Es gab Mobilisierungsdefizite in unserer Wählerschaft
Statement von Oskar Lafontaine auf der Pressekonferenz im Anschluss an die Sitzung des Parteivorstandes
Ich möchte das unterstreichen, was Lothar Bisky gesagt hat. Erstens: Wir haben zugelegt. Ich erwähne das nur, weil ab und zu die Kommentierung so ist, als seien diejenigen, die sechs Prozent verloren haben, die größten Sieger und diejenigen, die nur wenig zugelegt haben – wobei das auch wieder nur relativ ist, wenn man das in absoluten Zahlen sieht – die Verlierer sind. Also wir haben zugelegt. Wir haben aber nicht in dem Maße zugelegt, wie wir uns das gewünscht haben oder erwartet haben. Wir hatten ein Ergebnis um die zehn Prozent erwartet. Das ist es nicht geworden. Wir haben die Frage erörtert, warum das nicht erreicht worden ist. Es ist ganz klar, dass Mobilisierungsdefizite in unserer Wählerschaft da sind. Das traf nicht nur uns, sondern in noch dramatischer Weise die SPD. Diejenigen, die arbeitslos sind, die geringe Einkommen, die geringe Renten haben, neigen dazu, bei Europawahlen nicht zur Wahlurne zu gehen. Sie fühlen sich ausgegrenzt und reagieren dann mit Wahlenthaltungen und Resignation. Deshalb haben Meinungsforschungsinstitute diese Wahl als eine "Wahl der gebildeteren Schichten" bezeichnet, als eine Wahl der Besserverdienenden. Das ist eine negative Entwicklung, die uns besorgt macht. Denn wenn fast 60 Prozent der Wählerinnen und Wähler nicht mehr zur Wahl gehen, ist das ein deutliches Problem für die gesamte Demokratie. Denn die Demokratie lebt davon, dass diejenigen, die repräsentiert werden sollen, sich auch an solchen Wahlen beteiligen und ihr Urteil zum Ausdruck bringen.
Wenn es darum geht, die Mobilisierungsdefizite anzusprechen, dann habe ich bei meinen Veranstaltungen die Erfahrung gemacht, dass die Kernthemen der LINKEN – die Frage des realen Sinkens der Renten, des realen Sinkens der sozialen Leistungen und vor allem des realen Sinkens der Löhne – natürlich dann auch von den Zuhörerinnen und Zuhörern so beurteilt worden sind: Ja, in Europa könnt Ihr daran sowieso nichts ändern. Dann zu erklären, dass beispielsweise über Entsenderichtlinien u.ä. doch Einflüsse auf solche Entwicklungen genommen werden können, das fällt dann etwas schwer. Insofern hatten wir tatsächlich das Problem der Mobilisierung. Wir gehen aber davon aus, dass es bei der Bundestagswahl nach allen Erfahrungen gelingen wird, diese Mobilisierungsdefizite zu überwinden. Wir bleiben dabei: Es wird keine schwarz-gelbe Mehrheit geben. Also alle Freuden sind verständlich, aber es sind Vorfreuden, die in dem Ergebnis der Bundestagswahl keine Entsprechung finden werden. Es wird wieder eine Zusammensetzung geben, ähnlich der jetztigen, wobei DIE LINKE zweistellig sein wird. Ich bleibe dabei und schließe darauf auch Wetten ab.
Wir werden in der nächsten Zeit versuchen müssen, den Wählerinnen und Wählern unsere Vorschläge zur Entwicklung des sozialen Lebens in Deutschland zu erläutern. Das heißt, wir sind die politische Kraft, die steigende Löhne, steigende Renten und steigende soziale Leistungen nachwievor zur Grundlage des sozialen Lebens in Deutschland machen will. Und wir sind insoweit die einzige politische Kraft, die das will, weil alle anderen Parteien in den vergangenen Jahren darauf hingewirkt haben, das Löhne, Renten und soziale Leistungen fallen. Dieses Profil wollen wir natürlich deutlich herausarbeiten, und wir sind überzeugt, dass wir dabei die Wählerinnen und Wähler ansprechen können.
Wir werden durch die jüngste Entwicklung bei Karstadt und bei Opel bestätigt. Das ist erkennbar. Ich verweise hier nur auf einen Kommentar der "Süddeutschen Zeitung" zum Agieren der Bundesregierung: "Kein Konzept, keine Linie, keine Strategie." Es ist so, dass bei den Rettungsmaßnahmen die Bundesregierung einmal darunter leidet, dass die zwei Hauptakteure in unterschiedliche Richtung ziehen. Es gehört auch dazu, dass z.B. etwa eine kleine Partei, wie die CSU, die in der öffentlichen Wahrnehmung völlig überbewertet wird, dass sie immer beide Meinungen vertritt. Also ein Teil vertritt die Meinung, dass man eben marktwirtschaftlich antworten soll und die Betriebe pleite gehen lassen soll. Der andere Teil vertritt die Meinung, das Gegenteil sei richtig. Aber das Ganze geht zulasten einer vernünftigen Lösung. Bei Opel sind offensichtlich keine tragfähigen Vereinbarungen getroffen worden. Das müssen wir heftig kritisieren, und bei Karstadt hören wir jetzt, dass bei Arcandor die Bundesregierung nicht bereit ist, entsprechend tätig zu werden. Unsere Antwort ist die Belegschaftswirtschaft. Das ist die Konsequenz aus all dem, was wir in den letzten Jahren erlebt haben. Das ist die einzige Marktwirtschaft der Freiheit der Menschen. Das, was wir als freie Marktwirtschaft bezeichnen, ist ein Herr-und-Knecht-Verhältnis, das durch das Wort Freiheit kaschiert werden soll. Wir wollen eine Wirtschaft mit beteiligten Belegschaften, weil das die Konsequenz ist und das den Weg in die Zukunft weist. Die Konsequenz aus der Entwicklung bisher: Die Fälle Merkle, Schaeffler und Porsche usw. wären nicht eingetreten, wenn eine ordentliche Beteiligung der Belegschaft dagewesen wäre. Und um in Zukunft solche Fehler auszuschließen, streben wir eine Belegschaftswirtschaft an. Auf dieser Grundlage sollte auch das Handeln der Bundesregierung sich bewegen: Klar eine starke Beteiligung der Belegschaft ins Auge fassen, entsprechend auch dann die Zuschüsse und Bürgschaften dazu geben. Aber solange man kein solches Grundkonzept hat, bewegt man sich eben im Rahmen des Bisherigen, und dann steht am Ende die geordnete Insolvenz.
Soviel also von meiner Seite als Konsequenz aus der Wahl.