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Ein Schutzschirm für Menschen

Statement von Ulrich Maurer auf der Pressekonferenz im Berliner Karl-Liebknecht-Haus

Statement als Video- und Audio-Datei

Meine Damen und Herren, der Geschäftsführende Parteivorstand hat sich heute in einer eineinhalbstündigen Debatte mit den Auswirkungen der schweren Finanz- und Wirtschaftskrise in Deutschland befasst. Wir stellen fest, dass die Bundesregierung die gleichen Fehler wiederholt, die sie zu Beginn der Finanzmarktkrise gemacht hat. Die Bundesregierung hat ein Jahr Zeit mit Schönfärben und Schönreden verloren. Sie erinnern sich, die Finanzmarktkrise ist Mitte 2007 ausgebrochen. Ein Jahr lang hat uns Herr Steinrück erklärt, dass das alles mit Deutschland nichts zu tun hat und die Frau Bundeskanzlerin sagte später, dass es doch nicht so schlimm kommen werde. Die Bundesregierung macht eine Politik, mit der sie im Grunde genommen der Krise – jetzt ist es ja schon eine schwere Depression – hinterherläuft. Nach unserer Einschätzung ist die Lage jetzt so, dass wir spätestens Mitte dieses Jahres befürchten müssen, dass es zu Massenentlass und zu einem raschen Anstieg der Massenarbeitslosigkeit in Deutschland kommt. Darauf reagiert die Bundesregierung bisher in keiner Weise angemessen.

Das Konjunkturprogramm, was sie vorgelegt hat, ist ein Sammelsurium insbesondere von wahltaktischen Erwägungen der beiden Regierungsparteien. Es ist in seiner Größenordnung, wenn man es etwa mit den Anstrengungen der USA oder der Volksrepublik China vergleicht, unzureichend, angesichts der zu befürchtenden Auswirkungen auf die Realwirtschaft in Deutschland. Es liegt vom Volumen her noch nicht einmal bei einem Viertel dessen, was die USA an Anstrengungen unternimmt. Von daher – wie gesagt – sind wir in der Situation, dass die Bundesregierung konzeptionslos, verstört und offensichtlich ohne Überblick der Krise hinterherläuft.

Wir glauben, dass es jetzt nicht mehr darum geht, einen Schutzschirm für Banken zu errichten, sondern einen Schutzschirm für Menschen zu errichten. Es geht in Deutschland längst darum, die Realwirtschaft und die Beschäftigten zu schützen. Die Bundesregierung ist aber vornehmlich immer noch damit beschäftigt, sich für die Hypo Real Estate, für die Commerzbank zu engagieren, absurde Diskussionen über die skandalösen Bonuszahlungen zu veranstalten, ohne dass sie irgendeine Konsequenz ziehen würde aus ihrer eigenen Kritik. Ich will nur darauf hinweisen, dass beispielsweise diese Dresdener Investmentbank Wasserstein zu einem Institut gehört, dass nach den Marktregeln ohne die Staatshilfen längst insolvent wäre. Insolvente Unternehmen können auch keine Boni zahlen, bekanntermaßen, weil dann alle Forderungen gegen sie erlöschen. Deswegen sagen wir seit längerem: Wir sind der Auffassung, dass der genannte gesamte Finanzsektor in staatliche Regie überführt werden muss, weil wir auch nur auf diesem Weg herausfinden werden, was denn wirklich in diesen Bilanzen liegt. Wir haben jetzt, wie Sie auch, zur Kenntnis genommen, dass man darüber spekuliert, ob die HRE jetzt 400 Milliarden im Umlauf hat oder gar eine ganze Billion. Da habe ich interessante Ausführungen am Wochenende gelesen, wie man das alles berechnen könnte. Das sind alles abenteuerliche Verhaltensweisen, abenteuerliche Zahlen. Wir haben den Eindruck, dass entweder der Finanzminister bis heute nicht weiß, was bei der HRE los ist oder es die ganze Zeit gewusst und nicht mitgeteilt hat. Das ist zumindest der Grund dafür, warum wir gerne einen Untersuchungsausschuss in dieser Frage hätten. Wir hätten gerne aufgeklärt, wie hier das Staatsvermögen eingesetzt, gegebenenfalls verschleudert wird, wie hier Bilanzen geschönt und getrickst wird, und was eigentlich das wahre Ausmaß dieser Fehlspekulation ist.

Wir sind der Auffassung, dass ein Schutzschirm für Menschen entstehen muss. Das bedeutet, wir glauben, dass in Deutschland mindestens eine Million Beschäftigungsverhältnisse im öffentlichen Sektor geschaffen werden müssen, also im Bereich von Kultur, Sozialem, Ökologie, Gesundheit und Pflege. Wir können da dem Beispiel des Landes Berlin folgen, das schon in besseren Zeiten einen öffentlichen Beschäftigungssektor für 10.000 Menschen aufgelegt hat. Das zeigt, dass das im Prinzip geht. Wir werden alles tun, um uns zusammen mit den Gewerkschaften gegen die bevorstehenden Massenentlassungen zu stemmen. Wir sind für Hilfen des Staates zur Rettung der Realwirtschaft, allerdings – so, wie wir das bei den Banken immer gesagt haben – für Hilfen für die Belegschaft und nicht für spekulierende Unternehmerinnen und Unternehmer. Deswegen ist aus unserer Sicht die Gegenleistung die Bildung von Eigentumsrechten bei den Beschäftigten. Wir bekommen dann Betriebe eines ganz neuen Charakters. Jetzt, gerade in der Krise, ist die Zeit, wo die Beschäftigten beteiligt werden müssen, wenn diese Unternehmen nach Staatsunterstützung schreien.

Wir sind entschieden dafür, dass auf dem Hintergrund dieser Lage die Bezugszeit des Arbeitslosengeldes I massiv ausgeweitet werden muss, sonst stürzen sehr viele Leute ins Elend. Und wir sind dafür – dass vertreten wir schon immer –, dass die Leistungen nach dem ALG II massiv erhöht werden müssen. Das ist nicht nur eine Frage der Gerechtigkeit, sondern auch eine Frage der volkswirtschaftlichen Vernunft. In anderen Ländern hat man das erkannt. In Frankreich gibt es in dieser Situation gezielte Unterstützung für die Armen - aus volkswirtschaftlichen Gründen. Deutschland leistet sich die Arroganz und die Verachtung gegenüber den Armen, wir aktuell bei dieser sogenannten Abwrackprämie ihren neuesten Höhepunkt gefeiert hat. Wer arm ist in Deutschland, sollte auch kein noch so billiges Auto kaufen dürfen. Das ist das Credo der Bundesregierung. Was das mit vernünftiger Wirtschaftspolitik zutun hat, erschließt sich für mich nicht.