Die richtigen Konsequenzen aus dem Corona-Schock ziehen
Rede von Katja Kipping, Vorsitzende der Partei DIE LINKE, beim Politischen Jahresauftakt 2021
Liebe Genossinnen und Genossen, das Jahr 2020 liegt hinter uns. Es hat so manches auf den Kopf gestellt. Vieles, was sich Menschen erarbeitet haben, Sicherheiten und Gewohnheiten, hat ein unsichtbares Virus über den Haufen geworfen.
Das Jahr Corona hat uns auch gezeigt, die Politik der Nuller-Jahre, wonach der Markt alles regelt, ist erledigt. Mit allem, was nach Gier, Geiz und noch mehr Markt riecht, kommen wir nicht aus der Krise. Da kann Christian Lindner noch hundertmal den Finger recken. Wenn wir die Krisen entschärfen wollen, müssen wir auch wirtschaftspolitisch umsteuern.
Zeit, sich zum wirtschaftlichen Umsteuern zu verabreden
Deshalb legen Bernd, Harald, Jörg und ich zu diesem Neujahrauftakt wirtschaftspolitische Leitlinien vor. Und ich freue mich sehr, dass der bekannte Wirtschaftswissenschaftler Gustav Horn als Gastredner auf unserem Neujahrsauftakt spricht. Gustav Horn war viele Jahre Leiter des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung. Er ist seit einem reichlichen Jahr Mitglied im SPD-Vorstand. Herzlich willkommen, lieber Gustav Horn.
Aktuell drehen sich die Debatten vor allem um konkrete Lockdown-Maßnahmen, wie Schulschließungen und Bewegungsradius. Ist das die richtige Zeit, um über Wirtschaftspolitik zu reden? Ich meine, genau jetzt die Zeit, nicht nur darüber zu reden, sondern sich zum wirtschaftspolitischen Umsteuern ganz konkret zu verabreden.
Denn der Weg raus aus der Krise kann nicht einfach in die alte Normalität von vor Corona führen. Schließlich basierte diese auf der doppelten Ausbeutung von Mensch und Natur.
Doch genau diese Ausrichtung auf Profite macht eine Gesellschaft anfälliger für Krisen. Es ist also höchste Zeit, die Regeln zu ändern und umzusteuern.
Neun Milliarden für die Lufthansa, nichts für Luftfilter
Um das beispielhaft zu veranschaulichen: Die Wirtschaftspolitik der Union funktioniert wie folgt: Wenn eine Lobby-trächtige Branche Absatzprobleme hat, macht Herr Altmeier Milliarden Euro locker, um auszuhelfen – und das bedingungslos.
Schon vor Corona war das falsch. Vielmehr wäre es richtig gewesen, Wirtschaftshilfen mit dem Ziel des sozial-ökologischen Umbaus zu verknüpfen. Eben auch, um die Arbeitsplätze dort zukunftssicher aufzustellen. Aber im Wirtschaftsministerium scheint man ernsthaft zu glauben: Greta und ihre Freudinnen müssten nur aufhören zu demonstrieren und schon würden sich all die Absatzprobleme z.B. der Autobranche in Luft auflösen. Wie kurzsichtig!
In der Coronakrise nun wird das Versagen noch mal besonders deutlich: 9 Milliarden bedingungslos für die Lufthansa, aber faktisch nichts für mobile Luftfilter. Dabei können die virenlastige Aerosole rausfiltern. Also Milliarden für Produkte bzw. Dienstleistungen, die gerade nicht gefragt sind und die auch noch eine schlechte Ökobilanz haben. Aber kaum Einsatz für Produkte, die wir dringend brauchen, um bei hohem Infektionsschutz soziales Leben zu ermöglichen.
Weltgesundheit wichtiger als Profitinteressen
Ähnliches lässt sich bei den Debatten um Lizenzen und Patente für Impfstoffe beobachten.
Schon vor Corona war klar: Patente auf lebenswichtige Medikamente machen es dem globalen Süden unmöglich, diese zu erwerben. Patente, als das Eigentumsrecht auf medizinische Erkenntnisse, bringen der Pharmaindustrie Profite, aber für arme Länder bedeuten sie Tote, die vermeidbar wären. Nun kommt hinzu: Der Kampf gegen Corona kann nur weltweit gewonnen werden. Ansonsten kommt das Virus wieder zurück. Dass auch die armen Länder Zugang zum Impfstoff haben, ist also nicht nur eine moralische Frage, sondern liegt auch zutiefst in unserem eigenen Interesse.
