waren keine programmatischen Differenzen. Beide haben eine unterschiedliche Sicht auf den Zustand der Partei. Wenn die LINKE es schafft, sich wieder ihren Kernthemen zuzuwenden, werden auch die Gemeinsamkeiten wieder deutlicher werden.

Die Differenzen vor dem Parteitag sind auch die Differenzen nach dem Parteitag.
Riexinger: Bei 80 Prozent unserer Kernthemen haben wir Übereinstimmung. Diese müssen wir in den Vordergrund stellen. Die 20 Prozent, bei denen wir unterschiedlicher Meinung sind, müssen respektvoll diskutiert werden. Das kann auch produktiv sein. Eine Partei, die immer nur geschlossen nach außen auftritt, ist doch langweilig.

Ihre Integrationsaufgabe betrifft auch die Parteizentrale. Dort soll Mitarbeitern vor dem Parteitag mit arbeitsrechtlichen Konsequenzen gedroht worden sein, wenn sie den alternativen Leitantrag unterschreiben.
Riexinger: Das basiert auf Missverständnissen. Wir werden mit den Mitarbeitern sprechen. Jeder von ihnen hat das Recht, am demokratischen Willensbildungsprozess der Partei teilzunehmen und seine Meinung zu sagen. Mit uns wird es diesbezüglich keine arbeitsrechtlichen Konsequenzen geben.

Werden Sie mit Dietmar Bartsch über seine Vorstellungen zur Entwicklung der Partei reden?
Kipping: Ja. Wir haben ihm nach der Wahl gesagt, dass wir auf seine Kompetenz nicht verzichten wollen.

Welche Chancen sehen Sie bei den Wahlen im kommenden Jahr in Niedersachsen und zum Bundestag für die LINKE?
Riexinger: Wenn es uns gelingt, schnell zur Politikfähigkeit zurückzufinden, können wir das Blatt wenden.