Die SPD sollte endlich zu Sachfragen zurückkehren
Dietmar Bartsch auf der Pressekonferenz im Berliner Karl-Liebknecht-Haus
Einen schönen guten Tag, meine Damen und Herren. Ich möchte gerne zu 5 Punkten etwas sagen.
Heute, zu diesem Zeitpunkt – 13.00 Uhr – beginnen in Hamburg die Koalitionsverhandlungen von CDU und Grünen. Es handelt sich da um einen bemerkenswerten Vorgang. Ich möchte zunächst daran erinnern, dass – zumindest arithmetisch – auch andere Mehrheiten in Hamburg möglich wären, nämlich SPD, Grüne und DIE LINKE. Das will die SPD politisch nicht nutzen, das ist deren Problem. Ich möchte aber daran erinnern, dass mit Ole von Beust jemand von Seiten der CDU die Koalitionsverhandlungen führt, der noch in der vorletzten Wahlperiode mit Herrn Schill koaliert hat und dass das eine Koalition war, die insbesondere auch von den Grünen heftigst kritisiert worden ist.
Die CDU hat es bei den Landtagswahlen sehr erfolgreich geschafft, alle schwarzen Peter dieser Welt der SPD zuzuwerfen. Dort wurden interessante oder auch weniger interessante, vor allem aber planlose Diskussionen geführt. Im Gegensatz dazu schafft es die CDU, sehr leise einen neuen Koalitionspartner zu gewinnen. Das Problem allerdings haben aus meiner Sicht zu allererst die Grünen. Ich bin sehr gespannt, wie die inhaltlichen Angebote des Wahlprogramms der Grünen dann Realisierung in einem Koalitionsvertrag finden. DIE LINKE wird in Hamburg eine klare eindeutige Opposition sein. Wir wollen die soziale Gerechtigkeit zurück in die Hamburger Bürgerschaft bringen.
In dem Zusammenhang noch eine Bemerkung zu den Grünen, weil Leute wie Herr Trittin, Frau Kynast oder Herr Kuhn jetzt sagen, dass sie nicht so große Probleme mit der LINKEN hätten. Für DIE LINKE möchte ich dazu feststellen, dass wir mit dem, was sich bei den Grünen entwickelt, erhebliche Probleme haben.
Eine zweite Bemerkung möchte ich nach den so genannten Winterwahlen machen, die für DIE LINKE insgesamt sehr erfolgreich waren: Mit den 43 kommunalen Mandaten, die wir in Bayern errungen haben, haben wir jetzt insgesamt, was die Bundesrepublik betrifft, über 6.000 Mandate – von der Bundesebene bis in die Kommunen –, davon allein 5.561 Mandate in Städten, Gemeinden und Kreisen. Das ist eine sehr beachtliche Zahl. Ich freue mich, dass ich an dieser Stelle sagen kann: Am Sonntag waren auch Bürgermeisterwahlen in Plau am See, und der Kandidat der LINKEN, Norbert Reier, den ich persönlich gut kenne, hat dort mit 89,9 Prozent einen überzeugenden Wahlsieg errungen und bleibt hauptamtlicher Bürgermeister in meinem Heimatland Mecklenburg-Vorpommern. Wir sind – wie Sie wissen – jetzt in 10 Landesparlamenten in Fraktionsstärke vertreten, haben eine Parlamentarierin im Saarland und einen in Nordrhein-Westfalen. Ich freue mich, dass wir es auch in Schleswig-Holstein schaffen werden, flächendeckend anzutreten. Wir werden dort in allen großen Städten präsent sein, aber auch in vielen Gemeinden und Landkreisen. Ich bin sehr gespannt, wie die Ergebnisse dort sein werden.
Ich sage das auch deshalb, weil ja heute Herr Beck in Schleswig-Holstein die Kampagne der SPD „Deutschland-Dialog: Nah bei den Menschen“ beginnt. Ich meine, dieser Titel ist schon etwas problematisch und zeigt eher, dass die SPD etwas weit weg ist von der Realität. Wir zumindest als LINKE wollen mitten im Leben sein und mit unseren inhaltlichen Angeboten – in Schleswig-Holstein wie auch auf allen anderen Ebenen punkten. Da bleiben natürlich die inhaltlichen Forderungen, die sie von uns kennen – Gemeinschaftsschule, Mindestlohn, mehr direkte Bürgerbeteiligung und selbstverständlich die gesamte Frage der Sozialsysteme – Thema.