Ein pragmatischer Vorschlag von uns lautete, dass die WHO in die Lage versetzt wird, geistiges Eigentum an medizinisch relevantem Wissen aktiv zu erwerben, um es den armen Ländern zur Verfügung zu stellen. Notfalls auch gegen die Gewinninteressen der Pharmabranche. Doch da blockt diese Regierung. Offensichtlich wiegen hier die Gewinninteressen schwerer als die Weltgesundheit. Ich meine: es müsste genau andersrum sein.
Das waren nur zwei Beispiele, um zu verdeutlichen, wie notwendig eine steuernde Wirtschaftspolitik ist.
Green New Deal
Beim Neujahrsauftakt vor zwei Jahren ging es u.a. um den mutigen Klimaschutz: Manche meinten ja zu Beginn der Coronakrise, die Ökofrage solle sich nun hinten anstellen. Was für ein Irrtum!
Wir wissen ja inzwischen, dass die Zerstörung von Ökosystemen und die globale Erwärmung das Überspringen von Erregern auf Menschen und damit die Entstehung von Pandemien befördern. Im Klartext: Umweltzerstörung erhöht die Gefahr von Pandemien. Und Umweltschutz macht unsere Welt auch pandemiesicherer.
Beim Neujahrsauftakt vor einem Jahr legten wir ein Konzept für einem demokratischen Sozialstaat vor. Für soziale Garantien und soziale Infrastrukturen, die für alle zugänglich sind sowie für gestärkte Sozialversicherungen. Auf diesem Ansatz haben wir aufgebaut.
Es ist höchste Zeit umzusteuern zu einer menschlichen Politik, die die tiefen Verlustängste vor den Folgen des industriellen Strukturwandels ernst nimmt und auffängt.
Aber eben nicht dadurch, dass sie die Illusion nährt, alles könne so weitergehen. Vielmehr kommt es darauf an, neue Zukunftsantworten zu geben.
Ob wir es nun Green New Deal oder sozial-ökologische Wende nennen, entscheidend ist, dass wir die soziale und die ökologische Frage nicht gegeneinander ausspielen, sondern zusammen in Angriff nehmen.
Solidarisch durch die Wahlen in 2021
2021 stehen mehrere Kommunal- und Landtagswahlen an. Ich begrüße alle LINKEN aus wahlkämpfenden Landesverbänden. Ihr werdet ja später in der Debatte sicherlich über die Situation in euren Bundesländern berichten. Mindestens ein Teil der Wahlkämpfe wird unter Corona- bedingten Einschränkungen stattfinden. Eine Situation, die für uns alle neu ist. Lasst uns das gemeinsam in Angriff nehmen und uns dabei gegenseitig unterstützen.
Machtpolitisches Fenster links der Union
2021 – das ist auch das Jahr der Bundestagswahl nach Angela Merkel. Ihre Amtszeit stand gesellschaftlich für eine Sowohl-als-auch-Politik, die die Entschärfung der brennenden sozialen und ökologischen Krisen blockiert hat. Mit dieser Blockade muss Schluss sein, denn die Krisen erfordern einen Kurswechsel.
Um solch einen Kurswechsel zu ermöglichen, braucht es Mut zum Konflikt und letztlich auch andere Mehrheiten in der Gesellschaft und in der Regierung. Es kommt im Wahljahr 2021 darauf an, links der Union ein machtpolitisches Fenster zu öffnen, um die richtigen Konsequenzen aus dem Corona-Schock zu ziehen.
Hier stehen alle fortschrittlichen Kräfte in der Verantwortung. Dabei kommt es darauf an, die Regierungsfrage mit der Radikalität des notwendigen Kurswechsels zu verbinden. Wer das demokratische Gemeinwesen jetzt aus der Krise führen will, muss alte Gewissheiten auf den Prüfstand stellen und Neues wagen.
Wer auf Schwarz spielt, kann grünes Programm in Tonne treten
In Richtung der Grünen sage ich: Die sozial-ökologische Wende ist nur mit uns, mit einer starken LINKEN, möglich. Alle, die auf Schwarz spielen, können ihr grünes Wahlprogramm eigentlich jetzt schon in die Tonne treten. Nur mit uns gibt es eine Politik der Zukunftsinvestitionen, von der wirklich alle Menschen profitieren. Nur mit uns gibt es eine Politik des gesellschaftlichen Zusammenhalts statt einer Politik der Ausgrenzung und Diskriminierung.
Der Wechsel ist möglich
Liebe Genossinnen und Genossen, ja, wir wollen zweistellig werden. Wir wollen die AfD hinter uns lassen und wir wollen mitentscheiden. Die Menschen werden uns in den kommenden Monaten fragen: Wollt ihr das, könnt ihr das? Ich meine: Wir können und wir werden. Geben wir mutige Antworten als eine selbstbewusste LINKE und sagen wir allen: Der so notwendige Kurswechsel ist möglich – und zwar mit einer starken LINKEN.
