Die Linke wird Alternativen für Europa vorschlagen
Statement von Lothar Bisky auf der Pressekonferenz am 22. Oktober 2007
Wir sind Teil der Europäischen Union. Dies war in Lissabon am Wochenende besonders deutlich. Parallel zum Regierungstreffen hat dort die Europäische Linkspartei getagt, waren 200.000 Menschen in Lissabon auf der Straße. 200.000 Menschen, die für das eintreten, was auch die Linke fordert. Es war beglückend, das zu erleben, zumal wir wussten, dass parallel dazu auch 300.000 Menschen in verschiedenen Städten Frankreichs auf der Straße waren. Was wir noch nicht wussten, aber inzwischen wissen, fast eine Million Menschen demonstrierten auch in Rom. Wir hatten das Empfinden, wir sind nicht ganz allein in Europa. Die 29 Mitglieder- und Beobachterparteien in der Europäischen Linkspartei haben sich dadurch in ihrem grundsätzlichen Herangehen an verschiedene Dinge, die jetzt in Europa auf der Tagesordnung stehen, bestätigt gefühlt.
Wir haben als erstes eine gemeinsame Erklärung zum EU-Reformvertrag angenommen:
Wir wollen weiterhin eine kritische Auseinandersetzung mit dem EU-Reformvertrag. Wir wollen Referenden in allen EU-Staaten. Die Bevölkerung hat ein Recht mitzuentscheiden, wenn es ein Europa der Bürgerinnen und Bürger werden soll. Sonst ist es ein Europa der Regierenden. Wir wollen nicht, dass die Regierenden allein über Europa entscheiden, sondern wir denken, die Völker in Europa sollten mitreden dürfen. Es wäre wichtig, dass der Reformvertrag überall zum Referendum ansteht – auch in Deutschland. Das heißt ja nicht, dass automatisch ein Nein kommen würde. Es wird dadurch eine differenzierte Auseinandersetzung möglich. Und es wäre ein Zeichen dafür, dass die Bevölkerung in Europa wieder ernst genommen wird.
Jetzt setzen sich die Regierungen relativ oberflächlich über das Nein der Bevölkerung von Frankreich und den Niederlanden hinweg, indem sie die Verfassung leicht kürzen und mit einigen Ergänzungen als Reformvertrag vorlegen. Das nenne ich einen fahrlässigen Umgang mit Volksabstimmungen. Nicht wenige in Europa werden dadurch den Eindruck gewinnen, dass die Meinung von Bürgerinnen und Bürger nichts wert sei. Das ist schädlich für die weitere Entwicklung der EU.
Die Partei der Europäischen Linken wird die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem EU-Reformvertrag im Einzelnen fortsetzen. Wir werden auch Experten befragen. Wir sind ja nicht in der Eile, dass wir das übers Knie brechen müssen. Wir haben bei einer ersten Durchsicht auch positive Seiten entdeckt. Aber grundsätzlich sind wir uns einig, dass dieser Reformvertrag viele Dinge, die die Linke heute in Europa fordert, einfach ignoriert.
Das zweite, was man als einen wichtigen Punkt ansehen kann: Die Linke wird Alternativen in Europa vorschlagen, vor allem auf sozialem Gebiet. Ich glaube, dass das an der Tagesordnung ist, dass wir in Deutschland – auch in Europa – praktizierbare soziale Alternativen auf die Tagesordnung setzen. Es darf nicht so sein, dass der neoliberale Zeitgeist überall bestimmend ist. Es ist im gegenwärtigen Reformvertrag der Artikel 98 aus dem EG-Vertrag, der die offene Marktwirtschaft für die Wirtschaftspolitik der EU festschreibt, unverändert übernommen worden. Aber zugleich liest man dort verschiedene Sätze über „soziale Marktwirtschaft“, was wir nur begrüßen können und die darauf hindeuten, dass man wohl anfängt, nachzudenken, dass der Neoliberalismus nicht allgemein festgeschrieben werden kann, sondern dass man auch soziale Fragen in Europa auf die Tagesordnung setzen muss. Das heißt für die Linke: Unsere Vorschläge für einen europäischen Sozialstaat, für die Erhaltung des europäischen Sozialstaatsmodells, stehen auf der Tagesordnung. Wir müssen dort als Linke in Europa kräftiger werden und unsere Vorschläge so einbringen, dass sie verstanden werden und dass wir damit tatsächlich die Alternativen markieren.
Der dritte Punkt, der auf der Vorstandstagung der EL dort ganz eindeutig geäußert wurde: Wir lehnen Kriege ab. Wir lehnen eine Politik der Aufrüstung ab, die mit dem jetzt vorgelegten Reformvertrag deutlich angestrebt wird. Wir bleiben bei unserer Auffassung, dass mit militärischen Mitteln keine dauerhafte Lösung politischer und ziviler Konflikte möglich ist.
Ich glaube, dass der EU-Vertrag in dieser Frage für die Linke überhaupt nicht zustimmungsfähig ist, denn mit den Formulierungen, die dort getroffen wurden, wird es in Richtung Aufrüstung gehen, und es werden bestimmte militärische Aktionen außerhalb des Hoheitsgebietes der EU möglich. Das lehnt die Linke entschieden ab, und zwar in allen Ländern. Das wird für die Europäische Linke eine bestimmende Frage auch für die Zukunft sein.
Wenn man all das zusammenfasst, können Sie davon ausgehen, dass die Europäische Linkspartei beginnt, sich auf die Wahlen 2009 vorzubereiten. Dann geht es darum, dass die Linke im Europäischen Parlament verstärkt vertreten sein wird. Wir werden in Richtung der Europawahlen uns darüber verständigen, wie wir in den verschiedenen Ländern Europas als Linke mit erkennbaren gemeinsamen Schwerpunkten in die Wahl des Jahres 2009 gehen, um gestärkt unsere Auffassungen zu einem alternativen Europa in das europäische Parlament einbringen zu können. Insofern war es in Lissabon ein erfolgreiches Treffen. Wir wollen als Subjekt der Politik in Zukunft die Linke in der EU und außerhalb der EU stärken, was nicht heißt, dass wir die bilateralen Beziehungen, die wir zu verschiedenen anderen Parteien in Europa haben, nicht auch weiterentwickeln würden.
Noch eine Bemerkung zum Beschluss des SPD-Vorstandes, zur Verlängerung des Arbeitslosengeldes I. Ich freue mich, dass das verlängert werden soll. Ich hoffe, es wird auch umgesetzt, sonst werden wir weiterhin Druck ausüben. Ich beglückwünsche Kurt Beck zu der Entscheidung, dass er jetzt die Probleme beseitigt, die es ohne Beschlüsse der SPD gar nicht gegeben hätte. Aber ich gehe darüber hinaus und sage: Die Agenda 2010 ist die falsche Orientierung. Unser Widerstand gegen die Hartz-Gesetze und gegen die Agenda 2010 wird kräftig bleiben. Auch das soll verlässlich vorausgesagt werden, denn die Verlängerung des Arbeitslosengeldes I ist ein richtiger Schritt, aber es ist ein halbherziger Schritt. Und wir wissen ja noch nicht, wie weit die CDU da mitgeht. Wir haben nicht vergessen, dass die Kanzlerin bei der Regierungserklärung gesagt hat: Die Agenda 2010 bleibt die Orientierung der Regierung, der großen Koalition. Da werden Sie uns in kräftiger und deutlicher Opposition weiterhin erleben.