Drittens möchte ich aufgrund der aktuellen Debatte einige Bemerkungen zur Bahn und zur Bahnprivatisierung machen: Hier ist ja von der großen Koalition mehrfach angekündigt worden, dass es ein Ergebnis geben soll. Hier soll es zu einer Entscheidung kommen und hier hat der Parteitag der SPD in Hamburg eine – wie ich meine – sehr vernünftige Entscheidung getroffen, dass die Bahnprivatisierung so wie von der großen Koalition geplant nicht stattfinden soll. Aber ich bin etwas sorgenvoll, weil die Entwicklungen und vor allem die Signale, die ich aus der SPD höre, darauf hindeuten, dass entgegen dem Parteitagsbeschluss andere Entscheidungen getroffen werden sollen. Hier versucht ja – wenn ich Herrn Struck richtig gelesen habe – die SPD zumindest einen Sonderparteitag zu vermeiden, dass also kein Parteitag zur Thematik Bahnprivatisierung stattfinden soll. Wir sagen ohne Wenn und Aber Nein zur Bahnprivatisierung. Das ist ein öffentliches Gut. Der angebliche Kapitalbedarf, den es gibt, ist am Kapitalmarkt auch zu holen. Eine Privatisierung würde dazu führen, dass wieder mehr Menschen abgehängt werden, dass gerade weniger attraktive Strecken eingestellt werden. Das kann nicht im Sinne der LINKEN sein. Bei der Privatisierung der Strommärkte hat man im Übrigen gesehen, dass das Ergebnis nicht mehr Wettbewerb war, sondern letztlich höhere Preise. Ich sehe das so, dass die Bahnprivatisierung und die Entscheidungen, die da getroffen werden, in der SPD zu einem Lackmustest werden. Wird hier das, was die CDU will, was einige in der SPD wollen – insbesondere der Finanzminister – betrieben oder kommt man wirklich dorthin, dass die Bahn in öffentlicher Hand, zu einem wesentlichen Teil im Eigentum des Staates bleibt. Das ist eine sehr wichtige und zentrale politische Entscheidung.
Lassen Sie mich als vierten Punkt in diesem Zusammenhang ein paar Sätze zur SPD sagen: Ich finde es schon beachtenswert, dass sich am Wochenende Herr Struck zu der Frage der Kanzlerkandidatur geäußert hat und Herrn Steinmeier und auch Herrn Steinbrück via Zeitung ins Gespräch gebracht hat, dass auch Franz Müntefering sich zu Beck geäußert hat und die Kanzlerkandidatur infrage gestellt stellt. Ich sehe hier ein Paradebeispiel der Steigerung von Feind: Todfeind – Parteifreund. Das, was da abläuft, ist rational nicht mehr erklärbar. Die SPD ist in einer so schwierigen Situation, in einer so tiefen Krise, die inhaltlicher Natur ist, und hier wird jetzt der Parteivorsitzende von diversen Menschen demontiert. Ausgerechnet Herr Struck muss sich äußern, der nun schon laut und deutlich angekündigt hat, dass es seine letzte Legislaturperiode ist, der soll sich dann um das Ende der großen Koalition kümmern. Aber diese Art und Weise ist wirklich nicht akzeptabel. Es erfüllt uns deshalb nicht mit Freude, weil damit die Union im Bund ihre Politik mehr oder weniger ungestört durchführen kann. Es ist so, dass die Akzente immer mehr von dort gesetzt werden, dass die Kanzlerin im Ausland aktiv ist, einen Höhenflug nach dem anderen erlebt und die SPD von ihrer Politik nichts durchsetzen kann. Deshalb kann ich nur auffordern, zur Sacharbeit und zur inhaltlichen Arbeit zurückzukehren.
Als letztes eine Bemerkung zu der Diskussion bezüglich des Bundespräsidenten: Hier hat sich der Parteivorsitzende der FDP, Herr Westerwelle, hervorgetan und sich engagiert. Unsere Position dazu ist ganz klar: Zunächst soll sich Horst Köhler erklären. Das, was Herr Westerwelle da tut, kann ich nicht anders als mit Wichtigtuerei bezeichnen. Die FDP hat in der Bundesversammlung weniger als 100 Sitze. Deswegen ist er der Letzte, der hier aktiv werden sollte. Die Entscheidungen sollten nach der Erklärung von Horst Köhler getroffen werden. Das Amt des Bundespräsidenten ist eins der wenigen, was in der Bevölkerung noch ein hohes Maß an Anerkennung hat, und deshalb kann ich nur dazu auffordern, diese Debatte nicht weiterzuführen. Es ist ein Interessantmachen und nicht mehr. Dankeschön.