Für einen solidarischen Lockdown
Liebe Genossinnen und Genossen, aus aktuellem Anlass einige Sätze zur Lockdown-Debatte:
Die Coronakrise verschärft die bestehende soziale Ungerechtigkeit. Umso wichtiger wäre es: die Ärmsten jetzt besonders zu unterstützen. Doch die Regierung lässt just die Ärmsten außen vor.
Als LINKE hingegen haben wir von Anfang Druck gemacht:
- für einen Corona-Zuschlag auf Sozialleistungen,
- für Hilfen für Studies, Rentnerinnen und Rentner und alle, denen im Lockdown die Minijobs weggebrochen sind,
- für ein höheres Kurzarbeitergeld gerade für Geringverdienende,
- für ein Überbrückungsgeld für Freischaffende, Kunstschaffende und Selbstständige sowie
- für ein Elterngeld oder bezahlten Urlaub für Eltern, die wegen Schulschließung zu Hause bleiben und ihre Arbeitszeit reduzieren müssen.
Im Gegensatz zur jetzigen Bundesregierung ist auf uns Verlass, denn wir sind die Sozial-Garantie!
Der Kampf gegen das Virus erfordert sowohl die Rücksicht der Vielen im Alltag wie den Mut der Regierung, die Großen in die Pflicht zu nehmen. Diese Regierung ist gut darin, die Solidarität der Vielen einzufordern, aber ihr fehlt der Mut oder der Wille, die Großen in die Pflicht zu nehmen. Alle Lockdown-Maßnahmen der Regierung haben eine Schlagseite.
Das wurde ganz offensichtlich, als Angela Merkel auf der Pressekonferenz nach dem Recht auf Homeoffice gefragt wurde: Sie, die sonst so entschieden Kontakteinschränkungen durchsetzt, flüchtete sich plötzlich ins Unverbindliche.
Das Virus interessiert aber nicht, ob der Kontakt im Büro oder in der Freizeit stattfinden, ob es sich bei der Busfahrt um den Weg zur Arbeit oder um eine Freizeitaktivität handelt.
An die Adresse von Angela Merkel sage ich deshalb: Sie haben zu Recht im Bundestag den Coronaleugnern entgegengehalten, dass sich die Gesetze der Naturwissenschaften nicht nach Ideologien richten. So weit so gut. Doch zur ganzen Wahrheit gehört auch: Die Verbreitungswege eines Virus enden nicht dort, wo Lobbyinteressen beginnen. Die Erkenntnisse der Naturwissenschaften dürfen nicht dort ignoriert werden, wo sie auf betriebswirtschaftliche Interessen treffen. Die Last des Infektionsschutzes darf nicht allein den Privathaushalten aufgeladen werden!
Wir als LINKE sprechen uns für einen solidarischen Lockdown aus. Und hier sprechen wir mit einer Stimme, ob in Fraktion oder Partei, ob in Regierung oder Opposition. Wir machen uns stark für einen solidarischen Lockdown. Es geht nicht allein darum, den jetzigen einfach weiter zu machen, sondern ihn endlich richtig zu machen.
Zu einem solidarischen Lockdown gehört:
- das Recht auf Homeoffice, um Kontakte zu vermeiden, zumindest dort, wo die Arbeit auch zu Hause erledigt werden kann.
- Zu einem solidarischen Lockdown gehört, dass Massenunterkünfte durch dezentrale Unterbringung ersetzt werden. Schließlich verbreitet sich in Massenunterkünften das Virus schneller.
- Zu einem solidarischen Lockdown gehört die strenge Durchsetzung von Infektionsschutz am Arbeitsplatz, z.B. durch unangekündigte Kontrollen.
Ich meine, Jeff Bezos macht gerade mit Online-Handel das Geschäft seines Lebens, aber beim Infektionsschutz in den Amazon-Sortierzentren wird offensichtlich geschlampt. Schließlich kommt es dort immer wieder zu Masseninfektionen.
Kurzum, es ist höchste Zeit umzusteuern. Sowohl bei den akuten Maßnahmen wie grundsätzlich. Für einen sozial-ökologischen Weg aus der Krise.
Liebe Genossinnen und Genossen, lasst uns das gemeinsam in Angriff nehmen! Auf dass 2021 das Jahr wird, in dem wir die Weichen stellen für die sozial-ökologische Wende! Der Kampf um neue soziale Mehrheiten beginnt jetzt!